Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 13.10.2021, RV/2100292/2021

Entrichtung von Abgaben ohne Verrechnungsweisung zugunsten Lohnsteuer; Ermessen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch ***1***, R sowie die fachkundigen Laienrichter L1 und L2 in der Beschwerdesache ***Bf1***, geboren am xxx., ***Bf1-Adr*** vertreten durch V, Adresse, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Steuernummer 999, betreffend Haftung gemäß § 9 BAO zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer (Bf.) fungierte seit Datum1 als alleiniger Geschäftsführer der X.GmbH

Mit dem Beschluss des Landesgerichtes für ZRS Graz vom Datum2, GZ, wurde über die X.GmbH ein Konkursverfahren eröffnet und die Gesellschaft aufgelöst.
Nach der Schlussverteilung wurde das Konkursverfahren mit dem Beschluss vom Datum3 aufgehoben.
Die Firma wurde am Datum4 gemäß § 40 FBG im Firmenbuch gelöscht (Firmenbuchabfrage FN).

Im Vorhalt vom wies das Finanzamt den Bf. darauf hin, dass bei der X.GmbH unter Berücksichtigung der Insolvenzquote von 0,315067 % näher aufgegliederte Abgabenschuldigkeiten in der Höhe von insgesamt 51.009,92 € offen aushafteten.
Sofern die GmbH bereits ab den jeweiligen Fälligkeitstagen der Abgaben nicht mehr über ausreichende liquide Mittel zur (vollen) Bezahlung aller Verbindlichkeiten verfügte, habe der Bf. angesichts der ihm obliegenden Beweislast eine Auflistung sämtlicher Gläubiger ab dem Zeitpunkt der Abgabenfälligkeiten gleichzeitig oder früher fällig gewordenen Forderungen darzulegen. In dieser Aufstellung müssten alle damaligen Gläubiger der GmbH sowie die auf die einzelnen Verbindlichkeiten geleisteten Zahlungen enthalten sein. Alle verfügbar gewesenen liquiden Mittel seien diesen Zahlungen gegenüber zu stellen. Für den Nachweis der quotenmäßigen Erfüllung der Gläubigergleichbehandlung sei eine rechnerische Darstellung vorzulegen.
Im Fall der Nichterbringung der Nachweise müsse das Finanzamt davon ausgehen, dass der Bf. die ihm obliegende Verpflichtung, die fällig gewordenen Abgaben aus den verwalteten Mitteln zu entrichten, schuldhaft verletzt habe und diese Pflichtverletzung auch ursächlich für den Abgabenausfall bei der GmbH sei. Unter diesen Umständen hafte er für die uneinbringlichen Abgabenschuldigkeiten in vollem Ausmaß.
Da der öffentliche Auftrag zur Ergreifung aller Mittel, vollstreckbare Abgaben einzubringen, bei einer vorzuwerfenden Pflichtverletzung allfällige Einzelinteressen verdränge, sähe sich das Finanzamt zur Geltendmachung der gesetzlichen Vertreterhaftung veranlasst.
Die im Rückstand ausgewiesenen Selbstbemessungsabgaben seien nach Abgabenart und Zeiträumen aufgeschlüsselt. Die Abgabenbescheide der bescheidmäßig festgesetzten Abgaben sowie der Prüfbericht der GPLA-Prüfung vom wurden dem Vorhalt angeschlossen.

In der Vorhaltsbeantwortung vom führte die steuerliche Vertreterin des Bf. nach Wiederholung der Ausführungen des Finanzamtes im Vorhalt und grundlegenden rechtlichen Ausführungen zur Haftung gemäß §§ 9, 80 BAO aus, dem Bf. könne keine pflichtwidrige Benachteiligung des Finanzamtes unterstellt werden.
Der Tätigkeitsbereich der X.GmbH habe in der Betreibung von Sportwetten-Cafés bestanden. Wesentliche Einnahmequelle des Unternehmens seien Provisionen für aufgestellte Spielautomaten gewesen. Durch die gesetzlichen Änderungen im Bereich des "kleinen Glücksspiels" und die Einschränkung auf drei Konzessionsinhaber sei das Aufstellen von Spielautomaten nicht mehr möglich gewesen. Aufgrund des damit einhergehenden Wegfalls der Provisionseinnahmen und dem Rückgang der Gastronomieerträge sei der X.GmbH die Existenzgrundlage entzogen worden. Eine Fortführung des Unternehmens sei unter diesen Bedingungen schlichtweg unmöglich gewesen.
Dennoch sei der Bf. stets bestrebt gewesen, die unbedingt notwendigen Zahlungsverpflichtungen aus den vorhandenen Mitteln sowie aus den Zahlungseingängen zu decken. Aus dem Steuerkonto der GmbH ergebe sich, dass im Beobachtungszeitraum 07/2018 bis 02/2019 nicht nur laufend Zahlungen an das Finanzamt getätigt, sondern auch neu entstandene Abgabenschuldigkeiten beinahe zur Gänze getilgt worden seien.
So seien die Verbindlichkeiten der Gesellschaft in diesem Zeitraum um lediglich 2.835,50 € angestiegen. Forderungen der Abgabenbehörde gegenüber der Gesellschaft seien beinahe zur Gänze (zu 98 %) beglichen worden.
Auf neu begründete Lieferverbindlichkeiten seien Zahlungen in der Höhe von 89 % geleistet worden, weshalb die Lieferanten zu keinem Zeitpunkt gegenüber dem Finanzamt bevorzugt worden seien.
Die Mietzahlungen für die Geschäftslokale der Gesellschaft seien zum Großteil beglichen worden. Diese seien zur Umsatzerzielung betriebsnotwendig gewesen.

