Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 02.07.2021, RV/7400138/2014

Zustellmangel

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Silvia Gebhart in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Werner Goeritz, Laudongasse 20/2, 1080 Wien, Rechtsanwalt, über die als Bescheidbeschwerde zu erledigende Berufung vom gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6 Rechnungs- u.Abgabenwesen Dezernat II vom , betreffend Zurückweisung des Antrages auf Aussetzung von der Einhebung von Kommunalsteuer gemäß § 212a BAO, nach Durchführung einer von Amts wegen anberaumten mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

  • Der Bescheidbeschwerde wird Folge gegeben.

  • Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

  • Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführer (Bf) von der belangten Behörde (belBeh) als Geschäftsführer der ***3*** in Liquidation (belBeh) zur Haftung der Kommunalsteuer für die Zeiträume Jänner bis Dezember 2009 mit € 1.095,34 und Jänner 2010 mit € 55,32 samt Nebengebühren zur Haftung herangezogen (im Folgenden: Haftungsbescheid). Nach den Eintragungen am Rückschein war der Haftungsbescheid am durch Übernahme eines Mitbewohners als Ersatzempfänger zugestellt worden. Die gegen den Haftungsbescheid erhobene Berufung wurde von der belBeh mit Berufungsvorentscheidung vom erledigt (idF: BVE); diesem Zustellnachweis zufolge wurde auch die BVE am an denselben Ersatzempfänger zugestellt wie zuvor der Haftungsbescheid.

Mit Schriftsatz vom stellte der Rechtsanwalt namens des Bf den Antrag, der gegen den Haftungsbescheid erhobenen Berufung aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den die belangte Behörde (im Folgenden: belBeh) in einen Antrag auf Aussetzung von der Einhebung gemäß § 212a BAO umdeutete und mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom zurückwies (im Folgenden: Zw-Bescheid). In der Bescheidbegründung wurde ausgeführt, dass die zu Grunde liegende Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom erledigt wurde, die am rechtskräftig worden sei.

In der mit Schriftsatz vom gegen den Zw-Bescheid form- und fristgerecht erhobenen Berufung wurde ein Mangel beim Zustellvorgang der Berufungsvorentscheidung vom eingewandt. Der Bf trug vor, dass ihm die BVE nicht tatsächlich zugegangen sei. Die Berufung gegen den Haftungsbescheid sei demnach noch unerledigt, weshalb das Aussetzungsansuchen nicht hätte zurückgewiesen dürfen. Demgegenüber ging die belBeh von einer rechtskräftigen BVE und damit von Rechtsmäßigkeit des ZW-Bescheides aus und stützte ihre Ansicht auf Aktenmaterial aus dem Haftungsverfahren.

Die Aktenlage zum Zustellvorgang vom ist widersprüchlich:

Einerseits liegt dem Akt ein mit einer Unterschrift versehener Zustellnachweis ein (Bl 5), in dem der Übernehmer als Mitbewohner bezeichnet ist und auf dem als Unterschrift ein Schriftzug mit dem Familiennamen des Bf aufscheint, und andererseits hat der Bf seiner Berufung gegen den ZW-Bescheid eine Verständigungsanzeige (Bl 14) beigelegt, der zufolge er am die Behebung der Sendung versucht habe, die Sendung am Postamt aber nicht auffindbar gewesen sei. Die Post AG teilte der belBeh auf Ersuchen dazu mit, dass die Zustellerein den Bf nach der Hinterlegung getroffen und dieser den Brief übernommen habe. Die Zustellerin habe ihn ersucht, die Hinterlegungsanzeige wegzuwerfen (Bl 16).

Gestützt auf die Aussage der Zustellerin wies die belBeh die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom als unbegründet ab, wogegen mit Schriftsatz vom Vorlageantrag erhoben wurde, mit dem der Zustellvorgang bestritten und die Verletzung des Gehörs gerügt wird, weil dem Bf die Aussage der Zustellerin nicht zur Kenntnis gebracht worden war, denn sonst müsste sich die Unterschrift des Bf auf irgendeinem Schriftstück - zB auf dem Rückschein - finden.

