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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 12.01.2022, RV/7500463/2020

Strafaufschub mit der Begründung, Vorabentscheidungsverfahren sei abzuwarten

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** über die Beschwerde des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch RA Dr. Fabian Maschke, Dominikanerbastei 17/11, 1010 Wien, vom gegen den Bescheid des Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6 - BA 32, vom , Zahl: ***MA62019***, betreffend Abweisung eines Antrages um Bewilligung des Aufschubes des Strafvollzuges zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) in Verbindung mit § 24 Abs. 1 Bundesfinanzgerichtsgesetz (BFGG) und § 5 Gesetz über das Wiener Abgabenorganisationsrecht (WAOR) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Straferkenntnissen des Magistrates der Stadt Wien vom , ***MA62018_1***, ***MA62018_2***, ***MA62018_3***, ***MA62018_4*** und vom , ***MA62018_5***, ***MA62018_6***, ***MA62018_7*** und ***MA62018_8*** wurde der Beschwerdeführer ***Bf1*** (im Folgenden: Bf.) als handelsrechtlicher Geschäftsführer der ***X*** wegen Verstößen gegen das Wiener Glücksspielautomatenabgabegesetz (W-GSAG) für schuldig erkannt und über ihn je 4 Geldstrafen von je € 600,00, falls diese uneinbringlich seien, je 4 Ersatzfreiheitsstrafen von je 19 Stunden verhängt. Ferner habe er für jede Geldstrafe € 60,00 als Verfahrenskostenbeitrag zu zahlen.

Mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7500299/2019, wurden die Beschwerden gegen diese Straferkenntnisse als unbegründet abgewiesen.

Mit "Mahnung" vom wurde der Bf. erinnert, dass er aufgrund dieses Erkenntnisses zu einer Geldstrafe iHv € 2.400,00 verpflichtet worden und dieser Bescheid nunmehr vollstreckbar sei bzw. die offene Forderung inklusive Straf- und Beschwerdekosten sowie Mahngebühr insgesamt € 3.125,00 betrage.

Mit Eingabe vom beantragte der Bf. den Aufschub des Strafvollzuges gemäß § 54a VStG im Wesentlichen mit der Begründung, das Urteil des EuGH in der RS Maksimovic ua. sei auch auf das Glücksspielgesetz (GSpG) anzuwenden und habe der VwGH am zur Zahl Ra 2020/17/0013 dem EuGH auch Fragen hinsichtlich Vereinbarkeit des § 52 Abs. 2 GSpG mit dem Unionsrecht bzw. Art. 56 AEUV sowie Art. 49 Abs. 3 GRC zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Da die in § 54a VStG enthaltenen wichtigen Gründe eine nicht taxative Aufzählung darstellten, aus welchen der Strafvollzug aufgeschoben werden könne, würden die nunmehr vom VwGH an den EuGH gerichteten Fragen einen solchen Grund darstellen. Der diesbezügliche Aussetzungsbeschluss des VwGH stelle einen solchen wichtigen Grund dar, um das gegenständliche Verfahren im Hinblick auf das neue Vorabentscheidungsverfahren bzw. den Strafvollzug auszusetzen.

Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6 - BA32, wies diesen Antrag mit Bescheid vom , ***MA62019*** ab. Begründend wurde ausgeführt, bei der Aufzählung des § 54 a Abs. 1 VStG handle es sich stets um Fälle, in denen die durch den Zeitpunkt der Vollstreckung der Freiheitsstrafe bewirkten Eingriffe in die persönliche Lebensführung des Bestraften unbillig wären (; Fister, § 54 a Rz 4). Ein Vorabentscheidungsersuchen, dazu in einem anderen Verwaltungsverfahren ein anderes Gesetz betreffend, das auf die gegenständlichen rechtskräftigen Erkenntnisse keine Auswirkung haben könnte, falle nicht darunter.

In der dagegen fristgerecht eingebrachten Beschwerde vom wird dieser Bescheid seinem gesamten lnhalt und Umfang wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten. Die Anfechtung stütze sich auf folgende Gründe, welche zur Rechtswidrigkeit führen würden:
"…
3.a) Unrichtige rechtliche Beurteilung:

Der Europäische Gerichtshof (im Folgenden: EuGH) hat in den verbundenen Rechtssachen zu C- 4/ 18, C-140/ 18, C-146/18 und C-148/ 18 vom zu Recht erkannt, dass Art 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren entgegensteht, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung von Geldstrafen vorsieht, die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen, die für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden, zu denen im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag iHv 20% der verhängten Strafe hinzutritt und die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden (siehe EuGH, in den verbundenen Rechtssachen C 64/18, C 140/18, C 146/18 und C 148/18, Maksimovic ua, Rn 50.). Der VfGH hat in der Entscheidung vom , G 203/2014 ua. dargetan, dass sich die Strafsätze des § 52 GSpG an denen des § 28 Abs 1 AuslBG orientieren (vgl. ua., Rz 13 (S 34 f). Das Urteil des EuGH thematisiert somit die generelle Verhältnismäßigkeit von Straftatbeständen wie jene des § 28 Abs. 1 AuslBG und des § 52 Abs. 2 GSpG. Diese Ausführungen des VfGH in der zitierten Entscheidung, nämlich dass die Strafsätze des § 52 GSpG den Strafsätzen des § 28 Abs 1 AuslBG nachgebildet sind, in Kombination mit dem Urteil des EuGH in der Rs Maksimovic legen den Schluss nahe, dass eben jenes richtungsweisendes Urteil des EuGH auch Anwendung auf das GSpG findet.

