Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 26.07.2021, RV/7103484/2020

Familienbeihilfe - Eigenantrag einer Unionsbürgerin, die seit Jahren im Inland lebt, studiert und arbeitet

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wolfgang Pavlik, die Richterin MMag. Elisabeth Brunner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Claudia Strohmaier und Erwin Agneter über die Beschwerde der Bf., Adresse, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf vom , betreffend Abweisung des Antrags auf Familienbeihilfe ab März 2016, zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.
Der Bescheid wird insofern abgeändert, als die Familienbeihilfe von Mai 2017 bis September 2020 gewährt wird.
Im Übrigen, somit von März 2016 bis April 2017, wird die Familienbeihilfe nicht gewährt und der Bescheid bleibt insoweit unverändert.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (Bf), geb. am 10/1996, eine kroatische Staatsbürgerin, brachte am persönlich beim Finanzamt (FA) einen Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für sich selbst ab März 2016 (Beginn des Studiums) ein, da sie von ihren Eltern keinen Unterhalt bekomme.

Die Bf ist seit März 2016 an der Universität Wien in der Studienrichtung Transkulturelle Kommunikation, Studienkennzahl A 032 331 351, inskribiert.

Sie ist seit bei der Fa. X. geringfügig beschäftigt.

Am wurde der Bf von der Landesregierung Wien die Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger/-innen und Schweizer Bürger/-innen, Zahl MA35-123456 gemäß Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zur Ausbildung (§ 51 Z. 3) ausgestellt.

Mit Ergänzungsvorhalt vom wurde die Bf vom FA um Vorlage folgender Unterlagen ersucht:

Nachweis, dass kein bzw. für welchen Zeitraum Anspruch auf eine der österr. Familienbeihilfe gleichzusetzenden ausländische Beihilfe bestand/besteht aus Kroatien (deutsche Übersetzung)
Geburtsurkunde
Studienblatt/Studienbuchblatt und Studienerfolgsnachweis ab Familienbeihilfenbeantragung von Ihnen
Einkommensnachweis und Aufstellung Ihrer Lebenshaltungskosten
Nachweis betreffend überwiegender Kostentragung
Zahlungsbelege über Unterhaltszahlungen
Nachweis, dass Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen
Mietvertrag und Einzahlungsbelege.

Die Bf teilte dem FA mit Schreiben vom mit, dass sie Kroatin aus Bosnien und Herzegowina sei und daher keinen Anspruch auf Familienbeihilfe in Kroatien habe, weil sie dort nie einen Hauptwohnsitz gehabt habe. In Kroatien könne man nur Familienbeihilfe bekommen, wenn ein soziales Bedürfnis bestehe, d.h. die Familienbeihilfe könne nicht jeder bekommen.

Das FA könne im System einen Einkommensnachweis finden, da sie länger als zwei Jahre in der gleichen Firma beschäftigt sei und das reiche für sie im Ganzen. Unterkunftskosten habe sie nicht, da sie bei den Freunden aus ihrer Heimat lebe. Die Wohnrechtsvereinbarung auf 5 Jahre befinde sich im Anhang, aber sie sei schon auf der Suche nach neuer Unterkunft, wo sie mit ihrem zukünftigen Ehemann leben könnte, wenn sie ihr Studium abgeschlossen habe.

Sie könne, wie gesagt, mit ihrem Gehalt alle ihre Kosten selbst tragen, weil diese nicht groß seien. Bevor sie nach Wien gekommen sei, habe sie in ihrer Heimat gearbeitet und eine Ersparnis als Unterstützung für die ersten Monate/Jahre in Wien zusammengespart. Deswegen sei sie finanziell komplett unabhängig und ihre Eltern müssten sowohl die Unterhaltskosten als auch andere Kosten nicht finanzieren.

Da sie mit ihrem Studium fast fertig sei, suche sie nach einem Job in ihrer Branche, weil sie hier nach ihrem Studium bleiben werde. Da ihr Freund hier lebe, würden sie in Wien auch bleiben und eine Familie gründen, deswegen könne sie sagen, dass ihr Lebensmittelpunkt absolut hier in Österreich sei.

Sie bitte, die Familienbeihilfe für den eingetragenen Zeitraum bzw. vom bis heute, ihrem Konto zukommen zu lassen.

Im Anhang befänden sich die Geburtsurkunde, das Studienblatt, das Sammelzeugnis, die Wohnrechtsvereinbarung und der Nachweis, dass ihre Eltern ihrem Unterhalt nicht nachkommen.

Das Finanzamt (FA) wies den Antrag mit Bescheid vom ab März 2016 unter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut des § 3 Abs 2 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG 1967) ab.

Nach diesem Gesetzeswortlaut bestehe Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger seien, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), rechtmäßig in Österreich aufhalten. Personen hätten gemäß § 2 Abs 8 FLAG 1967 nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet haben.

Für ausländische Studierende / Schüler in Österreich mit einer Aufenthaltsbewilligung für Ausbildungszwecke gemäß § 8 NAG bestehe kein österreichischer Familienanspruch, da sich diese Personen nur für Ausbildungszwecke vorübergehend in Österreich aufhalten würden.

Die Bf erhob gegen den Abweisungsbescheid fristgerecht Beschwerde (persönliche Überreichung beim FA am ) und brachte, soweit relevant, vor, dass die Behörde auf ihren Antrag automatisch geantwortet habe, ohne ihren Brief vom 6. Mai durchzulesen. Der vom FA erwähnte § 8 NAG beziehe sich nicht auf sie. Sie sei EWR-Bürgerin und für sie sei nur § 9 NAG relevant. Die Anmeldebescheinigung habe sie dem FA schon zugestellt, aber sie werde diese erneut hinzufügen. Sie habe schon in ihrem letzten Brief erklärt, dass sie die Familienbeihilfe in Kroatien nicht erhalten habe. Das Gesetz besage, dass ein Kind die Familienbeihilfe in dem Staat bekommen müsse, wo es lebe und die Schule bzw. die Universität besuche. Alle notwendigen Unterlagen von der Universität habe sie dem FA zusammen mit dem Antrag auf Familienbeihilfe zur Verfügung gestellt. Wie das FA sehen könne, habe jeder, der sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) rechtmäßig in Österreich aufhalte, Anspruch auf Familienbeihilfe, das heiße, dass das FA die nicht österreichischen Studierenden und damit auch nicht sie diskriminieren dürfe.

Gemäß § 2 Abs 8 FLAG 1967 hätten Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt ihrer Lebensinteresses im Bundesgebiet haben. Sie habe in ihrem letzten Brief die wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen nachgewiesen, aber das könne sie gerne auch auf dem Gericht nachweisen, was ihre nächste Instanz sei, wenn das notwendig werde.

Sie bitte, die Familienbeihilfe für den eingetragenen Zeitraum bzw. vom ihrem Konto zukommen zu lassen.

Das FA wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom mit folgender Begründung ab:

"Gemäß § 6 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. a FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. § 2 Abs. 1 lit. b zweiter bis letzter Satz sind anzuwenden.

Gemäß § 3 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG 1967) haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürgerinnen sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürgerinnen sind, besteht gemäß § 3 Abs. 2 FLAG 1967 nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Gemäß § 2 Abs. 8 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) haben Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet haben.