Mit Schriftsatz vom stellte der Bf Antrag auf Zustellung der BVE vom (nachgereichter Verwaltungsakt, Bl 36).

Mit Vorhalt vom (nachgereichter Verwaltungsakt, Bl 37) ersuchte die belBeh den Bf um Auskunft, welche Person den Vorhalt zur Stellungnahme vom und den Haftungsbescheid übernommen habe. Mit Schriftsatz vom teilte der Bf mit, dass die Unterschrift zur Entgegennahme des Vorhalts vom seiner Frau gehöre, die zweite Unterschrift von einer ihm unbekannten Person stamme.

Mit weiterem Vorhalt vom ersuchte die belBeh den Bf um Auskunft, wie er zu dem am von einer unbekannten Person übernommenen Haftungsbescheid gekommen sei bzw wie er davon Kenntnis bekommen habe, da die Berufung gegen diesen rechtzeitig bei der belBel eingelangt sei.

Mit Schriftsatz vom (BFG, Bl 8) hat sich der Bf zum Rückschein vom dahingehend geäußert, dass ihm nicht mehr erinnerlich sei, wie das fragliche Schriftstück in seine Hände gelangt sei. Der Rückschein sei weder vom Bf noch von sonst einer mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Person unterzeichnet worden, die Unterschrift sei dem Bf gänzlich unbekannt. Überdies habe sich der Bf in der Zeit vom bis in stationärem Aufenthalt eines Krankenhauses aufgehalten, worüber die Aufenthaltsbestätigung des Krankenhauses (BFG, Bl 9) vorgelegt wird.

Mit Vorhalt vom wendet sich die belBeh nochmals an die Österreichische Post AG und ersucht um Bekanntgabe, an welchen Herrn NachnameBf (Vorname bzw genaue Beschreibung) die Sendung mit der BVE übergeben worden sei. Nach mehrmaligen Urgenzen wurde der belBeh mit E-Mail vom (ng Verwaltungsakt, Bl 69) der Name der Zustellerin genannt sowie deren Stellungnahme übermittelt.

In ihrer Stellungnahme vom (nachgereichter Verwaltungsakt, Bl 71, 72) versichert die Zustellerin, dass sie Postsendungen immer prozessgetreu zustelle. Das bedeute, dass für den Fall, in dem der Empfänger einer RSb-Sendung nicht angetroffen werde, an eine an der Abgabstelle befindliche mündige Person "ersatzzugestellt" werde. Ein RSa-Brief würde demgegenüber hinterlegt werden. Im Fall des Bf werde in der Regel an dessen Ehefrau und an die Schwiegermutter ersatzzugestellt. Der Name der Schwiegermutter sei ihr aber leider nicht bekannt.

In einem Aktenvermerk vom hielt die Beamtin ***9*** der belBeh aufgrund eines mit der Zustellerin geführten Telefonats fest, dass die Zustellerin bei der schriftlichen Aussage vom bleibe, wonach sie nach Einlegen der Hinterlegungsanzeige den Bf getroffen und ihm den Brief übergeben und ihm gesagt habe, er solle die Hinterlegungsanzeige wegwerfen.

Die Stellungnahme der Zustellerin ist dem Bf mit Schriftsatz vom 22. Septemer 2014 übermittelt worden.

Die Unterschrift des Bf und der Ehefrau ***1*** (im Folgenden: Ehefrau) liegen dem nachgereichten Verwaltungsakt ein (Bf: zB Bl 4, 12; Ehefrau: Bl 3.

Die belBeh hält es für unglaubwürdig, dass im Falle zweier Rückscheine mit demselben Schriftbild im ersten Fall vom eine Sanierung des Zustellmangels erfolgt sein soll und im anderen Fall vom die Sendung den Bf nicht erreicht haben soll, denn im Fall des Rückscheines vom hat der Bf gegen den mit dieser Post zugestellten Haftungsbescheid Berufung erhoben (nachgereichter Verwaltungsakt, Bl 12).