Diesbezüglich wird auf den am erlassenen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs zur Zahl: EU 2020/0002-1 (Ra 2020/17/0013) hingewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof legte hier dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art 267 AEUV Fragen hinsichtlich der Vereinbarkeit des § 52 Abs. 2 GSpG mit Art 56 AEUV und Art 49 Abs. 3 GRC (der in Österreich im Verfassungsrang steht) unter Hinweis auf das oben erwähnte Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom , Maksimovic ua., zur Vorabentscheidung vor (derzeit beim EuGH zur Zahl C-231/20 anhängig). Der VwGH hier wörtlich (, Rz 42): "Vor dem Hintergrund der erwähnten Rechtsprechung des EuGH zur Unzulässigkeit der Verhängung von Mindeststrafen, kumulativen Geldstrafen und deren Umwandlung in Ersatzfreiheitsstrafen bei Verletzung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen (vgl. Rs.Maksimovic) stellt sich im Revisionsfall die Frage (. . . ob die Überlegungen des EuGH in der Rs. Maksimovic auf eine Regelung übertragbar sind, die wie § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG mit Strafe bedroht, entgegen § 2 Abs. 4 GSpG Glücksspiele ohne Konzession und damit auch ohne Aufsicht z.B. hinsichtlich des Spielerschutzes zu veranstalten, zu organisieren, unternehmerisch zugänglich zu machen, oder sich an ihnen als Unternehmer zu beteiligen." Der VwGH weiter (, R2 65): "Da die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht als derart offenkundig erscheint, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (vgl. hierzu das Urteil des Gerichtshofes vom , Rs. 283/81, Srl. C.I.L.F.I.T. u.a.), werden die eingangs formulierten Vorfragen gemäß Art. 267 AEUV mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt."

Zugleich erließ der VwGH am zur Zl: Ra 2020/17/0013-7 einen Beschluss gem. § 38a Abs. 1 VwGG. Dieser Beschluss wurde auch im Bundesgesetzblatt kundgemacht (siehe Beilage). Er hat unter anderem zur Folge, dass keine Handlungen/Entscheidungen/Anordnungen getroffen werden dürfen, die dem späteren Erkenntnis des VwGH zuwiderlaufen könnten.

Der VwGH thematisiert hiermit generell die Verhältnismäßigkeit von Verwaltungsstrafbestimmungen unter den Voraussetzungen, die im Urteil des EuGH in der Rs Maksimovic (siehe dazu oben) zur Unanwendbarkeit der Verwaltungssfrafbestimmung führten und nimmt dabei explizit Bezug auf die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen bei Uneinbringlichkeit einer Verwaltungsstrafe.

Aufgrund der folgenden Gründe darf daher bis zur Klärung der vom VwGH an den EuGH gestellten Fragen auch im hier gegenständlichen Fall die verhängte Ersatzfreiheitsstrafe nicht vollzogen bzw. vollstreckt werden:

Nach der Rechtsprechung des EuGH können die nationalen Gerichte einstweilige Anordnungen nur unter den Voraussetzungen treffen, die für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Gerichtshof gelten. Zu diesen Voraussetzungen gehören die Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der Erlassung der einstweiligen Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (fumus-boni iuris), das Feststehen der Dringlichkeit im Sinne der Verhinderung des Eintritts eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens beim Antragsteller und gegebenenfalls die Abwägung aller bestehenden Interessen. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. "Sachnächstes" Gericht für die Prüfung der Erlassung einstweiliger Anordnungen ist das Verwaltungsgericht. Wesentliche Voraussetzung ist u.a. das Feststehen der Dringlichkeit im Sinne der Verhinderung des Eintritts eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens beim Antragsteller VwGH 2910.2014, Ro 2014/04/0069).

Im vorliegenden Fall erweist sich die Erlassung einstweiliger Anordnungen als Notwendigkeit, da aufgrund des aktuellen Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH zur Zahl C-231/20 und dem damit verbundenen Aussetzungsbeschluss des VwGH gem. § 38a VwGG der Strafvollzug von Ersatzfreiheitsstrafen nicht durchgeführt werden darf. Diese Notwendigkeit ergibt sich auch unabhängig von rechtskräftigen Straferkenntnissen aus dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach Unionsrecht würde im vorliegenden Fall auch einen schweren, nicht wieder gutzumachenden Schaden beim Beschwerdeführer verhindern, da damit ein in verfassungsgesetzlich gewährleistete Grundrechte eingreifender Freiheitsentzug verhindert werden würde. Eine derartige Dringlichkeit, wie sie der EuGH verlangt, liegt im vorliegenden Fall somit zweifelsfrei vor.

