Mittelpunkt der Lebensinteressen; Vertrauensschutz in Zusammenhang mit einer Auskunft der Abgabenbehörde
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende ***SenV***, den Richter***Ri*** sowie die fachkundigen Laienrichter ***SenLR1*** und ***SenLR2*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde gegen die Bescheide des Finanzamtes Landeck Reutte (jetzt Finanzamt Österreich) vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2014 bis 2018 und Anspruchszinsen 2014 bis 2018 zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer erzielte in den Streitjahren nichtselbständige Einkünfte aus einer Tätigkeit in Liechtenstein.
2. Nachdem das Finanzamt davon Kenntnis erlangt hatte, forderte es den Beschwerdeführer mittels Vorhalt vom auf, Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2014 bis 2018 abzugeben und die Jahreslohnzettel dieser Jahre vorzulegen.
Diesem Ersuchen kam der Beschwerdeführer am nach und legte auch ergänzende Unterlagen in Zusammenhang mit Sonderausgaben (Wohnraumschaffung) und Werbungskosten (doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten) vor.
3. In der Begründung der Einkommensteuerbescheide 2014 bis 2018 vom , die dem Beschwerdeführer am mit RSb zugestellt wurden, wurde vom Finanzamt darauf hingewiesen, dass trotz eines Wohnsitzes in Liechtenstein davon auszugehen sei, dass sich der Lebensmittelpunkt aufgrund der Familie in Österreich befinde. Das zwischen Österreich und Liechtenstein bestehende Doppelbesteuerungsabkommen normiere in diesem Fall gemäß Artikel 15 Abs. 1 iVm. Artikel 23 Abs. 2 ein Besteuerungsrecht Österreichs unter Anrechnung der in Liechtenstein erhobenen Steuer.
Mit weiteren Bescheiden vom setzte das Finanzamt für die Jahre 2014 bis 2018 Anspruchszinsen fest.
4. Dagegen richtete sich die Beschwerde vom , in der die Direktvorlage an das Bundesfinanzgericht und die Entscheidung durch den Senat beantragt wurde.
Der Sachverhalt sei aus Sicht des Beschwerdeführers soweit unstrittig, dass er von Montag bis Freitag in Liechtenstein einer nichtselbständigen Erwerbstätigkeit nachgehe und dafür eine Wohnung angemietet habe. In Österreich sei er zur Hälfte Eigentümer eines Hauses, das er mit seiner Ehegattin und zwei Kindern bewohne, wobei der Beschwerdeführer seine Familie nur an den Wochenenden, an Feiertagen und an Urlaubstagen "besuche".
Die Prüfung des Lebensmittelpunktes ergebe wirtschaftliche Beziehungen zu Liechtenstein aufgrund der Aufenthaltsbewilligung und der Erwerbstätigkeit sowie persönliche Beziehungen (großer Freundeskreis) zu Liechtenstein aufgrund der jahrzehntelangen Tätigkeit.
Bei engeren persönlichen Beziehungen zum einen Staat und engeren wirtschaftlichen Beziehungen zum anderen Staat entscheide der überwiegende Aufenthalt (mindestens zwei Drittel des Kalenderjahres in Liechtenstein), was im Beschwerdefall zur Ansässigkeit in Liechtenstein führe.
Zudem habe sich der Beschwerdeführer mehrmals beim Finanzamt erkundigt und die Auskunft erhalten, dass er in Österreich nicht steuerpflichtig wäre. Schon deshalb wäre eine rückwirkende Besteuerung der Jahre 2014 bis 2018 "eine Zumutung".
5. Mit Vorlagebericht vom wurde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorgelegt. In der Stellungnahme wurde vom Finanzamt nach allgemeinen Ausführungen zum Mittelpunkt der Lebensinteressen die Schlussfolgerung gezogen, dass aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer Wochenenden, Feiertage und Urlaube bei seiner Familie in Österreich am Familienwohnsitz verbringe, der Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich liege und Österreich Ansässigkeitsstaat iSd. Artikels 4 DBA-Liechtenstein sei. Dies führe zu einer Besteuerung der in Liechtenstein erzielten Einkünfte unter Anrechnung der in Liechtenstein entrichteten Quellensteuer.