Weiters vertritt die belBeh die Ansicht, dass das Schriftbild der beiden Rückscheine jenem gleicht, das sich auf den Kuverts befindet, mit denen der Bf der belBeh seine Schriftsätze zusendet (nachgereichter Verwaltungsakt Bl 5, 13).

Mit Vorlagebericht vom wurde die Berufung dem Bundesfinanzgericht vorgelegt. Mit E-Mail vom wurde dem Vertreter des Bf seitens des BFG eine Kopie des Rückscheines zur BVE übermittelt. Mit E-Mail vom wird vorgetragen, dass die Unterschrift auf dem Rückschein dem Bf nicht bekannt sei. Die Unterschrift stamme jedenfalls weder vom Bf noch einer im gemeinsamen Haushalt wohnenden Person (Ehefrau und zwei Kinder im Volksschulalter). Allerdings ähnle das Schriftbild frappant einer Unterschrift auf einem anderen Rückschein, der vom (BFG, Bl 10) datiere. Dieser Rückschein sei dem Bf vorgehalten worden und habe er sich hiezu im obigen Sinne geäußert. Der Rückschein vom wird samt Äußerung in der Anlage übermittelt.

Besichtigung des Gebäudes ***8*** am

Im Eingangsbereich des Gebäudes befinden sich die Briefkästen. Zu folgenden Top-Nummern weisen folgende Briefkästen keine Namen, sondern nur die top aus: 1-2,3,4,7,8,9-10,12,13-15,16,18-20,21,22,23.24,25-26,27,28-29,30,31,32,33-34,37. Zur top 39 steht am Briefkasten der Familienname der Schwiegermutter und an der Klingel vor der Eingangstür der Name der Firma ***4***. Das Stiegenhaus ist zum obersten Stock hin, in dem sich die Wohnungen top 36 bis 39 befinden, mit einem Gittertor abgesperrt und wird mit einer Kamera bewacht.

Am fand in 1030 Wien, Hintere Zollamtsstraße 2b, Verhandlungssaal 1, in der Zeit von 8:30 Uhr bis 10:15 Uhr die mündliche Verhandlung statt, zu der die Zustellerin ***Z*** als Zeugin geladen war. Sowohl die Amtspartei als auch der Parteienvertreter haben die Zeugin befragt.

Die Zustellerin sagte aus, dass sie nicht mehr genau sagen könne, ob sich der von ihr in ihren bisherigen Aussage beschriebene Vorgang exakt auf diese konkrete Sendung bezogen habe. Nach ihrem Wissen würden zum Haushalt des Bf, die mit ihm in einer Wohnung gemeinsamen leben, die Gattin und die Schwiegermutter gehören. Wenn Sie den Bf an der Abgabestelle nicht antreffe, aber eine zu seinem Haushalt zugehörige Person zB im Stiegenhaus oder auf der Straße treffe, dann überreiche sie dieser Person die Sendung. Je nachdem, ob sie schon die Hinterlegungsanzeige in den Postkorb eingelegt habe oder nicht, ersuche sie die Person, die Hinterlegungsanzeige zu entfernen.

Wenn sie dem Bf eine behördliche Sendung zuzustellen habe, laufe der Zustellvorgang wie folgt ab: Sie läute über die Gegensprechanlage bei der top 38. Ist eine Person anwesend, werde ihr der Aufzug hinuntergeschickt, sodass sie direkt in den abgesonderten, 4. Stock fahren könne und an der Gittertür nicht vorbei müsse. Der Bf, seine Ehefrau und seine Schwiegermutter hätten ihr dabei schon Zutritt in den 4. Stock gewährt. Die Zeugin schloß dezidiert aus, jemals einer anderen Person als den drei zuvor genannten eine Sendung übergeben zu haben.

Wie die Unterschrift des Bf aussieht, wusste die Zustellerin nicht.