Der Bf. beziehe seit seinem 51. Lebensjahr eine Erwerbsunfähigkeitspension. Sein derzeitiger Pensionsanspruch betrage 1.596,43 € brutto. Nach Abzug von Versicherung und Lohnsteuer verbliebe dem Bf. eine Pensionszahlung in der Höhe von 1.096,20 €, die in etwa dem gesetzlichen Existenzminimum entspreche. Die sogenannten "sonstigen Abzüge" beinhalteten Pfändungen vollstreckbarer Forderungen etwaiger Gläubiger, wie der Marktgemeinde Gratkorn.
Über wesentliches Privatvermögen und/oder andere liquide Mittel verfüge der Bf. nicht.
Die in Aussicht gestellte Haftung für Abgabenverbindlichkeiten der X.GmbH sei für den Bf. "nach eigener Einschätzung schlicht realistisch nicht rückführbar" und in keiner Weise mit seiner finanziellen Situation vereinbar. Die Heranziehung zur Haftung würde auch dem Zweck des § 9 BAO zuwiderlaufen, zumal der Bf. aufgrund seiner geringen Einkünfte keinen zusätzlichen Haftungsfonds biete.

Mit dem Bescheid vom nahm das Finanzamt den Bf. für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der X.GmbH zur Haftung gemäß § 9 in Verbindung mit den §§ 80 ff. BAO in der Höhe von 14.919,88 € (Lohnsteuer 2018 147,54 €, Lohnsteuer 07/2018 3.751,64 €, Lohnsteuer 12/2018 8.748,59 € und Lohnsteuer 01/2019 2.272,11 €) in Anspruch.
Begründend wurde ausgeführt, aus dem vorgelegten Liquiditätsstatus für den haftungsrelevanten Zeitraum gehe hervor, dass die Abgabenbehörde gegenüber den anderen Gläubigern nur im geringfügigem Ausmaß benachteiligt worden sei, weshalb im Rahmen der Ermessensübung keine Haftungsinanspruchnahme für die Umsatzsteuer 11 und 12/2018, die Dienstgeberbeiträge und Zuschläge zu den Dienstgeberbeiträgen 2018, 07/2018, 12/2018 und 01/2019 sowie den Körperschaftsteuern 07-09 und 10-12/2018 und den Kammerumlagen 04-06/2018 und 07-09/2018 erfolge.
Hinsichtlich der Lohnsteuer bestehe nach der Rechtsprechung des VwGH eine Ausnahme vom Gleichheitsgrundsatz. Die Unterlassung der Abfuhr der Lohnsteuer stelle eine schuldhafte Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten des Bf. dar.
Die Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschuld beim Haftenden könne nach der Rechtsprechung des VwGH von der Abgabenbehörde bei ihren Zweckmäßigkeitsüberlegungen vernachlässigt werden. Nur durch die Geltendmachung der Haftung könne die aushaftende Abgabenschuld - zumindest teilweise - einbringlich gemacht werden.

Mit dem Schriftsatz vom brachte der Bf. durch seine Vertreterin gegen den Haftungsbescheid das Rechtsmittel der Beschwerde ein.
Nach Wiederholung der Ausführungen des Finanzamtes wird ausgeführt:

"2. Ausführungen des Beschwerdeführers
……
Bis unmittelbar vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens am
Datum2 hat der Beschwerdeführer regelmäßig, bis heute nachvollziehbar nach Maßgabe der Liquidität der Gesellschaft Zahlungen an das Finanzamt Graz-Stadt geleistet.

Im Zeitraum von bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am Datum2 wurden vom Beschwerdeführer insgesamt € 161.637,89 an die belangte Behörde zur Überweisung gebracht (Anlage./1).

In Bezug auf die für diesen Zeitraum fälligen Abgabenbeträge von € 164.473,39 entspricht dies einer Zahlungsquote von rund 98 %. Der Abgabenbehörde entging lediglich ein Betrag in Höhe von € 2.835,50 €.

Stellt man den jeweiligen Fälligkeitsmonat der verbleibenden Lohnsteuerschuldigkeiten in Relation zu den im entsprechenden Monat geleisteten Abgabenbeträgen, so ergibt sich folgendes Bild:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Fälligkeitsmonat Lohnsteuer
Aushaftende Lohnsteuer
Geleisteter Abgabenbetrag
Differenz
08/2018
€ 3.751,64
€ 37.520,75
+ 33.769,11
01/2019
€ 8.896,13
€ 15.870,46
+ 6.974,33
02/2019
€ 2.272,11
€ 2.500,00
+ 227,89
Summe
€ 14.919,88
€ 55.891,21
+ 40.971,33


Vor diesem Hintergrund wurde die Lohnsteuer im jeweiligen Fälligkeitsmonat vollständig befriedigt.

Diese Abgabenzahlungen des Beschwerdeführers wurden aber - mangels Widmung durch den Beschwerdeführer - gem. § 214 (1) BAO auf die dem Fälligkeitstag nach älteste Abgabenschuld der X.GmbH angerechnet.

Die zeitlich "jüngsten" Abgabenvorschreibungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens blieben deshalb trotz dieser Teilzahlungen bis zuletzt noch als Rückstand am Abgabenkonto der X.GmbH ausgewiesen.

Alleine aber aus dieser fehlenden Widmung der geleisteten Abgabenzahlungen des Beschwerdeführers kann diesem aber nun kein Verschulden am offenen Aushaften der Lohnabgaben zur Last gelegt werden.

Denn dem Beschwerdeführer war schlicht nicht bewusst, dass er diese Teilzahlung auf die aushaftenden Lohnabgaben hätte eben auf diese Lohnabgaben widmen müssen, um sich von der Ausfallhaftung des § 9 BAO zu "enthaften".

Wir verweisen gerade in diesem Zusammenhang auf und , konkret folgenden Rechtssatz:

"Der Verwaltungsgerichtshof hat (…) judiziert, dass Gesetzesunkenntnis oder irrtümlich fehlerhafte Rechtsauffassungen (…) entschuldbar und nicht als Fahrlässigkeit zuzurechnen sind, wenn die objektiv gebotene, der Sache nach pflichtgemäße, nach den subjektiven Verhältnissen zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen wurde".

Der Beschwerdeführer war im konkreten Fall und bis heute jederzeit nachvollziehbar bestrebt, die Abgabenverbindlichkeiten der X.GmbH - trotz damals bestehender Drucksituation vor Insolvenzeröffnung- noch weitestgehend zu entrichten, allerdings ohne Kenntnis darüber, dass er diese zur eigenen Enthaftung konkret auf die Lohnsteuer zu widmen gehabt hätte.

