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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.10.2021, RV/5100698/2021

Auslegung eines Parteienvorbringens - Antrag gemäß § 303 BAO oder § 299 BAO

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Wiederaufnahme § 303 BAO / USt 2019, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge kurz Bf) reichte am ihre Umsatzsteuererklärung 2019 beim Finanzamt ein. Die Erklärung wies keine Umsätze, jedoch einen Vorsteuerbetrag von 2.684,97 € aus.

2. Mit Umsatzsteuerbescheid vom wurde die Bf zur Umsatzsteuer veranlagt und wurden darin die beantragten Vorsteuern nicht anerkannt. Begründend wurde darauf hingewiesen, dass sie in ihrem Schreiben vom (= Begleitschreiben zur Vorlage der Einkommensteuererklärung 2018) ausgeführt habe, dass sie gezwungen sei, ihre vormals vermietete Immobilie so rasch wie möglich zu verkaufen, da eine notwendige hohe Sanierungsinvestition für sie nicht finanzierbar sei. Aufgrund des Vorliegens einer konkreten Verkaufsabsicht liege keine steuerliche Einkunftsquelle für eine Vermietungstätigkeit mehr vor, weshalb keine Vorsteuer mehr zu gewähren sei.
Der Bescheid wurde elektronisch über Finanz Online zugestellt.

3. Nach Abweisung eines Rückzahlungsansuchens brachte die Bf mit Schriftsatz vom gegen den Umsatzsteuerbescheid 2019 Beschwerde ein und brachte vor, dass sie nicht verstehen könne, warum die Rückzahlung der Vorsteuern abgewiesen werde. Sollte ihr Liebhaberei vorgeworfen werden, könne sie das absolut zurückweisen. Sie versuche seit vielen Jahren, ihre Immobilie in ***Ort*** zu vermieten bzw. zu verkaufen, beides bislang ohne Erfolg. Die Corona-Situation habe die Angelegenheit nicht einfacher gemacht. Die drei Geschäftslokale in ***Ort*** seien sehr groß - Miete sehr hoch - Umbau unmöglich - zu hohe Investitionen - könne die Betriebskosten nur schwer bezahlen und es bestehe kein Bedarf an Mietobjekten in ***Ort***, da es sehr viele Leerstände von sanierten und bezugsfertigen schönen Immobilien gebe, die trotzdem leer stünden. Die Situation habe die Regierung zu verantworten, da sie die vielen großen Einkaufszentren genehmigt habe, die kleinen Orte ihre Geschäftslokale aber nicht mehr vermieten könnten. Sollte die Situation trotz ihrer Erklärung nicht verstanden werden, könne dies jeder Makler bestätigen. Sie ersuche daher um Rückzahlung ihres Vorsteuerguthabens.

4. Die Beschwerde wurde vom Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom zurückgewiesen, weil sie nicht fristgerecht eingebracht worden sei.

5. Mit Schriftsatz vom - eingebracht am - stellte die Bf einen "Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens laut § 295 Bundesabgabenordnung (BAO) mit der Begründung - Berichtigung des Einkommens - Korrektur der Umsatzsteuererklärung 2019 - Steuer Nr. ***BF1StNr1***-23".
Sie führte in diesem Antrag aus, dass sie bei ihrer Umsatzsteuererklärung 2019 eine Meldung eines Einkommens vergessen habe, sowie drei kleinere Beträge vergessen worden seien, sodass sie eine Korrektur der Umsatzsteuererklärung vornehmen habe müssen (Verweis auf die beigefügte korrigierte Umsatzsteuererklärung 2019).
Weiters ersuchte die Bf, den neuen Bescheid in Zukunft per Post zu übermitteln, da der letzte Bescheid angeblich online zugestellt worden sei, da trotz Kontaktaufnahme mit der Finanz-Hotline, wo der Mitarbeiter ihren Bescheid sehen habe können, bei ihr trotz mehrmaliger Versuche nur die Info am Bildschirm aufgeschienen sei, dass keine Inhalte gefunden worden seien. Der Mitarbeiter habe auf das überlastete System hingewiesen. Sie habe daher bereits auf Postzustellung umgestellt, da die Online-Zustellung nicht für sie abrufbar sei.
Ergänzend wies die Bf darauf hin, dass ihr nach Rücksprache mit einem Steuerberater bezüglich "Liebhaberei" die Auskunft erteilt worden sei, dass, sollte sie für ihr Geschäftslokale keinen Mieter finden und gezwungen sein, die Immobilie auch zum Verkauf anzubieten, ihr aus diesem Grund Liebhaberei nicht vorgehalten werden könne.
Dem Antrag war eine korrigierte Umsatzsteuererklärung 2019 beigelegt, die nunmehr 20%ige Umsätze in Höhe von 700,00 € sowie daraus errechnete Umsatzsteuer in Höhe von 140,00 € auswies. Weiters wurden Vorsteuern in Höhe von 2.691,21 € ausgewiesen, sodass eine Gutschrift von 2.551,21 € errechnet wurde.
Im Anhang zur Erklärung fand sich eine Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben (Brutto- und Nettobeträge) samt gesondertem Ausweis von MwSt bzw. VSt. Darin schienen Bruttoeinahmen in Höhe von 840,00 € von ***Name1*** auf.

