Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.03.2021, RV/7104590/2020

Pendlerpauschale bei Verdacht des Finanzamtes auf Fahrgemeinschaft

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7104590/2020-RS1
Fährt ein Arbeitnehmer an einem Teil der Tage allein mit dem Kraftfahrzeug zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und am anderen Teil der Tage im Rahmen einer Fahrgemeinschaft, so steht ihm das Pendlerpauschale im voller Höhe zu.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den RichterRi in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Einkommensteuerbescheid 2018 des Finanzamtes Wien 1/23 vom zu Steuernummer StNr zu Recht erkannt:

A) Gemäß § 279 BAO wird der Beschwerde stattgegeben, und wird der angefochtene Bescheid abgeändert. Die Einkommensteuer für das Jahr 2018 wird mit -1.093,00 Euro festgesetzt. Die Bemessungsgrundlagen hierfür sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

B) Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (abgekürzt: Bf.) machte in seiner Einkommensteuererklärung (Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung) 2018 das Pendlerpauschale in Höhe von 3.672 Euro geltend. Der Arbeitgeber hatte kein Pendlerpauschale bei der Lohnabrechnung berücksichtigt.

Das Finanzamt Wien 1/23 erließ an den Bf. den angefochtenen, mit datierten Einkommensteuerbescheid 2018, mit welchem die Einkommensteuer mit -7,00 Euro (=Gutschrift in Höhe von 7,00 Euro) festgesetzt wurde und in welchem kein Pendlerpauschale berücksichtigt wurde. Dies wurde im Bescheid folgendermaßen begründet: "Da Sie und Ihre Eltern beim selben Arbeitgeber tätig sind, ist davon auszugehen, dass die Fahrten Wohnung-Arbeitsstätte gemeinsam unternommen werden.
Die Pendlerpauschale wurde bei Ihrem Vater zur Gänze berücksichtigt, weshalb die Pendlerpauschale bei Ihnen, auch aufgrund des fehlenden Aufwandes für die Fahrten Wohnung-Arbeitsstätte, nicht berücksichtigt werden konnte."

Gegen diesen Bescheid langte am eine Beschwerde mit folgendem Vorbringen ein: "Pendlerpauschale wurde nicht berücksichtigt. Bitte um Berücksichtigung. Da ich an anderer Abteilung, als meine Mutter arbeite (Abteilung1), kommt es öfters vor, dass ich oder sie früher anfagen oder länger bleiben soll. So können wir nicht mit dem selben Auto fahren."
Zusätzlich wurde der Pendlereuro mit 177,00 € geltend gemacht.

Das Finanzamt Wien 1/23 richtete ein mit datiertes Ergänzungsersuchen an den Bf., mit welchem die Dienstpläne des Jahres 2018 des Bf. und seiner Mutter sowie Unterlagen zum Kraftfahrzeug abverlangt wurden.

Der Bf. reichte eine Bestätigung seines Arbeitgebers ein, nach welcher der Bf. "als Produktionsarbeiter in der Vorbereitung der Abteilung2 beschäftigt ist.
Seine tägliche Arbeitszeit ist von Montag bis Freitag von 6:30 bis 15:00 Uhr."
Weiters reichte er Unterlagen in ungarischer Sprache zu dem Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen ungarAutonummer ein sowie eine Vollmacht auf einem mehrsprachigen Formular, wonach Vater den Bf. ermächtigt, das Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen ungarAutonummer ab zu benutzen.

Das Finanzamt Wien 1/23 erließ an den Bf. eine abweisende, mit datierte Beschwerdevorentscheidung, welche u.a. die Überschrift "EINKOMMENSTEUERBESCHEID 2018" hatte, und welche folgendermaßen begründet wurde: "Sie wurden aufgefordert nicht nur die eigenen Arbeitszeitaufzeichnungen, sondern auch die Arbeitszeitaufzeichnungen Ihrer Mutter vorzulegen, da das Finanzamt ansonsten nicht ausschließen kann, dass eine Fahrgemeinschaft gebildet wurde. Diese Unterlagen sind nicht vorgelegt worden. Die Beschwerde ist daher abzuweisen."

Der Bf. brachte mit Telefax vom Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 2018 vom ein. Dieses Rechtsmittel ist als Vorlageantrag zur Beschwerdevorentscheidung vom (Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde vom durch das Verwaltungsgericht gemäß § 264 Abs. 1 BAO) aufzufassen. Dem Rechtsmittel lag auch eine Bestätigung des Arbeitgebers bei, wonach die Mutter des Bf. "als Bandarbeiterin bei der Produktion3 beschäftigt ist.
Ihre tägliche Arbeitszeit ist von Montag bis Freitag von 6:30 bis 16:00 Uhr."

Das Finanzamt Wien 1/23 legte die Beschwerde samt einem Vorlagebericht am an das Bundesfinanzgericht vor.

Am trat das Finanzamt Österreich gemäß § 323b Abs. 1 BAO an die Stelle des Finanzamtes Wien 1/23.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Laut Bestätigung des Arbeitgebers arbeitet der Bf. als Produktionsarbeiter in der Vorbereitung der Abteilung2 und ist seine Arbeitszeit von Montag bis Freitag 06:30 bis 15:00 Uhr. Folglich absolviert der Bf. an ca. 20 Tagen pro Kalendermonat die Strecken von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück.

Die Arbeitsstätte des Bf. befindet sich laut Lohnzettel/Beitragsgrundlagennachweis (BGN) in AdresseWien.

Die Wohnung des Bf. liegt laut unstrittiger Aktenlage in ***1*** in Ungarn.