Die angespannte Liquiditätssituation der X.GmbH bot dem Beschwerdeführer schlicht keine Möglichkeit einer anderen Verhaltensweise.

Voraussetzung für eine Inanspruchnahme des Vertreters gem. § 9 BAO ist aber konkret, dass die schuldhafte Pflichtverletzung ursächlich für die Uneinbringlichkeit der Abgabenbeträge war (Aghdam, Insolvenzrecht2, Oktober 2010, Vertreterhaftung).

Wäre die Abgabe auch ohne schuldhafte Pflichtverletzung des Vertreters uneinbringlich geworden, so besteht keine Haftung (Ritz, BAO Kommentar5 (2014) § 9 Rz 24).

Der Tätigkeitsbereich der X.GmbH bestand in der Betreibung von Sportwett-Cafés unter der Bezeichnung "XY". Eine wesentliche Einnahmequelle des Unternehmens stellten Provisionen für aufgestellte Spielautomaten dar. Durch die gesetzlichen Änderungen im Bereich des "kleinen Glücksspiels" und die Einschränkung auf drei Konzessionsinhaber ist das Aufstellen von Spielautomaten nicht mehr möglich. Aufgrund des damit einhergehenden Wegfalls der Provisionseinnahmen und dem Rückgang der Gastronomieerträge wurde der X.GmbH die Existenzgrundlage entzogen. Eine Fortführung des Unternehmens unter diesen Bedingungen wäre schlichtweg unmöglich gewesen.

Trotz aller Umstände war der Beschwerdeführer stets bestrebt, die unbedingt notwendigen Zahlungsverpflichtungen aus den vorhandenen Mitteln sowie aus den Zahlungseingängen zu decken.

Die Zahlungen wären weder in einem höheren Ausmaß noch zu einem anderen Zeitpunkt möglich gewesen, der Ausfall auch durch eine etwaige, für den Beschwerdeführer in rückblickender Betrachtung günstigere Widmung nicht zu vermeiden gewesen.

Bei der Ermessensübung über eine Inanspruchnahme des Beschwerdeführers zur Haftung hat die Abgabenbehörde dazu zu berücksichtigen

die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Haftungspflichtigen, wie etwa die Höhe seines Einkommens,
den Grad des Verschuldens des Vertreters sowie
ein Mitverschulden der Abgabenbehörde an der Uneinbringlichkeit der Abgabenschuld

(Ritz, BAO Kommentar 2014, § 9, Rz 27f).

Natürlich ist die Ermessensentscheidung über die Haftungsinanspruchnahme im Sinne des § 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ().

Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei" beizumessen ().

Das Ermessen umfasst auch das Ausmaß der Heranziehung zur Haftung innerhalb des vom Gesetz vorgegebenen Rahmens ().

Bei Ermessensübung ist den jeweiligen Umständen des Einzelfalles in der gebotenen Weise Rechnung zu tragen.

Dazu weisen wir darauf hin, dass die tatsächliche Inanspruchnahme als Haftender - selbst bei kumulativem Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen, wovon im konkreten Fall nach unserer Überzeugung nicht auszugehen ist - stets einer Ermessensentscheidung der Behörde vorbehalten bleibt (zB. bei dauerhafter Einkommens- und Vermögenslosigkeit; ).

Die Ermessensübung ist im Haftungsbescheid zu begründen. Hierbei sind die maßgebenden Umstände und Erwägungen aufzuzeigen (). Ermessensentscheidungen sind insoweit zu begründen, als dies die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erfordert (zB. ).

Vor diesem Hintergrund wird - für den Fall, dass unserer Rechtsüberzeugung nicht gefolgt wird - in Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen sein:

Gerade deswegen, weil die Ausfallshaftung nach § 9 BAO in zunächst gebundener Verwaltungsübung bei jeglicher Form des Verschuldens eines Geschäftsführers schlagend wird, muss umso mehr auf den Grad dieses Verschuldens Bedacht genommen werden.

Der Entgang von Abgabenschuldigkeiten darf für den Fiskus, gemessen an der ursprünglichen Schuld, nicht vergleichsweise unbedeutend gewesen sein, wenn bereits bei leichtem Verschulden auf den Geschäftsführer zugegriffen werden soll (Althuber (Hrsg.), Geschäftsführer- und Vorstandshaftung im österreichischen Steuerrecht 3. Auflage (2019) S. 112 ff).

Im Insolvenzverfahren der X.GmbH wurde durch das Finanzamt Graz-Stadt ein Betrag in Höhe von gesamt € 226.681,80 angemeldet. Hierauf wurde die Insolvenzquote in Höhe von 0,315067 % geleistet.

Am Steuerkonto der X.GmbH haftete gemäß Aufstellung der Abgabenbehörde im Vorhalt vom nach erfolgter Quotenzahlung ein (konkursverfangener) Betrag in Höhe von € 51.009,92 offen aus.

Schlussendlich verbleibt - nach nachgewiesener Gläubigergleichbehandlung mittels Stellungnahme vom - ein aushaftender Restbetrag für die Lohnsteuer in Höhe von € 14.919,88.

Ist die Behörde weiterhin der Ansicht, der Beschwerdeführer habe "schuldhaft" gehandelt, so geht diese sicherlich von einer leicht fahrlässigen Pflichtverletzung durch den Beschwerdeführer aus.

Zumal der "Entgang der Abgabenschuldigkeit" vergleichsweise unbedeutend ist, ist jedenfalls in pflichtgemäßer Ermessensausübung im Hinblick auf den bloß minderen Grad des Verschuldens - nach unserer Überzeugung aber eben nicht schuldhaften Vergehens - die Haftung des Beschwerdeführers nicht festzusetzen.