6. Mit Bescheid vom wurde der Antrag gemäß § 303 Abs. 1 BAO auf Wiederaufnahme des mit Umsatzsteuerbescheid 2019 vom abgeschlossenen Verfahrens vom Finanzamt abgewiesen.
Begründend wurde darauf hingewiesen, dass die von der Bf angeführten Einnahmen aus einer Pflegebetreuung keine steuerliche Einkunftsquelle darstellten und der privaten Lebensführung zuzuordnen seien. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass die seinerzeitige Nichtanerkennung geltend gemachter Vorsteuern in der Umsatzsteuerjahreserklärung 2019 nicht im Umstand einer Liebhabereifeststellung der Vermietungstätigkeit begründet gewesen sei. Der Vorsteuernichtanerkennung sei vielmehr der Umstand zugrunde gelegen, dass die Bf mit Schreiben vom gegenüber dem Finanzamt ausgeführt habe, gezwungen zu sein, ihre vormals vermietete Immobilie so rasch wie möglich zu verkaufen, da eine notwendige hohe Sanierungsinvestition für sie nicht finanzierbar gewesen sei, weshalb vor ihr bereits auch mehrere Immobilienmakler konkret mit einem Auftrag zur Veräußerung der Immobilie betraut worden seien. Ab dem Zeitpunkt einer konkreten Verkaufsabsicht liege jedoch keine steuerliche Einkunftsquelle einer Vermietungstätigkeit mehr vor, was zur Folge gehabt habe, dass die geltend gemachten Vorsteuern nicht anerkannt hätten werden können.