Die in § 54a VStG enthaltenen wichtigen Gründe stellen eine nicht taxative Aufzählung dar. In § 54a Abs. 1 VStG sind jene wichtigen Gründe, aus welchen der Strafvollzug nach dieser Gesetzesstelle aufgeschoben werden kann, mit dem Wort "insbesondere" nur beispielsweise angeführt (vgl. GZ: 2010/09/0094. Rechtssatznummer 1). Somit kommen auch andere wichtige Gründe, den Strafvollzug gemäß § 54a VStG aufzuschieben in Frage. Ein hoheitliches Handeln von Behörden und Beamten, das darauf abzielt - obwohl diesen die oben angeführten Gründe zur Kenntnis gebracht wurden - Ersatzfreiheitsstrafen dennoch zu vollziehen, stellt ein strafrechtlich zu würdigendes Verhalten dar und stellt ein mögliches strafrechtliches Verhalten einen wichtigen Grund im Sinne des § 54a VStG dar.

Auch die nunmehr vom Verwaltungsgerichtshof an den Europäischen Gerichtshof gerichteten Fragen stellen einen solchen wichtigen Grund im Sinne des § 54a Abs. 1 VStG dar, insbesondere stellt der als Beilage angefügte diesbezügliche Aussetzungsbeschluss des VwGH zur Zahl: Ra 2020/17/00137 vom einen solchen wichtigen Grund dar.

Aus all dem folgt, dass, um dem supranationalen Recht die gesetzlich vorgeschriebene Wirkung zu ermöglichen, dem Antrag auf Aufschub des Strafvollzuges aus den oben genannten Gründen zwingend stattzugeben ist.

4. Begehren:

Nachdem das VwG gemäß Art. 130 Abs. 4 1 Satz B-VG sowie § 50 VvG in der Sache selbst entscheiden muss und eine Zurückverweisung an die Behörde in Strafsachen nicht zulässig ist stellt der Beschwerdeführer nachstehende Beschwerde aus den oben angeführten Gründen

ANTRÄGE

Das Verwaltungsgericht des Landes Wien möge
1. den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufheben und erkennen, dass dem Antrag auf Aufschub des Strafvollzugs im Hinblick auf das neue Vorabentscheidungsverfahren (C-231/20) stattgegeben wird in eventu
2. dem Antrag auf Aufschub des Strafvollzugs bis zur unionsrechtskonformen Ausgestaltung der gegenständlichen Verwaltungsbestimmungen stattgegeben wird;
3. jedenfalls eine mündliche Verhandlung anberaumen sowie
4. im Sinne des § 29 VwGVG jedenfalls eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zustellen."

Die belangte Behörde hat dem Verwaltungsgericht Wien die Akten vorgelegt, welches wiederum diese dem Bundesfinanzgericht gemäß § 6 AVG zuständigkeitshalber weitergeleitet hat.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gemäß Art. 131 Abs. 1 B-VG erkennen, soweit sich aus Abs. 2 und 3 nichts anderes ergibt, über Beschwerden nach Art 130 Abs. 1 die Verwaltungsgerichte der Länder. Gemäß Art. 131 Abs. 5 B-VG kann durch Landesgesetz in Rechtssachen in den Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte des Bundes vorgesehen werden.

Gemäß § 5 des Gesetzes über die Organisation der Abgabenverwaltung und besondere abgabenrechtliche Bestimmungen in Wien (WAOR), LGBI. für Wien Nr. 21/1962 in der Fassung LGBI. für Wien Nr. 46/2013 entscheidet über Beschwerden in Angelegenheiten der in § 1 und 2 genannten Landes- und Gemeindeabgaben und der abgabenrechtlichen Verwaltungsübertretungen zu diesen Abgaben das Bundesfinanzgericht (zur Verfassungsmäßigkeit des § 5 WAOR vgl. ).

Zu den "Angelegenheiten der abgabenrechtlichen Verwaltungsübertretungen" zählt auch das behördliche Verfahren zur Strafvollstreckung und damit auch die Entscheidung über Erleichterungen beim Strafvollzug (vgl. u.a.).

Das Bundesfinanzgericht hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt und die Vorakten des Bundesfinanzgerichtes, woraus sich der unten festgestellte unstrittige Sachverhalt ergibt. Dementsprechend enthält die Beschwerde auch nur Rechtsausführungen.

