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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 06.07.2021, RV/7101461/2021

Haftung, Fristen im Zusammenhang Sonderregelungen aufgrund von Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***R*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Adresse1***, vertreten durch die Djuric & Oberger Wth OG Steuerberatungsgesellschaft, Hietzinger Kai 67/4 über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ehemaligen Finanzamtes Wien 4/5/10 vom betreffend Haftung gemäß §§ 9 und 80 BAO für Abgabenschuldigkeiten der ***X-GmbH*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführer (in der Folge Bf. genannt) gemäß §§ 9 und 80 BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der ***X-GmbH*** in Höhe von insgesamt € 7.837,45 zur Haftung herangezogen.

Diese setzen sich wie folgt zusammen:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Abgabenart
Zeitraum
Höhe in Euro
Grundlage
Dienstgeberbeitrag
12/15
538,66
Meldung
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag
12/15
109,83
Meldung
Säumniszuschlag 11)
2015
105,00
Bescheid vom
Säumniszuschlag 11)
2016
99,71
Bescheid vom
Säumniszuschlag 11)
2016
693,95
Bescheid vom
Säumniszuschlag 11)
2016
111,02
Bescheid vom
Pfändungsgebühr1)
2016
457,63
Bescheid vom
Barauslagenersatz1)
2016
4,10
Bescheid vom
Dienstgeberbeitrag
03/16
674,05
Meldung
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag
03/16
59,92
Meldung
Säumniszuschlag 11)
2016
243,71
Bescheid vom
Stundungszinsen1)
2016
344,25
Bescheid vom
Säumniszuschlag 11)
2016
110,96
Bescheid vom
Dienstgeberbeitrag
05/16
589,62
Meldung
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag
05/16
52,41
Meldung
Säumniszuschlag 11)
2016
281,75
Bescheid vom
Lohnsteuer
06/16
317,93
Meldung
Dienstgeberbeitrag
06/16
500,71
Meldung
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag
06/16
44,51
Meldung
Säumniszuschlag 11)
2015
189,20
Bescheid vom
Lohnsteuer
08/16
114,36
Meldung
Dienstgeberbeitrag
08/16
196,11
Meldung
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag
08/16
17,43
Meldung
Stundungszinsen1)
2016
170,79
Bescheid vom
Lohnsteuer
01/17
127,52
Meldung
Dienstgeberbeitrag
01/17
180,56
Meldung
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag
01/17
17,62
Meldung
Stundungszinsen1)
2017
192,51
Bescheid vom
Dienstgeberbeitrag
04/17
40,53
Meldung
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag
04/17
10,74
Meldung
Lohnsteuer
05/17
33,66
Meldung
Dienstgeberbeitrag
05/17
167,35
Meldung
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag
05/17
16,33
Meldung
Stundungszinsen1)
2017
178,01
Bescheid vom
Dienstgeberbeitrag
06/17
102,50
Meldung
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag
06/17
10,00
Meldung
Pfändungsgebühr1)
2017
296,31
Bescheid vom
Barauslagenersatz1)
2017
4,10
Bescheid vom
Dienstgeberbeitrag
07/17
102,50
Meldung
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag
07/17
10,00
Meldung
Dienstgeberbeitrag
08/17
102,50
Meldung
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag
08/17
10,00
Meldung
Dienstgeberbeitrag
09/17
102,50
Meldung
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag
09/17
10,00
Meldung
Säumniszuschlag 21)
2015
94,60
Bescheid vom
Haftungssumme
7.837,45

1) Bescheide wurden in Kopie beigelegt.

Zur Begründung wurde ausgeführt:

"1. Gemäß § 80 Abs 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen Berufenen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

2. Gemäß § 9 Abs 1 leg.cit. haften die in § 80 Abs 1 leg.cit. erwähnten Personen neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für diese Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

3. Gemäß § 1298 ABGB obliegt dem, der vorgibt, dass er an der Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtung ohne sein Verschulden verhindert war, der Beweis.