7. Mit Schriftsatz vom , eingebracht am ,erhob die Bf Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid und führte begründend im Wesentlichen Folgendes aus:
Die Behauptung, sie hätte im Schreiben vom mitgeteilt, dass sie nur einen Verkauf beabsichtige, entspreche nicht den Tatsachen, zumal sie immer beides - eine Vermietung und einen Verkauf - angestrebt habe.
Es sei allgemein bekannt, dass das Ortssterben in Österreich fortschreite, insbesondere in
***Ort***, worüber sogar schon der ORF berichtet habe. Noch dazu sei noch immer der Zustand des Marktplatzes ***Ort***, insbesondere der Gehsteig vor ihren Geschäftslokalen derart desolat, wie den beigelegten Fotos entnommen werden könne. Trotz mehrfachen Ersuchens sei die Gehsteigsanierung von der damaligen Bürgermeisterin abgelehnt worden. Vor Ort sei der Bf von einem Bauhofmitarbeiter mitgeteilt worden, dass die Bürgermeisterin den Gehsteig vom Nachbarn saniere und ausdrücklich erklärt habe, dass vor den Tops der Bf nichts gemacht werden dürfe. Dies zur Erklärung deshalb, da die Bürgermeisterin einen Schwarzbau geduldet habe und die Bf daraufhin eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft wegen Amtsmissbrauch eingereicht habe. Offensichtlich sei die ausdrückliche Anordnung an die Bauhofmitarbeiter, die Gehsteigsanierung beim Objekt der Bf zu unterlassen.
Richtig sei, dass sie im Schreiben vom erwähnt habe, dass sie ihre Immobilie auch zum Verkauf anbieten müsse, da seit Jahren keiner mehr ihre Immobilie anmieten oder pachten wolle, da die Bewerber weder die Kaution bezahlen hätten können noch bereit gewesen wären, die Immobilie in diesem desolaten Zustand zu mieten.
Der letzte Mieter habe Stromdiebstahl begangen, keine Miete bezahlt, Gas verbraucht, das Objekt nicht verlassen und den Schlüssel nicht herausgegeben. Der Chinese habe die Miete nicht mehr bezahlen können und habe das Objekt umgehend ohne Kündigungsfrist verlassen. Das große Geschäftslokal, vormals
***Unt1***, sei für viele zu groß und ***Unt2*** könne wegen tragender Säulen nicht anmieten. Der neue Makler sei seit November 2020 wieder mit einer Vermietung und Verkauf beauftragt, wobei das eine das andere nicht ausschließe.
Aufgrund der Nichtvermietung seien monatlich Betriebskosten von 1.220,30 € zu zahlen, ohne Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielen zu können. Außerdem habe die Bf von ihrem Vater einen Kredit iHv 320.000,00 € (ursprünglich 240.000,00 € - durch Zwangskonvertierung der Bank zusätzlich 80.000,00 € Schulden). Deshalb seien per Quartal Zinsen zu bezahlen.
Nachdem sie aber seit Jahren keine Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung erzielen könne, drohe die Bank mit der Fälligstellung des Kredits. Deshalb sei die Bank mit der Vermietung und dem Verkauf beauftragt gewesen.
Anschließend sei die Bf gezwungen gewesen, die Bank zu wechseln. Dazu komme, dass wegen der Corona-Krise seit mehr als einem Jahr niemand daran Interesse habe, ein Geschäft zu eröffnen oder zu kaufen.
Aus diesem Grund könne ihr nicht vorgehalten werden, dass sie die Immobilie auch zum Verkauf anbieten müsse und deshalb die Vorsteuern vorenthalten würden.
Sie ersuche daher um Stattgabe ihrer Beschwerde und Verständnis für ihre außergewöhnliche Situation.
Der Beschwerde beigelegt waren:
- E-Mail vom von des Maklers ***Name2***, MBA an die Bf, in der von diesem bestätigt wurde, dass er von der Bf im November 2020 mit der Vermietung bzw. dem Verkauf der Liegenschaft ***Adr1*** in PLZOrt beauftragt worden sei. Gegenwärtig sei er noch mit den rechtlichen Vorbereitungsarbeiten beschäftigt;
- Kopie/Alleinvermittlungsauftrag/Maklervertrag zwischen ***Immobiliengesellschaft*** GesmbH und Bf, unterzeichnet von der Bf am ;
- Fotos/Gehsteig

8. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurdedie Beschwerde vom vom Finanzamt als unbegründet abgewiesen.
In der Begründung wurde ausgeführt, dassim Antrag auf Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens für 2019 vom wie auch dem Beschwerdeschreiben vom gegen den abweisenden Bescheid vom über die Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens für 2019 neu hervorgekommene - steuerrelevante - Tatsachen und Beweismittel, die im abgeschlossenen Verfahren noch nicht bekannt gewesen seien, fehlen würden.

