Der bloße Verweis auf einen neuen Lohnzettel ist kein Wiederaufnahmegrund.
Entscheidungstext
IM Namen der Republik
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Erich Schwaiger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch die mit Zustellvollmacht ausgewiesene Pallauf Meißnitzer Staindl & Partner, Rechtsanwälte, Petersbrunnstraße 13, 5020 Salzburg, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Salzburg-Land (nunmehr Finanzamt Österreich) vom 16. und betreffend die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2013 bis 2015 zu Recht erkannt:
I)
Die Wiederaufnahmebescheide werden aufgehoben.
II)
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerden fallen in die Zuständigkeit des Fachgebietes FE 2 und damit in die Zuteilungsgruppe 7002. Auf Basis der gültigen Geschäftsverteilung wurden sie der Gerichtsabteilung 7013 zur Entscheidung zugewiesen.
Das Finanzamt Österreich trat am an die Stelle des Finanzamtes Salzburg-Land (§ 323b Abs. 1 BAO).
I. Verfahrensgang
Die streitgegenständlichen Bescheide wurden mit 16. und erlassen und mit drei Beschwerden vom bekämpft. Nachdem das Finanzamt (kurz FA) darüber mit Beschwerdevorentscheidungen vom entschieden hatte, beantragte der steuerlich vertretene Beschwerdeführer (kurz Bf.) mit Schriftsatz vom die Vorlage an das Bundesfinanzgericht und regte die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung (vor dem Einzelrichter) an. Das FA legte die Beschwerde mit Vorlagebericht vom vor und beantragte die Abweisung.
Das Bundesfinanzgericht informierte das FA mit Mail vom davon, dass es aus den unten angeführten Gründen beabsichtige, die Wiederaufnahmebescheide aufzuheben und deshalb auf eine mündliche Verhandlung zu verzichten. Das FA nahm dies ohne Gegenargumente zur Kenntnis.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Die Entscheidung des Bundesfinanzgerichts basiert auf folgendem Sachverhalt, der in den Akten der Abgabenbehörde sowie des Gerichtes abgebildet und soweit nicht gesondert angeführt unbestritten ist.
1. Sachverhalt
Der streitgegenständliche Wiederaufnahmebescheid 2013 wurde wie folgt begründet:
"Das Verfahren war gemäß § 303 (1) BAO wiederaufzunehmen, weil dem Finanzamt auf Grund eines berichtigten oder neuen Lohnzettels oder einer (geänderten) Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe etc.) erst nachträglich Umstände bekannt wurden, die im betreffenden Veranlagungszeitraum bereits existent waren und aus denen sich eine geänderte Einkommensteuerfestsetzung ergibt. Zur näheren Begründung wird auf die Begründung des im wiederaufgenommenen Verfahren neu erlassenen Einkommensteuerbescheides verwiesen. Auf die Begründung im Sachbescheid wird verwiesen."
Im Einkommensteuerbescheid 2013 heißt es dazu:
"Durch die nachträgliche Übermittlung eines Lohnzettels des Bundesministeriums für Landesverteidigung ergeben sich neue Tatsachen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens erforderlich machen."
Die Wiederaufnahmebescheide 2014 und 2015 enthalten die folgende Begründung:
"Auf die Begründung im Sachbescheid wird verwiesen.
Wir haben das Verfahren nach § 303 Abs. 1 Bundesabgabenordnung wiederaufgenommen, da es nachträglich eine oder mehrere der folgenden Änderungen gegeben hat:
• Ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt
• Eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe wurde berichtigt oder neu übermittelt.
Die nähere Begründung finden Sie im neuen Einkommensteuerbescheid."
In den Einkommensteuerbescheiden 2014 und 2015 findet sich dazu nur der folgende Satz:
"Durch die nachträgliche Übermittlung eines Lohnzettels des Bundesministeriums für Landesverteidigung ergeben sich neue Tatsachen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens erforderlich machen."
2. Rechtliche Beurteilung
Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann von Amts unter anderem dann wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte (§ 303 Abs. 1 lit. b BAO).
Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften. Neu hervorkommen können als Beweismittel (§ 166 BAO) etwa Urkunden (§ 168 BAO) und Aufzeichnungen (z.B. solche gem. § 124 BAO).
Wiederaufnahmsgründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits existente Tatsachen oder Beweismittel, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe (Verweis auf ; , 96/15/0221). Das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln ist dabei aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen (vgl. Ritz, BAO6, § 303 Tz 21 ff mit unzähligen weiteren Nachweisen).
Nach der Rechtsprechung des VwGH gehört der maßgebliche Wiederaufnahmstatbestand in den Spruch des Bescheides (; , 90/13/0027; , 91/14/0165; , 96/16/0135). Lässt der Spruch für sich allein Zweifel an seinem Inhalt offen, so ist die Begründung als Auslegungsbehelf heranzuziehen. Die Wiederaufnahmsgründe sind in der Begründung anzuführen.