Eine Person hat den Mittelpunkt der Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat. Bei der Beurteilung, ob eine Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet hat, sind nicht so sehr die wirtschaftlichen m Interessen dieser Person, sondern vielmehr die persönlichen Beziehungen dieser Person, die sie zum Bundesgebiet hat, von ausschlaggebender Bedeutung.

Liegt zwar ein Aufenthaltsrecht im Sinne der §§ 8 und 9 NAG vor, wurde aber die Aufenthaltsbewilligung für Ausbildungszwecke erteilt, ist zu prüfen, ob von einem Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich zu sprechen ist.

Grundsätzlich haben Eltern, die den Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich haben und deren haushaltszugehörige Kinder nur vorübergehend für Ausbildungszwecke im Ausland studieren, weiterhin Anspruch auf die volle Familienbeihilfe für diese Kinder. In diesem Fall gilt die Haushaltszugehörigkeit-unabhängig von der Dauer des Studiums-nicht als aufgehoben.

Hält sich dagegen ein Kind deren Familienangehörige nicht ständig in Österreich aufhältig sind, zu Studienzwecken in Österreich auf, besteht für dieses Kind kein Anspruch auf die österreichische Familienbeihilfe.

In Ihrem Fall steht fest, dass ein Aufenthaltstitel für Ausbildungszwecke am erteilt worden ist. Weiters scheint im Zentralen Melderegister seit eine Hauptwohnsitzmeldung in Wien auf. Anfangs haben Sie bei Bekannten gewohnt, nunmehr sind Sie seit Juni 2019 in einem Studentenwohnheim gemeldet.

Da erst seit Jänner 2017 ein Aufenthaltstitel vorliegt, kann folglich für den Zeitraum März bis Dezember 2016 kein Anspruch im Sinne des § 3 Abs. 1 und 2 FLAG 1967 festgestellt werden.

Entsprechend den obigen Ausführungen kann auch trotz Vorliegens eines rechtmäßigen Aufenthalts ein Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich nicht erkannt werden, da die in diversen Schreiben erwähnten Absichtserklärungen bis dato nicht als eingetreten erkennbar sind.

Weiters wird diese Annahme zusätzlich durch den Umzug in ein Studentenwohnheim bestätigt.

Zusammenfassend wird daher festgestellt, dass die Voraussetzungen für einen Familienbeihilfenbezug nicht vorliegen, somit wird spruchgemäß entschieden."

Die Bf brachte am persönlich beim FA folgenden Vorlageantrag ein:

"Am wurde von mir ein Antrag auf Familienbeihilfe gestellt. Zwei Monate später, am 16. April hat das Finanzamt um Ergänzung bzw. um nachträgliche Dokumente ersucht. Alle notwendigen Unterlagen habe ich am 06. Mai abgegeben und dazu habe ich erwähnt, dass ich EWR Bürgerin bin und dass ich keinen Anspruch auf Familienbeihilfe in Kroatien habe, weil ich Hauptwohnsitz in Wien habe. Daneben habe ich ausführlich erklärt, wieso der Anspruch auf Familienbeihilfe mir zu Recht steht. In dieser Erklärung habe ich folgendes erwähnt: dass ich länger als zwei Jahre in gleicher Firma beschäftig bin, dass ich auf der Suche nach neuer Unterkunft bin, wo ich mit meinem Freund leben könnte, dass ich weder Unterkunftskosten noch finanzielle Unterstützung meiner Eltern habe, meine persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen gemäß § 2 Abs. 8 FLAG etc. Danach habe ich am 20. Mai Abweisungsbescheid bekommen mit der folgenden Begründung:

"Für ausländische Studierende / Schüler in Österreich mit einer Aufenthaltsbewilligung für Ausbildungszwecke gemäß § 8 NAG besteht kein österreichischer Familienanspruch, da sich diese Personen nur für Ausbildungszwecke vorübergehend in Österreich aufhalten."

Wie gesagt, ich habe schon erklärt, dass ich Kroatin bin und damit zähle ich als EWR-Bürgerin und deswegen sollten die Finanzamt-Angestellte fähig sein, den Unterschied zwischen § 8 und § 9 zuerkennen. Der Paragraph 9 NAG bezieht sich auf mich, da ich eine Anmeldebescheinigung gemäß § 53 NAG benötige, die ich auch bei der Antragstellung vorgelegt habe. Aus diesem Grund ist § 8 NAG für mich nicht relevant.

Aus diesem Abweisungsbescheid kann ich nur draufkommen, dass sich die Finanzamt-Angestellte im Finanzamt Wien 12/13/14 Purkersdorf (FA08) entweder nicht gut auskennen, wenn sie so eine Verfehlung machen könnten oder sie haben meinen Brief vom 06. Mai gar nicht gelesen, sondern nur "automatisch" geantwortet.

Am 28. Mai musste ich leider wieder eine Beschwerde über Abweisungsbescheid verfassen. Ich habe auf diese Verfehlung das Finanzamt aufmerksam gemacht und ebenfalls auf die europäischen Gesetze hingewiesen, die man auch in Kauf nehmen muss.

Nach 6 Monaten Wartezeit habe ich die Beschwerdevorentscheidung bekommen, wo steht, dass meine Beschwerde als unbegründet abgewiesen wird. Das FA08 begründet, dass ein Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich nicht erkannt ist, besonders wegen meines Umzugs in ein Studentenwohnheim.

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG haben Kinder deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

Da ich weder finanzielle Unterstützung von meinen Eltern habe noch sie mir Unterhalt leisten können, bin ich als Vollwaise mit Nebenerwerb zu bezeichnen.

Gemäß § 3 Abs. 1 Familienlastenausgleichgesetz (FLAG 1967) haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürgerinnen sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Gemäß § 2 Abs. 8 Familienlastenausgleichgesetz (FLAG) haben Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt der Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

Da ich dem Finanzamt meine Anmeldebescheinigung gesendet habe, die mir Berechtigung gibt, mich absolut überall im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, wollte ich dazu erwähnen, dass ich noch Freizügigkeitsbestätigung erworben habe. Damit bin ich wie österreichische Staatsbürger zu behandeln, weil keine Begrenzungen für mich vorgesehen sind, wie z.B. für Drittstaatsangehörige. Noch ein Beweis, dass ich in Österreich gleichgestellt bin, ist die Befreiung von der Studiengebühr. Beispielsweise die Mongolen, Amerikaner, Russen müssen diese Gebühr zahlen, welche ich als Kroatin nicht bezahlen muss, weil ich gleichgestellt bin.