4. Aus dem Zusammenhang dieser Bestimmungen ergibt sich, dass der wirksam bestellte Vertreter einer juristischen Person, der die Abgaben der juristischen Person nicht entrichtet hat, für diese Abgaben haftet, wenn sie bei der juristischen Person nicht eingebracht werden können und er nicht beweist, dass die Abgaben ohne sein Verschulden nicht entrichtet werden konnten.

5. Sie waren im Zeitraum von ***Datum1*** bis ***Datum2*** unbestritten handelsrechtlicher Geschäftsführer der GesmbH also einer juristischen Person, und daher zu deren Vertretung berufen. Sie waren somit auch verpflichtet, die Abgaben aus deren Mitteln zu bezahlen.

6. Hinsichtlich der Heranziehung Haftung für ausstehende Lohnsteuer ist festzuhalten, dass gemäß § 78 Abs. 1 EStG der Arbeitgeber die Lohnsteuer des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung einzubehalten hat. Es wäre Ihre Pflicht gewesen, für eine zeitgerechte Lohnsteuerabfuhr Sorge zu tragen. Sie hingegen haben sowohl die Meldung als auch die Abfuhr der angeführten fälligen Lohnsteuerbeträge unterlassen.

7. Es wird in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass der Arbeitgeber gemäß § 78 Abs. 3 leg. cit. für den Fall, dass die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichen, verpflichtet ist, die Lohnsteuer von dem tatsächlichen zur Auszahlung gelangenden, niedrigeren Betrag, zu berechnen, einzubehalten und abzuführen. In der Nichtbeachtung dieser Verpflichtung ist jedenfalls ein schuldhaftes Verhalten zu erblicken.

7. Letztlich wird auf die Bestimmungen des § 7 Abs. 2 BAO verwiesen, wonach sich persönliche Haftungen auch auf Nebenansprüche erstrecken.

8. Durch das abgeschlossene Konkursverfahren ist der Abgabenrückstand bei der Firma uneinbringlich geworden. Die Firma wurde im Firmenbuch bereits wegen Vermögenslosigkeit gelöscht.

9. Die Schuldhaftigkeit ist damit zu begründen, dass durch Ihr pflichtwidriges Verhalten als Vertreter der Gesellschaft, die Uneinbringlichkeit eingetreten ist. Weiters sind Sie Ihrer Verpflichtung, Behauptungen und Beweisanbote trotz ausreichender Gelegenheit zu Ihrer Entlastung nicht nachgekommen, daher war wie im Spruch zu entscheiden"

******

Nach Fristverlängerung brachte der steuerliche Vertreter mit Schriftsatz vom per FAX eine Bescheidbeschwerde ein und führte aus, dass die Begründung per Post nachgereicht werde.

*****

Mit Mängelbehebungsauftrag vom forderte das Finanzamt den Bf. auf, die Begründung zur Beschwerde bis zum nachzureichen.

*****

Mit per FINANZOnline eingebrachtem Antrag vom ersuchte der steuerliche Vertreter um Verlängerung der Frist zur Bearbeitung des Mängelbehebungsauftrages bis wegen Erkrankung eines Mitarbeiters.

******

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Fristverlängerungsantrag ab.

Der Bescheid enthielt eine positive Rechtsmittelbelehrung, nämlich dass innerhalb eines Monats nach Zustellung eine Beschwerde eingebracht werden könne.

*****

Mit Beschwerdevorentscheidung vom erklärte das Finanzamt die Beschwerde gemäß § 85 BAO als zurückgenommen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Bf. dem Auftrag, die Mängel seiner Eingabe (der Beschwerde) zu beheben, nicht entsprochen habe.

*****

Mit Eingabe vom übermittelte der steuerliche Vertreter die Begründung zur Beschwerde vom .