Dies ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil sich nach der Judikatur des VwGH das Bundesfinanzgericht bei der Erledigung einer gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Beschwerde auf keine neuen Wiederaufnahmsgründe stützen kann. Sie hat nur zu beurteilen, ob die von der Abgabenbehörde angeführten Gründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen. "Neue" Wiederaufnahmsgründe können neuerlich zu einer Verfügung der Wiederaufnahme durch die Abgabenbehörde führen. Die fehlende Angabe der Wiederaufnahmsgründe in einem bekämpften Bescheid ist auch in der Beschwerdevorentscheidung nicht nachholbar. Die Begründung von Verfügungen der Wiederaufnahme hat nicht nur die entsprechenden Wiederaufnahmsgründe anzugeben, sondern auch die zeitliche Abfolge des Bekanntwerdens der maßgebenden Tatsachen und Beweismittel darzustellen (vgl. Ritz, BAO6, § 307 Tz 2 ff mit unzähligen weiteren Nachweisen wie auch höchstgerichtlichen Erkenntnissen).
Bei einer amtswegigen Wiederaufnahme wird die Identität der "Sache" iSd § 263 Abs. 1 und § 279 Abs. 1 BAO, über die im angefochtenen Bescheid abgesprochen wurde, durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde als neu hervorgekommen herangezogen wurde. Die Rechtsmittelbehörde kann sich bei der Erledigung gegen die Wiederaufnahme gerichteter Rechtsmittel auf keine neuen Wiederaufnahmegründe stützen. Sie hat lediglich zu beurteilen, ob die von der Abgabenbehörde angeführten Wiederaufnahmegründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme aus anderen Gründen zulässig wäre. Hat das Finanzamt die Wiederaufnahme auf Umstände gestützt, die keinen Wiederaufnahmegrund darstellen, so ist der angefochtene Bescheid im Beschwerdeverfahren ersatzlos aufzuheben, was auch bereits durch Beschwerdevorentscheidung erfolgen kann (vgl. Ritz, SWK 12/2019, 602).
In seinem Erkenntnis , verwies das Bundesfinanzgericht auf (mit weiteren Nachweisen) und die dortigen Ausführungen, wonach ein zum Zeitpunkt des Ergehens des jeweiligen Erstbescheides noch nicht existenter (sondern erst später ausgefertigter) Lohnzettel kein neu hervorgekommenes Beweismittel im Sinne des § 303 BAO (nova reperta) ist, sondern ein nachträglich entstandenes Beweismittel (nova producta), das für sich allein eine Wiederaufnahme nicht rechtfertigt.
Nicht die Übermittlung neuer Lohnzettel als solche, sondern gegebenenfalls erst eine diesen Lohnzetteln zugrundeliegende Tatsache könnte eine Wiederaufnahme der Verfahren rechtfertigen. Den alleinigen Verweis eines Wiederaufnahmebescheides auf einen berichtigten Lohnzettel (auch in Zusammenschau mit den Sachbescheiden) beurteilte das Bundesfinanzgericht wiederholt nicht als hinreichenden Wiederaufnahmegrund.
Der erkennende Einzelrichter schließt sich dieser Beurteilung an.
Hier ist sowohl der Begründung des Wiederaufnahmebescheides wie auch der des Sachbescheides nur zu entnehmen, dass jeweils ein neuer Lohnzettel übermittelt wurde. Diese Dokumente für sich stellen jeweils ein "nova producta" dar, da sie im Zeitpunkt der Erlassung der Bescheide, die das Verfahren bis dahin abschlossen, noch nicht existierten, sondern erst später erstellt wurden. Die Wiederaufnahme kann deshalb nicht auf diese neu produzierten Beweismittel gestützt werden.
Dazu kommt, dass weder diesen Lohnzetteln noch den erwähnten Bescheiden zu entnehmen ist, warum die neuen Lohnzettel übermitteln wurden und welche Zuflüsse sie dokumentieren sollen. Es bleibt nicht nur offen, um welche Zuflüsse es sich handeln soll, sondern auch, wie die Höhe dieser Zuflüsse betraglich ermittelt wurde. Mangels Konkretisierung im Wiederaufnahmebescheid scheidet damit auch die Wiederaufnahme wegen neu hervorgekommener Tatsachen aus.
Den Wiederaufnahmebescheiden fehlt es damit an einer entsprechenden Begründung, woran eine Detailierung in den Beschwerdevorentscheidungen nichts zu ändern vermag. Sie waren deshalb aufzuheben, ohne dass es einer Einlassung auf die sehr umfangreiche Begründung der Beschwerde bedarf. Der Anregung auf mündliche Verhandlung war nicht zu entsprechen, da den Beschwerden stattgegeben wird und dem FA Gelegenheit zur Stellungnahme geboten wurde.
3. Revision
Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen (§ 25a Abs. 1 VwGG).
Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist eine Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 4 B-VG).
Soweit Rechtsfragen für die hier zu klärenden Fragen entscheidungserheblich sind, sind sie durch höchstgerichtliche Rechtsprechung ausreichend geklärt (siehe oben), nicht von grundsätzlicher Bedeutung oder die anzuwendenden Normen sind klar und eindeutig.
Damit liegt hier kein Grund vor, eine Revision zuzulassen.
Salzburg, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.6100583.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at