Die Abgabenbehörde führt im Bescheid vom aus, dass die Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschuld beim Haftenden bei ihren Zweckmäßigkeitsüberlegungen vernachlässigt werden kann. Tatsächlich ist dieser Rechtsprechung jedoch gerade nicht zu entnehmen, dass die Leistungsfähigkeit des Haftpflichtigen damit vollkommen außer Acht gelassen werden darf. Auch Ritz geht in seinem Kommentar zur BAO von der Relevanz der Leistungsfähigkeit des Haftpflichtigen aus.

Vor diesem Hintergrund wird zugunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen sein, dass dieser bereits im 52. Lebensjahr aus ernsten gesundheitlichen Gründen die Erwerbsunfähigkeitspension beansprucht. Sein derzeitiger Pensionsanspruch beträgt € 1.596,43 brutto monatlich. Eine Verminderung dieses Anspruchs erfolgt einerseits durch die gesetzlichen Abzüge von Krankenversicherung und Lohnsteuer in Höhe von gesamt € 188,13 und andererseits durch sonstige Abzüge in Höhe von € 312,10 (Anlage ./1). Tatsächlich vereinnahmt der Beschwerdeführer lediglich eine Pensionszahlung in Höhe von € 1.096,20, welche in etwa dem gesetzlichen Existenzminimum entspricht. Die sogenannten "sonstigen Abzüge" beinhalten Pfändungen vollstreckbarer Forderungen etwaiger Gläubiger, wie der Marktgemeinde Gratkorn.

Der Beschwerdeführer bezieht nur Pensionszahlungen zur Deckung seines Lebensunterhaltes. Über weiteres wesentliches Privatvermögen und/ oder andere liquide Mittel verfügt der Beschwerdeführer nicht. Die in Aussicht gestellte Haftung für Abgabenverbindlichkeiten der X.GmbH ist für den Beschwerdeführer schlicht realistisch nicht rückführbar und in keiner Weise mit der finanziellen Situation des Beschwerdeführers vereinbar. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers ist demnach sehr begrenzt.

Die Heranziehung der Haftung des Beschwerdeführers würde auch dem Zweck des § 9 BAO zuwiderlaufen, zumal unser Klient aufgrund seiner geringen Einkünfte keinen zusätzlichen Haftungsfonds bietet.

Zudem ist festzuhalten, dass die Behörde im Bescheid vom von einer geringfügigen Benachteiligung der Abgabenschuldigkeiten im Vergleich zu anderen Gläubigern ausgeht. Aus diesem Grund sei im Rahmen des Ermessens keine Haftungsinanspruchnahme hinsichtlich des Vorhalts vom erfolgt.

In unserer Stellungnahme vom , zur Beantwortung des Vorhalts der belangten Behörde vom , auf welche wir an dieser Stelle vollinhaltlich verweisen, konnten wir nachweisen, dass - entgegen den Ausführungen der Behörde - eine Gläubigergleichbehandlung im haftungsrelevanten Zeitraum von Juli 2018 bis Februar 2019 nicht vorlag (Anlage./1). Die Behörde geht daher zu Unrecht von einer geringfügigen Benachteiligung der Abgabenbehörde aus, zumal die Gläubigergleichbehandlung unzweifelhaft nachgewiesen wurde und auch zu keinem Zeitpunkt von der Behörde beanstandet wurde. Tatsächlich hätte von der Haftung des Beschwerdeführers (hinsichtlich des Vorhalts vom ) bereits durch die nachgewiesene Gläubigergleichbehandlung abgesehen werden müssen und nicht erst im Rahmen der Ermessensentscheidung der Behörde.

Auch der Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld bei der Primärschuldnerin und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung beim Vertreter ist bei der Ermessenübung nicht außer Betracht zu lassen.

Nach ständiger Rechtsprechung ist dem Element der Zumutbarkeit der Heranziehung der Haftung besondere Bedeutung beizumessen.

Das Verstreichen einer längeren Zeit zwischen Uneinbringlichkeit und Haftungsinanspruchnahme führte in den vom BFG entschiedenen Fällen sodann zu einer aliquoten Herabsetzung der Haftungsbeträge.

Das BFG führte in seiner Entscheidung vom zu RV/71022887/2019 aus:

"Auch wenn zwischen dem Zeitpunkt der endgültigen Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben und der Haftungsinanspruchnahme des Beschwerdeführers nur wenige Monate liegen, ist auf die lange verstrichene Zeit zwischen der Fälligkeit der Abgabenschuldigkeiten und der Haftungsinanspruchnahme zur Hintanhaltung von Unbilligkeiten bei der Ermessensübung Bedacht zu nehmen."

Im zugehörigen Sachverhalt der zitierten Entscheidung wurde der Haftungsbetrag um 30 % reduziert. Der Haftungsbescheid wurde am erlassen und betraf die Lohnsteuer der Monate Juli, August und September 2013.

Im konkreten Fall wurde der Haftungsbescheid am erlassen und hat die Lohnsteuer der Monate Juli und Dezember 2018 sowie Jänner 2019 zum Gegenstand.

Die Abgabenbehörde hat in Hinblick auf ihre Zweckmäßigkeitsüberlegungen auch regelmäßig das Gebot der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Vollziehung, sohin Gedanken der Verwaltungsökonomie miteinzubeziehen.

Im Haftungsbescheid vom geht die belangte Behörde bisher davon aus, dass alle Voraussetzungen zur Haftungsinanspruchnahme gem. § 9 BAO erfüllt sind.

Sie führt hinsichtlich der Ermessensübung an, dass aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel dann ermessenskonform ist, wenn die betreffenden Abgaben beim Primärschuldner uneinbringlich sind.

Allein die Annahme einer Vorprägung des Ermessens durch den angenommenen, grundlegenden Umstand, dass der Haftende den haftungsbegründenden Tatbestand erfüllt, wäre allerdings unsachgerecht. Dies würde eine rechtslogisch unzulässige Vermengung der Ebene der gebundenen Verwaltung mit jener der Ermessensübung bedeuten. Ebenso unsachgerecht wäre es, wollte man allgemein das Verschulden des Haftungspflichtigen an einem endgültigen Steuerausfall ermessensbegründend ins Treffen führen.