Diese lautet:

"Im Punkt 9. des Bescheides vom wird seitens der Abgabenbehörde behauptet, dass die Schuldhaftigkeit des Geschäftsführers damit zu begründen ist, dass durch sein pflichtwidriges Verhalten die Uneinbringlichkeit eingetreten ist. Weiteres wird angeführt, dass der Geschäftsführer das Gegenteil nicht bewiesen hat. Bei dieser Feststellung handelt es sich um nicht zulässige Verschiebung der Beweislast. Der Beschwerdeführer ist nicht verpflichtet, der Abgabebehörde zu beweisen, dass er nicht schuldig ist, damit er, wie es im Punkt 9 steht, entlastet wird, sondern die Abgabenbehörde muss aufgrund ihrer Ermittlungen und Feststellungen das Verschulden des Abgabenpflichtigen beweisen. Die objektive Beweislast ist Ausfluss der Grundregel des Beweises. Sie liegt für die steuerbegründenden und erhöhenden Tatsachen beim Finanz-/Zollamt (, VwSlg 6143/F). Die Abgabenbehörde trägt die Feststellungslast für alle Tatsachen, die vorliegen müssen, um einen Abgabenanspruch geltend machen zu können (). Zumal es nicht angeht, aus dem "bloßen Misslingen eines Nachweises auf das Erwiesensein des Gegenteils" zu schließen ().

Die Haftung gem. § 9 BAO setzt die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten voraus. Wird eine Abgabe nicht entrichtet, weil liquiden Mittel in der Firma nicht vorhanden waren, so verletzt der Vertreter seine abgabenrechtlichen Pflichten nicht. Der Vertreter muss für die Entrichtung fälliger Abgaben keine Kredite aufnehmen. Aus den beigelegten Bilanzausdrucken ist zu entnehmen, dass die Gesellschaft bei den Banken verschuldet war und es war nicht möglich, eine zusätzliche Finanzierung zu bekommen, um Schulden zu begleichen. Herr ***Bf.***, in seiner Eigenschaft als geschäftsführender Gesellschafter hat sogar per ein passives Gesellschafterverrechnungskonto gehabt, was zusätzlich für sein Bemühen spricht, alle Gläubiger im möglichst großen Ausmaß zu bedienen.

Da die Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten seitens der Abgabenbehörde nicht nachgewiesen werden kann, ersuchen wir um Aufhebung des Haftungsbescheides vom ."

Beigelegt wurde eine Ablichtung der Passiva aus der Bilanz per .

******

Mit Eingabe vom legte die steuerliche Vertreterin namens des Bf. eine "Beschwerde" (Anm.: gemeint wohl Vorlageantrag) gegen die Beschwerdevorentscheidung vom ein. Der Schriftsatz enthält keine Begründung:

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

2.1 Wurde dem Mängelbehebungsauftrag zeitgerecht entsprochen?

2.1.1. Rechtsgrundlagen:

Gemäß § 85 Abs. 2 BAO berechtigen Mängel von Eingaben (Formgebrechen, inhaltliche Mängel, Fehlen einer Unterschrift) die Abgabenbehörde nicht zur Zurückweisung; inhaltliche Mängel liegen nur dann vor, wenn in einer Eingabe gesetzlich geforderte inhaltliche Angaben fehlen. Sie hat dem Einschreiter die Behebung dieser Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, daß die Eingabe nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt; werden die Mängel rechtzeitig behoben, gilt die Eingabe als ursprünglich richtig eingebracht.

Gemäß § 245 Abs. 3 BAO ist die Beschwerdefrist auf Antrag von der Abgabenbehörde aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erforderlichenfalls auch wiederholt, zu verlängern. Durch einen Antrag auf Fristverlängerung wird der Lauf der Beschwerdefrist gehemmt.