Von meiner Daueraufenthaltsberechtigung ist sinnlos zu reden, da es schon klar ist, dass ich eine EWR Staatsbürgerschaft habe und da ich mich rechtmäßig länger als 4 Jahre in Österreich befinde, davon bin ich fast 3 Jahre ununterbrochen in einem Arbeitsverhältnis. Seit bin ich in Wien angemeldet (Meldezettel) und mit meinem Studium habe ich erst ab März 2016 angefangen was impliziert, dass ich mich erst später für mein Studium entschieden habe bzw. nicht zu Studienzwecken nach Österreich gekommen bin. Leider habe ich damals nicht gewusst, dass ich mich auch in MA-35 anmelden muss, ich dachte, dass mit einer amtlichen Meldebestätigung alles erledigt wurde. Aus diesem Grund habe ich mich erst im Jänner 2017 im MA-35 im 12. Bezirk angemeldet, als ich schon Studentin war, deswegen ist an meiner Anmeldebescheinigung Ausbildung angekreuzt, obwohl man selber entscheiden kann was angekreuzt wird. Eigentlich bin ich im August 2015 nach Wien gekommen, weil ich sowohl Deutsch lernen als auch einen Job finden wollte. Da meine Arbeitssuche erfolglos war, habe ich mich nach 6 Monaten für das Studium entschieden, da für mich dieser Zeitraum ausreichend war, um Deutsch zu verbessern.

In der Begründung vom Finanzamt weiter steht, dass ich bei Bekannten gewohnt habe, nunmehr bin ich seit Juni 2019 in einem Studentenheim gemeldet und trotz Vorliegens eines rechtmäßigen Aufenthalts ein Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich nicht erkannt werden und die Voraussetzungen für einen Familienbeihilfenbezug nicht vorliegen.

In Österreich kann man für guten Freunden sagen, sie sind meine Familie. In meiner Heimat kann man auch umgekehrt für Familie sagen, die sind meine Freunde. Im ersten Brief habe ich erklärt, dass ich bei den Freunden aus meiner Heimat lebe und deswegen habe ich keine Unterkunftskosten. Eigentlich habe ich bei meiner Tante (Schwester meiner Mutter) gelebt, die hier seit 20 Jahren lebt. Sie hat 4 Kinder, die hier aufgewachsen sind und Familienbeihilfe bezogen haben. Das ist noch ein Grund wieso ich Familienbeihilfe bekommen soll, weil ich eigentlich bei meiner Familie (nicht im engeren Sinn) gelebt habe. Da ich mit meinem Freund leben möchte, bin ich ins Studentenheim umgezogen, wo er auch lebt, bis wir eine passende Wohnung für uns finden. Meine Fakultät ist jetzt nur 2 Minuten von meinem Studentenheim entfernt im Vergleich zu meiner letzten Adresse die 50 Minuten entfernt war.

So kann ich mehr Zeit einsparen und schließlich, ein Zimmer im Studentenheim ist billiger als eine Wohnung. Als Selbsterhalterin, die Teilzeit beschäftigt ist, kann ich mir nur das leisten und deswegen fehlt dieses Argument vom Finanzamt auch weg.

Falls man diese Logik folgt, dass man den Anspruch auf Familienbeihilfe durch den Umzug in ein Studentenheim verliert, sollten viele Studenten das Geld zurückzahlen. Beispielsweise ein A.B., der im Klosterneuburg bei Familie lebt, muss jeden Tag nach Wien fahren, weil er an der TU studiert. Um eigene Zeit einsparen zu können, findet er ein Zimmer in Wien. Verliert er dann Anspruch auf Familienbeihilfe oder muss er was zurückzahlen? Die Antwort ist offensichtlich nein.

Ich kenne auch viele Drittstaatsangehörige, die hier zu Studienzwecken sind und ein Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich haben. Sie haben die Familienbeihilfe bekommen, obwohl sie eine Aufenthaltsbewilligung für Ausbildungszwecke haben.

Ein Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich habe ich nachgewiesen, da ich ständig in einem Arbeitsverhältnis bin, d.h. ich muss mindestens 11 Monate wegen der Arbeit in Wien sein. Das impliziert, dass ich mich sowohl ganzes Jahr als auch im Sommer in Wien befinde, außer wenn ich auf Urlaub bin. Steuer zahle ich in Österreich und nicht in Kroatien. Mit meinem Studium bin ich fast fertig und ich strebe nach einem Masterstudium in Österreich. Meine künftigen Pläne beziehen sich auf eine Karriere und weiteres Leben in Österreich, was meine zahlreichen Freunde (die ich hier kennengelernt habe) auch bestätigen können. Persönliche Beziehungen sind klar, da meine Freunde hier leben, meinen Kollegen, meine Familie etc. Mein Freund bzw. mein zukünftiger Ehemann lebt auch hier und wir wollen und wir werden hier weiterleben, weil Österreich unsere neue Heimat ist. Ich bin aus den angeführten Gründen somit von meinem Ursprungsstaat persönlich und wirtschaftlich völlig unabhängig und der Mittelpunkt meinen Lebensinteressen befindet sich auf jeden Fall in Österreich.

Das Angeführte kann ich natürlich durch Vorlage des Sozialversicherungsauszuges und meines Reisepasses bestätigen, sowie weitere erforderliche Unterlagen.

Ob ich in die gesellschaftlich- bzw. ins staatliche Bildungssystem integriert bin, ist von meiner Seite absolut klar, deswegen wollte ich das nicht weiter nachweisen, da aus oben erwähnten Tatsachen, können Sie das auch selbst festlegen. Dazu wollte ich noch erwähnen, dass ich für letztes Semester das Stipendium bekommen habe, aber mit Verringerung um Familienbeihilfebezug. Die Stipendienstelle hat mir weniger ausbezahlt, weil sie davon ausgehen, dass mir die Familienbeihilfe schon ausbezahlt wurde, da alle Voraussetzungen erfüllt sind.

Zusammenfassend kann man nur feststellen, dass die Voraussetzungen für einen Familienbeihilfebezug vorliegen. Schließlich bitte ich Sie, die nicht ausbezahlte Familienbeihilfe vom bzw. vom Jänner 2017 bis heute auf mein Konto zukommen zu lassen. Der angefochtene Abweisungsbescheid vom aus oben genannten Tatsachen sollte aufgehoben werden und meine Beschwerde stattgeben werden."

Die Bf beantragt die Durchführung einer Senatsverhandlung gemäß § 272 BAO.

Im Zuge des Verfahrens wurden von der Bf folgende Unterlagen vorgelegt:

  • Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger/-innen und Schweizer Bürger/-innen, Zahl MA35-123456 gemäß Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zur Ausbildung (§ 51 Z. 3), ausgestellt vom Amt der Wiener Landesregierung, MA 35, am

  • Studienblatt der Universität Wien, Sommersemester 2019
    Demzufolge ist die Bf seit als ordentliche Studierende in der Studienrichtung Transkulturelle Kommunikation UG 2002, Deutsch, Spanisch, A 032 331 351, gemeldet.

  • Studienzeitbestätigung vom (Semester / Semesters: 2016S, 2016W, 2017S, 2017W, 2018S, 2018W)

  • Sammelzeugnis der Universität Wien vom

  • Auszug aus der Geburtsurkunde vom

  • Wohnrechtsvereinbarung, abgeschlossen zwischen Tante-Bf. und der Bf für die Dauer von August 2015 bis August 2020

  • Erklärung der Eltern der Bf, dass ihre Tochter seit April 2015 finanziell unabhängig sei und in diesem Sinne von ihnen keine Unterstützung erhalte

Das FA legte die Beschwerde mit Vorlagebericht vom dem Bundesfinanzgericht vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde, da sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Bf aus verschiedenen Gründen nicht im Inland befinde und auch eine Unterhaltsverpflichtung der Eltern bestanden habe.