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden (zur näheren Begründung siehe unten). Es handelt sich im vorliegenden Fall um keine unter den Art. 6 Abs. 1 EMRK fallende Rechtssache, weil weder ein Verfahren über eine strafrechtliche Anklage, noch über eine Streitigkeit wegen "civil rights" im Sinne des Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 GRC vorliegt. Der Antrag des Bf. auf Strafaufschub betrifft den Strafvollzug. Dabei geht es nur um ein Annexverfahren im Verhältnis zum rechtskräftigen Titelverfahren über die Erlassung eines Straferkenntnisses gegen den Bf., das ohnehin den Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK entsprechen musste. Im gegenständlichen Vollstreckungsverfahren zur Umsetzung eines verbindlich gewordenen Straferkenntnisses sind auch nur Rechtsfragen zu beantworten.

Auf Grund der Aktenlage steht folgender Sachverhalt fest:

Der Bf. wurde auf Grund seiner Stellung als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Firma ***X*** wegen Verstößen gegen das W-GSAG mit Straferkenntnissen des Magistrates der Stadt Wien vom und vom zu je 4 Geldstrafen von je € 600,00, falls diese uneinbringlich seien, zu je 4 Ersatzfreiheitsstrafen von je 19 Stunden zuzüglich je € 60,00 Verfahrenskostenbeitrag verurteilt und diese vom Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom , RV/7500299/2019, bestätigt.

Die rechtskräftige Bestrafung des Bf. nach dem W-GSAG ist dem behördlichen Verwaltungsakt sowie dem zitierten Akt des Bundesfinanzgerichtes zu entnehmen.

Mit Mahnschreiben vom wurde der Bf. aufgefordert, die aushaftenden Geldstrafen inklusive Kosen der Verwaltungsstrafverfahren unverzüglich einzuzahlen, widrigenfalls die Ersatzfreiheitsstrafen vollstreckt würden.

Dass die Strafen bis dato nicht bezahlt wurden, ergibt sich aus den Feststellungen der belangten Behörde und war im gesamten Verfahren unstrittig.

Laut Aktenlage versucht der Magistrat der Stadt Wien, BA 32, den Bf. schon seit langem zu exekutieren, jedoch bisher ohne Erfolg. Auch eine gerichtliche Exekution vom verlief negativ. Da keine Gehaltsexekution möglich war, erfolgte die Fahrnisexekution, welche mit Ablegung des Vermögensverzeichnisses abgeschlossen wurde. Bei Zugrundelegung des Vermögensverzeichnisses des Bf. vor dem Bezirksgericht Wels vom , Zl. ***1*** verfügt dieser über keinerlei Geldvermögen und hat Schulden auf dem Bankkonto iHv ca € 340.000,00.

Infolge Uneinbringlichkeit der Geldstrafen wurde der Bf. daher am zum Antritt einer Ersatzfreiheitsstrafe von 3 Tagen und 4 Stunden aufgefordert.

In der Folge brachte der Bf. durch seinen Rechtsvertreter den oben dargestellten Antrag auf Aufschub des Strafvollzuges vom ein, über den die belangte Behörde mit dem gegenständlich bekämpften Bescheid abweisend entschieden hat.

Das Bundesfinanzgericht hat in rechtlicher Hinsicht erwogen:

Das Verwaltungsstrafgesetz 1991 (BGBl. 52/1991 idF BGBl. I 120/2016; im Folgenden: VStG) lautet auszugsweise:

Zuständige Behörde
§ 53a. Alle Anordnungen und Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe obliegen bis zum Strafantritt der Behörde oder jener Behörde, der der Strafvollzug gemäß § 29a übertragen wurde. Mit Strafantritt stehen diese Anordnungen und Entscheidungen, soweit nicht das Vollzugsgericht zuständig ist, der Verwaltungsbehörde zu, der gemäß § 53 der Strafvollzug obliegt (Strafvollzugsbehörde).

Aufschub und Unterbrechung des Strafvollzuges
§ 54a. (1) Auf Antrag des Bestraften kann aus wichtigem Grund der Strafvollzug aufgeschoben werden, insbesondere wenn
1. durch den sofortigen Vollzug der Freiheitsstrafe die Erwerbsmöglichkeit des Bestraften oder der notwendige Unterhalt der ihm gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen gefährdet würde oder
2. dringende Angelegenheiten, die Angehörige (§ 36a AVG) betreffen, zu ordnen sind.
(2) Auf Antrag des Bestraften kann aus wichtigem Grund (Abs. 1) auch die Unterbrechung des Vollzuges der Freiheitsstrafe bewilligt werden. Die Zeit der Unterbrechung des Strafvollzuges ist nicht in die Strafzeit einzurechnen.
(3) Ein Aufschub oder eine Unterbrechung des Strafvollzuges ist dem Bestraften auf Antrag für die Dauer von mindestens sechs Monaten zu bewilligen, wenn er während der letzten sechs Monate schon ununterbrochen sechs Wochen wegen einer von einer Verwaltungsbehörde verhängten Strafe in Haft war. Besteht jedoch begründete Sorge, daß sich der Bestrafte dem Strafvollzug durch Flucht entziehen werde, so ist der Antrag auf Aufschub oder Unterbrechung des Strafvollzuges abzuweisen, wenn die Umstände, die Anlaß zur begründeten Sorge geben, bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag vorliegen.
(4) Der Aufschub oder die Unterbrechung des Vollzuges der Freiheitsstrafe ist zu widerrufen, wenn begründete Sorge besteht, daß sich der Bestrafte dem Strafvollzug durch Flucht entziehen werde.