Bezüglich der dem Beschwerdeführer erteilten Auskunft wurde auf das Auskunftspflichtgesetz und den Erlass über Auskünfte zu sachverhaltsbezogenen Anfragen (BMF-10106/0031-IV/2/2012) verwiesen. Nach dem Erlass über Auskünfte zu sachverhaltsbezogenen Anfragen seien Auskünfte zu sachverhaltsbezogenen Anfragen in Schriftform einzubringen. Nachdem sich der Beschwerdeführer nur telefonisch erkundigt habe, bestehe kein Vertrauensschutz.
6. Vom Beschwerdeführer wurde die im Vorlagebericht erstattete Stellungnahme des Finanzamtes mit Schreiben vom dahingehend richtiggestellt, dass er "damals persönlich beim FA Landeck vorgesprochen [habe]. Der zuständige Mitarbeiter hielt Rücksprache mit dem damaligen Leiter der Lohnsteuerstelle (späterer Mitarbeiter des Fachbereiches). Die Auskunft war, dass, wenn ich eine Aufenthaltsbewilligung (B-Bewilligung) bzw. Niederlassungsbewilligung in Lichtenstein besitze, in Österreich keine Steuerpflicht besteht (siehe auch beiliegenden Aktenvermerk des APA Lichtenstein aus dem Jahr 2006 → dort wurde mein Aufenthalt auch überprüft). Leider habe ich dieser Aussage vertraut. Seitens des FA wurde ich auch nicht auf die Notwendigkeit eines schriftlichen Auskunftsersuchen hingewiesen. Dem Grundsatz von Treu und Glauben folgend kann ich wohl darauf vertrauen, dass eine persönliche Auskunft des FA - wenn auch nur mündlich - richtig ist."
In der beigelegten Aktennotiz des Ausländer- und Passamtes (APA) des Fürstentums Liechtenstein vom wurde bestätigt, dass eine im Oktober 2006 seitens des APA begonnene Überprüfung, ob sich der Beschwerdeführer (aufgrund einer Ehefrau und zwei Kindern ohne Bewilligung in FL) tatsächlich in Liechtenstein aufhalte, einen "schwerpunktmässigen Aufenthalt in FL" ergeben habe.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
1. Der Beschwerdeführer ist seit rund 30 Jahren in Liechtenstein als Maurer bei unterschiedlichen Firmen tätig und erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit.
2. Er verfügte in Liechtenstein über eine Aufenthaltsbewilligung und hatte vom bis eine Wohnung in 9490 Vaduz, ***1***, und seit eine (Einzimmer-)Wohnung in 9490 Vaduz, ***2***, angemietet.
3. In Österreich war er Hälfte-Eigentümer eines Hauses in ***Bf1-Adr***, wo auch seine Ehefrau und die zwei Kinder wohnten.
4. Von Montag bis Freitag hielt sich der Beschwerdeführer in Liechtenstein auf, die Wochenenden, Feiertage und Urlaubstage verbrachte er an seinem österreichischen Wohnsitz mit seiner Familie.
5. Der Beschwerdeführer hat - lange vor den beschwerdegegenständlichen Jahren - persönlich beim Finanzamt vorgesprochen und damals die Auskunft erhalten, dass in Österreich keine Steuerpflicht bestehe, wenn in Liechtenstein eine Aufenthaltsbewilligung vorliege. Der genaue Zeitpunkt der Vorsprache und der dabei dem Finanzamt mitgeteilte Sachverhalt kann nicht festgestellt werden.
Beweiswürdigung
1. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist der Zeitpunkt seiner Anfragen bzw. der persönlichen Vorsprache beim Finanzamt nicht zu entnehmen. Da im Schreiben des Beschwerdeführers vom eine Rücksprache (des befragten Mitarbeiters des Finanzamtes) beim damaligen "Leiter der Lohnsteuerstelle" erwähnt wird, muss die Vorsprache des Beschwerdeführers lange zurückliegen.