Das BFG forderte die Bf mit Vorhalt vom auf, verschiedene Unterlagen und Nachweise vorzulegen.

Die Bf brachte mit Schreiben vom u.a. vor:

- Sie sei im Oktober 2020 24 Jahre alt geworden. Ein Verlängerungstatbestand für den Bezug der Familienbeihilfe liege nicht vor.

- Sie sei im August 2015 nach Wien gekommen. Seither lebe und studiere sie hier.

- Sie habe im WS 2017 an der Universität Wien das Bachelorstudium Transkulkurelle Kommunikation aufgenommen. Dieses hätte sie im WS 2020, somit im 10. Studiensemester, am abschließen können. Sie habe eine ausreichende Anzahl an ECTS Punkten für das 1. Studienjahr erzielt und auch in den darauf folgenden Semestern zielstrebig und erfolgreich studiert. Grundsätzlich bestehe gemäß § 2 Abs 1 lit b FLAG für 8 Semester Anspruch auf die Familienbeihilfe für ein Bachelorstudium mit 6 Semester Mindeststudienzeit. Aufgrund der Corona Pandemie sei jedoch § 2 Abs 9 lit b FLAG geschaffen worden, der eine Verlängerung über die Anspruchsdauer vorsehe. Dementsprechend stehe der Bf die Familienbeihilfe bis inklusive September 2020 zu.

- Im SS 2021 habe die Bf ein aufbauendes Masterstudium an der Universität Wien angeschlossen. Sie habe im Bachelorstudium keinen Studienwechsel vollzogen, es habe lediglich einen Umstieg auf einen neuen Studienplan gegeben.

- Die Bf befinde sich als EU Bürgerin rechtmäßig in Österreich, lebe seit August 2015 in Österreich und habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt seither in Wien. Der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen sei ebenfalls seit August 2015 klar in Österreich. Sie lebe, studiere und arbeite in Österreich. Sie habe in Österreich bereits viele Freund_innen gefunden und soziale Kontakte hier. Daher plane sie auch nach Masterstudienabschluss in Österreich zu bleiben.

- Die Bf sei weiterhin ledig, plane aber, ihren Freund zu heiraten und mit ihm in Österreich das Leben zu verbringen.

- Die Miete im Studentenwohnheim habe ab Juni 2019 bis inklusive September 2020 EUR 320,--gekostet. Seit Oktober 2020 bis inklusive September 2021 koste die Miete EUR 345,--.
- Zu ihrer finanziellen Unabhängigkeit wolle die Bf noch ausführen, dass sie von August 2015 bis kostenfrei bei ihrer Tante gewohnt habe. Ihre zusätzlichen monatlichen Ausgaben von etwa EUR 200,-- habe sie bis März 2017 mit ihren Ersparnissen abgedeckt, danach vollständig mit ihrem Gehalt. Seit April 2017 arbeite sie neben dem Studium und finanziere ihr Leben und Studium seither vollkommen allein durch eigene Einkünfte und Ersparnisse. Darüber hinaus erhielt sie niemals eine ausländische Beihilfe. Von April 2017 bis Dezember 2019 habe sie zu 10 Wochenstunden bei X. gearbeitet und etwa EUR 420,-- netto zuzüglich Urlaubs- und Weihnachtsgeld verdient. Seit Oktober 2019 bis heute arbeite sie Teilzeit bei ABC. GmbH und verdiene etwa EUR 740,-- netto monatlich. Mit sei sie in ein Studentenheim umgezogen und ihre monatlichen Ausgaben hätten sich seither auf etwa EUR 600,-- monatlich belaufen ( EUR 320,-- monatlich für Miete; EUR 15,-- monatlich für Handy; EUR 15,-- monatlich für ein Semesteröffi-Ticket à EUR 75,-- pro Semester und etwa EUR 250,-- für Lebensmittel und sonstiges).

Die Bf übermittelte insgesamt 12 Beilagen zum Nachweis ihrer Angaben.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen

Sachverhalt:

Die am 10/1986 geborene Bf stammt aus Bosnien/Herzegowina und ist kroatische Staatsbürgerin. Sie lebt seit in Wien und hat seit eine Anmeldebescheinigung für EWR-Bürgerinnen gemäß NAG für Ausbildungszwecke.
Die Bf begann ab 03/2016 mit dem Bachelorstudium Transkulturelle Kommunikation Deutsch Spanisch (UG 2002 A-Sprache Bosnisch/Kroatisch/Serbisch) an der Universität Wien. Dieses Studium schloss sie nach 10 Semestern am mit dem akademischen Grad Bachelor of Arts erfolgreich ab. Sie erreichte im ersten Studienabschnitt die erforderlichen ECTS Punkte und betrieb das Studium auch danach zielstrebig. Seit dem Sommersemester 2021 betreibt sie an der Universität Wien das auf dem Bachelorstudium aufbauende Masterstudium Translation Bosnisch/Kroatisch/Serbisch - Deutsch (UA 070 363 331).

Im Jahr 2016 hatte die Bf kein Einkommen.
Im Jahr 2017 war die Bf bei der Fa. X. ab 15.04. mit 10 Wochenstunden beschäftigt (Bezug ca. EUR 400,-- mtl.) und erzielte ein zu versteuerndes Einkommen iHv 2.776,11.
Im Jahr 2018 war die Bf bei der Fa. X. mit 10 Wochenstunden beschäftigt (Bezug ca. EUR 400,-- mtl.) und erzielte ein zu versteuerndes Einkommen iHv 3.803,47.
Im Jahr 2019 war die Bf bei den Firmen X. mit 10 Wochenstunden (Bezug ca. EUR 400,-- mtl.) und ABC. GmbH Teilzeit (Bezug ca. EUR 740,-- mtl.) beschäftigt und erzielte ein zu versteuerndes Einkommen iHv 5.171,51.
Im Jahr 2020 war die Bf bei der Firma ABC. Teilzeit (Bezug ca. EUR 740,-- mtl.) beschäftigt und erzielte ein zu versteuerndes Einkommen iHv 7.287,99.
Von 03/2019 - 08/2019 erhielt die Bf eine Studienbeihilfe iHv EUR 564,00 mtl. Ab 03/2021 erhält die Bf eine Studienbeihilfe ihv EUR 821,00 mtl.

Die Bf wohnte von 08/2015 bis unentgeltlich bei ihrer Tante in Wien. Seit wohnt sie in einem Studentenheim in Wien. Die Miete betrug bis inklusive September 2020 EUR 320,00 monatlich. Von Oktober 2020 bis inklusive September 2021 beträgt die Miete EUR 345,00 monatlich.

Bis inklusive April 2017 trägt die Bf nichts zu ihrem Unterhalt bei und die Eltern leisten den überwiegenden Unterhalt.

Seit Mai 2017 trägt die Bf selbst (zumindest zu einem erheblichen Teil) ihren Unterhalt. Seitdem leisten die Eltern nicht den überwiegenden Unterhalt.

Die Bf hat die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Inland. Sie ist hier integriert und beabsichtigte von Anfang an, dauerhaft in Österreich zu bleiben.