Der Zeugin war nicht bekannt, dass der Bf seiner Schwiegermutter untersagt hätte, RSb-Briefe zu übernehmen. Wenn es Post für die an der top 39 situierte GmbH gegeben habe, habe sie dennoch immer an der top 38 geläutet, weil ihr bekannt gewesen sei, dass der Bf mit dieser GmbH in Verbindung stehe. Deshalb habe sie immer Kontakt über die top 38 gesucht. Ihrer Erinnerung nach spreche die Schwiegermutter des Bf nur sehr schlecht Deutsch. Beim Ausfüllen des Rückscheines habe sie der Schwiegermutter gesagt, wo sie unterschreiben solle. Die Ergänzung "Mitbewohner" habe die Zustellerin am Postamt vorgenommen.

Auf Befragen des Rechtsanwaltes sagte die Zeugin aus, sie habe angenommen, dass die Schwiegermutter an der top 38 wohne, weil sie auf ihr Läuten hin geöffnet habe. Weiters habe sie sie auch schon im Schlafmantel an der top 38 öffnen sehen. Aus diesen Umständen habe sie das geschlossen, Gefragt, ob sie an der top 38 wohne, habe sie die Schwiegermutter nicht.

Auf Befragen der Amtspartei, Frau Mag ***10***, gab die Zeugin an: Wenn sie im 4. Stock mit dem Aufzug angekommen sei, sie es vorgekommen, dass bereits an der Aufzugstür eine Person auf sie gewartet habe. Dann habe sie dieser Person die Sendung übergeben. Dabei habe sie nicht darauf geachtet, welche Wohnungstür eventuell offen gestanden sei. Gelegentlich habe die Schwiegermutter auch im Türstock einer geöffneten Tür auf sie gewartet. In einer Skizze kreuzte die Zeugin für den beschriebenen Fall die top 38 an.

Der Bf gab in der Verhandlung an:

Im 4. Stock des Gebäudes ***8*** befinden sich vier Wohnungen, von denen die top 36 und 37 fremdvermietet seien. Die top 38 sei seine Wohnung und werde ausschließlich von ihm und seiner Familie bewohnt, die top 39 bewohne seine Schwiegermutter. An der top 39 befinde sich darüber hinaus die Firmenadresse der Firma ***4***. Aus technischen Gründen habe die Wohnung keine funktionierende Klingel. Die Zustellerin habe morgens in der Zeit bis 8.30 Uhr die Möglichkeit gehabt, den 4. Stock zu betreten.

Seine Schwiegermutter sei von ihm angewiesen gewesen, keine Rückscheinbriefe zu übernehmen. Sie spreche kaum Deutsch. Er bestritt, dass seine Schwiegermutter jemals Postsendungen für ihn entgegengenommen habe. Gleichzeitig gab er an, nicht ausschließen zu können, dass seine Schwiegermutter, um ihm einen Gefallen zu tun, eventuell doch den einen oder anderen Brief übernommen habe.

Die Handschriften der im vorgelegten Verwaltungsakt einliegenden handbeschriebenen Kuverts weisen die Handschrift des Bf auf.

Auf Befragen den Amtspartei gab der Bf an, er vermute, dass sich seine Schwiegermutter täglich mehrere Stunden in der top 38 abhalte. Die Kinder seien damals in den Kindergarten gegangen, seine Ehefrau habe meist gegen 15 Uhr die Kinder vom Kindergarten abgeholt.

Auch wenn die top 39 keine funktionierende Klingel hatte, habe der Bf der Zustellerin nicht gesagt, dass sie über die top 38 zustellen solle.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Die Berufung ist form- und fristgerecht und überdies berechtigt.

Die Berufung wurde vor dem erhoben und ist gemäß § 323 Abs 38 BAO als Bescheidbeschwerde zu erledigen.

Rechtsgrundlagen

§ 16 Abs 1 Zustellgesetz (ZustG) lautet:

"Kann das Dokument nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält."

Gemäß § 2 Z 4 ZustG bedeutet im Sinne dieses Bundesgesetzes "Abgabestelle": die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder ein vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ort.