2. Außer Streit steht, dass der Beschwerdeführer beim Finanzamt vorgesprochen hat, um sich zu erkundigen, ob seine in Liechtenstein erzielten Einkünfte in Österreich steuerpflichtig seien. Da keine schriftliche Anfrage vorliegt, ist jedoch nicht nachvollziehbar, ob der Beschwerdeführer dem Finanzamt auch mitgeteilt hat, dass seine Familie am Familienwohnsitz in Österreich lebte. Ob dem Finanzamt bei Erteilung der Auskunft auch dieser - für die steuerliche Beurteilung wesentliche - Aspekt bekannt war, ist somit nicht erwiesen.
3. Im Übrigen ergibt sich der festgestellte Sachverhalt aus dem Veranlagungsakt, insbesondere dem Vorbringen des Beschwerdeführers, und ist zwischen den Parteien unstrittig.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Rechtslage
1. Die für die Beschwerde maßgeblichen Artikel des Abkommens zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Verhinderung der Steuerverkürzung und - umgehung, BGBl. Nr. 24/1971, (DBA-Liechtenstein) lauten folgendermaßen:
Artikel 4
STEUERLICHER WOHNSITZ
(1) Im Sinne dieses Abkommens bedeutet der Ausdruck "eine in einem Vertragstaat ansässige Person":
a) eine natürliche Person, die nach dem Recht dieses Staates dort auf Grund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthaltes oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist, und
b) eine juristische Person, die ihren Sitz und ihre tatsächliche Geschäftsleitung in diesem Staat hat.
(2) Ist nach Absatz 1 eine natürliche Person in beiden Vertragstaaten ansässig, so gilt folgendes:
a) Die Person gilt als in dem Vertragstaat ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt. Verfügt sie in beiden Vertragstaaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als in dem Vertragstaat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen).
b) Kann nicht bestimmt werden, in welchem Vertragstaat die Person den Mittelpunkt der Lebensinteressen hat, oder verfügt sie in keinem der Vertragstaaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als in dem Vertragstaat ansässig, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.
c) Hat die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Vertragstaaten oder in keinem der Vertragstaaten, so gilt sie als in dem Vertragstaat ansässig, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt.
d) Besitzt die Person die Staatsangehörigkeit beider Vertragstaaten oder keines Vertragstaates, so werden die Vertragstaaten versuchen, die Frage gemäß Artikel 25 zu regeln.
(3) Eine in einem Vertragstaat unterhaltene ständige Wohnstätte begründet nur dann einen Wohnsitz im Sinne dieses Abkommens, wenn der Inhaber der Wohnstätte in diesem Staat die fremdenpolizeilichen Voraussetzungen für einen dauernden Aufenthalt erfüllt.
[..]
Artikel 15
UNSELBSTÄNDIGE ARBEIT
(1) Vorbehaltlich der Artikel 16, 18, 19 und 20 Absatz 2 dürfen Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, daß die Arbeit in dem anderen Vertragstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden.
(2) Ungeachtet des Absatzes 1 dürfen Vergütungen, die eine in einem Vertragstaat ansässige Person für eine in dem anderen Vertragstaat ausgeübte unselbständige Arbeit bezieht, nur in dem erstgenannten Staat besteuert werden, wenn
a) der Empfänger sich in dem anderen Staat insgesamt nicht länger als 183 Tage während des betreffenden Steuerjahres aufhält, und
b) die Vergütungen von einem Arbeitgeber oder für einen Arbeitgeber gezahlt werden, der nicht in dem anderen Staat ansässig ist, und
c) die Vergütungen nicht von einer Betriebstätte oder einer festen Einrichtung getragen werden, die der Arbeitgeber in dem anderen Staat hat.
[..]