Beweiswürdigung:

Die persönlichen Verhältnisse der Bf sind unstrittig. Als kroatische Staatsbürgerin ist die Bf EWR-Bürgerin.

Die ECTS-Punkte und der Studienerfolg wurden durch entsprechende Bestätigungen der Universität Wien nachgewiesen (im 1. Studienjahr [Sommersemester 2016, Wintersemester 2016 und Sommersemester 2017] erzielte sie 41 ECTS-Punkte, im 2. Studienjahr [Wintersemester 2017 und Sommersemester 2018] erzielte sie 45 ECTS-Punkte, im 3. Studienjahr [Wintersemester 2018 und Sommersemester 2019] erzielte sie 40 ECTS-Punkte und in den letzten 3 Semestern bis zum Studienabschluss [Wintersemester 2019, Sommersemester 2020 und Wintersemester 2020] erzielte sie 54 ECTS-Punkte), ebenso wie der erfolgreiche Abschluss des Bachelorstudiums und das Betreiben des darauf aufbauenden Masterstudiums. Auch der nachgewiesenen Bezug von Studienbeihilfen ist ein Indiz für das zielstrebige Betreiben des Studiums.

Die Anmeldebescheinigung für EWR-Bürgerinnen gemäß NAG für Ausbildungszwecke wurde vorgelegt.

Die Einkommensverhältnisse der Bf sind erwiesen.

Die Wohnverhältnisse der Bf wurden nachgewiesen. Dass die Bf unentgeltlich bei ihrer Tante in Wien wohnte, hat sie nachgewiesen, ebenso wie die die Höhe der Miete im Studentenwohnheim.

Dass die Bf bis inklusive April 2017 nichts zu ihrem Unterhalt beitrug, erhellt sich aus der Tatsache, dass sie bis dahin kein eigenes Einkommen hatte.
Die Bf bringt vor, sie hätte anfangs (nur) monatliche Ausgaben von EUR 200,-- gehabt und diese hätte sie mit ihren Ersparnissen gedeckt. Dazu ist auszuführen, dass ihr unentgeltlich eine Wohnmöglichkeit bei ihrer Tante zur Verfügung gestellt wurde, was jedenfalls auch eine Unterhaltsleistung darstellt, für die die Eltern der Bf auf Grund ihres Verwandtschaftsverhältnisses zur Tante gesorgt haben. Die Verpflegung und Betreuung eines Kindes ist ein wesentlicher Teil der Unterhaltsleistung für nicht selbsterhaltungsfähige Kinder. Dazu kommt, dass monatliche Ausgaben von EUR 200,-- einer Studentin nicht der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechen, es sei denn, die Eltern hätten finanzielle Zuwendungen sei es an die Tante oder an die Bf selbst geleistet. Dazu kommt noch, dass die Ersparnisse der Bf nach der allgemeinen Lebenserfahrung aus (früheren) Zuwendungen der Eltern in Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht stammen, da die Bf als Schülerin kein eigenes Einkommen hatte.
Die Bf war somit bis inklusive April 2017 nicht selbsterhaltungsfähig und konnte zu ihrem Unterhalt nichts beitragen.

Das BFG geht in freier Beweiswürdigung davon aus, dass die Eltern bis dahin den überwiegenden Unterhalt für die Bf geleistet haben, sei es durch Leistungen an die Tante der Bf für die Zurverfügungstellung der unentgeltlichen Wohnmöglichkeit oder durch (allenfalls frühere) finanzielle Zuwendungen an die Bf selbst.

Da die Bf ab geringfügig und später Teilzeit beschäftigt war, ist davon auszugehen, dass sie ab Mai 2017 (Auszahlung des ersten Gehalts) ein eigenes Einkommen hatte und die Eltern seitdem nicht mehr den überwiegenden Unterhalt bezahlten. Die Bf hat glaubhaft vorgebracht, dass sie seit dem Umzug in das Studentenwohnheim im Juni 2019 monatlich ca. EUR 600,-- Ausgaben hatte, welche sie mit ihrem Einkommen und der Studienbeihilfe bestreiten konnte. Auch von Mai 2017 bis zum Umzug in das Studentenwohnheimn ist in freier Beweiswürdigung im Hinblick auf die schlechten Einkommensverhältnisse der Eltern in Bosnien-Herzegowina davon auszugehen, dass die Bf mit ihrem Einkommen von (anfangs) EUR 400,-- ihren Unterhalt bereits überwiegend selbst finanzierte und die Eltern nicht (mehr) den überwiegenden Unterhalt leisteten.

Die Bf hat wiederholt und überzeugend vorgebracht und nachgewiesen, dass sie zu Österreich weitaus engere Beziehungen als zu ihrem Heimatland hat. Sie lebt seit 2015 hier, studiert hier erfolgreich und arbeitet auch hier. Auch ihr Lebenspartner sowie viele Freunde und auch Verwandte (Tante und deren Kinder) halten sich in Wien auf. Die Bf hatte von Anfang an die Absicht, im Inland zu bleiben. Sie ist hier integriert und beherrscht die deutsche Sprache ausgezeichnet.
Schließlich spricht auch der ständige Aufenthalt im Inland von mittlerweile mehr als sechs Jahren und das Betreiben des Masterstudiums nach Abschluss des Bachelorstudiums für die engeren Beziehungen zum Inland.
Daran kann auch die zu Ausbildungszwecken ausgestellte Anmeldebescheinigung nichts ändern, zumal diese im Hinblick auf das für EWR-Bürger bestehende Freizügigkeitsrecht lediglich deklarativ ist und auch ein Aufenthalt nur zu Ausbildungszwecken nach der Judikatur einen Mittelpunkt der Lebensinteressen begründen kann (siehe unten rechtliche Beurteilung).

Rechtliche Beurteilung:

§ 2 Abs 1 FLAG 1967 lautet (auszugsweise):
"Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
...
b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten.
..."

§ 2 Abs. 8 FLAG 1967 lautet:
"Personen haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat."

§ 2 Abs 9 FLAG 1967 lautet (auszugsweise):
"(9) Die Anspruchsdauer nach Abs. 1 lit. b und lit. d bis j verlängert sich im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise, unabhängig von der Dauer der Beeinträchtigung durch diese Krise, nach Maßgabe folgender Bestimmungen:
...
b) für volljährige Kinder, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes genannte Einrichtung besuchen, abweichend von lit. a über die Altersgrenze und die Studiendauer, für die nach Abs. 1 Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, hinaus um ein weiteres Semester oder um ein weiteres Ausbildungsjahr, bei einem vor Erreichung der Altersgrenze begonnenem Studium infolge der COVID-19-Krise,
...
d) für volljährige Kinder, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes genannte Einrichtung besuchen möchten (Abs. 1 lit. d bis g), abweichend von lit. a über die Altersgrenze und die Studiendauer, für die nach Abs. 1 Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, hinaus um ein Semester oder um ein Ausbildungsjahr, wenn zum Zeitpunkt der Erreichung der Altersgrenze der Beginn oder die Fortsetzung des Studiums infolge der COVID-19-Krise nicht möglich ist."

§ 6 Abs 1 FLAG 1967 lautet:
"Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist."

Gemäß § 6 Abs 2 lit a FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.