Gemäß § 16 Abs 2 ZustG kann Ersatzempfänger jede erwachsene Person sein, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist und die - außer wenn sie mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebt - zur Annahme bereit ist.

Gemäß § 16 Abs 3 ZustG darf durch Organe eines Zustelldienstes an bestimmte Ersatzempfänger nicht oder nur an bestimmte Ersatzempfänger zugestellt werden, wenn der Empfänger dies schriftlich beim Zustelldienst verlangt hat.

Gemäß § 22 Abs 1 ZustG ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) zu beurkunden.

Gemäß § 22 Abs 2 ZustG hat der Übernehmer des Dokuments die Übernahme auf dem Zustellnachweis durch seine Unterschrift unter Beifügung des Datums und, wenn er nicht der Empfänger ist, seines Naheverhältnisses zu diesem zu bestätigen. [...]

Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt gemäß § 7 ZustG die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist.

Sachverhalt

Aufgrund des vorgelegten Verwaltungsaktes idF der Aktennachreichung und des vom BFG ergänzend durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht zum Zustellvorgang der Berufungsvorentscheidung am folgender Sachverhalt fest:

Die Unterschriften auf den Zustellnachweisen zum Haftungsbescheid und zur BVE sind identisch. Ebenfalls übereinstimmend ist in beiden Fällen bei "Mitbewohner" ein Kreuz angebracht. Im Zeitpunkt der Übernahme des Haftungsbescheides am befand sich der Bf in stationärem Krankenhausaufenthalt.

Der Bf hat seiner Schwiegermutter, ***2*** (im Folgenden: Schwiegermutter) keine Postvollmacht nach § 13 Abs 2 ZustG erteilt; vielmehr hat er ihr aufgetragen, nur "normale" Sendungen, aber keine Rückscheinbriefe für ihn zu übernehmen. Der Zustellerin hat er das nicht mitgeteilt. Der Bf hat seine Schwiegermutter nicht als Ersatzempfänger gegenüber der Post ausgeschlossen. Nach Aussage des Bf, spricht die Schwiegermutter "so gut Deutsch wie er Rumänisch", was konkret bedeutet: kaum mehr als fünf Wörter. Das hat die Zustellerin bestätigt. Die Schwiegermutter kümmert sich im Haushalt des Bf um die Blumen und um die Kinder. Dafür hält sie sich mehrere Stunden in der Wohnung des Bf auf. Der Bf betont, dass die Schwiegermutter aber nicht in seiner Wohnung wohnt, sondern ihre eigene Wohnung hat. Die Schwiegermutter schläft eher länger, meist bis gegen 10:00 Uhr, und behält gerne den Morgenmantel an.

Die Ehefrau des Bf arbeitet als Teilzeitkraft beim H&M und ist etwa gegen 15:00 Uhr Zuhause.

Die Unterschriften des Bf und seiner (seit März 2015) geschiedenen Ehefrau sind aktenkundig; die Unterschrift auf dem Rückschein zum Zustellvorgang vom ist von beiden deutlich verschieden. Der Bf kann die Unterschrift auf diesem Rückschein keiner ihm bekannten Person zuordnen. Der Bf hat zu diesem Zustellvorgang eine Verständigungsanzeige in seinem Briefkasten vorgefunden und versucht, die Sendung am beim Postamt zu beheben. Die Sendung war nicht auffindbar. Wie und vom wen er nach seinem Krankenhausaufenthalt den Haftungsbescheid tatsächlich erhalten hat, kann er nicht mehr sagen. Er verweist darauf, dass er im Immobiliengeschäft tätig ist und auch von Grundbuchsgerichten an die ***4-Variante1*** gerichtete Rückscheinbriefe erhalte, die er zumeist beim Postamt behebe. Die BVE vom hat der Bf nach eigenen Angaben jedenfalls nie erhalten.