Die Abgabenbehörde geht demnach unsachgerecht vor, indem sie von Vornherein annimmt, dass der Beschwerdeführer den haftungsbegründenden Tatbestand erfüllt und die Ermessensausübung aufgrund der begrenzten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers bzgl. der verbleibenden Lohnsteuerbeträge sogleich ausschließt.

Von einer Inanspruchnahme des Beschwerdeführers ist im Haftungswege nach unserer rechtlichen und persönlichen Überzeugung auch in pflichtgemäßer Ermessenübung durch die Abgabenbehörde vollständig abzusehen.

Aus all diesen Gründen stellen wir den Antrag, den Haftungsbescheid vom mangels schuldhafter Pflichtverletzung des Beschwerdeführers aufzuheben und den Abgabenrückstand gem. § 235 BAO abzuschreiben."

Mit der Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab.
Für die Lohnsteuer bestehe eine Ausnahme vom Gleichheitsgrundsatz, weshalb es unerheblich sei, dass für die übrigen Verbindlichkeiten der Gleichbehandlungsgrundsatz eingehalten worden sei.
Für die Haftungsinanspruchnahme der Lohnsteuer seien wirtschaftliche Schwierigkeiten der Gesellschaft rechtlich bedeutungslos.
Der Hinweis, dem Bf. sei das Institut der Verrechnungsweisung nicht bekannt gewesen, sei unbeachtlich, weil das Risiko des Rechtsirrtums derjenige trage, der es verabsäume, sich an geeigneter Stelle zu erkundigen. Unkenntnis vermöge einen Vertreter nicht zu exkulpieren.
Da der Abgabenausfall auf ein Verschulden des Haftungspflichtigen zurückzuführen sei, sei den Zweckmäßigkeitsgründen gegenüber den (berechtigten) Parteiinteressen der Vorrang einzuräumen.

Dagegen richtet sich der Vorlageantrag vom , in dem eine Entscheidung durch den Senat und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt wurde, jedoch kein weiteres Vorbringen erstattet wurde.

Der Bf. wurde am zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat geladen.
Mit dem Schriftsatz vom zog die Vertreterin des Bf. den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.

Das Bundesfinanzgericht hat über die Beschwerde erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Voraussetzung für die Haftung sind eine Abgabenforderung gegen den Vertretenen, dieStellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung, eine Pflichtverletzungdes Vertreters, dessen Verschulden an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeitder Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit.

1. Vertreterstellung des Bf.

Gemäß § 18 Abs. 1 GmbHG wird die Gesellschaft durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten.

Die Haftung des § 9 trifft die Vertreter gemäß § 80 BAO, somit u.a. die Geschäftsführeriner GmbH.

Unstrittig ist, dass der Bf. laut Firmenbuch seit Datum1 bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens am Datum2 alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer der X.GmbH war (Firmenbuchauszug FN).

Als bestellter Geschäftsführer war der Bf. daher verpflichtet, die abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft zu erfüllen. Zu den Pflichten des Bf. als Geschäftsführer der Gesellschaft gehörten u.a. die Pflicht zur Führung von Büchern und Aufzeichnungen sowie deren Aufbewahrung, die Erfüllung der Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflichten der Gesellschaft, die Abgabenerklärungspflicht sowie die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen der Gesellschaft und die Sorgetragung für die Entrichtung der Abgaben aus den verwalteten Mitteln (siehe ).

2. Uneinbringlichkeit der Abgaben

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung und setzt die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden voraus ().

Die objektive Uneinbringlichkeit der verfahrensgegenständlichen Abgaben steht zweifelsfrei fest, da eine Einbringlichmachung der aushaftenden Abgabenverbindlichkeiten bei der Primärschuldnerin in Folge der Aufhebung des Konkurses nach der Schlussverteilung mit einer Quote von 0,315067 %s und der anschließenden Löschung der Gesellschaft im Firmenbuch nicht mehr möglich ist.

Die Höhe der selbst gemeldeten Lohnsteuern 07/2018, 12/2018 und 01/2019 wurde im Haftungsverfahren nicht bestritten.

Hinsichtlich der Höhe der mit dem - dem Bf. im Zuge des Vorhaltes vom übermittelten - Haftungsbescheides Lohnsteuer für das Jahr 2018 über 148,01 € vom ist darauf hinzuweisen, dass die Behörde an diesen, dem angefochtenen Haftungsbescheid vorausgehenden Haftungsbescheid nach § 82 EStG 1988 gebunden ist (, mwN). Die nach § 9 BAO erforderliche Verschuldensprüfung hat dabei von der objektiven Richtigkeit der Abgabenfestsetzung auszugehen.
Da auf die Lohnsteuer der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht anwendbar ist, konnte eine Aufgliederung der Lohnsteuer nach den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten im Spruch des Haftungsbescheides unterbleiben.

3. Gegenstand des Verfahrens

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfährt die Haftung des Vertreters nur dann eine Einschränkung, wenn er den Nachweis erbringt, welcher Abgabenbetrag auch bei einer gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger uneinbringlich geworden wäre ( mit Verweis auf die Vorjudikatur).

Demnach obliegt dem Haftungspflichtigen der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre (siehe die in Ritz, BAO, § 9, Tz. 27 zu diesem Punkt aufgezählte zahlreiche Rechtsprechung des VwGH).

Abweichend von der zunächst vom Verwaltungsgerichtshof postulierten Gleichbehandlung der Abgaben bezogen auf ihre einzelnen Fälligkeitstage und die zu diesem Zeitpunkt geleisteten Zahlungen der Gesellschaft wurden in der Rechtsprechung des UFS sowie des BFG eine Zeitraumbetrachtung in Form einer monatlichen Berechnung der Verbindlichkeiten sowie der monatlich geleisteten Zahlungen zugelassen, um Verzerrungen zu vermeiden.
Auch in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird nunmehr auf eine auf die einzelnen haftungsrelevanten Monate bezogene Gleichbehandlung abgestellt:
"Damit der Geschäftsführer seine Nachweispflicht erfüllen kann, muss er von der Behörde durch monatliche Aufgliederung der in Haftung gezogenen Abgaben in die Lage versetzt werden, die geforderte, nach Monaten gegliederte Liquiditätsaufstellung vorzulegen und die auf die Abgabengläubigerin entfallende monatliche Quote zu berechnen" (z.B. , ).
Einer Gläubigergleichbehandlungsberechnung über den gesamten haftungsrelevanten Zeitraum (im vorliegenden Fall von Juli 2018 bis Februar 2019), auf die sich die steuerliche Vertreterin der Bf. offensichtlich in der Beschwerde bezieht, kann nicht zugelassen werden, weil eine solche - z.B. im Fall längerer oder zeitlich unterbrochener Haftungszeiträume - wiederum zu Verzerrungen führen würde.