§ 6 Abs 5 FLAG 1967 normiert:

Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

Gemäß § 3 Abs. 1 FLAG 1967 idgF ab (zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 35/2014) haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, Anspruch auf Familienbeihilfe sofern sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtmäßig in Österreich aufhalten.

§ 53 Abs 1 FLAG 1967 normiert:
"Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hiebei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten."

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Frage, ob für einen bestimmten Zeitraum Familienbeihilfe zusteht, anhand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beurteilen. Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum für die Familienbeihilfe ist, wie sich dies den Regelungen des § 10 Abs 2 und 4 FLAG 1967 entnehmen lässt, der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruches für ein Kind kann somit - je nach dem Eintritt von Änderungen der Sach- und/oder der Rechtslage - von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein (vgl. , ).

Die Bf kann daher bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres (ein Verlängerungstatbestand liegt unstrittig nicht vor) Anspruch auf Familienbeihilfe haben, wenn sie sich in Ausbildung befindet, ihre Eltern ihr nicht den überwiegenden Unterhalt leisten, ihr Mittelpunkt der Lebensinteressen sich im Inland befindet und sie sich rechtmäßig (unter den Bedingungen für EWR-Bürger) im Bundesgebiet aufhält.

Unstrittig ist, dass das zu versteuernde Einkommen der Bf nicht familienbeihilfenschädlich ist (vgl. § 6 Abs 3 FLAG 1967).

Unstrittig ist, dass die Bf den Hauptwohnsitz im Inland hat.

Die Bf beantragt die Familienbeihilfe von März 2016 bis inklusive September 2020 (vgl. Vorhaltsbeantwortung an das ).

Mittelpunkt der Lebensinteressen:

Strittig ist u.a. , ob sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Bf im Inland befindet.

Sachverhaltsmäßig wurde festgestellt, dass die Bf die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Inland hat.

Nach Lehre und Judikatur hat eine Person hat den Mittelpunkt der Lebensinteressen in dem Staat, zu welchem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat. Unter persönlichen sind dabei all jene Beziehungen zu verstehen, die jemand aus in seiner Person liegenden Gründen, auf Grund der Geburt, der Staatszugehörigkeit, des Familienstandes und der Betätigungen religiöser und kultureller Art, mit anderen Worten nach allen Umständen, die den eigentlichen Sinn des Lebens ausmachen, an ein bestimmtes Land binden, während den wirtschaftlichen Beziehungen nur eine weitergehenden Zwecken dienende Funktion zukommt (vgl. ). Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat wiederholt ausgesprochen, dass die stärkste persönliche Beziehung eines Menschen im Regelfall zu dem Ort besteht, an dem er regelmäßig mit seiner Familie lebt, dass also der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer verheirateten Person regelmäßig am Ort des Aufenthaltes ihrerFamilie zu finden sein wird. Diese Annahme setzt im Regelfall voraus, dass ein gemeinsamer Haushalt geführt wird und keine Umstände vorliegen, die ausschlaggebende und stärkere Bindungen zu einem anderen Ort bewirken (vgl. -I/06 unter Berufung auf u.a.).

Im Erkenntnis vom , Ra 2016/15/0008, stellte der VwGH fest, dass für die Beurteilung der Frage, an welchem Ort (in welchem Staat) der Steuerpflichtige die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen habe, auf das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen sei, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gebe (Verweis auf Hofstätter/Reichel, § 1 EStG 1988, Tz 9). Wirtschaftlichen Beziehungen komme dabei in der Regel eine geringere Bedeutung zu als persönlichen Beziehungen. Unter letzteren seien all jene zu verstehen, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbinden würden, an dem er einen Wohnsitz innehabe. Von Bedeutung seien dabei familiäre Bindungen sowie Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art und andere Betätigungen zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen (Verweis auf ), aber auch Verbindungen zu Sachgesamtheiten, wie Privatsammlungen, und die Mitgliedschaft in Vereinen und andere soziale Engagements (vgl. Vogel/Lehner, DBA5 (2008), Art 4 Rn 192). Wirtschaftliche Bindungen würden vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten und von Vermögensgegenständen in Form von Einnahmequellen ausgehen. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen sei durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln. Entscheidend sei letztlich, welcher Vertragsstaat für die Person der bedeutungsvollere sei.

Nach den Durchführungsrichtlinien zum FLAG besteht für ausländische Studierende/Schüler in Österreich mit einer Aufenthaltsbewilligung für Studierende/Schüler bzw. Anmeldebescheinigung für Ausbildung grundsätzlich kein Anspruch auf die österreichische Familienbeihilfe, da sich diese Personen nur für Ausbildungszwecke vorübergehend in Österreich aufhalten und somit keine ausreichende Anbindung an Österreich gegeben ist. Ausnahmen seien nur bei sehr intensiver Anbindung an Österreich möglich.

Dazu hat der VwGH in den Erkenntnissen vom , Zlen. 2009/16/0124 (früher: 2008/15/0158), 2009/16/0104 (früher: 2007/15/0106) zu den abgewiesenen Amtsbeschwerden ausgeführt:

"Gemäß § 2 Abs. 1 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 - FLAG haben Personen unter in dieser Bestimmung näher angeführten Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder.
§ 2 Abs. 8 FLAG lautet: "(8) Personen haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat."
Das beschwerdeführende Finanzamt macht ausschließlich inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend und stützt seine Beschwerde darauf, dass der Mitbeteiligte als Studierender sich nur vorübergehend für Zwecke seines Studiums berechtigt in Österreich aufhalte, der Aufenthalt also von Beginn an begrenzt sei und nur vorübergehenden Charakter habe, wenn sich auch das Studium über mehrere Jahre erstrecken könne. Deshalb hätte der Mitbeteiligte wegen des nur vorübergehenden Aufenthaltes keinen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen im Bundesgebiet. Demgegenüber hat der Verwaltungsgerichtshof etwa in den Erkenntnissen vom , Zl 2008/15/0325, und vom , Zl 2008/13/0218, auf deren Gründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz verwiesen wird, ausgesprochen, dass ein zu Studienzwecken lediglich vorübergehend währender Aufenthalt im Bundesgebiet nicht ausschließt, der Studierende habe den Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich. Ausgehend von dem von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt zeigt die Beschwerde somit eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht auf."

Der VwGH hat wiederholt ausgesprochen, dass der Umstand, dass ein Aufenthalt zu Studienzwecken begrenzt ist, der Beurteilung, der Mittelpunkt der Lebensinteressen liege am Ort des Studiums, nicht entgegen steht (, , ) oder dass der Umstand einer bloß befristeten Aufenthaltsberechtigung unerheblich ist (vgl. , , ).

Im Erkenntnis vom , Ra 2017/16/0031 (zu § 2 Abs 8 FLAG 1967), sprach der VwGH aus, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen auch dann in Österreich liegen könne, wenn die Absicht bestehe, Österreich nach einer gewissen Zeit wieder zu verlassen. Ein Zuzug für immer sei nicht erforderlich.