Im Eingangsbereich des Gebäudes ***8*** befinden sich die Briefkästen. Das Stiegenhaus zum obersten (vierten) Stock ist mit einem Gittertor abgesperrt. Im 4. Stock befinden sich die Wohnungen top 36 bis 39. Die top 36 und 37 sind derzeit fremdvermietet, die top 38 ist die vom Bf und seiner Familie bewohnte Wohnung. Die Bewohner des 4. Stockwerks besitzen einen Aufzugschlüssel mit einer Zugangsberechtigung zu dieser Etage. An der top 38 wohnten zum fraglichen Zeitpunkt der Bf, seine Ehefrau und die gemeinsamen zwei Kinder im Alter von drei und sechs Jahren. Die Angaben stimmen mit den Meldedaten überein. Die Wohnung top 39 wird von der Schwiegermutter des Bf, ***2***, bewohnt; die ***4-Variante1*** hat an dieser Adresse nur eine Postanschrift, die tatsächlichen Geschäftsräume befinden sich (und befanden sich zum fraglichen Zeitpunkt) in ***5***. Diese Adresse ist eine Identadresse mit ***6***. Die Schwiegermutter des Bf spricht kaum Deutsch. Laut Firmenbuch hält sie 5% der Anteile an der ***4-Variante1***. Die Klingel zur top 39 funktioniert bereits seit längerer Zeit nicht. Der Bf hat die Wohnung top 39 seiner Schwiegermutter vermietet. Die Angaben zur Schwiegermutter stimmen mit den Meldedaten überein; die Geschäftsanschrift der ***4-Variante1*** laut Firmenbuch ist ***7***.

Die als Auskunftsperson in der Verhandlung vernommene Zustellerin kann sich an den konkreten Zustellvorgang vom heute nicht mehr genau erinnern. Sie erklärt, dass ihre bisher gemachten Aussagen eher allgemein zu verstehen seien bzw seien ihr diese von ihrem Vorgesetzten vorformuliert worden. Allgemein führt die Zeugin zu Zustellvorgängen an den Bf aus, dass sie in der Regel vor dem Haustor an der Klingel zur top 38 anläutet, da sie die letzte Etage des Hauses nicht betreten kann. Dann wird ihr in der Regel der Aufzug hinuntergeschickt und sie kann bis in den 4. Stock hinauffahren. Sie wird oben entweder direkt an der Aufzugstür erwartet oder die Person (zB Schwiegermutter des Bf) steht in der Wohnungstür zur top 38. Im Falle einer Ersatzzustellung übergibt die Zustellerin das Dokument überall im ganzen Haus und auch auf der Straße. Als Ersatzempfänger für den Bf sieht sie dessen Ehefrau und dessen Schwiegermutter an. Ob die Schwiegermutter an der top 38 gemeinsam mit dem Bf wohnt, hat sie weder die Schwiegermutter noch den Bf dezidiert gefragt. Der Zustellerin war aufgefallen, dass die Schwiegermutter des Bf nur sehr schlecht Deutsch spricht. Aus dem Umstand, dass die Schwiegermutter beim Läuten an der Klingel für die top 38 der Zustellerin Zutritt verschafft und im Schlafrock die Sendungen übernommen hat, hat sie geschlossen, dass sie in dieser Wohnung gemeinsam mit dem Bf wohnt. Das Kreuz für "Mitbewohner" am Rückschein hat die Zustellerin in der Mittagspause am Postamt ausgefüllt. Das macht die Zustellerin in allen Fällen so, weil das ihrer Ansicht nach der Zusteller, und nicht der Übernehmer der Sendung auszufüllen hat. Die Zustellerin weiß, dass die Klingel zur top 39 nicht funktioniert. Sie weiß auch, dass der Bf zur ***4-Variante1*** in "irgendeiner Beziehung" steht. Die Zustellerin läutet daher auch im Fall von an die Fa ***4-Variante1*** gerichtete Postsendungen immer bei der top 38 an.

Beweismittel und Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellung stützt sich auf die dem Verwaltungsakt einliegenden Beweismittel (Meldezettel des Bf, seiner Ehefrau und der Schwiegermutter) und das in der mündlichen Verhandlung durch Zeugeneinvernahme erhobene Beweisergebnis. Die Sachverhaltsfeststellung ist demnach zwischen den Parteien unstrittig und beruht auf folgenden Überlegungen.

