TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 06.09.2021, RV/3100178/2019

Grenzgängereigenschaft einer Spitalsärztin mit Nachtdiensten

Beachte

Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2021/15/0036. Mit Erk. v. als unbegründet abgewiesen.


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rechtssätze
Stammrechtssätze
RV/3100178/2019-RS1
Die Grenzgängereigenschaft iSd Art. 15 Abs 6 DBA Deutschland geht verloren, wenn der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin während des Kalenderjahres an mehr als 45 Arbeitstagen nicht an den Wohnsitz zurückkehrt. Sind Bereitschaftsdienste in Form von Nachtdiensten zu leisten, so erstreckt sich in diesen Fällen der „Arbeitstag“ über das Tagesende hinaus. Durch die Leistung eines solchen Bereitschaftsdienstes entsteht dann kein für die Grenzgängereigenschaft schädlicher Nichtrückkehrtag, wenn nach dem Ende des Bereitschaftsdienstes der Dienst beendet ist und der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin an den Wohnort zurückkehrt. Nur wenn sich an den Bereitschaftsdienst wiederum ein weiterer Dienst anschließt, liegt eine beruflich bedingte Nichtrückkehr nach dem Ende des Arbeitstages vor.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die RichterinR in der Beschwerdesache Bf, Bf_Adr, vertreten durch RA, RA_Adr, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des FA (nunmehr: FA Österreich) vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2016 Steuernummer Bf_StNr zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem Ende der Entscheidungsgründe zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin brachte am ihre Einkommensteuererklärung für das Beschwerdejahr 2016 ein. Sie ging dabei davon aus, dass, da die Grenzgängereigenschaft der Vorjahre nicht mehr gegeben sei, keine Steuerpflicht in Österreich mehr vorliege.

2. Nach Durchführung eines Vorhalteverfahrens erließ die Abgabenbehörde am den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016. Die Einkünfte der Bf aus nichtselbständiger Tätigkeit wurden der österreichischen Einkommensteuer unterzogen, da die Abgabenbehörde vom Vorliegen der Grenzgängereigenschaft ausging. Der Nachweis, dass sich die Bf an mehr als 45 Tagen nicht an ihren österreichischen Wohnort zurückbegeben habe, sei nicht erbracht.

3. Die gegen diesen Bescheid am erhobene Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom abgewiesen.

4. Im Vorlageantrag vom wurde zunächst neuerlich die Grenzgängereigenschaft 2016 in Abrede gestellt. Außerdem wurde geltend gemacht, dass die Einkommensteuerveranlagung der Bf unter Außerachtlassung von Werbungskosten, Sonderausgaben und Kinderbetreuungskosten durchgeführt und die Bf vor Erlassung des Erstbescheides auch nicht zur Einreichung einer vollständigen Einkommensteuererklärung 2016 aufgefordert worden sei.

5. Die Abgabenbehörde forderte die Bf mit Vorhalt vom auf, die im Vorlageantrag geltend gemachten Werbungskosten, Sonderausgaben und Aufwendungen für die Kinderbetreuung belegmäßig nachzuweisen. Dieser Aufforderung ist die Bf am nachgekommen.

II. Sachverhalt

1. Die Bf war im Beschwerdejahr 2016 von 1. Jänner bis 31. März als Assistenzärztin und ab 1. April als Oberärztin am Klinik_D beschäftigt. Ihr Wohnsitz befand sich in Ws_Ö. Die Entfernung zwischen dem Wohnsitz der Bf und ihrem Arbeitsort beträgt ca. 27 km.

Mit der Bestellung der Bf zur Oberärztin ging eine Erhöhung ihrer zu leistenden Wochenstunden von 24 auf 32 einher. Die Regelarbeitszeit verteilte sich während des gesamten Beschwerdejahres auf eine 5-Tage-Woche. Vor bzw. nach Rufbereitschaftsdiensten dauerte ein Normaldienst regelmäßig acht Stunden.