Vollstreckung von Geldstrafen
§ 54b. (3) Einem Bestraften, dem aus wirtschaftlichen Gründen die unverzügliche Zahlung nicht zuzumuten ist, hat die Behörde auf Antrag einen angemessenen Aufschub oder Teilzahlung zu bewilligen, wodurch die Strafvollstreckung aufgeschoben wird. Die Entrichtung der Geldstrafe in Teilbeträgen darf nur mit der Maßgabe gestattet werden, dass alle noch aushaftenden Teilbeträge sofort fällig werden, wenn der Bestrafte mit mindestens zwei Ratenzahlungen in Verzug ist.

Ein Aufschub des Vollzugs einer Freiheitsstrafe ist demnach gemäß § 54a Abs. 1 VStG aus wichtigem Grund zu gewähren, insbesondere wenn durch den sofortigen Vollzug der Freiheitsstrafe die Erwerbsmöglichkeit des Bestraften oder der notwendige Unterhalt der ihm gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen gefährdet würde oder dringende Angelegenheiten, die Angehörige (§ 36a AVG) betreffen, zu ordnen sind. Durch die Bestimmung des § 54a Abs. 1 VStG soll vor allem vermieden werden, dass durch die Wahl des Zeitpunktes der Vollstreckung der Freiheitsstrafe auf unbillige Weise in die persönliche Lebensführung der Bestraften eingegriffen wird (so ). Auf den Strafaufschub oder die Unterbrechung des Strafvollzuges aus einem wichtigen Grund (§ 54 a) besteht kein Rechtsanspruch.

Bei einem Strafaufschub handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, bei der die von den Bestraften geltend gemachten wichtigen Gründe gegen den Strafzweck abzuwägen sind (vgl. Wessely in Raschauer/Wessely [Hrsg], VStG2 § 54 a VStG Rz 5 mwN; Fister in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 § 54a Rz 6 mwN; siehe ferner , VwSlg 10.644 A/1982).

Die für einen Aufschub oder eine Unterbrechung geltend gemachten wichtigen Gründe müssen im Antrag konkret dargelegt und durch entsprechende Beweisanbote untermauert werden (Walter/Thienel II² § 54a Anm 8; ).

Mit der vorliegenden Beschwerde bringt der Bf. im Wesentlichen vor, dass die in § 54a VStG enthaltenen wichtigen Gründe mit dem Wort "insbesondere" eine nicht taxative Aufzählung darstellen und folglich die nunmehr vom Verwaltungsgerichtshof an den Europäischen Gerichtshof gerichteten Fragen einen solchen wichtigen Grund im Sinne des § 54a Abs.1 VStG darstellen, insbesondere stelle der als Beilage angefügte diesbezügliche Aussetzungsbeschluss des VwGH zur Zahl: Ra 2020/17/0013-7 vom einen solchen wichtigen Grund dar.

Dazu ist Folgendes festzuhalten:

Im gegenständlichen Fall liegt zwar durch die serbische Staatsangehörigkeit des Bf. ein grenzüberschreitendes Element vor, jedoch unterscheidet sich der konkrete Fall insofern grundlegend vom Ausgangsfall in den verbundenen Rechtssachen , C- 40/18, C-146/18 und C-148/18, Maksimovic (im Folgenden kurz: "Rs Maksimovic") als hier keine Beschränkung einer Grundfreiheit des Binnenmarktes der Europäischen Union ersichtlich ist. Ferner erfolgte die Verhängung der Strafen nach dem W-GSAG auch nicht in Umsetzung einer Richtlinie. Dazu ist zunächst zu bemerken, dass mit dem angeführten Beschluss des VwGH dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Vorabentscheidung nach dem Bundesgesetz vom zur Regelung des Glücksspielwesens (GSpG) vorgelegt wurden, gegenständlich jedoch die Verhängung der Strafen wegen Zuwiderhandelns nach dem W-GSAG erfolgte und nach diesem Gesetz nach derzeitigem Wissensstand kein Vorabentscheidungsverfahren anhängig ist.

In der Rs Maksimovic hielt der Europäische Gerichtshof im Wesentlichen fest, dass die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV einer nationalen Regelung entgegensteht, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung von Geldstrafen vorsieht, die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen, die für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden, zu denen im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Strafe hinzutritt und die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden (dazu auch ). Art 57 AEUV definiert den Begriff der "Dienstleistungen" als "Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen". Als Dienstleistungen gelten insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten (dazu näher Budischowsky in Jaeger/Stöger, EUV/AEUV Art 57 AEUV).