Artikel 23
METHODEN ZUR VERMEIDUNG DER DOPPELBESTEUERUNG
(1) Bezieht eine in Österreich ansässige Person Einkünfte oder hat sie Vermögen und dürfen diese Einkünfte oder dieses Vermögen nach diesem Abkommen in Liechtenstein besteuert werden, so nimmt Österreich, vorbehaltlich des Absatzes 2, diese Einkünfte oder dieses Vermögen von der Besteuerung aus; Österreich darf aber bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen oder das übrige Vermögen dieser Person den Steuersatz anwenden, der anzuwenden wäre, wenn die betreffenden Einkünfte oder das betreffende Vermögen nicht von der Besteuerung ausgenommen wären.
(2) Bezieht eine in Österreich ansässige Person Einkünfte, die nach den Artikeln 7, 10, 11, 12, 13 Absatz 2, 15 und 16 in Liechtenstein besteuert werden dürfen, so rechnet Österreich auf die vom Einkommen dieser Person zu erhebende Steuer den Betrag an, der der in Liechtenstein gezahlten Steuer entspricht. Der anzurechnende Betrag darf jedoch den Teil der vor der Anrechnung ermittelten Steuer nicht übersteigen, der auf die Einkünfte entfällt, die aus Liechtenstein bezogen werden.
[..]
2. Gemäß § 205 Abs. 1 BAO sind Differenzbeträge an Einkommensteuer, die sich aus Abgabenbescheiden unter Außerachtlassung von Anzahlungen (Abs. 3), nach Gegenüberstellung mit Vorauszahlungen oder mit der bisher festgesetzt gewesenen Abgabe ergeben, für den Zeitraum ab 1. Oktober des dem Jahr des Entstehens des Abgabenanspruchs folgenden Jahres bis zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Bescheide zu verzinsen (Anspruchszinsen).
Erwägungen
1. Unbeschränkt steuerpflichtig sind jene natürlichen Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf alle in- und ausländischen Einkünfte (§ 1 Abs. 2 EStG 1988).
2. Gemäß § 26 Abs. 1 BAO hat jemand einen Wohnsitz im Sinne der Abgabenvorschriften dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.
3. Innehaben bedeutet, über eine Wohnung tatsächlich oder rechtlich verfügen zu können, sie also jederzeit für den eigenen Wohnbedarf benützen zu können. Als Rechtsgründe für die Innehabung kommen vor allem Eigentum, Miete, Untermiete, Wohnungsrecht, aber auch familienrechtliche Ansprüche (z.B. des Ehegatten) in Betracht. Eine bestimmte rechtsgeschäftliche Form ist nicht nötig (vgl. Ritz, BAO6, § 26 Tz 5f, mit Verweisen auf VwGH-Judikatur).
4. Um einen Wohnsitz im Sinne der Abgabenvorschriften zu begründen, bedarf es der tatsächlichen Verfügungsmacht über bestimmte Räumlichkeiten, die nach der Verkehrsauffassung zum Wohnen geeignet sind, also ohne wesentliche Änderung jederzeit zum Wohnen benützt werden können und ihrem Inhaber nach Größe und Ausstattung ein dessen Verhältnissen entsprechendes Heim bieten (vgl. ).
5. Für die Annahme eines Wohnsitzes ist nicht entscheidend, in welchem zeitlichen Ausmaß eine Wohnung tatsächlich genutzt wird (vgl. ).
Eine berufliche Tätigkeit im Ausland und häufige Auslandsreisen schließen einen Wohnsitz im Inland nicht aus (vgl. ).
6. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass der Beschwerdeführer als Hälfte-Eigentümer eines Hauses einen Wohnsitz in Österreich hatte, ebenso, dass aufgrund der angemieteten Wohnungen und des Vorliegens einer Aufenthaltsbewilligung (vgl. Artikel 4 Abs. 3 DBA-Liechtenstein) ein Wohnsitz in Liechtenstein bestand.
7. Verfügt eine natürliche Person in beiden Vertragsstaaten über einen Wohnsitz, so ist für die Beurteilung der Ansässigkeit der Mittelpunkt der Lebensinteressen maßgeblich (Artikel 4 DBA-Liechtenstein).