Der erste Zug am Morgen von ***1*** nach Wien kommt laut ÖBB-Fahrplan um 6:20 Uhr im Bahnhof Bahnhof1 und um 06:25 Uhr in Bahnhof2 an. Die anschließende Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Bahnhof1 zur Haltestelle ***2***, welche in der Nähe der Arbeitsstätte des Bf. liegt, dauert laut Wiener-Linien-Fahrplanauskunft von 06:25 bis 06:59 Uhr. Alternativ dauert die anschließende Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Bahnhof2 zur Haltestelle ***2*** laut Wiener-Linien-Fahrplanauskunft von 06:35 bis 06:59 Uhr. Somit ist es dem Bf. nicht möglich, rechtzeitig die Arbeitsstätte zu Arbeitsbeginn um 06:30 Uhr zu erreichen, wenn er die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit öffentlichen Verkehrsmitteln absolviert.

Laut ÖAMTC-Routenplaner dauert die Autofahrt von der Wohnung des Bf. bis zur Arbeitsstätte eine Stunde und ist 88,2 km lang.

Die Mutter und der Vater des Bf. sind beim selben Arbeitgeber wie der Bf. tätig. Laut Bestätigung des Arbeitgebers ist die Arbeitszeit der Mutter des Bf. von 06:30 bis 16:00 Uhr; sie ist in einer anderen Abteilung als der Bf. tätig.

Der Bf. und seine Eltern haben denselben Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.

Der Bf. ist an einem Teil der Arbeitstage allein mit dem Kraftfahrzeug zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gefahren und am anderen Teil der Arbeitstage in Fahrgemeinschaft mit seinem Vater und/oder seiner Mutter.

Beweiswürdigung

Zur letztangeführten Sachverhaltsfeststellung: Laut Beschwerdevorbringen "kommt es öfters vor", dass ein Anlass besteht, nicht mit demselben Auto wie Mutter/Vater zu fahren. Dies bedeutet, dass es nicht an allen Tagen so war. Es widerspräche den Erfahrungen des täglichen Lebens, wenn die Möglichkeit der Bildung einer Fahrgemeinschaft aus zwei bis drei Mitgliedern derselben Familie mit derselben Wegstrecke von 176 km pro Tag nie genützt würde.

Die Begründung (Quelle) zur Annahme der anderen Sachverhaltsfeststellungen ist bereits bei der jeweiligen Feststellung angegeben.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt A

Der Bf. hatte Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, und zwar an den Tagen, an denen er allein gefahren ist, die gesamten Fahrtkosten. An jenen Tagen, an denen er mit Vater und/oder Mutter in Fahrgemeinschaft unterwegs war, sind ihm die Hälfte bzw. ein Drittel der jeweiligen Fahrtkosten zuzurechnen.

Der vorliegende Fall ist daher nicht mit demjenigen Fall, welcher zugrundegelegen war und welcher durch das Nichtvorliegen irgendwelcher Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gekennzeichnet war, zu vergleichen.

Gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 steht bei einer Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von mehr als 60 Kilometern ein Pendlerpauschale zu. Der Gesetzeswortlaut enthält keine auf den Fall des Bf. anwendbare Bestimmung, wonach dem Bf. kein Pendlerpauschale oder ein geringeres als das gesetzlich festgelegte Pendlerpauschale zustünde. Vgl. auch Doralt et al., EStG § 16 (Stand ) Tz 116: "Der Anspruch auf das Pendlerpauschale hängt nicht von der Höhe der tatsächlich angefallenen Kosten ab. Das Pendlerpauschale ist keinesfalls mit der Höhe der tatsächlich angefallenen Kosten limitiert (möglicherweise aA Knechtl, )."

§ 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG bestimmt: "Beträgt die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mindestens 20 km und ist die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zumutbar, beträgt das Pendlerpauschale:
… bei mehr als 60 km 2 016 Euro jährlich."

§ 16 Abs. 1 Z 6 lit. d EStG bestimmt: "Ist dem Arbeitnehmer die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Entfernung nicht zumutbar, beträgt das Pendlerpauschale abweichend von lit. c:
… bei mehr als 60 km 3 672 Euro jährlich."

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 lit. a Pendlerverordnung liegt Unzumutbarkeit der Benützung eines Massenbeförderungsmittels vor, wenn zumindest für die Hälfte der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder zwischen Arbeitsstätte und Wohnung kein Massenbeförderungsmittel zur Verfügung steht. Im Falle des Bf. steht für die gesamte Entfernung kein Massenbeförderungsmittel zur Verfügung, welches die rechtzeitige Erreichung der Arbeitsstätte zu Arbeitsbeginn ermöglicht.

Dem Bf. steht daher das Pendlerpauschale gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit. d EStG für eine Entfernung von mehr als 60 km in Höhe von 3.672,00 Euro jährlich zu.

Gemäß § 33 Abs. 5 Z 4 EStG ist der Pendlereuro in Höhe von 2,00 Euro je Kilometer für die einfache Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, d.h. mit 176,40 Euro anzusetzen.

Zu Spruchpunkt B (Revisionzulassung)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wird.

Zur Abzugsfähigkeit des Pendlerpauschales, wenn die tatsächlichen Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geringer als die typischen Fahrtkosten sind, ist nur Rechtsprechung des VwGH hinsichtlich Werkverkehr von Eisenbahnern und hinsichtlich Nichtvorliegen irgendwelcher Fahrtkosten bei Mutterschutz und anschließender Karenz ersichtlich. Zur hier zu lösenden Rechtsfrage, ob im Falle einer Fahrgemeinschaft das Pendlerpauschale nicht oder reduziert zu gewähren ist, ist keine Rechtsprechung des VwGH ersichtlich. Deshalb ist die (ordentliche) Revision an den VwGH zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
Zitiert/besprochen in
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7104590.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at