9. Mit Schreiben vom , eingelangt am , stellte die Bf einen Vorlageantrag, in dem sie begründend zusammenfassend Folgendes ausführte:
Sie habe sich nicht erklären können, weshalb auf ihrem Abgabenkonto kein Guthaben bestehen solle, und deswegen mehrfach das Finanzamt telefonisch kontaktiert. Zuletzt habe sie die Auskunft erhalten, der zugestellte Bescheid sei rechtskräftig geworden, da die entsprechende Frist bereits verstrichen sei. Zu ihrer Erklärung, dass sie bis dato keinen Bescheid zugestellt bekommen habe, habe sie die Auskunft bekommen, dass die Zustellung diesmal nur online erfolgt sei, da dies ursprünglich so eingestellt worden sei. Tatsächlich habe sie aber jedes Jahr ab 2006 alle Bescheide postalisch zugestellt bekommen, weshalb sie auch jetzt auf eine schriftliche Zustellung des Bescheides gewartet habe. Nachdem sie den Bescheid auch auf ihrem Onlinekonto nicht finden habe können, habe sie erneut das Finanzamt kontaktiert. Trotz Hilfe eines Mitarbeiters der Finanz-Hotline und ihres Lebensgefährten sei es ihr nicht gelungen, den Bescheid abzurufen. Erst einige Wochen später habe sie ihn erstmals sehen können. Aufgrund dieser nachweislichen Tatsachen könne ihr daher die Rechtskraft des abweisenden Bescheides nicht entgegengehalten werden.
Weiters führte die Bf aus, dass die Behauptung des Finanzamtes, sie hätte mit Schreiben vom mitgeteilt, dass sie nur mehr einen Verkauf beabsichtige, nicht den Tatsachen entspreche, zumal sie immer beides, eine Vermietung und einen Verkauf angestrebt habe.
Anschließend ging sie ausführlich auf die in der Beschwerde bereits erwähnten Schwierigkeiten in Zusammenhang mit dem Vermietungsobjekt ein.Diesbezüglich sei schon der fünfte Makler mit der Vermietung und Verkauf beauftragt worden. Aus den angeführten nachweislichen Gründen könne ihr nicht zu Recht vorgehalten werden, dass sie aus faktischem Zwang die Immobilie auch zum Verkauf anbieten müsse und ihr deshalb die Vorsteuern aus angeblicher Liebhaberei vorenthalten worden seien.
Abschließend erläuterte die Bf noch, dass sie in ihrem Antrag auf Wiederaufnahme sehr wohl neue Tatsachen, nämlich einige übersehene Rechnungen angeführt habe, aber die Rechnungsbelege nicht mitgeschickt habe, da sie aus früheren Jahren wisse und auch darauf hingewiesen worden sei, erst dann Belege vorzulegen, wenn sie dazu aufgefordert werde.
Außerdem gab sie noch an, dass sie den Antrag auf Wiederaufnahme auch aufgrund der ihr zu Unrecht vorgehaltenen Rechtskraft des Bescheides zur Umsatzsteuererklärung 2019 stellen habe müssen.

10. Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die gegenständliche Beschwerde gegen den - wie das Finanzamt ausführte - am über die Databox zugestellten Umsatzsteuerbescheid dem Bundesfinanzgericht mit dem Antrag auf Abweisung zur Entscheidung vor. Die Bf habe keine neuen Tatsachen oder Beweismittel aufgezeigt. Die antragsgegenständlichen Umstände seien ihr im abgeschlossenen Verfahren bereits bekannt gewesen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt :

Die Bf erklärte für das Jahr 2019 Vorsteuer in Höhe von 2.684,97 Euro. Im Umsatzsteuerbescheid 2019 vom wurde dieser Betrag mangels Vorliegens ausreichender Vermietungsabsicht nicht anerkannt und die beantragte Gutschrift in gleicher Höhe nicht gewährt. Der Bescheid wurde über FinanzOnline zugestellt. Mit Beschwerde vom bekämpfte die Bf diesen Bescheid. Diese wurde allerdings wegen Verspätung zurückgewiesen.
Am stellte die Bf ein widersprüchliches Anbringen, welches als Wiederaufnahmeantrag bezeichnet, aber auf § 295 BAO gestützt und vorrangig auf die Anerkennung der Vorsteuern gerichtet war. Diesem Anbringen war eine Umsatzsteuererklärung 2019 mit neuen Umsätzen, welche vergessen worden seien, und den im Erstbescheid nicht gewährten Vorsteuerbeträgen beigelegt. Laut dieser ergab sich eine Gutschrift in Höhe von 2.551,21 Euro.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wurde der "Antrag gemäß § 303 (1) BAO vom auf Wiederaufnahme des mit Umsatzsteuerbescheid 2019 vom abgeschlossenen Verfahrens abgewiesen".