Es mag zwar in vielen Fällen typisch sein, dass der Lebensmittelpunkt von Studierenden, die sich nur zu Studienzwecken in Österreich aufhalten, weiterhin in ihrem Herkunftsland liegt. Daraus lässt sich aber nicht zwingend ableiten, dass dies in jedem Fall so sein muss, da alle Umstände des Einzelfalles zu betrachten sind.

Im Zweifel ist lediglich ein Vergleich zwischen den Beziehungen zu den in Betracht kommenden Staaten zu ziehen. § 2 Abs 8 FLAG 1967 verlangt nicht, dass die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen ausschließlich Österreich gelten oder gar, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen für immer im Bundesgebiet beibehalten werden muss (vgl. ).

Im Streitfall geht das BFG - basierend auf dem angeführten Sachverhalt und der Judikatur des VwGH - davon aus, dass sich der Lebensmittelpunkt der Bf in Österreich befindet und somit diese Voraussetzung für die Gewährung der Familienbeihilfe gegeben ist.

Es lassen sich keine Umstände erkennen, dass die Bindung an Kroatien stärker ist wie jene an Österreich. Die Bf wohnt, arbeitet und studiert seit April 2015 in Österreich, was allein schon für die Annahme eines Lebensmittelpunktes im Inland ausreichen würde. Darüber hinaus beabsichtigt sie, dauerhaft hier zu bleiben und ist voll integriert. Der formal (durch Selbstankreuzen) zu Ausbildungszwecken ausgestellten Aufenthaltsbescheinigung kommt daher nicht die von der Amtspartei zugemessene Bedeutung zu.

Rechtmäßiger Aufenthalt:

Fremde haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach § 8 oder § 9 NAG rechtmäßig in Österreich aufhalten, sofern nicht der Aufenthalt schon nach dem direkt anzuwendenden Unionsrecht rechtmäßig ist (vgl FLAG Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke [Hrsg] § 3 Rz 145).
Bei der Anknüpfung des § 3 FLAG 1967 an §§ 8 und 9 NAG handelt es sich um eine formale Anknüpfung. Verfügt der Beihilfenwerber, wenn er unter § 3 fällt, jeweils über eine derartige gültige Urkunde, sind die Voraussetzungen gegeben (vgl FLAG Kommentar, § 3 Rz 156ff).

Für Bürger aus Mitgliedstaaten der EU und des EWR oder für Schweizer Bürger kommen die Aufenthaltstitel nach § 9 NAG in Betracht, soweit ein Aufenthaltstitel überhaupt erforderlich ist, während für Bürger aus Drittstaaten oder für Staatenlose die Aufenthaltstitel des§ 8 NAG gelten.

§ 9 NAG lautet:
"(1) Zur Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate werden auf Antrag ausgestellt:
1. eine "Anmeldebescheinigung" (§ 53) für EWR-Bürger, die sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten, ...
(2) Zur Dokumentation des unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts werden auf Antrag ausgestellt:
1. eine "Bescheinigung des Daueraufenthalts" (§ 53a) für EWR-Bürger, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, ...
(3) Inhabern von Anmeldebescheinigungen (Abs. 1 Z 1) oder Bescheinigungen des Daueraufenthalts (Abs. 2 Z 1) kann auf Antrag ein "Lichtbildausweis für EWR-Bürger" mit fünfjähriger Gültigkeitsdauer ausgestellt werden. Der Lichtbildausweis für EWR-Bürger, die Aufenthaltskarte und die Daueraufenthaltskarte gelten als Identitätsdokumente. Form und Inhalt der Anmeldebescheinigung, der Bescheinigung des Daueraufenthalts, des Lichtbildausweises für EWR-Bürger, der Aufenthaltskarte und der Daueraufenthaltskarte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest."

Gemäß § 51 Abs 1 NAG sind "EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich oder ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, sodass sie während ihres Aufenthaltes weder Sozialleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen."

Die Anmeldebescheinigung nach § 51 Abs 1 Z 3 NAG wurde im Jäner 2017 ausgestellt und daher hält sich die Bf jedenfalls schon nach rein innerstaatlichem Recht - über drei Monate hinaus - rechtmäßig im Inland auf. Da die Anmeldebescheinigung lediglich deklarativ ist und die Bf bereits im März 2016 mit der Ausbildung begann, ist davon auszugehen, dass bereits ab diesem Zeitpunkt ein - über drei Monate hinausgehendes - unionsrechtliches Aufenthaltsrecht bestand.

Zu beachten ist auch, dass die Bf als kroatische Staatsbürgerin Unionsbürgerin ist und sich auf vorrangig anzuwendendes EU-Recht berufen kann. Nach der Judikatur des EuGH besteht nämlich ein Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Recht. Unionsrecht ist vorrangig und unmittelbar anzuwenden und verdrängt insofern innerstaatliches Recht.

Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt (Art 20 Abs 1 AEUV). Die Unionsbürger haben die in den Verträgen vorgesehenen Rechte und Pflichten. Die Unionsbürger haben unter anderem das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Art 20 Abs 2 lit a sowie Art 21 Abs 1 AEUV).

"Innerhalb der Union ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet" (Art 45 Abs 1 AEUV). Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind grundsätzlich nach Art 49 AEUV verboten, ebenso grundsätzlich Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs (Art 56 AEUV).

Ein Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht (Art 6 Abs 1 RL 2004/38/EG).

Die Unionsbürger haben u.A. das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Sie brauchen keinen Aufenthaltstitel nach NAG bzw ist dieser nur deklarativ. Die Bf fällt nämlich unter den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/38/EG ("Freizügigkeitsrichtlinie"). Diese Richtlinie betrifft das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Die Bf ist Berechtigte iSd Freizügigkeitsrichtlinie und daher iSd § 53 NAG EWR-Bürgerin, der das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt.

Die Richtlinie ist im ggstdl Fall verbindlich anzuwenden und verdrängt dazu im Widerspruch stehendes innerstaatliches Recht. Nach den Erwägungsgründen dieser Richtlinie erwächst das elementare und persönliche Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, den Unionsbürgern unmittelbar aus dem Vertrag und hängt nicht von der Einhaltung von Verwaltungsvorschriften ab. Dieses Recht gilt jedoch vorbehaltlich der im Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen. Dieses Recht der Unionsbürger soll auch den Familienangehörigen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit gewährt werden. Die Richtlinie 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, regelt dies zusammenfassend. Die darin näher bestimmten Rechte sowie die Einschränkungen werden innerstaatlich im NAG umgesetzt.
Durch das Fremdenrechtspaket 2005 wurden für Unionsbürger und deren Angehörige deklaratorische Dokumentationsformen ihres kraft Gemeinschaftsrechts originär bestehenden Aufenthalts- und Niederlassungs­rechts durch Anmeldebescheinigungen und Daueraufenthaltskarten geschaffen (vgl. ErläutRV Fremdenrechtspaket 2005, NR: XXII. GP RV 952).
Jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, hat das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten (vgl Art 16 Abs 1 RL 2004/38/EG).

Unionsbürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen, benötigen während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts keinen gesonderten Aufenthaltstitel. Halten sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet auf, haben sie nach § 53 NAG spätestens nach Ablauf von drei Monaten - unionsrechtskonform - dies der Behörde anzuzeigen, worüber auf Antrag eine (gebührenpflichtige) Anmeldebescheinigung auszustellen ist.

