Umsätze von Tanzschulen sind weder nach Unionsrecht (Art. 132 Abs.1 lit. i MwStSystRL) noch nach nationalem Recht (§ 6 Abs. 1 Z 11 UStG 1994) steuerfrei.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, gegen den am ausgefertigten Bescheid der belangten Behörde ***FA***, nunmehr Finanzamt Österreich, betreffend Festsetzung der Umsatzsteuer 01-04/2010 und den am von derselben belangten Behörde ausgefertigten Bescheid betreffend Umsatzsteuer 2010 zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Die belangte Behörde hat mit dem am ausgefertigten Bescheid die Umsatzsteuer 01-04/2010 mit € 21.417,35 festgesetzt. Die Festsetzung erfolgte nach Durchführung einer Außenprüfung betreffend die Umsatzsteuer für diesen Zeitraum, bei der bisher als unecht steuerbefreit erklärte Umsätze in Höhe von € 157.111,50 als steuerpflichtig qualifiziert wurden. Bisher aufgrund der unecht steuerfrei belassenen Erlöse nicht geltend gemachte Vorsteuern in Höhe von € 7.309,95 wurden zum Ansatz gebracht.
2. Die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin hat mit Schreiben vom das Rechtsmittel der Berufung gegen den am ausgefertigten Bescheid betreffend die Festsetzung der Umsatzsteuer für 01-04/2010 erhoben. Gemäß § 253 BAO gilt die Berufung auch als gegen den an die Stelle des angefochtenen Bescheides tretenden, am 19. September ausgefertigten Umsatzsteuerbescheid 2010 (Punkt 3.) gerichtet.
3. Nach Durchführung einer weiteren Außenprüfung betreffend die Umsatzsteuer für das gesamte Jahr 2010 hat die belangte Behörde am den Umsatzsteuerbescheid 2010 ausgefertigt und die Steuer für dieses Jahr mit € 57.632,37 festgesetzt. Dabei wurden, abweichend von der Steuererklärung, einerseits Umsätze in Höhe von € 412.359,15 als steuerpflichtig behandelt, andererseits bisher nicht abgezogene Vorsteuern in Höhe von € 19.945,89 zum Ansatz gebracht. Der Bericht vom über das Ergebnis der Außenprüfung führt begründend aus, gemäß § 6 Abs. 1 Z 11 lit. a UStG 1994 seien Umsätze von privaten Schulen und anderen allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtungen, soweit es sich um die Vermittlung von Kenntnissen allgemeinbildender oder berufsbildender Art oder der Berufsausübung dienenden Fertigkeiten handle und nachgewiesen werden könne, dass eine den öffentlichen Schulen vergleichbare Tätigkeit ausgeübt werde, von der Umsatzsteuer befreit. Weiters seien Umsätze von Privatlehrern an öffentlichen Schulen und Schulen im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 11 lit. a UStG 1994 befreit. Unter einer allgemein bildenden oder berufsbildenden Einrichtung sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein schulähnlicher Betrieb anzusehen, der über die organisatorische Voraussetzung verfüge, um laufend gegenüber einer größeren Anzahl von Interesssenten eine Tätigkeit im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 1 lit. a UStG 1994 auszuüben. Maßstab für die Vergleichbarkeit mit öffentlichen Schulen sei primär der Lehrstoff. Der in der Privatschule oder anderen allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtungen vorgetragene Lehrstoff müsse auch dem Umfang und dem Lehrziel nach annähernd dem von öffentlichen Schulen Gebotenen entsprechen. Die Übereinstimmung im Lehrstoff dürfe sich nicht bloß auf einen untergeordneten Teil oder einzelne Gegenstände beschränken. Die Beschwerdeführerin biete im Rahmen ihres Einzelunternehmens Tanzunterricht für Personen jeder Altersklasse an, vom Anfänger bis zum professionellen Turniertänzer. Angeboten würden Kurse für klassische Standardtänze und lateinamerikanische Tänze. Die Teilnehmer würden von der Beschwerdeführerin und ihrem Ehepartner sowie von verschiedenen Tanzlehrern unterrichtet. Die Kursdauer betrage je nach Kurs zwischen 7 und 12 Wochen und bilde jeweils eine abgeschlossene Einheit. Die Steuerfreiheit der Tanzumsätze werde damit begründet, dass der abgehaltene Unterricht in den Bereich eines Unterrichtsfaches, welches für gewöhnlich an Schulen oder Hochschulen gelehrt werde, falle und sich auch die organisatorischen Voraussetzungen nicht von der Organisation eines Schulbetriebs einer Volks-, Haupt- oder höheren Schule unterscheide. Nach Ansicht der Betriebsprüfung seien die Umsätze einer Tanzschule nicht steuerbefreit, da nur Umsätze, die mit der Vermittlung von Kenntnissen allgemeinbildender oder berufsbildender Art deren Umfang und Lehrziel annähernd den von öffentlichen Schulen entspreche, unter die Steuerbefreiung fielen. Beim Besuch einer Tanzschule komme es zur Vermittlung von Fertigkeiten, die im gesellschaftlichen Umgang nützlich seien. Der Umfang des Lehrstoffes müsse annähernd dem einer öffentlichen Schule entsprechen. Dies sei bei einer Tanzschule nicht gegeben, da die Übereinstimmung sich nur auf einen Teil des Lehrplanes im Fach Leibesübung erstrecke.