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den vom Finanzamt mit Vorlagebericht elektronisch übermittelten Akten, darunter vor allem das Anbringen vom , eingebracht am , sowie der Abweisungsbescheid vom .
Dass das als Antrag auf Wiederaufnahme titulierte Schreiben mehrdeutig ist, ergibt sich bereits aus der Überschrift, da hier der § 295 BAO der Wiederaufnahme zugeordnet und im Schlusssatz auf die nicht gewährten Vorsteuerbeträge, welche auch in der beigefügten Umsatzsteuererklärung wieder enthalten sind, Bezug genommen wird. Weiters sind neben den "vergessenen" Umsatzsteuerbeträgen auch die nicht gewährten Vorsteuerbeträge angeführt. Außerdem ist die Auswirkung dieser "vergessenen" Beträge auf die begehrte Gutschrift gegenüber der ursprünglichen Umsatzsteuererklärung nur sehr gering.

Bezüglich weiterer Ausführungen zur Beweiswürdigung wird auf die Ausführungen unter Punkt 3.2. dieses Erkenntnisses, die verständnishalber im Kontext mit der rechtlichen Beurteilung zu tätigen waren, verwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsgrundlagen/Allgemeines:

3.1.1. Zum Anbringen:

§ 85 Abs. 1 BAO lautet:
"Anbringen zur Geltendmachung von Rechten oder zur Erfüllung von Verpflichtungen (insbesondere Erklärungen, Anträge, Beantwortungen von Bedenkvorhalten, Rechtsmittel) sind vorbehaltlich der Bestimmungen des Abs. 3 schriftlich einzureichen (Eingaben)."

Für die Beurteilung von Anbringen kommt es nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und die zufälligen verbalen Formen an, sondern den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteienschritts an. Maßgebend für die Wirksamkeit einer Prozesserklärung ist das Erklärte, nicht das Gewollte. Allerdings ist das Erklärte der Auslegung zugänglich. Parteienerklärungen im Verwaltungsverfahren sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, das heißt es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss (vgl. ; ).

Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens ist - im Hinblick auf § 115 BAO - die Absicht der Partei zu erforschen. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt ( unter Verweis auf mwN; Ritz, BAO6, § 85 Tz 1 und die dort zit. Jud.; ).

3.1.2. Zur Wiederaufnahme:

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAOkann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind.

Bei der Wiederaufnahme auf Antrag ist das Neuhervorkommen der Tatsachen oder Beweismittel aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen (; Fischerlehner/Brenneis, Abgabenverfahren I BAO3 (2021), § 303 Rz 12).

3.1.3. Zur Bescheidaufhebung:

Gemäß § 299 Abs. 1 BAOkann die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist.

Aufhebungen von Bescheiden gemäß § 299 BAO sind gemäß § 302 Abs. 1 BAO, soweit nichts anderes bestimmt ist, bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe (§ 97) des Bescheides zulässig. Nach § 302 Abs. 2 lit. b BAOsind Aufhebungen nach § 299 darüber hinaus zulässig, wenn der Antrag auf Aufhebung vor Ablauf der sich aus Abs. 1 ergebenden Jahresfrist eingebracht ist.

3.2 Erwägungen:

Im gegenständlichen Fall stellte die Bf einen "Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens laut § 295 Bundesabgabenordnung (BAO) mit der Begründung - Berichtigung eines Einkommens - Korrektur der Umsatzsteuererklärung 2019".
Schon aus dieser Bezeichnung des Anbringens ergibt sich eine Undeutlichkeit, da der angeführte Paragraph der Bundesabgabenordnung nicht mit jenem für die Wiederaufnahme des Verfahrens übereinstimmt. Der weitere Text schildert kurz, dass die Bf in ihrer ursprünglichen Umsatzsteuererklärung 2019 die Meldung eines Einkommens sowie drei kleinere Beträge vergessen habe und daher eine Korrektur habe vornehmen müssen. Mit dem letzten Satz wurde aber kurz skizziert, warum keine "Liebhaberei" im Zusammenhang mit ihren Geschäftslokalen vorliege. Dem Schreiben war auch eine korrigierte Umsatzsteuererklärung beigefügt, die die "vergessenen" Beträge, aber auch den im Erstbescheid vom nicht gewährten Vorsteuerbetrag enthält. Gegen diesen Erstbescheid hatte die Bf zwar eine Beschwerde eingebracht, in der sie den Verdacht geäußert hatte, dass ihr die erklärten Vorsteuerbeträge aufgrund Liebhaberei nicht gewährt worden wären. Diese wurde jedoch als verspätet zurückgewiesen. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände war aus dem Anbringen der Bf zu schließen, dass es ihr hauptsächlich darum ging, eine neuerliche Entscheidung bezüglich der nicht gewährten Vorsteuerbeträge zu erwirken. Auch das Finanzamt dürfte die Intention der Bf erkannt haben, wenn es in der Begründung des angefochtenen Bescheides betreffend Abweisung des Wiederaufnahmeantrages nur äußerst knapp die Wiederaufnahme des Verfahrens behandelte, sich aber vor allem auf die nicht anerkannten Vorsteuerbeträge konzentrierte.