2. Als Assistenzärztin hatte die Bf Nacht- und Wochenenddienste in Form von Bereitschaftsdiensten zu leisten. Solche fanden von Jänner bis März 2016 insgesamt 13 Mal statt. Die Bereitschaftsdienste am Wochenende stellten jeweils auch Nachtdienste dar. Hatte die Bf Bereitschaftsdienst, musste sie sich am Klinik_D aufhalten.

Als Oberärztin hatte die Bf ihre Nacht- und Wochenenddienste grundsätzlich - von zwei Ausnahmen abgesehen, an denen Bereitschaftsdienst versehen wurde - als "Rufbereitschaftsdienst" zu leisten. Dies bedeutete, dass die Bf, sollte sie gerufen werden, binnen zehn Minuten ihren Dienst antreten musste. Im Beschwerdejahr leistete die Bf insgesamt 41 Mal Rufbereitschaftsdienst. Die iZm Rufbereitschaften zu leistenden Dienste dauerten 26 Mal sechzehn Stunden, und zwar jeweils von 16:00 Uhr bis 07:15 Uhr, und 15 mal 24 Stunden (09:00 Uhr bis 09:00 Uhr). Dabei war es regelmäßig so, dass sich an einen Normaldienst von acht Stunden nahtlos eine 16-stündige Rufbereitschaft (wochentags) anschloss, diese wiederum gefolgt von Normaldienst.

Nach den Bereitschaftsdiensten und 24-stündigen Rufbereitschaften war der Dienst der Bf jeweils beendet.

3. Ein Freizeitausgleich für die Leistung der Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaften wurde der Bf nicht gewährt.

Die Entlohnung der Bereitschaftsdienste erfolgte als Arbeitszeit; die Rufbereitschaften wurden im Beschwerdejahr pauschal mit 40 % des Stundenentgelts lt. TV-Ärzte/VKA (Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände - Anm.) abgegolten.

4. Die Bf hatte bereits seit 2014 ein Zimmer an der Adresse Ws_D in D, ca. 10 Autominuten vom Klinik_D entfernt, gemietet. Außerdem wurde ihr von ihrem Arbeitgeber seit 2015 ein Appartement in der Straße_K in unmittelbarer Nähe zum Klinikum zur Verfügung gestellt, welches sie während ihrer Rufbereitschaften nutzen konnte.

5. Nicht festgestellt werden konnte, dass die Bf im Beschwerdejahr an mehr als 45 Arbeitstagen nicht vom Arbeitsort an den Wohnort zurückgekehrt ist.

III. Beweiswürdigung

1. Im Rahmen eines vom Bundesfinanzgericht geführten Vorhalteverfahrens wurde die Bf zunächst zur Abklärung von Begrifflichkeiten, zur Darlegung der Verteilung ihrer Normalarbeitszeit von 32 Stunden und zum Nachweis der Häufigkeit ihrer Übernachtungen in Deutschland aufgefordert.

2. Ungeachtet dessen, dass keine schriftlichen Nachweise über die am Arbeitsort erfolgten Übernachtungen vorgelegt werden konnten, besteht dennoch kein Grund, die von der Bf angegebene und von ihrem Arbeitgeber schriftlich bestätigte Anzahl der im Beschwerdejahr absolvierten Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaften in Zweifel zu ziehen. Diese lassen sich im Übrigen aus den dem Finanzamt vorgelegten Gehaltsabrechnungen des Beschwerdejahres nachvollziehen.

Ebenso wenig wird angezweifelt, dass die Bf für den Fall sowohl von Bereitschaftsdiensten als auch Rufbereitschaften am Arbeitsort übernachtet hat.