4. Gegen den Umsatzsteuerbescheid 2010 hat die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom das Rechtsmittel der Berufung erhoben.
4.1. Die Beschwerdeführerin betreibe als Einzelunternehmerin eine Tanzschule in ***Ort1***. Die Tanzschule biete Tanzunterricht für Kinder ab 6 Jahren, für Jugendliche, Erwachsene und Senioren an. Dieser Tanzunterricht falle in den Bereich eines Unterrichtsfaches, welches für gewöhnlich an öffentlichen Schulen oder Hochschulen gelehrt werde. Die Lehrpläne für Leibesübungen der Volksschulen für die 1. und 2. Schulstufe sowie die 3. und 4.Schulstufe würden auf das Tanzen verweisen. Der Lehrplan für die Hauptschulen (1. bis 4. Klasse) enthalte das "Umsetzen von Musik und Rhythmus in Bewegung und Tanz". Auch der Lehrplan für Leibesübungen ab der 9. Schulstuft widme sich zentral dem Thema Tanzen. Hauptschulen oder Gymnasien mit sportlichem Schwerpunkt würden besondere Kenntnisse im Tanz bereits bei deren Aufnahmeprüfung verlangen. Die Aufnahmeprüfung in das ***Ort1*** Sportgymnasium Reithmannstraße beinhalte in zwei von zehn Prüfungsthemen Rhythmus und Tanz. Die erste Klasse dieser Schule beschäftige sich schwerpunktmäßig mit Tanzen, um die Koordinationsfähigkeit des jungen Körpers zu verbessern. Die berufliche Perspektiven für Absolventen des ***A***-Sportgymnasiums würden in deren Homepage wie folgt umschrieben: "Erfahrungen in kreativen Bereichen helfen bei einem eventuellen Einstieg in die Welt des Schauspiels, Theater oder Tanzes." Eine Untersuchung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur aus dem Jahr 2001 zum Thema "Zur Situation der unverbindlichen Übungen mitbewegungserziehlichem Schwerpunkt an österreichischen Schulen" zeige eine hohe Akzeptanz der Schüler (besonders der Schülerinnen) für die an vielen Schulen als unverbindliche Übung angebotenen Unterrichtseinheiten "Tanz/Rhythmik". Bei den Mädchen liege dieses Fach an vierter Stelle in der Beliebtheitsskala. An Universitäten spiele der Tanzunterricht eine wesentliche Rolle in jenen Studienrichtungen, die der Musikausbildung oder der Sportausbildung nahe stünden. Die Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien oder die Universität Mozarteum in Salzburg seien beste Beispiele für Hochschulen, an denen Tanzen in verschiedensten Ausprägungen gelehrt werde. Die Ergänzungsprüfung für beginnende Studentinnen am Institut für Sportwissenschaften der Universität ***Ort1*** umfasse in einer von fünf Kategorien den Bereich "Gymnastik - Tanz". Der dort lehrende Univ. Ass. Dr. ***B*** betone in seiner Internet Vorstellung seine Zusatzqualifikation Tanzpädagogik und Tanztherapie und biete Lehrveranstaltungen "Weiterführende Gymnastik und Tanz" an. Tanzen sei auch zentraler Lehr- und Forschungsschwerpunkt, wie ein Blick auf seine im Internet ersichtliche umfangreiche Publikationsliste verrate. Als Zwischenergebnis werde daher festgehalten, dass Tanzunterricht an allen öffentlichen Schulen Österreichs von der ersten Klasse Volksschule bis hin zur Maturaklasse angeboten werde. Manche Studien an Universitäten (Musik, Sport) würden sich ebenfalls der Tanzausbildung widmen.