Der Europäische Gerichtshof leitete in der Rs Maksimovic die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit aus dem Umstand ab, dass eine Strafnorm, die im Rahmen einer Arbeitnehmerentsendung die Verpflichtung vorsieht, im Aufnahmemitgliedstaat bestimmte Arbeits- und Sozialunterlagen zu erstellen bzw. zu führen, für die in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen zusätzliche administrative und wirtschaftliche Kosten und Belastungen verursachen kann (siehe Rs Maksimovic, Rn 31-33).

Im Gegensatz dazu war im gegenständlichen Fall kein kausaler Zusammenhang zwischen der Verhängung der Verwaltungsstrafen nach dem W-GSAG sowie der Erbringung von Dienstleistungen im Sinne des Art. 57 AEUV zu erkennen. Ebenso wenig konnten etwaige Anhaltspunkte für Eingriffe in die übrigen Grundfreiheiten des Binnenmarktes - die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 AEUV, die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV, die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV oder die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV - aufgezeigt werden. Der Bf. hat etwaige Beschränkungen dieser Art auch nicht behauptet. Die Erwägungen des EuGH in der Rs Maksimovic können insofern nicht ohne weiteres auf den gegenständlichen Fall übertragen werden. Zudem wäre die Rechtfertigungsprüfung einer allfälligen Grundfreiheitsbeschränkung anders als in der Rs Maksimovic zu beurteilen. Denn hier liegt die Schwere des Verstoßes in der Nichteinhaltung von Schutznormen und nicht nur in der fehlenden Einholung von verwaltungsbehördlichen Genehmigungen bzw. Bereithaltung von Unterlagen. Hier ist der Normzweck darin gelegen, eine unrechtmäßige Handlung zu unterbinden, die eine hohe Sozialschädlichkeit aufweist bzw. gewichtige öffentliche Interessen beeinträchtigt.

Auch ist der bisherigen Judikatur des EUGH entsprechend zu prüfen, ob die Härte der Sanktionen der Schwere der mit ihnen geahndeten Verstöße entspricht, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (vgl. Chmielewski, Rn. 23). Im gegenständlichen Fall kann diesbezüglich keine Unverhältnismäßigkeit der verhängten Strafen erblickt werden, da sich die Höhe der Strafen von € 600 unter Berücksichtigung zahlreicher Vorstrafen (als erschwerend wurden 40 zu den Tatzeitpunkten rechtskräftige Vorstrafen gewertet) keinesfalls als unangemessen erweisen, zumal nach § 4 W-GSAG Übertretungen des § 3 als Verwaltungsübertretungen mit einer Geldstrafe bis zu € 42.000 zu bestrafen sind.

Zudem sei erwähnt, dass die Erwägungen des EuGH in der Rs Maksimovic bereits deshalb nicht auf das angefochtenen Erkenntnis übertragen werden können, da das W-GSAG keine Mindeststrafe vorsieht, zumal für den EuGH jedoch die bemängelten vier Elemente (Mindeststrafe, keine Gesamtobergrenze, 20 % Verfahrenskostenbeitrag, Ersatzfreiheitsstrafe) erst in ihrer Verbindung zu einer Regelung führen, die der Dienstleistungsfreiheit entgegensteht.

Es ist daher davon auszugehen, dass das Kumulationsprinzip im vorliegenden Fall nicht gegen Unionsrecht verstößt und anzuwenden war.

Nunmehr hat der Gerichtshof der Europäischen Union das Vorabentscheidungsersuchen des beantwortet und ausgeführt, dass Ar. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass das nationale Gericht, das mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer wegen Verstoßes gegen das Glücksspielmonopol verhängten Sanktion befasst ist, in einem Verfahren über die Verhängung von Sanktionen wegen eines solchen Verstoßes zwar speziell prüfen muss, ob die in der anwendbaren Regelung vorgesehenen Sanktionen unter Berücksichtigung der konkreten Methoden für deren Bestimmung mit Art. 56 AEUV vereinbar sind. Art. 56 AEUV sei dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die im Fall der unternehmerischen Zugänglichmachung verbotener Ausspielungen Folgendes zwingend vorsieht: - Die Festsetzung einer Mindestgeldstrafe für jeden nicht bewilligten Glücksspielautomaten ohne Höchstgrenze der Gesamtsumme der verhängten Geldstrafen, sofern der Gesamtbetrag der verhängten Geldstrafen nicht außer Verhältnis zu dem durch die geahndeten Taten erzielbaren wirtschaftlichen Vorteil steht

-die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe für jeden nicht bewilligten Glücksspielautomaten ohne Höchstgrenze der Gesamtdauer der verhängten Ersatzfreiheitsstrafen, sofern die Dauer der tatsächlich verhängten Ersatzfreiheitsstrafe im Hinblick auf die Schwere der festgestellten Taten nicht übermäßig lang ist und

- einen Beitrag zu den Kosten des Verfahrens in Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafen, sofern dieser Beitrag im Hinblick auf die tatsächlichen Kosten eines solchen Verfahrens weder überhöht ist noch das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Recht auf Zugang zu den Gerichten verletzt.