Dass die Bf aufgrund der im Beschwerdejahr insgesamt 15 zu leistenden Bereitschaftsdienste am Dienstort in D genächtigt hat, wird von der Abgabenbehörde nicht in Abrede gestellt. Sie geht jedoch davon aus, dass die Bf die Zeiten ihrer Rufbereitschaften nicht am Arbeitsort, sondern am Wohnort verbracht hat. Das Vorbringen der Bf, sie könne Zeiten der Rufbereitschaft nicht zu Hause verbringen, da sie im Fall eines Anrufs binnen zehn Minuten am Arbeitsort einsatzbereit sein müsse, wurde trotz der dazu vorgelegten Bestätigung des Arbeitgebers von der Abgabenbehörde ohne weitergehende Würdigung als nicht glaubhaft abgetan. Die Abgabenbehörde nahm somit an, dass die Bf auch an den Tagen, an denen sie Rufbereitschaft zu leisten hatte, an ihren Wohnort zurückgekehrt sei.

Dieser Annahme kann nicht gefolgt werden. Das Vorbringen der Bf in ihren schriftlichen Eingaben sowie in der mündlichen Verhandlung, dass sie nicht nur die Bereitschaftsdienste, sondern auch die Zeiten der Rufbereitschaft am Arbeitsort verbracht habe, ist glaubhaft: Aufgrund der Tätigkeit der Bf als Ärztin in der Abteilung für Gynäkologie bzw. Geburtshilfe ist klar, dass sie für den Fall, dass ihr Einsatz erforderlich wird, innerhalb kürzester Zeit zur Stelle sein muss. Eine Anreise vom Wohnort Ws_Ö, der ca. 45 Minuten Autofahrt von D entfernt ist, dauert in so einem Fall nachvollziehbar zu lange.

Die Angaben der Bf wurden überdies durch die Bestätigung des Arbeitgebers vom sowie die schriftliche Zeugenaussage des Chefarztes Dr. A untermauert. Es ist nicht erkennbar, weshalb der genannten Bestätigung, wie vom Finanzamt im Vorlagebericht ausgeführt, aufgrund ihrer Ausstellung erst im Zuge des Beschwerdeverfahrens keine Beweiskraft bzw. Glaubwürdigkeit zukommen soll. Zur Zeugenaussage des Chefarztes hat sich das Finanzamt nicht geäußert.

3. Im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens wurde der Bf aufgetragen, die zeitlichen Zusammenhänge zwischen "Normaldiensten" und Rufbereitschaften bzw. Bereitschaftsdiensten zu erläutern.

Zu dieser letzten Frage wurde in der Vorhaltsbeantwortung vom glaubhaft ausgeführt, dass Rufbereitschaften unter der Woche jeweils unmittelbar anschließend an den normalen Dienst erbracht wurden. Dies erschließe sich aus der (bereits im Verfahren vor dem Finanzamt und nunmehr im Vorhalteverfahren vor dem Bundesfinanzgericht) vorgelegten Aufstellung, in welcher jeweils 16 Stunden festgehalten seien. Beispielhaft herausgegriffen wurde der Dienstag, : An diesem Tag hatte die Bf Normaldienst ab 07:15 Uhr. Ab 16:00 Uhr dieses Tages hatte die Bf Rufbereitschaft bis 07:00 Uhr früh des nächsten Tages. Daran anschließend war wiederum ein Normaldienst zu leisten. Als Dienstdauer war in dieser Aufstellung somit 07:15 Uhr bis 16:00 Uhr am Folgetag vermerkt. Aus dieser Aufstellung ist ebenfalls ersichtlich, dass nach den Bereitschaftsdiensten jeweils der Dienst beendet war.

Es wird daher im Rahmen der Beweiswürdigung als erwiesen angesehen, dass die Bf im Beschwerdejahr 2016 15 Bereitschaftsdienste und 41 Rufbereitschaftsdienste geleistet hat, von denen 26 16 Stunden und 15 24 Stunden gedauert haben.

Die 16-stündigen Rufbereitschaften waren jeweils unmittelbar vorher und nachher von einem Normaldienst umschlossen. Die 24-stündigen Rufbereitschaften und die Bereitschaftsdienste wurden jeweils als einzelne Diensteinheit abgeleistet, dh dass der Dienst der Bf danach jeweils beendet war. Diese Angaben hat die Bf in der mündlichen Verhandlung am nochmals bestätigt.