4.2. In der Tanzschule der Beschwerdeführerin würden je nach Alter und Können der Kursteilnehmer entweder rein spielerisch Grundformen des Tanzens erarbeitet oder nach einem vom Verband der Tanzlehrer Österreichs erarbeiteten Lehrplan Gesellschaftstänze erlernt. Zur Vertiefung des in den Grundkursen Erlernten würden weiterführende Kurse angeboten. Die Kursteilnehmer könnten in jeweils aufeinander aufbauenden Unterrichtseinheiten ihre Tanzkenntnisse stets verbessern. Ganz ähnlich wie die aufsteigenden Schulklassen seien die von der Beschwerdeführerin durchgeführten Tanzkurse so aufgebaut, dass der Einstieg in den nächsten Kurs nur nach erfolgreichem Abschluss des jeweils vorangegangenen Kurses möglich sei: Grundkurs=> Fortgeschrittenenkurs=>Bronzekurs (Abschluss mit Prüfung zur bronzenen Nadel) => Silberkurs (Abschluss mit Prüfung zur silbernen Nadel) => Goldkurs 1 => Goldkurs 2 (Abschluss mit Prüfung zur goldenen Nadel mit Diplom). Inhalt des Tanzunterrichts in der Tanzschule der Beschwerdeführerin sei die vom World Dance and Dance Sport Council als verbindlich benannten zwölf Tänze: Langsamer Walzer, Wiener Walzer, Foxtrott, Tango, Slow-Fox, Rumba, Cha-Cha-Cha, Samba, Paso-Doble, Jive, Disco-Fox und Rock´n´Roll. Für jeden der genannten Tänze würden im Tanzunterricht die Kenntnis der jeweiligen Schrittfolgen, die richtige Tanzhaltung und das Einhalten der Verkehrsregeln auf der Tanzfläche vermittelt. Für besonders Begabte oder Interessierte würden (ähnlich wie an Schulen die unverbindlichen Übungen) Spezialkurse für aktuelle Modetänze (Salsa, Merenge, Tango Argentino usw.) oder Jazz Dance angeboten. Gerade im Vergleich zwischen dem Lehrplan Leibesübungen Oberstufe und dem Lehrangebot der Tanzschule sei die große Übereinstimmung offensichtlich: österreichische und andere nationale Volkstänze, Grundformen des Jazztanzes, zeitgemäße Gesellschaftstänze würden sowohl ab der 9. Schulstufe als auch in der Tanzschule unterrichtet. Diese Übereinstimmung im Lehrinhalt sei nahezu deckungsgleich.
4.3. Die organisatorischen Voraussetzungen der Tanzschule würden sich in keiner Art und Weise von der Organisation des Schulbetriebs einer Volks-, Haupt- oder Höheren Schule unterscheiden. Die Tanzschule verfüge über drei eigene langfristig angemietete Tanzsäle im gesamten Stadtgebiet von ***Ort1*** sowie der jeweils vor Ort erforderlichen technischen Infrastruktur (Musikanlage mit Funkmikrofon und CD-Sammlung), einer kleinen Bar für Erfrischungsgetränke sowie Sanitäranlagen. Das Bildungsprogramm der Tanzschule werde jährlich neu konzipiert und sei für das gesamte Winter- und Sommersemester lange im Vorhinein fixiert. Außer bei den Spezialkursen seien auch im mehrjährigen Betrachtungszeitraum keine großen Veränderungen im Lehrveranstaltungsangebot festzustellen. Die Tanzschule beschäftige teilweise als Angestellte, teilweise als freie Mitarbeiter ausreichend Tanzlehrer nach Art eines festen Lehrkörpers. Die Beschwerdeführerin sei selbst aktiv am Unterricht beteiligt. Das Sekretariat der Tanzschule sei (außer in den Sommermonaten) montags bis freitags jeweils von 10 bis 12 Uhr und von 16 bis 18 Uhr geöffnet. Die Tanzschule der Beschwerdeführerin sei somit eindeutig in der Lage, laufend gegenüber einer größeren Anzahl von Interessenten die Unterrichtstätigkeit auszuüben. Sie erfülle in ihrer Tätigkeit sämtliche vom VwGH in seiner Erkenntnis 87/15/0139 vom postulierten Bedingungen. Bei Durchsicht der beispielhaften Aufzählung der Nichtanwendbarkeit der Steuerbefreiung in Rz 878 UStR falle auf, dass der letzte Teilpunkt der einzige sei, der nicht durch höchstgerichtliche Entscheidung abgesichert, allerdings von der belangten Behörde auf den gegenständlichen Fall angewendet werde. Als Endergebnis lasse sich daher festhalten, dass der in der Tanzschule der Beschwerdeführerin angebotene Tanzunterricht hinsichtlich Inhalt, Umfang und Organisation wie der in den öffentlichen Schulen angebotene Unterricht strukturiert sei. Der in der Tanzschule vorgetragene Lehrstoff entspreche im Umfang dem Lehrziel nach dem von öffentlichen Schulen Gebotenen.