Die Abweichung von der ehemals getätigten Auskunft der Zustellerin erscheint glaubhaft. Vielmehr war weniger glaubhaft, dass sich die Zustellerin bei der Menge der von ihr zu besorgenden Zustellungen ganz konkret an einen bereits zwei Jahre zurückliegenden Zustellvorgang im Detail erinnern gekonnt haben soll. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als der Bf als Geschäftsführer der ***4-Variante1*** regelmäßig Postsendungen von Gerichten in Grundbuchsangelegenheiten erhält, sodass von einer Vielzahl gleichgelagerter Zustellvorgänge auszugehen ist. Dieser Umstand ist nicht nur beim Bf, sondern bei der Zustellerin zu berücksichtigen.

Dass die ***4-Variante1*** in ***7***, lediglich eine Postanschrift, jedoch nicht ihre tatsächlichen Geschäftsräume hat, kann aufgrund obiger Sachverhaltsfestellung als erwiesen angenommen werden. Betriebsräume sind an einer Adresse ohne Klingel nach den Erfahrungen des täglichen Lebens nicht anzunehmen, auch wenn im Normalfall als bloße Postanschrift für eine Gesellschaft mbH die Privatwohnung des Geschäftsführers, und nicht die Wohnung der Schwiegermutter, die der deutschen Sprache nicht mächtig ist, verwendet wird.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Zustellnachweise gem § 22 ZustG sind öffentliche Urkunden (Ritz, BAO-Kommentar, 5. überarbeitete Auflage, § 168, Tz 4, mwN). Der Beweis, dass eine Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist, wird durch den eine öffentliche Urkunde darstellenden Zustellnachweis (Rückschein) erbracht, gegen den jedoch gem § 292 Abs 2 ZPO iVm § 168 BAO der Gegenbeweis zulässig ist (vgl ). Urkunden sind echt, wenn sie vom darin angegebenen Aussteller stammen; sie sind richtig, wenn die in ihr beurkundeten Ereignisse mit der Wirklichkeit übereinstimmen (Ritz, BAO-Kommentar, 5. überarbeitete Auflage, § 168, Tz 6, mwN).

Nach den im Zustellnachweis vom enthaltenen Angaben wäre eine Ersatzzustellung erfolgt. Eine Ersatzzustellung ist nur unter den im § 16 Abs 2 ZustG normierten Voraussetzungen zulässig (vgl ; ).

Der Zusteller hat gemäß § 22 Abs 1 ZustG die Zustellung zu beurkunden und der Übernehmer des Dokuments, sofern er nicht der Empfänger ist, ua sein Naheverhältnis zu diesem zu bestätigen. Bei dieser Bestätigung des Naheverhältnisses durch den Ersatzempfänger wird ein Zusteller wohl im Einzelfall helfen dürfen (zB Ersatzempfänger findet Lesebrille nicht), allerdings unter der Voraussetzung, dass er sich von der tatsächlichen Mitbewohnerverhältnissen Gewissheit verschafft hat. Laut Sachverhalt hat die Zustellerin die Schwiegermutter aber nie danach gefragt, ob diese an der Top 38 wohnt, wobei es weiters fraglich ist, ob die Schiegermutter des Bf mangels ausreichender Deutschkenntnisse überhaupt in der Lage gewesen wäre, diese Frage zu verstehen und beantworten. Auch den Bf hat die Zustellerin danach nicht gefragt. Die Zustellerin wusste weiters den Namen der Schwiegermutter nicht und in der Regel trägt eine Schwiegermutter nicht denselben Familiennamen wie ihr Schwiegersohn, sodass es auch aus diesem Grund Anlass zu Fragen durch die Zustellerin gegeben hätte. Aus dem Umstand, dass die Schwiegermutter der Zustellerin regelmäßig im Schlafrock Zutritt zum obersten Geschoß ermöglicht hat und in den meisten Fällen die Tür der Wohnung top 38 geöffnet war, wobei die Zustellerin vielfach an der Aufzugstür die Post übergeben hat, durfte die Zustellerin für sich allein nicht schließen, dass die Schwiegermutter tatsächlich mit dem Bf in dessen Wohnung top 38 wohnt. Bei gegenständlichem Zustellvorgang kommt hinzu, dass die Zustellerin das Dokument einem vermeintlichen Ersatzempfänger nicht an der Abgabestelle, sondern womöglich im Stiegenhaus oder auf der Straße übergeben hat und diesen ersucht hat, die Verständigungsanzeige wegzuwerfen.

