Schmuggel von Zigaretten; Bindungswirkung eines rechtskräftigen Strafurteils
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch Mag. Robert Igaly-Igalffy, Landstraßer Hauptstraße 34, 1030 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Zollamtes Wien (nun Zollamt Österreich) vom , Zahl: ***100000/00.000/000/2015-xxx/xx***, betreffend Geltendmachung einer Einfuhrzollschuld und Abgabenerhöhung zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Ermittlungen des Zollamtes Wien haben ergeben, dass sich ***Bf*** (nachstehend mit "Bf" bezeichnet) mit anderen Familienangehörigen mit dem Verhandeln von Schmuggelzigaretten befasst.
Anlässlich einer Hausdurchsuchung am hat die Bf zu Protokoll gegeben, sie verkaufe mit ihrem Vater, ***X***, seit einiger Zeit Schmuggelzigaretten, die dieser von Bosnien nach Österreich bringe, an Abnehmer in Wien. Seit Anfang 2014 habe sie insgesamt 2.670 Stangen Zigaretten übernommen bzw weiterverkauft, die ihr Vater nach Österreich geschmuggelt habe.
Mit Bescheid vom , Zahl: ***100000/00.000/000/2015-xxx/xx***, hat das Zollamt Wien gemäß Artikel 202 Absatz 1 und Absatz 3 erster und zweiter Anstrich Zollkodex (ZK) in Verbindung mit § 2 Abs 1 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) die Eingangsabgabenschuld in Höhe von insgesamt EUR 126.883,83 (Zoll, Einfuhrumsatzsteuer, Tabaksteuer und Abgabenerhöhung) mitgeteilt, da die Bf im Zeitraum Jänner 2014 bis als Beteiligte zusammen mit ***X*** 536.440 Stück Zigaretten verschiedener Marken in das Zollgebiet der Europäischen Union verbracht bzw verbringen lassen habe und diese teilweise weiterverkauft habe, obwohl sie wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass sie damit vorschriftwidrig handelt.
Welche Beteiligung am Einfuhrschmuggel die Bf geleistet hat, lässt sich dem Bescheid nicht entnehmen.
Mit Eingabe vom hat die Bf durch ihren Vertreter Beschwerde gegen den Bescheid erhoben und im Wesentlichen die Anzahl der geschmuggelten Zigaretten bekämpft. Zudem beantragt die Bf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Sie selbst habe keine Schmuggelfahrten unternommen, sondern nur ihr Vater, der in den vier Monaten vor der Hausdurchsuchung mehrere Fahrten an Wochenenden unternommen hätte und dabei jeweils 10 - 20 Stangen Zigaretten in das Zollgebiet verbracht habe. Dies sei auch aus den Protokollen der Telefonüberwachung ersichtlich.
Kritik übt die Bf an ihrer Einvernahme anlässlich der Hausdurchsuchung und an der gesamtschuldnerischen Vorschreibung der Abgaben. Es sei unrichtig, dass sie sich hinsichtlich des Zeitraumes und der Menge der Zigaretten geständig verantwortet habe.
Mit Schreiben vom hat das Zollamt der Bf vorgehalten, sie habe 536.440 Stück drittländische Zigaretten als Schmugglerin vorschriftwidrig verhandelt. Dies sei das Ergebnis der Telefonüberwachung und der weiteren Ermittlungen der Zollbehörde. Überdies liege ein Geständnis der Bf vom vor. Es sei daher beabsichtigt, über die Beschwerde abweisend zu entscheiden.
Dem Abschlussbericht des Zollamtes als Finanzstrafbehörde an die Staatsanwaltschaft Wien vom ist hinsichtlich der Vorgangsweise bei den jeweiligen Lieferungen zu entnehmen:
Bei der Bf wurden seitens ihrer Abnehmer telefonisch Bestellungen abgegeben. Entweder die Lieferung erfolgte prompt oder die Kunden wurden auf die Rückkehr des Vaters der Bf von seinen Schmuggelfahrten verwiesen. Die Bf sei hauptsächlich für den Vertrieb der Schmuggelzigaretten in Wien verantwortlich gewesen, ihr Vater für den Schmuggel der Zigaretten von Bosnien nach Österreich. Die Bf habe die Bestellungen an ihren Vater weitergegeben, welcher den Transport der Zigaretten in das Gebiet der Europäischen Union organisierte. Mei manchen Zigarettenlieferungen sei die Bf auch Beifahrerin ihres Vaters gewesen.
Mit Eingabe vom hat die Bf zum Vorhalt des Zollamtes Stellung genommen.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom ist die Beschwerde vom als unbegründet abgewiesen worden.