4.4. Die Verwaltungsübung zu § 6 Abs. 1 Z 11 UStG 1994 widerspreche der 6. Mehrwertsteuer-Richtlinie. Aufgrund der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien gehe die in den österreichischen UStR zu Rz 878 letzter Punkt publizierte Rechtsmeinung ins Leere, wenn dort behauptet werde, die Steuerbefreiung sei nicht anwendbar für Tanzschulen wegen der dort praktizierten bloßen Vermittlung von Fertigkeiten, die im gesellschaftlichen Umgang nützlich seien. Die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden hätten bei der Anwendung des nationalen Rechts die Auslegung im Sinne des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie vorzunehmen (Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung). Bestünden Zweifel über den Inhalt des Gemeinschaftsrechtes bzw. die Richtlinienkonformität eines auf Gemeinschaftsrecht beruhenden innerstaatlichen Gesetzes, so sei zu ihrer Behebung der EuGH im Wege der Vorabentscheidung berufen. Wegen des auffälligen Widerspruchs zwischen der in den UStR manifestierten Verwaltungsübung und des Wortlautes der EG-Richtlinie werde angeregt, der Unabhängige Finanzsenat möge die gegenständliche Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen, wenn er nicht von selbst die EU-Widrigkeit der Verwaltungspraxis erkenne und durch Richterspruch beseitige. Zwei von der Ausgangslage zum Beschwerdefall nahezu identische Fälle seien in Nordirland vom VAT and Duties Tribunal in Belfast zur Entscheidungsnummer 15201 am so entscheiden worden, dass in Übereinstimmung mit Art. 13 A. 1 (j) Tanzunterricht nicht steuerpflichtig sei. Das angeregte Vorabentscheidungsersuchen möge daher die Frage umfassen, ob die in Österreich praktizierte Einschränkung der Befreiung von der Umsatzsteuer für Tanzunterricht im Sinne des zitierten britischen Urteils innerhalb der Bestimmung des Art. 13 A. 1 i) und j) der Richtlinie liege oder ob die von Österreich in nationales Recht umgesetzte Bestimmung des § 6 Abs. 1 Z 11 UStG 1994 gegen diese Richtlinie verstoße. Bei vergleichbarer Rechtslage in Deutschland bestehe Steuerfreiheit für Kinder-, Schüler-, Jugend- und Spitzentanzkurse. Die im deutschen Umsatzsteuer-Anwendungserlass vorgesehene Steuerfreiheit basiere bei identischer gemeinschaftsrechtlicher Grundlage und ähnlicher nationaler Gesetzgebung auf dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom , V R 3/05.
4.5. Zusammenfassend werde festgehalten, dass jene Umsätze der beschwerdeführenden Tanzschule, die die Unterrichtserteilung beträfen, Umsätze im Sinne de § 6 Abs. 1 Z 11 UStG 1994 darstellten. Sie seien in Übereinstimmung mit der EG-Richtlinie und der darauf basierenden britischen und deutschen Rechtsprechung von der Umsatzsteuer zu befreien. Nicht umsatzsteuerbefreit seien jene Umsätze der Beschwerdeführerin, die aus dem Verkauf von Getränken, Tanzschuhen oder Tanzmusik-CD´s stammten.
4.6. Die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Entscheidung durch den gesamten Berufungssenat.
5. Die belangte Behörde hat mit Bericht vom die Berufung gegen den Bescheid betreffend Festsetzung der Umsatzsteuer 01-04/2010 und gegen den Umsatzsteuerbescheid 2010 dem unabhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vorgelegt.
6. Die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin hat mit Schreiben vom die anlässlich der Beschwerde gestellten Anträge auf mündliche Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen.
7. Gemäß § 323 Abs. 38 BAO sind die am bei dem unabhängigen Finanzsenat als Abgabenbehörde zweiter Instanz anhängigen Berufungen vom Bundesfinanzgericht als Beschwerden im Sinne des Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen. Solche Verfahren betreffende Anbringen wirken mit auch gegenüber dem Bundesfinanzgericht.