Gemäß § 245 Abs. 4 BAO beginnt die Hemmung des Fristenlaufes mit dem Tag der Einbringung des Antrages (Abs. 2 oder 3) und endet mit dem Tag, an dem die Mitteilung (Abs. 2) oder die Entscheidung (Abs. 3) über den Antrag dem Antragsteller zugestellt wird. In den Fällen des Abs. 3 kann jedoch die Hemmung nicht dazu führen, dass die Beschwerdefrist erst nach dem Zeitpunkt, bis zu dem letztmals ihre Verlängerung beantragt wurde, abläuft.

Gemäß § 245 Abs. 5 BAO gelten Abs. 3 und 4 sinngemäß für Anträge auf Verlängerung der Frist des § 85 Abs. 2 bei Mängeln von Beschwerden.

§ 323c BAO lautet:

(1) In anhängigen behördlichen Verfahren der Abgabenbehörden werden alle im ordentlichen Rechtsmittelverfahren (7. Abschnitt Unterabschnitt A) vorgesehenen Fristen, deren fristauslösendes Ereignis in die Zeit nach dem fällt, sowie Fristen, die bis zum 16. März noch nicht abgelaufen sind, bis zum Ablauf des unterbrochen. Sie beginnen mit neu zu laufen.

In Zusammenhang mit dem Mängelbehebungsauftrag geht das BFG von folgendem Sachverhalt aus, der tabellarisch dargestellt wird:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Mängelbehebungsauftrag mit Frist
Antrag auf Verlängerung der Frist bis
Abweisung des Fristverlängerungsansuchens
BVE
Nachreichung der Begründung

Der Antrag auf Verlängerung der Frist zur Behebung des Mangels der Beschwerde, somit zur Nachreichung der Begründung, wurde am letzten Tag der Mängelbehebungsfrist () eingebracht.

Damit wäre dem Bf. aufgrund der Bestimmungen des § 245 Abs. 3, 4 und 5 BAO nur mehr ein Tag zur Behebung des Mangels der Beschwerde zur Verfügung gestanden, nämlich jener, der dem Tag der Zustellung des Bescheides über die Abweisung des Fristverlängerungsansuchens folgt. Dies war der . Demzufolge endete die Mängelbehebungsfrist am Dienstag, dem .

Zu beachten sind jedoch Sonderregelungen aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19, hier § 323c BAO.

Der 7 Abschnitt Unterabschnitt A der BAO umfasst auch § 245 Abs. 3 bis 5 BAO, weshalb diese Bestimmung im vorliegenden Fall zur Anwendung kommt. Die Frist zur Mängelbehebung war am noch nicht abgelaufen und begann daher mit neu zu laufen.

Daraus folgt aber nicht nur, dass die BVE vor Ende der Mängelbehebungsfrist, dem (der war ein Feiertag), erlassen wurde, sondern dass auch mit der am erfolgten Nachreichung der Begründung der Beschwerde dem Mängelbehebungsauftrag fristgerecht entsprochen wurde.

Es war daher über die Beschwerde meritorisch abzusprechen.

2.2 Haftung:

2.2.1. Rechtsgrundlagen:

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nichteingebracht werden können.

Nach § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Gemäß § 7 Abs. 1 BAO werden Personen, die nach Abgabenvorschriften für eine Abgabe haften, durch Geltendmachung dieser Haftung (§ 224 Abs. 1) zu Gesamtschuldnern.

Persönliche Haftungen (Abs. 1) erstrecken sich gemäß § 7 Abs. 2 BAO auch auf Nebenansprüche (§ 3 Abs. 1 und 2).

Die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden gemäß § 224 Abs. 1 BAO durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.

2.2.2. Haftungsvoraussetzungen

- Abgabenforderungen gegen die vertretene Gesellschaft

- erschwerte Einbringlichkeit der Abgabenforderungen

- Stellung des Geschäftsführers als Vertreter

- abgabenrechtliche Pflichtverletzung des Vertreters

- dessen Verschulden an der Pflichtverletzung

- Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit der Abgaben

2.2.2.A. Abgabenforderungen

Eine Überprüfung des Abgabenkontos ergab, dass die im Haftungsbescheid angeführten Verbindlichkeiten unberichtigt aushaften.