Im vorliegenden Fall wurden in der Vorhaltsbeantwortung vom eine Aufstellung der Verbindlichkeiten zu Beginn der haftungsrelevanten Monate, die Zuwächse sowie die monatlich erfolgten Zahlungen vorgelegt. Eine Quotenberechnung erfolgte nicht. Diese wurde vom Finanzamt auf der Grundlage der vorliegenden Daten selbst ermittelt, wobei festgestellt wurde, dass die Abgaben im Monat August 2018 um 5,59 %, im Monat November 2018 um 11,25 %, im Monat Jänner 2019 um 8,67 % und im Monat Februar 2019 um 2,68 % benachteiligt wurden.
Der behauptete Nachweis der Gläubigergleichbehandlung wurde entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde somit nicht erbracht.

Gegenstand des vor dem BFG abzuführenden Beschwerdeverfahrens ist die Heranziehung des Bf. zur Haftung für Lohnsteuer 2018, 07/2018, 12/2018 und 01/2019. Eine Erhöhung der einzelnen Haftungsbeträge kommt im vorliegenden Fall ebenso wenig in Betracht wie die Heranziehung des Bf. zu weiteren, im Haftungsbescheid nicht angeführten Abgaben, da der Bf. insoweit erstmalig zur Haftung herangezogen würde. Dies fällt jedoch in die Zuständigkeit der Abgabenbehörde und nicht des BFG (; ).

Dass und aus welchem Grund der Bf. nicht zur Haftung für die übrigen, im Vorhalt angeführten Abgaben herangezogen wurde, ist daher nicht Gegenstand dieses Verfahrens und nicht weiter zu erörtern.

4. Lohnsteuer

Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung einzubehalten. Der Arbeitgeber hat die gesamte Lohnsteuer, die in einem Kalendermonat einzubehalten war, spätestens am 15. Tag nach Ablauf des Kalendermonates in einem Betrag an das Finanzamt der Betriebsstätte abzuführen (§ 79 Abs. 1 EStG 1988).

Nach § 78 Abs. 3 EStG 1988 hat der Arbeitgeber, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes ausreichen, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten.

Hinsichtlich der allein haftungsgegenständlichen Lohnsteuer ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei dieser der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zum Tragen kommt:
"Aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988, wonach in Fällen, in denen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten ist, ergibt sich nämlich, dass jede vom Geschäftsführer einer GmbH vorgenommene Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende Lohnsteuer ausreichen, eine schuldhafte Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflicht mit den Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 BAO darstellt. Die einbehaltene Lohnsteuer ist zur Gänze zur späteren Abfuhr zu verwenden und unterliegt (auch) bei sich bis zum Abfuhrzeitpunkt geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht dem Gleichbehandlungsgebot. Somit trifft den Vertreter nach § 80 BAO die Verpflichtung, die Lohnsteuer einerseits einzubehalten und andererseits - ungeachtet wirtschaftlicher Schwierigkeiten und des Gleichbehandlungsgebotes - zur Gänze dem Finanzamt zum Fälligkeitstag abzuführen" ( mwN).

Im Falle des Vorliegens einer schuldhaften Pflichtverletzung wegen Nichtentrichtung von Abgaben, ist in der Nichtentrichtung auch die Ursache der Uneinbringlichkeit (Abgabenausfall) zu erblicken. Die Pflichtverletzung ist danach kausal für die Uneinbringlichkeit (VwGH17.10.2001, 2001/13/0127, ).

5. Verrechnungsweisung

Die Vertreterin des Bf. bringt vor, aus der fehlenden Widmung der geleisteten Abgabenzahlungen des Bf. könne diesem kein Verschulden "am offenen Aushaften der Lohnabgaben" zur Last gelegt werden. Dem Bf. sei nicht "bewusst" gewesen, dass er Teilzahlungen auf die Lohnsteuer hätte widmen müssen, um sich von der Ausfallhaftung des § 9 BAO zu "enthaften". Die Zahlungen des Bf. hätten mangels Verrechnungsweisung die ältesten Abgabenverbindlichkeiten der Primärschuldnerin abgedeckt, während die "zeitlich jüngsten" Abgabenvorschreibungen bis zuletzt als Rückstand der Gesellschaft ausgewiesen wurden.

Mit dieser Argumentation wird zunächst übersehen, dass der Bf. nicht nur die während seiner Geschäftstätigkeit fälligen Abgaben entrichten muss, sondern auch verpflichtet ist, die bis zu seiner Bestellung als Geschäftsführer angesammelten Abgabenrückstände zu begleichen (). Die Pflicht der Gesellschaft zur Abgabenentrichtung endet erst mit deren Abstattung. Die Gesellschaft bleibt verpflichtet, Abgabenschuldigkeiten, mit deren Abfuhr oder Einzahlung sie in Rückstand geraten ist, zu erfüllen (). Der Geschäftsführer hat sich bei der Übernahme seiner Funktion darüber zu unterrichten, ob und in welchem Ausmaß die Gesellschaft ihren steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen ist (, ).