IV. Rechtslage und Erwägungen

1. Grundsätzlich unstrittig ist, dass die Bf in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig iSd § 1 EStG 1988 ist und im Inland ihren Lebensmittelpunkt iSd Art. 4 DBA Deutschland-Österreich (DBA D) hat.

Streit besteht ausschließlich über die Frage, ob auf die Bf die Grenzgängerregelung des Art. 15 Abs. 6 DBA D anzuwenden ist.

2. Gemäß § 16 Abs. 1 Z. 4 lit. g EStG 1988 sind Grenzgänger im Inland ansässige Arbeitnehmer, die im Ausland ihren Arbeitsort haben und sich in der Regel an jedem Arbeitstag von ihrem Wohnort dorthin begeben.

Gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA D dürften Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden.

Gemäß Abs. 6 leg. cit. gilt Abs. 1 nicht, wenn die Person

1. in dem einen Staat in der Nähe der Grenze ihren Wohnsitz und in dem anderen Staat in der Nähe der Grenze ihren Arbeitsort hat und

2. täglich von ihrem Arbeitsort an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Grenzgänger).

Anlässlich der Unterzeichnung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und Österreich wurde im Protokoll (Anl. 1 zum DBA D) unter Pt. 8 vereinbart, dass als Nähe zur Grenze die Lage in einer Zone von je 30 Kilometern beiderseits der Grenze gilt.

Dass Wohnort und Arbeitsort der Bf innerhalb der Grenzzone liegen, ist unstrittig.

3. Zu Auslegungsfragen iZm Art. 15 Abs. 6 DBA D haben Deutschland und Österreich auf Basis von Art. 25 Abs. 3 DBA D (betr. Verständigungsverfahren) bereits mehrfach Konsultationsvereinbarungen geschlossen. So kam man betreffend die "tägliche Rückkehr" (vgl. Art. 15 Abs. 6 Z. 2 DBA D) überein, dass die Grenzgängereigenschaft dann nicht verloren geht, wenn die Person während des ganzen Kalenderjahres in der Grenzzone beschäftigt ist und in dieser Zeit höchstens an 45 Arbeitstagen nicht zum Wohnsitz zurückkehrt. Für den Fall, dass die Person nicht während des ganzen Kalenderjahres in der Grenzzone beschäftigt ist, sind 20 % der tatsächlichen Arbeitstage, an denen keine Rückkehr an den Wohnort stattfindet, unschädlich für die Grenzgängereigenschaft.

4. Im Beschwerdefall war zu untersuchen, ob, wie von der Bf vertreten, die bloße Ableistung der regelmäßig über Nacht stattfindenden Bereitschaften und Rufbereitschaftsdienste für sich bereits jeweils eine für die Grenzgängereigenschaft schädliche Nichtrückkehr an den Wohnort darstellte.

4.1. Vorausgeschickt wird, dass die vom Finanzamt vertretene Ansicht, wonach eine Rufbereitschaft (arbeitsrechtlich) grundsätzlich keine Arbeitszeit darstelle, da sie - im Gegensatz zum Bereitschaftsdienst - im Normalfall keine Anwesenheit am Arbeitsort erfordere, für die Beurteilung der Grenzgängereigenschaft der Bf keine Bedeutung hat. Ungeachtet der Bezeichnung als "Rufbereitschaft" wurde nachgewiesen, dass im Falle des Ergehens eines "Rufes" der Dienst innerhalb kürzester Zeit anzutreten war (vgl. Pt. III.2. dieses Erkenntnisses). Eine Unterscheidung zwischen Bereitschaftsdiensten und Rufbereitschaften war sohin nicht geboten.

4.2. Zuletzt wurde in der im , BMF-010221/0113-IV/8/2019, BMF-AV Nr. 68/2019, veröffentlichten Konsultationsvereinbarung zur Schädlichkeitsregelung ausführlich Stellung genommen. Auch die Problematik von Bereitschaftsdiensten wird behandelt. So heißt es unter Pt. 3. f. (Schichtdienst):

Bei Schichtdienst, der an einem Kalendertag beginnt und am nächsten Kalendertag endet (zB 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr am Folgetag) entsteht hierdurch kein weiterer schädlicher Kalendertag im Sinne der Schädlichkeitsregelung. Entsprechendes gilt auch bei Bereitschaftsdiensten, wenn die Bereitschaft am Arbeitsort abgeleistet wird.