Der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht hat, dass die Behörde für den Fall, dass dem Haftungsbescheid ein Abgabenbescheid vorangeht, daran gebunden ist und sich grundsätzlich an diesen Abgabenbescheid zu halten hat (vgl. z.B. ). Durch § 248 BAO ist dem Haftenden eine Beschwerde gegen den Abgabenbescheid eingeräumt, die nach Abschluss des Haftungsverfahrens gesondert zu behandeln gewesen wäre.

Dem Haftungsbescheid wurden die zugrundeliegenden Abgabenbescheide beigelegt. Diesbezüglich besteht Bindungswirkung. Die übrigen haftungsgegenständlichen Abgaben sind Selbstbemessungsabgaben , die von der Primärschuldnerin selbst gemeldet wurden. Am Vorliegen des Abgabenanspruches kann somit kein Zweifel bestehen, zumal vom Bf. auch nicht vorgebracht wurde, dass ihm bei der Berechnung der Abgaben ein Fehler unterlaufen wäre.

2.2.2.B. Uneinbringlichkeit

Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom ***Datum3*** wurde über das Vermögen der Primärschuldnerin der Konkurs eröffnet, der mit Beschluss vom ***Datum4*** nach Schlussverteilung aufgehoben wurde. Die Firma wurde per ***Datum5*** gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit amtswegig gelöscht.

Die haftungsgegenständlichen Abgaben sind daher bei der Primärschuldnerin uneinbringlich.

2.2.2.C. Vertreterstellung

Unbestritten ist, dass der Bf. im Zeitraum ***Datum1*** bis zur Konkurseröffnung (***Datum2***) handelsrechtlicher Geschäftsführer der Primärschuldnerin war und somit - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - zur Haftung gemäß §§ 9 und 80 BAO herangezogen werden kann.

2.2.2.D. Schuldhafte Pflichtverletzung

Gemäß § 1298 ABGB obliegt dem, der vorgibt, dass er an der Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen ohne sein Verschulden verhindert war, der Beweis.

Daraus ist abzuleiten, dass der wirksam bestellte Vertreter einer juristischen Person, der die Abgaben der juristischen Person nicht entrichtet hat, für diese Abgaben haftet, wenn sie bei der juristischen Person nicht eingebracht werden können und er nicht beweist, dass die Abgaben ohne sein Verschulden nicht entrichtet werden konnten.

In der Regel wird nämlich nur der Geschäftsführer jenen ausreichenden Einblick in die Gebarung der Gesellschaft haben, der ihm entsprechende Behauptungen und Nachweise ermöglicht. Außerdem trifft den Haftenden die gleiche Offenlegungs- und Wahrheitspflicht wie den Abgabepflichtigen, sodass er für die Möglichkeit des Nachweises seines pflichtgemäßen Verhaltens vorzusorgen hat.

Im Haftungsverfahren ist es somit Aufgabe des Geschäftsführers darzutun, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Gesellschaft die anfallenden Abgaben entrichtet hat, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf. Hat der Geschäftsführer schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtungen aus den Mittel der Gesellschaft Sorge zu tragen, so hat die Abgabenbehörde auch davonausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit war. Nicht die Abgabenbehörde hat das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen, sondern der zur Haftung herangezogene Geschäftsführer das Fehlen ausreichender Mittel. Der Geschäftsführer haftet für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht ausreichen, es sei denn, er weist nach, dass diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet wurden. Widrigenfalls haftet der Geschäftsführung für die in Haftung gezogenen Abgaben zur Gänze ().

Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz gelten für Abfuhrabgaben wie die Lohnsteuer:

Gemäß § 78 EStG hat der Arbeitgeber, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes ausreichen, die Lohnsteuer vom tatsächlich zur Auszahlung gelangten niedrigeren Betrag zu berechnen und abzuführen.