Im Zeitpunkt der Bestellung des Bf. zum Geschäftsführer der X.GmbH hafteten am Abgabenkonto der Gesellschaft bereits 31.180,13 € offen aus.
Das Vorbringen, im Zeitraum bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am Datum2 habe der Bf. 161.637,89 € am Abgabenkonto zur Einzahlung gebracht, ist unrichtig. Laut Abgabenkonto (Buchungsabfrage StNr. 9x9) wurden 158.518,96 € entrichtet. Dies mag zwar im Hinblick auf die in diesem Zeitraum fälligen Abgaben eine Zahlungsquote von 98 % bedeuten, im Hinblick auf die insgesamt fälligen Abgaben bedeutet dies jedoch nur eine Entrichtungsquote von ca. 45 %.

Die Argumentation des Bf. übersieht aber auch, dass eine Verrechnungsweisung hinsichtlich der nun haftungsgegenständlichen Lohnsteuern zwar zur Entrichtung der Lohnsteuern geführt hätte, dass dadurch aber andere Abgaben in gleicher Höhe nicht entrichtet worden wären, weshalb sich nur an der Zusammensetzung, nicht aber an der Höhe der Haftungsschuld etwas geändert hätte.
Letztlich wird auch in der Beschwerde zugestanden, der Ausfall wäre auch durch eine etwaige, im Rückblick für den Bf. günstigere Widmung nicht zu vermeiden gewesen.

Der Bf. verweist auf die Judikatur des VwGH zu irrtümlich fehlerhaften Recchtsauffassungen, die nicht als Fahrlässigkeit zuzurechnen seien, wenn die objektiv gebotene, der Sache nach pflichtgemäße, nach den subjektiven Verhältnissen zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen wurde.

Es ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Aufgabe des Geschäftsführers darzutun, weshalb er nicht dafür habe Sorge tragen können, dass die Gesellschaft die angefallenen Abgaben entrichtet hat, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf; den Vertreter trifft dabei eine qualifizierte Behauptungs- und Konkretisierungslast ().
Als schuldhaft im Sinne des § 9 BAO gilt jede Form des Verschuldens und damit auch leichte Fahrlässigkeit ().

Der Sachverhalt des zitierten Erkenntnisses des , ist mit dem vorliegenden in keiner Weise vergleichbar (der Bf. akzeptierte mangels steuerrechtlicher Kenntnisse den Vorschlag seines steuerlichen Vertreters, für etwaige, von der Abgabenbehörde geforderte Lohnabgaben für pauschale Umbuchungen betreffend nicht versteuerte zusätzliche Geschäftsführerbezüge eine Rückstellung zu bilden).

Im in der Beschwerde zitierten VwGH-Erkenntnis vom , 2013/16/0208, führt der VwGH aus:

"Es trifft zwar zu, dass es unter dem Gesichtspunkt des dem Vertreter vorzuwerfenden Verschuldens an der Verletzung der Vertreterpflichten beachtlich ist, wenn er aufgrund eines Rechtsirrtums die Entrichtung der Abgaben unterlassen hat und ihm ausnahmsweise ein solcher Rechtsirrtum nicht vorzuwerfen wäre."


Zu den Voraussetzungen für das Vorliegen einer die Fahrlässigkeit ausschließende fehlerhaften Rechtsauffassung wird lediglich ausgeführt, der Bf. sei bestrebt gewesen, die Abgabenverbindlichkeiten der X.GmbH vor Insolvenzeröffnung noch weitgehend zu entrichten, ohne Kenntnis darüber, dass er hinsichtlich der Lohnsteuer eine Verrechnungsweisung hätte erteilen müssen.

Dass der Bf. damit der geforderten pflichtgemäßen, ihm nach den subjektiven Verhältnissen zumutbaren Sorgfalt nachgekommen ist, wird damit nicht dargetan; insbesondere wird der Umstand, warum dem Bf. der Rechtsirrtum nicht vorwerfbar sei, nicht näher ausgeführt.
Den Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung, es sei Sache des Bf. gewesen, sich an geeigneter Stelle zu erkundigen, wird ebenfalls nicht entgegengetreten.

Im Übrigen geht aus den Verbuchungen am Abgabenkonto der GmbH, StNr. 9x9, hervor, dass die Lohnabgaben regelmäßig mittels "Nullmeldung", gemeldet wurden. Es war daher auch für den Bf. offensichtlich, dass eine Entrichtung der Lohnabgaben nicht stattfand.

Der Senat ist daher der Ansicht, dass dem Bf. eine schuldhafte Pflichtverletzung an der Uneinbringlichkeit der Lohnsteuern anzulasten ist.

Eine schuldhafte Pflichtverletzung an der Nichtfortführung des Unternehmens wurde dem Bf. nicht zur Last gelegt. Wenn der Bf. aber in der Beschwerde darauf verweist, dass die finanzielle Lage der Gesellschaft durch die Änderungen im Bereich des "kleinen Gücksspiels" infolge des Wegfalls von Provisionseinnahmen und dem Rückgang der Gastronomieerträge eine Fortführung des Unternehmens verhinderte, ist anzumerken, dass die Änderungen beim "kleinen Glücksspiel" bereits im Jahr 2014 vom steirischen Landtag beschlossen wurden und am in Kraft traten. Die Bestellung des Bf. zum Geschäftsführer erfolgte im Dezember 2017, weshalb der Bf. von diesen Änderungen nicht überrascht sein konnte.

6) Ermessen

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Geltendmachung der Haftung in das Ermessen der Abgabenbehörde gestellt. Dieses Ermessen umfasst auch das Ausmaß der Heranziehung zur Haftung innerhalb des vom Gesetz vorgegebenen Rahmens (; ; ; ; VwGH 25.3.201, 2009/16/0104).

Das bedeutet, dass bei Erfüllung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 9 BAO nicht allein und in jedem Fall nur eine volle Inanspruchnahme für jene aushaftenden Abgaben in Betracht kommt, hinsichtlich derer die Haftungsvoraussetzungen erfüllt sind (dies wäre nur bei einer gebundenen, kein Ermessen einräumenden Haftungsbestimmung der Fall).

Im vorliegenden Fall beschränkte das Finanzamt die Haftungsinanspruchnahme des Bf. ausschließlich auf die gegenständlichen Lohnabgaben und bezog die übrigen Verbindlichkeiten aus Ermessensgründen nicht in die Haftung mit ein. Den Umständen des Einzelfalles - geringfügige Benachteiligung des Abgabengläubigers - wurde damit Rechnung getragen.