Im Zeitpunkt der Antragstellung waren sowohl ein Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO als auch ein Antrag auf Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO möglich.
Der wesentliche Unterschied dieser beiden Rechtsbehelfe liegt darin, dass der Wiederaufnahmeantrag mangels neu hervorgekommener Tatsachen oder Beweismittel hier von vornherein einer materiellrechtlichen Behandlung nicht zugänglich ist, da - wie oben dargelegt - der Wiederaufnahmsgrund nach der eindeutigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus Sicht der jeweiligen Verfahrenspartei zu beurteilen ist. Umstände die der Bf bereits im Zeitpunkt der Entscheidung bekannt waren, konnten von ihr daher nicht zum Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens gemacht werden (vgl. Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 303 Rz 17). Die von der Bf nachträglich bekanntgegebenen Beträge waren ihr als Antragstellerin bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des Umsatzsteuerbescheides vom bekannt gewesen. Insofern handelte es sich nach der Rechtsprechung () nicht um neu hervorgekommene Tatsachen für die Antragstellerin, die zur Wiederaufnahme auf Antrag berechtigt hätten.
Im Gegensatz dazu ist bei einem Antrag nach § 299 BAO lediglich die Einjahresfrist gem. § 302 BAO einzuhalten, um eine neuerliche materiellrechtliche Beurteilung des Erstbescheides zu erlangen. Diese Jahresfrist - beginnend mit = Datum der Erlassung des Umsatzsteuerbescheides 2019 - war im gegenständlichen Fall noch lange nicht abgelaufen. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO ist, dass sich der Spruch des betroffenen Bescheides (hier: Umsatzsteuerbescheid 2019) als nicht richtig erweist.

Stehen einem Steuerpflichtigen mehrere verfahrensrechtliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Bescheiden und zur Durchsetzung seines Rechtsstandpunktes zur Verfügung, ist davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige einen Antrag stellen möchte, der einer inhaltlichen Erledigung zugänglich ist (vgl. ).

Im Hinblick darauf, dass das Schreiben von einer unvertretenen und rechtsunkundigen Person verfasst wurde, ist auch ein milderer Maßstab als etwa bei einem Steuerberater anzulegen.

Aus dem Antrag der Bf war in Verbindung mit der Aktenlage deren Wille erkennbar, einen anderen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2019 als den vom Finanzamt erlassenen zu erwirken. Dieser Bescheid sollte jedenfalls auch die beantragte Vorsteuer umfassen.

Hätte die Bf im Zeitpunkt der Antragstellung gewusst, dass die geeignete Formulierung auf eine "Aufhebung gemäß § 299 BAO" zu lauten hätte, um ihren erklärten Willen bestmöglich verteidigen zu können, hätte sie mit Sicherheit auch diese Formulierung gewählt.
Wie sich nämlich aus der Aktenlage ergibt, war das Bestreben der Bf darauf gerichtet, aufzuzeigen, dass die Nichtgewährung der von ihr beantragten Vorsteuer im Umsatzsteuerbescheid 2019 vom unrichtig war.
Dass ihr Anbringen tatsächlich auf die Gewährung der Vorsteuerbeträge in einem neuen Umsatzsteuerbescheid abzielte, ergibt somit die Auslegung in Verbindung mit der Aktenlage, die - wie der VwGH aussprach - bei der Deutung eines Parteiantrages heranzuziehen ist. Dass sich auch die Abgabenbehörde dieses Umstandes bewusst war, ist - wie bereits erwähnt - auch aus deren Begründung zur Abweisung des Wiederaufnahmeantrages zu ersehen, wenn sie darin hauptsächlich auf diese materiellrechtliche Frage einging.