Für Unionsbürger ist (wie bereits oben ausgeführt) § 9 NAG und (vorrangig) das Unionsrecht maßgebend.

Hier ist nach Punkt 03.01.5 Durchführungsrichtlinien des BMWFJ zum FLAG der Anspruch durch Vorlage der Anmeldebescheinigung (bzw eines Lichtbildausweises für EWR-Bürger oder allenfalls der Daueraufenthaltskarte für Familienangehörige aus Drittstaaten) der rechtmäßige Aufenthalt für den Antragsteller und das Kind (sofern es sich in Österreich aufhält) nachzuweisen, sofern der Anspruch auf die Familienbeihilfe nicht zweifelsfrei wegen einer beruflichen Tätigkeit im Sinne der Verordnung (VO) EG Nr 883/2004 gegeben ist.

Handelt es sich bei diesen Personen um "Neu Zugezogene" (bis rund 5 Jahre nach Einreise) und liegt keine/kein aktuelle Anmeldebescheinigung/Lichtbildausweis/Daueraufenthaltskarte vor, ist für den Anspruch auf die Familienbeihilfe der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet (Antragsteller und Kind) durch Nachweis einer Krankenversicherung und von Existenzmitteln im Hinblick auf das Vorliegen des Mittelpunktes der Lebensinteressen zu prüfen (Punkt 03.01.5 Durchführungsrichtlinien zum FLAG). Dieser Punkt der Durchführungsrichtlinien bezieht sich auf Nichterwerbstätige iSd jeweiligen VO.

§ 3 Abs 1 und 2 FLAG 1967 und die hier normierte Voraussetzung eines rechtmäßigen Aufenthalts sind auch iZm § 53 FLAG 1967 zu sehen. Grundsätzlich sind Staatsangehörige von Vertragsparteien des EWR österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt, vorausgesetzt sie halten sich rechtmäßig in Österreich auf und die entsprechenden unionsrechtlichen Regelungen sind anwendbar.

Im ggstdl Fall ist die Voraussetzung des § 3 FLAG 1967 iVm § 9 NAG in Umsetzung der RL 2004/38/EG schon aus dem Grund erfüllt, da die Bf ein - über den Zeitraum von drei Monaten hianaus - bestehendes Aufenthaltsrecht im Inland durch die Vorlage der Anmeldebescheinigung nachweisen konnte.

Darüber hinaus übt die Bf seit 2017 auch eine berufliche Tätigkeit iSd VO EG Nr 883/2004 aus, sodass auch aus diesem Grund (ausreichendende Existenzmittel, Krankenversicherung etc.) kein Zweifel an der Rechtmäßgkeit des Aufenthalts im Inland bestehen kann.

Anzumerken ist, dass sich das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht im ggstdl Beschwerdefall nicht aus einer nationalen gesetzlichen Berechtigung, sondern kraft unmittelbar anzuwendenden Gemeinschaftsrechts ergibt. Dieses bereits nach Gemeinschaftsrecht bestehende Aufenthalts- und Niederlassungsrecht ist durch besondere Dokumente nachzuweisen, denen aber lediglich deklaratorische Wirkung zukommt und die die Existenz des bestehenden subjektiven Rechts an sich nicht betreffen (vgl )

Unterhalt:
Sachverhaltsmäßig steht fest, dass die Eltern der Bf ihr bis April 2017 überwiegend Unterhalt leisten und ab Mai 2017 nicht mehr, da sie seitdem ihren Unterhalt überwiegend selbst finanziert. Diese im § 6 Abs 5 FLAG 1967 normierte Voraussetzung ist daher seit Mai 2017 gegeben.

Ausbildung:

Sachverhaltsmäßig steht fest, dass die Bf eine in § 3 des Studienförderungsesetzes genannte Einrichtung besuchte. Sie erreichte während ihres Bachelorstudiums die nötigen ECTS-Punkte und studierte ernsthaft und zielstrebig.

Nach den gesetzlichen Bestimmungen verlängert sich bei bei Studienrichtungen ohne Studienabschnitte die vorgesehene Studienzeit um ein Ausbildungsjahr (zulässige Studienzeit ist gesetzliche Studiendauer plus ein Ausbildungsjahr). Nach der Verwaltungspraxis handelt es sich bei einem Bachelor Studium um ein Studium ohne Studienabschnitte. Eine Berufsausbildung ist daher dann anzunehmen, wenn die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr (2 Semester) überschritten wird.

Die Bf begann im Sommersemester (SS) 2016 mit dem sechssemestrigen Bachelorstudium. Die vorgesehene Studienzeit (6 Semester + 2 Toleranzsemester) endete daher mit dem Wintersemester (WS) 2019/20.

Im ggstdl Fall ist auch § 2 Abs 9 FLAG 1967 (Verlängerungstatbestände durch die Covid-Pandemie) zu beachten.

Im ggstdl Fall schloss das idZ maßgebliche SS 2020 an die vorgesehene Studiendauer (Studienzeit + 2 Toleranzsemester) unmittelbar an. Die Covid-19 Krise hatte somit eine Auswirkung auf die Dauer der Berufsausbildung. Es kommt gemäß § 2 Abs 9 FLAG 1967 zu einer Verlängerung um ein weiteres Semester, d.h. bis inklusive SS 2020 (vgl. Einführungsinformation des BM Arbeit, Familie und Jugend zur FLAG Novelle, BGBl. I Nr. 28/2020, Verlängerung des Anspruchs auf Familienbeihilfe bei einer Berufsausbildung/eines Studiums infolge der COVID-19 Krise, Stand ).

Die vorgesehene, für den Bezug der Familienbeihilfe als Ausbildung anspruchsbegründende Studienzeit der Bf endete daher mit Ablauf des September 2020.

Zusammenfassung:

Die Bf hat von Mai 2017 bis inklusive September 2020 Eigenanspruch auf Familienbeihilfe, da sie sich in Ausbildung befindet, ihre Eltern ihr nicht den überwiegenden Unterhalt leisten und sie selbst zu einem erheblichen Teil den Unterhalt trägt, ihr Mittelpunkt der Lebensinteressen sich im Inland befindet und sie sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

Bis inklusive April 2017 leisten die Eltern der Bf ihr den überwiegenden Unterhalt, sodass bis dahin kein Anspruch der Bf auf Familienbeihilfe besteht.

Unzulässigkeit der Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die zu lösenden Rechtsfragen folgen der Judikatur des VwGH, sodass keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 8 NAG, Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I Nr. 100/2005
§ 9 NAG, Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I Nr. 100/2005
Art. 6 Abs. 1 RL 2004/38/EG, ABl. Nr. L 158 vom S. 77
§ 51 Abs. 1 NAG, Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I Nr. 100/2005
Art. 20 Abs. 1 AEUV, ABl. Nr. C 83 vom S. 47
Art. 45 Abs. 1 AEUV, ABl. Nr. C 83 vom S. 47
RL 2004/38/EG, ABl. Nr. L 158 vom S. 77
Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EG, ABl. Nr. L 158 vom S. 77
§ 2 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 8 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 9 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 3 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 6 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 6 Abs. 2 lit. a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 6 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 53 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7103484.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at