4.3. In seiner Entscheidung vom , I R 67/03, hat der Bundesfinanzhof ausgesprochen, dass jene Tage, an denen im Hinblick auf eine Verpflichtung zur Rufbereitschaft keine Rückkehr an den Wohnort stattgefunden hat, als "Nichtrückkehrtage" iSd Art. 15a Abs. 2 DBA Deutschland - Schweiz (D-CH) anzusehen seien. Der Kläger sei an diesen Tagen nach Ende seiner aktiven Tätigkeit nicht nach Deutschland zurückgekehrt, und das Erfordernis der Rufbereitschaft sei ein beruflicher Grund für den Verbleib in der Schweiz. Es liege daher eine durch die Arbeitsausübung bedingte Nichtrückkehr vor.

Die Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom , I R 23/12, betraf einen in Deutschland ansässigen, in der Schweiz tätigen Arzt. Den Feststellungen des Finanzgerichtes Baden-Württemberg zufolge habe dieser Arzt aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung jeweils im Anschluss an eine "reguläre" Tagesschicht im Spital während der Nacht an einzelnen Wochentagen und an Wochenenden Rufbereitschaft zu leisten gehabt. Im Ergebnis habe sich seine Rufbereitschaft mithin mehrfach im Anschluss an einen regulären Tagesdienst an einem Wochentag bis in den Morgen des nächsten Tages erstreckt. An die jeweilige Rufbereitschaft habe sich nach deren Ende - erneut - unmittelbar in den meisten Fällen eine weitere "reguläre" Tagesschicht angeschlossen.

Der Senat erachtete die Annahme des Finanzgerichtes als zutreffend, wonach ein Nichtrückkehrtag (iSd Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll v. als verbindliche Vorgabe für die Auslegung des Art. 15a Abs. 2 DBA D-CH - Anm.) dann nicht vorliege, wenn sich an die über die Tagesgrenze hinausgehende Rufbereitschaft keine Tagesschicht anschließe. Das Fehlen einer Rückkehr an den Wohnort für den Tag des Arbeitsbeginns solle nur dann unschädlich sein, wenn der Arbeitnehmer nach der Arbeitsausübung (Ende der Rufbereitschaft) am nächsten Tag an einer Rückkehr an den Wohnsitz gehindert sei, weil sich unmittelbar ein neuer Einsatz am Arbeitsort anschließe.

Die beiden zitierten Entscheidungen des Bundesfinanzhofes sind jeweils zu Art. 15a Abs. 2 des DBA Deutschland-Schweiz ergangen. Zufolge dieser Bestimmung ist Grenzgänger jede in einem Vertragstaat ansässige Person, die im anderen Vertragstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, so entfällt ihre Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt.

In Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom heißt es dazu ergänzend, die Annahme einer regelmäßigen Rückkehr an den Wohnsitz iSd Art. 15a Abs. 2 DBA D-CH werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich die Arbeitsausübung bedingt durch betriebliche Umstände - wie zB bei Schichtarbeitern oder Krankenhauspersonal mit Bereitschaftsdienst - über mehrere Tage erstrecke.