Wie der Magistrat der Stadt Wien im Bescheid vom zutreffend begründend ausführte, betrifft das Vorabentscheidungsersuchen ein anderes Gesetz in einem anderen Verwaltungsverfahren und ist zu konstatieren, dass das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes rechtskräftig abgeschlossen wurde, wobei über eine allfällige Revision nichts bekannt ist. Das Vollstreckungsverfahren dient nicht dazu, Rechtsfragen, die im vorangegangenen Administrativverfahren zu lösen gewesen seien, neu aufzurollen oder das Vollstreckungsverfahren zu verzögern. Es ist sohin davon auszugehen, dass durch die eingetretene Rechtskraft dieses Erkenntnis unabänderlich ist; siehe dazu Zl. 2009/02/0236: "Insbesondere sieht das VStG beim Vollzug von Freiheitsstrafen (§§ 53 ff VStG) keine neuerliche Möglichkeit der Abänderung von rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafen vor." Im Übrigen wurde dem Bf. zwischenzeitig ohnehin der von ihm ursprünglich beantragte Aufschub des Strafvollzuges durch Zeitablauf gewährt.

Zum Absehen von einer Verhandlung:

Historisches Regelungsziel: Anpassung des VStG an die EMRK
Mit der VStG-Novelle 1990 (BGBl. 358/1990) wurden Sonderbestimmungen für das Berufungsverfahren in Verwaltungsstrafsachen vor den mit der B-VG-Novelle 1988 (BGBl. 685/1988) eingerichteten Unabhängigen Verwaltungssenaten geschaffen. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (vgl. 1090 BlgNR 17. GP, Seite 8) ging es dem Gesetzgeber im Wesentlichen um die Zurückziehung des österreichischen Vorbehalts zu Art. 5 EMRK (der bekanntlich von österreichischer Seite auch auf Art. 6 EMRK ausgedehnt wurde) und um die dafür erforderliche Anpassung des VStG an die Anforderungen der Art. 5 und 6 EMRK. Das Verfahren sollte den Erfordernissen des Art. 6 EMRK entsprechen. So wird auch im Besonderen Teil der Erläuterungen die mit § 44 VwGVG vergleichbare Vorgängerbestimmung des § 51e VStG im Zusammenhang mit den Erfordernissen des Art. 6 EMRK dargestellt (vgl. 1090 BlgNR 17. GP, Seiten 19 f).
An dieser rechtspolitischen Zielsetzung der Anpassung an die Anforderungen der EMRK hat das VwGVG nichts geändert. Aus der Regierungsvorlage (vgl. Erl RV 2009 BlgNR 24. GP, Seite 8) zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz (BGBl. I 33/2013), das im Art. 1 das VwGVG enthält, ist ersichtlich, dass die Bestimmungen der früheren §§ 51e bis 51i VStG über die Verhandlung vor den Unabhängigen Verwaltungssenaten bis auf den § 51e Abs. 7 VStG, der die gemeinsame Verhandlung in verschiedenen Verfahren regelte, ins VwGVG vorbehaltlos übernommen werden sollten. Deshalb entspricht der § 44 VwGVG im Wesentlichen dem früheren § 51e VStG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 44 VwGVG Anm. 3).
Dieser war vor dem Hintergrund der Rechtsentwicklung zu Art. 6 Abs. 1 EMRK und dem vom EGMR für unwirksam erklärten Vorbehalt Österreichs zu sehen. Entsprechend den Anforderungen an ein Verfahren über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage nach Art. 6 EMRK sah der § 51e VStG die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor (vgl. Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004], Anm. 2 zu § 51e VStG). Im Ergebnis folgt aus dieser Vorgeschichte, was Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 44 VwGVG Anm. 2 treffend wie folgt formulieren: "Auch § 44 VwGVG ist den Verfahrensgarantien des Art. 6 und des Art. 47 GrC geschuldet."
§ 44 VwGVG ist im historischen Kontext mit § 51e VStG einzuordnen und dementsprechend nach den Erfordernissen des Art. 6 EMRK auszulegen. Dieser Maßstab entspricht dem Willen des Gesetzgebers ebenso wie dem objektiv erkennbaren Regelungszweck. Eine darüber hinausgehende ausdehnende Auslegung darf dem Gesetzgeber weder unterstellt werden, noch erscheint sie objektiv begründet.