Gemäß Artikel 202 Absatz 1 ZK entstehe eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabepflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird.
Zollschuldner gemäß Artikel 202 Absatz 3 dritter Anstrich seien die Personen, welche die betreffende Ware erworben oder im Besitz gehabt hätten, obwohl sie in dem Zeitpunkt des Erwerbs oder Erhalts der Ware wussten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, dass diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden sind.
Auf Grund der durchgeführten Ermittlungen werde als erwiesen angenommen, dass die Bf im Zeitraum Jänner 2014 bis eine Menge von 536.440 Stück Zigaretten vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht habe.
Diese Tatsache beruhe auf den aktengegenständlichen Feststellungen, den Telefonüberwachungen, Observationen, Beschlagnahmen und der Einvernahme der Bf vom sowie den zahlreichen geständigen Einvernahmen ihrer Zigarettenabnehmer.
Mit Schreiben vom hat die Bf beantragt, ihre Beschwerde vom dem Bundesfinanzgericht vorzulegen.
Das Landesgericht für Strafsachen Wien hat die Bf mit Erkenntnis vom , 122 Hv 19/18k, unter Zugrundelegung des mit Erkenntnis des -5, rechtskräftigen Schuldspruchs des Urteils im ersten Rechtsgang vom , 123 Hv 61/16s, und damit unter Nichtanziehung des § 38 FinStrG zu einer Geldstrafe von EUR 35.000,--, im Falle der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von drei Monaten sowie zum Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt.
Den Entscheidungsgründen ist ua zu entnehmen, dass der Bf - der Anzeige der Finanzstrafbehörde erster Instanz folgend und auch rechtskräftig - kein Beitrag zur Einfuhr der gegenständlichen Schmuggelzigaretten durch ***X*** in das Zollgebiet der Europäischen Union (etwa durch vorherige Zusicherung der Ansichbringung und teilweisen Weiterverhandlung) vorgeworfen wird, sondern lediglich die Übernahme dieser Schmuggelzigaretten von diesem samt teilweiser Weitergabe an Dritte, wobei das Gericht von einer geringeren Menge ausgeht als die Zollbehörde.
In rechtlicher Hinsicht wird ausgeführt, dass Artikel 202 Absatz 3 Z 3 [richtig: dritter Anstrich] ZK in concreto objektiv keine taugliche Grundlage für eine die Angeklagte selbst treffende Abgabenschuld aufgrund der ihr verfahrensgegenständlich vorgeworfenen Tathandlungen, insbesondere mit Bezug zu den ihr verfahrensgegenständlich vorgeworfenen Abgaben, darstelle. Denn jedenfalls im zweiten Rechtsgang, in welchem nunmehr lediglich die qualifizierte subjektive Tatseite zum Zeitpunkt der nunmehr rechtskräftig festgestellten objektiven Tathandlungen zu prüfen sei, sei aufgrund dieser nunmehr rechtskräftig festgestellten objektiven Tathandlungen lediglich die Übernahme der Schmuggelzigaretten im Inland und Weitergabe derselben im Inland und eine genau dadurch bewirkte Hinterziehung von Eingangsabgaben (Zoll), Einfuhrumsatzsteuer und Tabaksteuer anklagegegenständlich und nicht etwa ein Beitrag zur Einfuhr in das Zollgebiet der Europäischen Union. Artikel 202 Absätze 1 und 2 ZK stelle jedoch auf gerade diese Einfuhr in das Zollgebiet der Europäischen Union für das Entstehen der Einfuhrzollschuld ab und definiere erst in seinem Absatz 3 als Schuldner dieser so entstandenen Einfuhrzollschuld ua auch den Übernehmer in Kenntnis der zollunredlichen Herkunft. Eine Verweisnorm des Österreichischen Gesetzgebers auf Artikel 202 (Absatz 3 Z 3) ZK (als Norm des EU-Gesetzgebers für rein grenzüberschreitende Sachverhalte im Verhältnis zu Drittstaaten) betreffend rein innerstaatliche Sachverhalte sei nicht ersichtlich. Im Übrigen könnte aber der Angeklagten auch kein (iS einer Absichtlichkeit sogar qualifizierter) Vorsatz iS eines "Mitbewusstseins" (quasi "Mitabsichtlichkeit") solcher (rechtlichen) Konstruktionen (iS einer Parallelwertung in der Laiensphäre) und damit einer sie selbst treffenden Abgabenverpflichtung angenommen werden. Dies, da eine solche Konstruktion zu speziell und von der Laiensphäre entfernt erscheine. Siehe in diesem Sinne ja auch bereits das Erkenntnis des OGH, welcher trotz ausdrücklich formulierter Feststellungen zur subjektiven Tatseite (einschließlich der Kenntnis der zollunredlichen Herkunft) der Angeklagten im Urteil des ersten Rechtsganges, welche auch den Wortlaut des Artikels 202 Absatz 3 Z 3 ZK erfüllen würden, keinen Sachverhalt festgestellt sah, der eine die Angeklagte selbst treffende Abgabenschuld begründen würde (und nicht etwa lediglich Begründungsmängel moniert). Vielmehr werde sie ja durch die gegenständlich vorgeworfene Tatbegehung erst zur (Mit-) Schuldnerin einer bereits bestehenden (vgl Artikel 202 Absatz 2 ZK) Abgabe. Der Vorwurf jedoch, sich durch eine Handlung mit der man erst zum Mitschuldner einer bereits zuvor bestehenden Schuld wird, ein (gewerbsmäßiges) Einkommen verschaffen zu wollen, wäre zirkulär und damit unzulässig.