4.4. Die Auslegung des Bundesfinanzhofes richtet sich (auch) nach dem Zweck der Grenzgängerregelung. So soll das mit der Grenzgängerregelung verbundene ausschließliche Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates der Tatsache Rechnung tragen, dass die Grenzgänger aufgrund der regelmäßigen Rückkehr an ihren Wohnsitz den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in diesem Staat haben und im Tätigkeitsstaat lediglich ihrer Berufstätigkeit nachgehen, ohne engere Bindungen an diesen Staat zu haben (vgl. auch Bendlinger/Kofler in Bendlinger/Kanduth-Kristen/Kofler/Rosenberger [Hrsg], Internationales Steuerrecht2: Die Verteilungsnormen im OECD-MA [Art 6 bis 22 OECD-MA] - Teil 2 Rz 601). Die Grenzgängerregelung bezieht sich damit auf Arbeitnehmer, die zwar mit ihrer Tätigkeit in die Arbeitswelt des Tätigkeitsstaates integriert sind, aber in den Lebenskreis am Wohnort im Ansässigkeitsstaat wie dort tätige Arbeitnehmer eingegliedert bleiben. Ein Nichtrückkehrtag i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA D-CH liegt danach vor, wenn die persönliche Bindung des Arbeitnehmers an den Wohnort durch die berufsbedingte Nichtrückkehr gelockert wird (zB BFH , I R 15/09 mit Hinweis auf Züger in Gassner/Lang/Lechner/ Schuch/Staringer, Arbeitnehmer im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, 2003, S. 177, 192).

Es soll jedoch nicht so sein, dass Arbeitnehmer allein deshalb aus dem Anwendungsbereich der Grenzgängerregelung herausfallen, weil sich ihre Arbeitszeit im Einzelfall über Mitternacht hinaus erstreckt und sie deshalb erst am Folgetag nach Hause zurückkehren. Das Ende der Arbeitszeit stellt lt. Urteil des Bundesfinanzhofes vom , I R 67/03, kein geeignetes Kriterium für die Abgrenzung von "Rückkehrtagen" und "Nichtrückkehrtagen" dar.

Der Bundesfinanzhof stellt in beiden zitierten Entscheidungen ausschließlich darauf ab, dass, sofern ein Dienst an Tag 1 begonnen, aber erst an Tag 2 beendet wird, Tag 1 aufgrund dieses Umstandes allein noch nicht als Nichtrückkehrtag zu zählen ist. Erst wenn in weiterer Folge nach Beendigung dieses Dienstes an Tag 2 aufgrund beruflicher Veranlassung der Arbeitnehmer nicht unmittelbar an seinen Wohnsitz zurückkehrt, sondern zur Verrichtung eines weiteren Dienstes am Arbeitsort verbleibt, liegt ein Nichtrückkehrtag vor.

4.5. Art. 15 Abs. 6 DBA D verlangt die "tägliche" Rückkehr an den Wohnort, wobei "täglich" im Sinne von "arbeitstäglich" zu verstehen ist (Loukota/Jirousek/Schmidjell-Dommes, Internationales Steuerrecht, Stand , Art. 15 Tz 178 mwN).

Die Tätigkeit einer Spitalsärztin bringt Schicht- und Bereitschaftsdienste mit sich. Ein "Arbeitstag" erstreckt sich in diesem Beruf somit regelmäßig über die Tagesgrenze hinaus. Der bloße Umstand, dass ein Bereitschafts- oder Rufbereitschaftsdienst über Nacht stattfindet und daher eine Übernachtung am Arbeitsort D bedingt, bewirkt nach den obigen Ausführungen für sich keine schädliche Nichtrückkehr.

Es liegen somit keine Nichtrückkehrtage vor, soweit die Bf nach Beendigung eines über Nacht dauernden Bereitschafts- oder Rufbereitschaftsdienstes an ihren Wohnort zurückgekehrt ist. Dies war im Beschwerdefall insgesamt 30 Mal der Fall, da insgesamt 15 24stündige Bereitschaftsdienste und ebenso 15 24stündige Rufbereitschaftsdienste geleistet wurden, nach welchen die Bf jeweils ihren Dienst beendet hat.

An jenen Tagen, an denen die Bf nach Ableistung einer Rufbereitschaft noch einen weiteren Normal- (Tages-)dienst zu absolvieren hatte, ist eine aus beruflichen Gründen erfolgte Nichtrückkehr an den Wohnort anzunehmen (BFH , I R 67/03; , I R 23/12). Dies war im Beschwerdejahr an 26 Tagen der Fall.