Wie das Finanzamt im Abweisungsbescheid vom richtig erkannt hat, zielte das als Wiederaufnahmeantrag gewertete Schreiben auf die Geltendmachung der nicht gewährten Vorsteuerbeträge ab.
Unter diesem Aspekt war das beschwerdegegenständliche Anbringen in Anbetracht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Deutung von Parteienanträgen trotz dessen Bezeichnung als "Wiederaufnahmeantrag" zufolge undeutlicher Formulierung (Bezugnahme auf § 295 BAO und Hinweis auf anzuerkennende Vorsteuerbeträge) näher zu hinterfragen. Zu erforschen war das erkennbare Ziel des Parteienschritts. Im Zuge der näheren Erforschung des Parteiwillens bestand gegenüber der gegenständlich unvertretenen Bf zudem eine Manuduktionspflicht (§ 113 BAO), dh eine Aufklärungspflicht über die in Betracht kommenden Rechtsbehelfe (vgl. ).

Wie bereits ausgeführt ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, im Zweifel nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt. Dies war aber bei tatsächlicher Deutung als Wiederaufnahmeantrag der Fall, da ein solcher aus den oben angeführten Gründen von vornherein zum Scheitern verurteilt war.
Da das Anbringen der Bf vom schon allein aufgrund der Deutung unter Bedachtnahme auf die bestehende Aktenlage eindeutig eine materiellrechtliche Erledigung in Bezug auf die Nichtanerkennung der Vorsteuer zum Ziel hatte, erübrigten sich weitergehende Schritte zur Erforschung des Parteiwillens. Das erkennbare Ziel des Parteienschritts lag unzweifelhaft darin, dass die Bf für das Jahr 2019 einen neuen Umsatzsteuerbescheid mit Ausweis der von ihr beantragten Vorsteuer erwirken wollte, weil der Spruch des ursprünglichen Bescheides wegen Nichtanerkennung dieser Vorsteuer ihrer Ansicht nach unrichtig war.
Damit kommt der Eingabe vom - zumal sie innerhalb der in § 302 Abs. 2 lit. b BAO vorgesehenen Jahresfrist eingebracht wurde - im Zweifel die Eigenschaft eines Antrages auf Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO betreffend den Umsatzsteuerbescheid 2019 vom zu.
Das Finanzamt hat die Eingabe jedoch als Wiederaufnahmeantrag gewertet und mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens abgewiesen.
Damit hat es über einen Antrag abgesprochen, der seitens der Bf nicht gestellt wurde, sodass der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben war (vgl Ritz, BAO6, § 279 Tz 5 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Für das weitere Verfahren bedeutet dies Folgendes:

Das Finanzamt wird über den Antrag der Bf vom , eingebracht am , unter Bedachtnahme auf die Bestimmung des § 299 BAO zu entscheiden und dabei insbesondere zu würdigen haben, ob der ursprüngliche Umsatzsteuerbescheid 2019 vom mit einer Unrichtigkeit - vor allem im Hinblick auf die strittige Vorsteuer - behaftet war.
Kommt es zum Ergebnis, dass der angesprochene Umsatzsteuerbescheid richtig war, und weist es den Antrag ab, so steht der Bf wiederum das Rechtsmittel der Beschwerde zu. In diesem Verfahren wird dann allerdings nicht wie im gegenständlichen Beschwerdeverfahren die formale Frage des Neuhervorkommens von Tatsachen zu prüfen sein. Vielmehr wird der Umstand der Richtigkeit des ursprünglichen Umsatzsteuerbescheides bezüglich der Gewährung der Vorsteuern zu beurteilen sein, auf den es der Bf im gesamten Verfahren offensichtlich tatsächlich angekommen ist bzw. ankommt.

Zum Abspruch über die Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 4 B-VG).

Parteienerklärungen sind nach ständiger Rechtsprechung (zB ) nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Eine solche Auslegung hat - wie auch im gegenständlichen Fall - jeweils in Würdigung der im konkreten Einzelfall vorliegenden tatsächlichen Umstände zu erfolgen. Das gegenständliche Erkenntnis war sohin nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängig.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 85 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 299 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise






ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.5100698.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at