8. Für die Beurteilung der Frage, an welchem Ort (in welchem Staat) der Steuerpflichtige die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen (Mittelpunkt der Lebensinteressen) hat, ist auf das Gesamtbild seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt. Wirtschaftlichen Beziehungen kommt dabei in der Regel eine geringere Bedeutung zu als persönlichen Beziehungen. Unter letzteren sind all jene zu verstehen, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbinden, an dem er einen Wohnsitz innehat. Von Bedeutung sind dabei familiäre Bindungen sowie Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art und andere Betätigungen zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen, aber auch Verbindungen zu Sachgesamtheiten, wie Privatsammlungen, und die Mitgliedschaft in Vereinen und andere soziale Engagements. Wirtschaftliche Bindungen gehen vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten und von Vermögensgegenständen in Form von Einnahmequellen aus. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln. Entscheidend ist letztlich, welcher Vertragsstaat für die Person der bedeutungsvollere ist (vgl. ; ; ; ).
9. Vom Beschwerdeführer wurde in diesem Zusammenhang vorgebracht, dass er aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit in Liechtenstein einen großen Freundeskreis aufgebaut habe und sich seine wirtschaftlichen Beziehungen auf Liechtenstein beschränken würden.
Zu diesem Vorbringen ist anzumerken, dass - wie oben angeführt - wirtschaftlichen Beziehungen in der Regel geringere Bedeutung zukommt und nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH (u.a. ; ) die stärkste persönliche Beziehung im Regelfall zu dem Ort besteht, an dem jemand regelmäßig mit seiner Familie lebt. Diese Bindung wird durch beruflich notwendige Abwesenheiten vom Familienwohnsitz nicht aufgehoben.
Demgegenüber verliert ein aufgrund langer beruflicher Tätigkeit in Liechtenstein aufgebauter Freundeskreis an Bedeutung.
10. Der Ansicht des Beschwerdeführers in der Beschwerde, dass bei wirtschaftlichen Beziehungen zum einen Staat und persönlichen Beziehungen zum anderen Staat ein Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht festgestellt werden kann und auf den überwiegenden Aufenthalt abzustellen ist, kann sich das Bundesfinanzgericht nicht anschließen. Eine derartige Wertung stünde in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des VwGH, wonach den persönlichen Beziehungen (insbesondere zu Ehepartner und Kindern) eine größere Bedeutung beizumessen ist.
11. Im Ergebnis führt das dazu, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Beschwerdeführers in den Beschwerdejahren ohne Zweifel in Österreich gelegen ist, was gemäß Artikel 4 DBA-Liechtenstein eine Ansässigkeit in Österreich zur Folge hat.
12. Artikel 15 Abs. 1 DBA-Liechtenstein weist das Besteuerungsrecht an den vom Beschwerdeführer für seine Tätigkeit in Liechtenstein erzielten nichtselbständigen Einkünften dem Tätigkeitsstaat, also Liechtenstein zu. Die Doppelbesteuerung wird gemäß Artikel 23 Abs. 2 DBA-Liechtenstein dadurch vermieden, dass Österreich als Ansässigkeitsstaat die in Liechtenstein entrichtete Steuer anrechnet.
13. Die bei der Ermittlung der Einkünfte anzusetzenden Werbungskosten (doppelte Haushaltsführung, Familienheimfahrten) und die Höhe der anzurechnenden Steuer waren zwischen den Parteien nicht strittig. Vom Finanzamt wurden sowohl Werbungskosten als auch anzurechnende Steuer in den Einkommensteuerbescheiden erklärungsgemäß berücksichtigt.
14. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Grundsatz von Treu und Glauben kann grundsätzlich nur dann zur Anwendung kommen, wenn das Gesetz der Vollziehung einen Vollzugsspielraum einräumt (vgl. u.a. ). Ein solcher Spielraum lag jedoch im Beschwerdefall nicht vor: Die Erlassung der Einkommensteuerbescheide lag nicht im Ermessen der Abgabenbehörde.
15. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schützt der Grundsatz von Treu und Glauben also nicht ganz allgemein das Vertrauen des Abgabepflichtigen auf die Rechtsbeständigkeit einer unrichtigen abgabenrechtlichen Beurteilung in der Vergangenheit. Vielmehr müssten besondere Umstände vorliegen, die ein Abgehen von der bisherigen Auffassung durch die Abgabenbehörde unbillig erscheinen ließen, wie dies z.B. der Fall sein kann, wenn ein Abgabepflichtiger von der Abgabenbehörde ausdrücklich zu einer bestimmten Vorgangsweise aufgefordert wurde und sich nachträglich die Unrichtigkeit dieser Vorgangsweise herausstellt (, mwN).
16. Der Grundsatz von Treu und Glauben kann in Zusammenhang mit Rechtsauskünften nur dann verletzt sein, wenn die Auskunft durch die zuständige Behörde erteilt wurde, die Auskunft nicht offenkundig unrichtig ist, der Abgabepflichtige seine Dispositionen danach gerichtet hat und nur als Folge davon einen abgabenrechtlichen Nachteil erlitten hat ().
17. Dem Bundesfinanzgericht ist es - auch aufgrund der sehr vagen Angaben des Beschwerdeführers betreffend Zeitpunkt der Vorsprache und dabei kontaktierte Mitarbeiter des Finanzamtes sowie der inzwischen verstrichenen Zeit - nicht möglich, den genauen Inhalt der Anfrage zu eruieren. Insbesondere steht nicht fest, ob die Tatsache, dass der Beschwerdeführer für sich selbst zwar eine Aufenthaltsberechtigung in Liechtenstein hatte, jedoch seine Familie (Ehefrau und zwei Kinder) nicht, und die Familie in Österreich am Familienwohnsitz lebte, bei der Schilderung des Sachverhaltes thematisiert worden ist.
18. Unabhängig davon, dass somit nicht festgestellt werden kann, ob die abgabenrechtliche Beurteilung durch das Finanzamt - auf Grundlage des ihm mitgeteilten Sachverhaltes - unrichtig war, fehlt es jedoch schon daran, dass die Auskunft das Verhalten des Beschwerdeführers beeinflusst und er aufgrund der Auskunft Dispositionen getroffen hat. Vielmehr war der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Auskunftseinholung schon viele Jahre in Liechtenstein nichtselbständig beschäftigt. Dass er diese Tätigkeit bei einer anderslautenden Auskunft aufgegeben hätte, hat der Beschwerdeführer nicht behauptet.
19. Zusammenfassend kommt das Bundesfinanzgericht zum Ergebnis, dass die für die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, weshalb eine Berufung auf Treu und Glauben der Beschwerde (ebenfalls) nicht zum Erfolg verhelfen kann.
20. Anspruchszinsenbescheide sind an die Stammabgabenbescheide (hier: die Einkommensteuerbescheide 2014 bis 2018) gebunden. Ein Anspruchszinsenbescheid ist deshalb nicht mit der Begründung anfechtbar, der maßgebende Stammabgabenbescheid sei inhaltlich rechtswidrig.
Erweist sich der Stammabgabenbescheid nachträglich als rechtswidrig und wird er entsprechend abgeändert oder aufgehoben, ist ein neuer, an den geänderten Stammabgabenbescheid gebundener Anspruchszinsenbescheid zu erlassen. In einem solchen Fall ergeht daher ein weiterer Anspruchszinsenbescheid; eine Abänderung des ursprünglichen Zinsenbescheides erfolgt nicht (vgl. Ritz, BAO6, § 205 Tz 35, und die dort zitierte Judikatur).
Die Beschwerde gegen die Anspruchszinsenbescheide 2014 bis 2018 war daher schon aus verfahrensrechtlichen Gründen abzuweisen.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Entscheidung orientiert sich an der höchstgerichtlichen Judikatur, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 1 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 26 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 Art. 4 Abs. 3 DBA FL (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Liechtenstein (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 24/1971 Art. 4 DBA FL (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Liechtenstein (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 24/1971 Art. 15 Abs. 1 DBA FL (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Liechtenstein (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 24/1971 § 205 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 Art. 23 Abs. 2 DBA FL (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Liechtenstein (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 24/1971 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.3100295.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at