Die Voraussetzungen für eine Ersatzzustellung lagen daher nicht vor, der Zustellnachweis vom ist nicht richtig. Unter diesen Umständen hätte die Zustellerin das Dokument gemäß § 17 ZustG hinterlegen müssen. Ist eine Ersatzzustelleung gescheitert, bedarf es zur Klärung der Frage der rechtswirksamen Zustellung eines Bescheides, wenn der Empfänger die Voraussetzungen der Ersatzzustellung ausdrücklich bestritten hat, noch entsprechender Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens und konkreter Feststellungen darüber, wer diesen Bescheid übernommen hat und allenfalls Heilung gemäß § 7 ZustG eingetreten ist (vgl nochmals ; ).

In ***7***, hat die ***4*** laut Sachverhalt lediglich eine Postanschriftadresse. Die Geschäftsräume befinden sich in ***5***. Die dem nachgereichten Verwaltungsakt auf Blatt 5 und 13 einliegenden Kuverts hat der Bf selbst beschriftet. Eine Übernahme des Dokuments durch einen Angestellten der GmbH kommt also nicht in Betracht. Von einer Klärung der Handschriften anhand eines graphologischen Gutachtens hat die belBeh Abstand genommen.

Mit Dr. ***11*** ist der Bf nicht verwandt. Bei dieser Person handelt es sich um einen Geschäftspartner, der an der Abgabestelle des Bf nicht wohnt. Die Geschäftsräume der GmbH befinden sich ja nicht an der ***8***, sondern in ***5***.

Zur von der belangten Behörde in der Verhandlung vertretenen Ansicht, im konkreten Fall müsse durch Augenschein der Wohnung top 39 geklärt werden, ob die Schwiegermutter tatsächlich diese Wohnung oder mit dem Bf und seine Familie gemeinsam die top 38 bewohnt habe, ist zu sagen, dass ein Augenschein einer für Wohnzwecke genutzten Wohnung in einem Rechtsmittelverfahren, dessen Gegenstand der Zustellvorgang eines Haftungsbescheides knapp über € 1.100,00 ist, mangels Verhältnismäßigkeit beim BFG auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt. Darüber hinaus ist bei Auskunftspersonen und Zeugen in fremder Sache ein Augenschein im Rechtssinn des § 182 BAO ausgeschlossen (Ritz, BAO-Kommentar, 6. Auflage, Lindeverlag, § 182, Tz 3a mwN).

Ergebnis:

Da durch das Ermittlungsverfahren keine Person zu Tage gebracht wurde, die als Übernehmer des Dokuments in Betracht kommen könnte, und der Bf behauptet hat, dass ihm die BVE tatsächlich nicht zugekommen ist, ist zum Zustellvorgang der BVE am keine Heilung iSd § 7 ZustG anzunehmen. Somit wurde die Berufungsvorentscheidung nicht rechtswirksam zugestellt.

Zu Spruchpunkt III. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da keine Rechtsfrage im obigen Rechtssinn aufgeworfen wurde, war die ordentliche Revision nicht zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Landesabgaben Wien
betroffene Normen
§ 16 Abs. 1 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
§ 2 Z 4 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
§ 16 Abs. 2 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
§ 16 Abs. 3 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
§ 22 Abs. 1 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
§ 22 Abs. 2 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
§ 7 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7400138.2014

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
OAAAC-28333