5. Eine für die Grenzgängereigenschaft schädliche Nichtrückkehr vom Arbeitsort an den Wohnort fand im Beschwerdejahr somit an weniger als 45 Tagen statt. Die Grenzgängereigenschaft der Bf ging somit im Beschwerdejahr nicht verloren, weshalb sie mit ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in Österreich der Einkommensteuerpflicht unterlag.

7. Betreffend die im Vorlageantrag erstmalig geltend gemachten Werbungskosten und außergewöhnlichen Belastungen besteht zwischen den Verfahrensparteien kein Streit. Die Abgabenbehörde hat im Vorlagebericht die teilweise Stattgabe der Beschwerde unter Anerkennung der näher aufgeführten Ausgaben beantragt.

Auf Frage des Vertreters der Abgabenbehörde in der mündlichen Verhandlung, wann iZm den geltend gemachten Sonderausgaben für Wohnraumschaffung bzw. -sanierung mit den Arbeiten begonnen worden war, gab die Bf an, dass derartige Arbeiten erst 2016 erfolgt seien.

Gemäß § 18 Abs. 1 Z. 3 EStG 1988 können Ausgaben zur Wohnraumschaffung oder -sanierung als Sonderausgaben geltend gemacht werden, wenn mit der tatsächlichen Bauausführung oder Sanierung vor dem begonnen worden ist (lit. b und c leg. cit.) oder der der Zahlung zugrundeliegende Vertrag vor dem abgeschlossen worden ist (lit. a und d leg. cit.). Der dahingehende Einwand des Vertreters der Abgabenbehörde traf insofern zu, als entsprechende Arbeiten tatsächlich erst 2016 begonnen wurden.

Bei den Ausgaben für Wohnraumschaffung oder -sanierung handelt es sich um sog. "Topfsonderausgaben", die nur bis zu einem einheitlichen Höchstbetrag von 2.920 Euro jährlich geltend gemacht werden können. Ein Viertel dieses Betrages ist als Sonderausgaben effektiv abzusetzen ("Sonderausgabenviertel").

Gemäß § 18 Abs. 3 letzter Satz EStG 1988 vermindert sich das Sonderausgabenviertel ab einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 36.400 Euro gleichmäßig in einem solchen Ausmaß, dass sich bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 60.000 Euro ein absetzbarer Betrag in Höhe des Pauschalbetrages iHv € 60,00 nach Abs. 2 leg. cit. ergibt. Dieser Pauschalbetrag steht ohne besonderen Nachweis zu.

Aufgrund der Höhe des Gesamtbetrages der Einkünfte der Bf im Jahr 2016 (siehe dazu unten Pt. V. dieses Erkenntnisses) konnte jedenfalls nur der Pauschalbetrag von 60 Euro als Topfsonderausgaben berücksichtigt werden. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Bf allenfalls aufgrund eines vor dem unterschriebenen Kreditvertrages Sonderausgaben aus dem Titel der Wohnraumschaffung oder -sanierung geltend machen hätte können, konnte daher unterbleiben.

Die - dem Grunde nach jedenfalls zustehenden - Werbungskosten und außergewöhnlichen Belastungen wurden belegmäßig nachgewiesen, weshalb der Beschwerde in diesem Umfang stattzugeben war.

V. Neuberechnung der Einkommensteuer 2016

[...]

Zulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Verfahren war die Grenzgängereigenschaft iSd DBA Deutschland-Österreich einer Spitalsärztin mit über Nacht dauernden Bereitschaftsdiensten und Rufbereitschaften zu beurteilen. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Rechtsfrage fehlt, das gegenständliche Erkenntnis stützt sich ausschließlich auf Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zum DBA Deutschland-Schweiz, weshalb die Revision zuzulassen war.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 16 Abs. 1 Z 4 lit. g EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Art. 15 Abs. 1 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
§ 18 Abs. 1 Z 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Art. 15 Abs. 6 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
§ 18 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Verweise
BFH , I R 67/03
BFH , I R 23/12
BMF-010221/0113-IV/8/2019
Zitiert/besprochen in
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.3100178.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at