Mit Eingabe vom hat die Bf den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgezogen.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wird der Bf vorgeworfen, für sie sei als Beteiligte die Eingangsabgabenschuld gemäß Artikel 202 Absatz 1 und Absatz 3 erster und zweiter Anstrich ZK entstanden.
Gemäß Artikel 202 Absatz 1 ZK idmF entsteht eine Einfuhrzollschuld
a) wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird oder
b) wenn eine solche Ware, die sich in einer Freizone oder einem Freilager befindet, vorschriftswidrig in einen anderen Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft verbracht wird.
Im Sinne dieses Artikels ist vorschriftswidriges Verbringen jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Artikel 38 bis 41 und 177 zweiter Gedankenstrich.
Artikel 202 Absatz 3 ZK lautet:
"Zollschuldner sind:
- die Person, welche die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht hat;
- die Personen, die an diesem Verbringen beteiligt waren, obwohl sie wußten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, daß sie damit vorschriftswidrig handeln;
- die Personen, welche die betreffende Ware erworben oder im Besitz gehabt haben, obwohl sie in dem Zeitpunkt des Erwerbs oder Erhalts der Ware wußten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, daß diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden war."
Laut Aktenlage ist unbestritten, dass die Bf die durch ihren Vater vorschriftwidrig ins Zollgebiet verbrachten Zigaretten im Besitz gehabt hat, und sie im Zeitpunkt des Erhalts der Waren wusste, dass es sich dabei um Schmuggelzigaretten handelt.
Dies ist jedoch nicht die Angelegenheit, die den Spruch des angefochtenen Bescheides bildet.
In Beantwortung des ho Vorhalts vom räumt das Zollamt gegenüber dem Bundesfinanzgericht selbst ein, bei Erstellung des Abgabenbescheides sei offenbar aufgrund der Aussagen der Bf von einem Schmuggel der im bekämpften Bescheid genannten Zigaretten [durch die Bf] ausgegangen worden.
Laut den angeführten Entscheidungen des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des OGH hat die Bf weder selbst Zigaretten vorschriftswidrig ins Zollgebiet verbracht hat noch war sie an diesem Verbringen (durch ihren Vater) beteiligt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entfaltet ein rechtskräftiges Strafurteil bindende Wirkung hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, auf denen sein Spruch beruht, wozu jene Tatumstände gehören, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen zusammensetzt. Ein vom bindenden Strafurteil abweichendes Abgabenverfahren würde zu Lasten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer Durchbrechung der materiellen Rechtskraft und einer unzulässigen Kontrolle der Organe der Rechtsprechung durch die Verwaltung gleichkommen; die Bindungswirkung erstreckt sich auf die vom Gericht festgestellten, und durch den Spruch gedeckten Tatsachen (VwGH 30,04.2003, 2003/16/0006).
Mangels Sachidentität ist das Bundesfinanzgericht nicht befugt, den Spruch des angefochtenen Abgabenbescheides dahingehend abzuändern, dass die Bf (erstmalig) gemäß Artikel 202 Absatz 3 dritter Anstrich ZK als Gesamtschuldner herangezogen wird.
Der angefochtene Bescheid war aus den genannten Gründen aufzuheben.
Zur Unzulässigkeit der Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzungen sind - insbesondere im Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung - nicht erfüllt.
Salzburg, am
Zusatzinformationen
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Materie | Zoll |
betroffene Normen | Art. 202 Abs. 3 ZK, VO 2913/92, ABl. Nr. L 302 vom S. 1 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.7200148.2016 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at