Etwaige Zahlungsschwierigkeiten, die die Gesellschaft nicht gehindert haben, Löhne zu bezahlen, durften sie auch nicht daran hindern, die darauf entfallende Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen.

Unterlässt die zur Vertretung berufene Person die Abfuhr dennoch, so haftet sie nach den zitierten Bestimmungen der BAO für die Lohnsteuer.

Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich, dass hinsichtlich der haftungsgegenständlichen Lohnnebenkosten () sowie für die weiteren haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten der Gleichbehandlungsgrundsatz zum Tragen kommt.

Bereits aus dem Umstand, dass Löhne ausbezahlt wurden, ergibt sich, dass die GmbH nicht völlig vermögenslos war.

Bei Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erstreckt sich die Haftung des Vertreters nur auf jenen Betrag, um den bei gleichmäßiger Behandlung sämtlicher Gläubiger die Abgabenbehörde mehr erlangt hätte, als sie infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich bekommen hat (zB ; ; ; ).

Dem Vertreter obliegt der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre (zB ; ). Die bloße Behauptung, die (nicht) vorhandenen Mittel seien auf alle Gläubiger gleich aufgeteilt worden, stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () keine ausreichend konkrete, sachbezogene Behauptung dar, die der dem Bf. obliegenden besonderen Behauptungs- und Beweislast genügt. Auch der Umstand, dass der Bf. ein negatives Gesellschafterkonto gehabt hat, gibt keinerlei Nachweis dahingehend, dass der Bf. die vorhandenen liquiden Mittel gleichmäßig auf die Gläubiger verteilt hat.

Ein Gleichbehandlungsnachweis wurde nicht vorgelegt.

Im gegenständlichen Haftungsverfahren hat der Bf. keine triftigen Gründe vorgebracht, aus denen ihm die Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen wäre.

Im Hinblick auf die unterlassene Behauptung und Konkretisierung des Ausmaßes der Unzulänglichkeit der in den Fälligkeitszeitpunkten zur Verfügung gestandenen Mittel zur Erfüllung der vollen Abgabenverbindlichkeiten kommt eine Beschränkung der Haftung des Bf. bloß auf einen Teil der von der Haftung betroffenen Abgabenschulden nicht in Betracht ().

2.2.2.E. Kausalzusammenhang:

Infolge der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Bf. (Nichtentrichtung von Selbstberechnungsabgaben bei deren Fälligkeit, bzw. der bescheidmäßig festzusetzenden Abgaben nach deren Vorschreibung), konnte die Abgabenbehörde nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben war.

2.2.2.F. Ermessen

Nach Lehre und Rechtsprechung ist die Heranziehung zur Haftung in das Ermessen der Abgabenbehörde gestellt, wobei die Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen. Von einer ermessenswidrigen Inanspruchnahme wird vor allem dann gesprochen, wenn die Abgabenschuld vom Hauptschuldner ohne Gefährdung und ohne Schwierigkeit rasch eingebracht werden kann.

Ist eine Einbringlichmachung bei der Primärschuldnerin unzweifelhaft nicht gegeben, kann die Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschuld beim Haftenden von der Abgabenbehörde bei ihren Zweckmäßigkeitsüberlegungen vernachlässigt werden ().

Der Bf. fungierte zu den entscheidungsrelevanten Fälligkeitstagen als alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer, daher konnte nur bei ihm eine Haftungsinanspruchnahme erfolgen.

3. Ergebnis:

Auf Grund des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 BAO erfolgte die Inanspruchnahme des Bf. als Haftungspflichtiger für die im Spruch genannten Abgabenschuldigkeiten der ***X-GmbH*** zu Recht.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt hier nicht vor, die Entscheidung folgt vielmehr der dargestellten Judikatur des Verwaltungsgerichthofes.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 85 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 323c BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7101461.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at