Art. 6 EMRK ist auf Titelverfahren, nicht auch Annexverfahren anwendbar:
In der Entscheidung des EGMR vom , Nr. 4533/02, im Fall Freilinger u.a. gegen Österreich wurde klargestellt, dass Annexverfahren, die keine Entscheidung in der Hauptsache enthalten, grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK fallen. Dies gilt u.a. für Exekutionsverfahren zur Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen, über die zuvor in einem Zivilprozess (Erkenntnisverfahren) rechtskräftig entschieden worden ist. Der Verwaltungsgerichtshof geht im Anschluss an den EGMR in ständiger Judikatur davon aus, dass Vollstreckungsverfahren, die der Durchsetzung einer bereits in einem Titelverfahren getroffenen Entscheidung dienen, nicht unter Art. 6 EMRK fallen, weil allein durch die Umsetzung eines rechtskräftigen Titelbescheides in die Wirklichkeit keine Grundrechtsverletzung im Sinne des Art. 6 EMRK eintreten kann (vgl. u.a. und ).
Ebensowenig fallen in den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK die richterliche Vollstreckungstätigkeit bzw. das Vollstreckungsverfahren und zusammenhängende Verfahren (beispielsweise Strafaufschub oder Anordnung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe) nach rechtskräftiger Entscheidung durch Urteil über die Stichhaltigkeit einer Anklage im strafprozessrechtlichen Erkenntnisverfahren (vgl. Vogler in Pabel/Schmahl [Hrsg], IntKommEMRK, Art. 6 Rz 218 mwN). Maßnahmen im Strafvollzug sind keine Strafsachen im Sinne des Art. 6 EMRK (vgl. Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/Nettesheim/Raumer [Hrsg], EMRK Handkommentar4 [Nomos Verlag 2017] Rz 32 zu Art. 6 EMRK).
Verfahrensgegenstand muss nämlich die Entscheidung über die strafrechtliche Anklage selbst und damit die Entscheidung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten sein. Maßnahmen im Rahmen eines Strafprozesses wie Haftprüfung oder Verfahren zur Sicherung oder zur Vorbeugung sind zwar Verfahren strafrechtlicher Natur, betreffen aber nicht die Stichhaltigkeit einer Anklage, weshalb es nicht um Strafverfahren im Sinne des Art. 6 EMRK geht (vgl. mwN Grabenwarter in Korinek/Holoubek [Hrsg], Bundesverfassungsrecht Bd II/1, EMRK, Art. 6 Rz 38, [8. Lfg 2007]; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 [Beck, 2016] § 24, Rz 28).
Art. 6 EMRK ist bis zur Beendigung des Strafverfahrens mit rechtskräftigem Urteil oder gegebenenfalls mit Einstellung ohne Urteil zu beachten. Die Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK betreffen das strafprozessuale Erkenntnisverfahren bis zu seiner rechtskräftigen Beendigung. Die Entscheidung über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage umfasst die Feststellung der Verwirklichung eines Straftatbestandes (Schuldspruch) sowie die Sanktionsfolgen im Rahmen der Strafzumessung samt Nebenentscheidungen (vgl. Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar3 [2009], 165, Art. 6 Rz 43).

Vollstreckungsverfahren und andere Annexverfahren fallen unter § 24 VwGVG:
Im gegenständlichen Verfahren nach den §§ 53 bis 54d VStG geht es nicht um ein Strafverfahren im Sinne des Art. 6 EMRK, sondern ausschließlich um Fragen des Strafvollzuges. Die §§ 53 bis 54d VStG sind im III. Teil des VStG unter "Strafvollstreckung" zu finden. Es handelt sich nur um leges speciales zum VVG für die Vollstreckung von Freiheits- und Geldstrafen. Soweit besondere Regelungen fehlen, ist das VVG heranzuziehen (vgl. mwN Fister in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 Vor §§ 53-54d Rz 1 u 2/1 [Stand , rdb.at].
Da ein solches Annexverfahren kein Strafverfahren im Sinne des Art. 6 EMRK darstellt und § 44 VwGVG für Erkenntnisverfahren über eine strafrechtliche Anklage konzipiert wurde, findet diese Sonderbestimmung keine Anwendung auf den vorliegenden Fall eines Vollstreckungsverfahrens bzw. Strafvollzugsverfahrens und es bleibt bei der Anwendbarkeit der generellen Bestimmung des § 24 VwGVG über die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht in Verwaltungssachen. Somit konnte gemäß dem § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung abgesehen werden, weil im gegenständlichen Verwaltungsverfahren nur Rechtsfragen zum beantragten Aufschub des Strafvollzuges zu lösen waren, die mündliche Erörterung eine weitere Klärung nicht erwarten ließ und dem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK, noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Unzulässigkeit der Revision

Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine solche Rechtsfrage lag verfahrensgegenständlich nicht vor.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Verwaltungsstrafsachen Wien
betroffene Normen
§ 54a VStG, Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52/1991
§ 54b VStG, Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52/1991
§ 53a VStG, Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52/1991
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7500463.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at