Innerhalb des vom Gesetz vorgegebenen Rahmens sind Ermessensentscheidungen gemäß § 20 BAO nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist die Bedeutung "Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Interesse an der Einbringung der Abgaben" beizumessen (vgl. Ritz, BAO, § 20 Tz 7 mit Hinweis auf ; und ).

In der Beschwerde wird unter Verweis auf Althuber, Geschäftsführer- und Vorstandshaftung im österreichischen Steuerrecht, 112 ff.) ausgeführt, zu Gunsten des Bf. sei zu berücksichtigen, dass der Entgang von Abgabenschuldigkeiten für den Fiskus, gemessen an der ursprünglichen Schuld, nicht vergleichsweise unbedeutend sein darf. Von einem "unbedeutenden Restbetrag" an Lohnsteuer kann angesichts der Höhe der geltend gemachten Haftung von fast 15.000 € - auch im Vergleich zur Höhe der im Konkursverfahren angemeldeten Forderungen des Finanzamtes in der Höhe von 226.681,80 € - weder betragsmäßig noch vergleichsweise (6,5 %) die Rede sein.

Der Bf. tritt der im Haftungsbescheid durch zahlreiche VwGH-Erkenntnisse zur Bedeutung der wirtschaftlichen Lage eines Haftungspflichtigen bei der Haftungsinanspruchnahme belegte Rechtsprechung, wonach die Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschuld beim Haftenden von der Abgabenbehörde bei ihren Zweckmäßigkeitsüberlegungen vernachlässigt werden kann, entgegen und bringt vor, dieser Rechtsprechung könne gerade nicht entnommen werden, dass die Leistungsfähigkeit des Haftungspflichtigen damit vollkommen außer Acht gelassen werden dürfe.
Entgegen diesem Vorbringen vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zu § 9 BAO die Ansicht, dass den wirtschaftlichen Verhältnissen des Haftungsschuldners im Zeitpunkt der Geltendmachung der Haftung keine Bedeutung zukommt.
So trifft es nach der Rechtsprechung des VwGH nicht zu, dass die Haftung nur bis zur Höhe der aktuellen Einkünfte bzw. des aktuellen Vermögens des Haftungspflichtigen geltend gemacht werden dürfte (). Eine allfällige derzeitige Uneinbringlichkeit schließe nicht aus, dass künftig neu hervorgekommenes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen (). Die Inanspruchnahme der Haftung ist nicht mit dem im Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides vorhandenen Vermögens begrenzt ( 20111(/16/0070).

Der Verwaltungsgerichtshof unterscheidet damit zwischen der Billigkeit bei der Geltendmachung der Haftung und der Billigkeit (persönlichen oder sachlichen Unbilligkeit) bei der nachfolgenden Einhebung der Haftungsschuld beim Haftungspflichtigen. Die Geltendmachung der Haftung ist zwar eine Einhebungsmaßnahme (Ritz, BAO, § 224 Tz 4), diese Einhebungsmaßnahme bezieht sich aber auf die Einhebung der Abgaben der Primärschuldnerin. Gegenüber dem Haftungsschuldner ist die Heranziehung zur Haftung noch keine Einhebungsmaßnahme, sondern eine Maßnahme, der Festsetzungscharakter zukommt. Gemäß § 7 Abs. 1 BAO wird er erst durch die Geltendmachung der Haftung zum Gesamtschuldner. Daran schließt das eigenständige Einhebungsverfahren der Haftungsschuld beim Haftungspflichtigen an.

Daraus folgt, dass eine Unbilligkeit im Zuge der Geltendmachung der Haftung daher nur insofern Berücksichtigung finden kann, als sie nicht in der Einhebung der Haftungsschuld beim Haftungspflichtigen liegt (diese wäre in einem Verfahren gemäß § 236 BAO zu prüfen), sondern in der (vollen) Heranziehung zur Haftung läge.

Von der Heranziehung zur Haftung kann die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung dann absehen, wenn die Heranziehung unzweckmäßig, z.B. bei dauerhafter Einkommens- und Vermögenslosigkeit des potentiell Haftungspflichtigen wäre. Ein solcher Fall liegt nicht vor, weil der Bf. Pensionseinkünfte bezieht. Da die Pensionseinkünfte teilweise für die Abdeckung von Verbindlichkeiten anderer Gläubiger gepfändet werden, ist eine Einbringung der Haftungsschuld beim Bf. keinesfalls aussichtslos.

Richtig ist, dass der VwGH dem Element der Zumutbarkeit der Heranziehung zur Haftung bei der Ermessensübung Bedeutung beimisst.

Ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Festellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ist zweifellos ein Umstand, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Acht lassen darf ().

Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung findet, hängt vom Einzelfall ab ().

Im Erkenntnis Ra 2019/13/0046 hat der VwGH erkannt, dass der lange Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld (Haftung für Umsatzsteuer der Jahre 2003 bis 2006) und der Inanspruchnahme zur Haftung (Haftungsvorhalt November 2015) im Zuge der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen ist.

Ein solch langer Zeitabstand liegt hier nicht vor. Die Inanspruchnahme für Lohnsteuer erfolgte nicht nur unmittelbar nach Feststehen der Uneinbringlichkeit der Abgaben (Konkursaufhebung Datum3, Erlassung des Vorhaltes im Juli 2020); es handelt sich um Lohnsteuer mit Fälligkeitstagen in den Jahren 2018 und 2019, sodass die Erlassung des Haftungsbescheides im Jahr 2021 nicht als "langer" Zeitabstand angesehen werden kann.

Dass die Abgabenbehörde bei der Haftungsinanspruchnahme das Gebot der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit nicht beachtet hätte, kann nicht nachvollzogen werden und wird in der Beschwerde auch nicht näher ausgeführt.

Zur Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die gegenständliche Entscheidung beruht auf der zitierten ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, weshalb über keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden war. Eine ordentliche Revision ist daher nicht zulässig.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.2100292.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at