8. Die der Gerichtsabteilung 4014 zugeteilte Rechtssache der Beschwerdeführerin wurde mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesfinanzgerichts vom dieser Gerichtsabteilung abgenommen und zum Stichtag der Gerichtsabteilung 4019 zugeteilt.
II. Rechtliche Beurteilung
1. Rechtslage
1.1. Unionsrecht
1.1.1. Titel IX ("Steuerbefreiungen") der Richtlinie 2006/112 des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) enthält ein Kapitel 2 ("Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten"), in dem sich Art. 132 findet, der in seinem Abs. 1 vorsieht, dass Mitgliedstaaten folgende Umsätze von der Steuer befreien:
[…]
i) Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung;
j) von Privatlehrern erteilter Schul- und Hochschulunterricht;
[…]
1.1.2. Art. 44 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem [entspricht Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 1777/2005 des Rates vom zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 77/388/EWG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem] lautet:
Die Dienstleistungen der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung, die unter den Voraussetzungen des Artikels 132 Absatz 1 Buchstabe i der Richtlinie 2006/112/EG erbracht werden, umfassen Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahme, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dient. Die Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung ist hierfür unerheblich.
1.2. Nationales Recht
Gemäß § 6 Abs. 1 Z 11 UStG 1994 idF vor BGBl. I Nr. 62/2018 sind steuerfrei:
a) die Umsätze von privaten Schulen und anderen allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtungen, soweit es sich um die Vermittlung von Kenntnissen allgemeinbildender oder berufsbildender Art oder der Berufsausübung dienenden Fertigkeiten handelt und nachgewiesen werden kann, daß eine den öffentlichen Schulen vergleichbare Tätigkeit ausgeübt wird;
b) die Umsätze von Privatlehrern an öffentlichen Schulen und Schulen im Sinne der lit. a;
2. Beurteilung
2.1. Die Beschwerdeführerin betreibt als Einzelunternehmerin eine Tanzschule, in der Tanzunterricht für Kinder, Jugendliche Erwachsene und Senioren angeboten wird. Je nach Alter und Könne der Teilnehmer werden rein spielerisch Grundformen des Tanzens erarbeitet oder nach einem vom Verband der Tanzlehrer Österreichs erarbeiteten Lehrplan Gesellschaftstänze erlernt. Zur Vertiefung des in den Grundkursen Erlernten werden weiterführende Kurse angeboten. Die Kursteilnehmer können in jeweils aufeinander aufbauenden Unterrichtseinheiten Tanzkenntnisse stets verbessern. Die Kurse sind aufsteigend aufgebaut, vom Grundkurs zum Fortgeschrittenenkurs, Bronzekurs, Silberkurs, Goldkurs 1 bis zum Goldkurs 2. Der Einstieg in den nächsthöheren Kurs ist erst nach Abschluss des jeweils vorangegangenen Kurses möglich. Inhalt des Tanzunterrichts sind zwölf Tänze (Langsamer Walzer, Wiener Walzer, Foxtrott, Tango, Slow-Fox, Rumba, Cha-Cha-Cha, Samba, Paso-Doble, Jive, Disco-Fox und Rock´n´Roll). Vermittelt werden die Kenntnis der jeweiligen Schrittfolgen, die richtige Tanzhaltung und das Einhalten der Verkehrsregeln auf der Tanzfläche. Für besonders Begabte oder Interessierte werden Spezialkurse für die aktuellen Modetänze wie beispielsweise Salsa, Merenge oder Tango Argentino sowie Jazz Dance angeboten. Außer bei den Spezialkursen gibt es im Veranstaltungsangebot längerfristig keine großen Veränderungen. Die Tanzschule verfügt über drei langfristig angemietete Tanzsäle mit der erforderlichen technischen Infrastruktur (Musikanlage, CD-Sammlung, eine kleinen Bar für Erfrischungsgetränke sowie Sanitäranlagen). Die Tanzschule beschäftigt Tanzlehrer, teilweise als Angestellte, teilweise als freie Mitarbeiter. Die Beschwerdeführerin ist selbst am Unterricht beteiligt. Das Sekretariat der Tanzschule ist außer in den Sommermonaten montags bis freitags jeweils von 10 bis 12 Uhr und von 16 bis 18 Uhr geöffnet. Die dargestellte Sachlage ist unstrittig, sie ergibt sich aus den Ausführungen in der Berufung (oben Punkt I.4.) sowie den Feststellungen im Bericht vom über das Ergebnis der Außenprüfung bei der Beschwerdeführerin (Punkt I.3.).
2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit der Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 1 Z 11 lit. a UStG 1994 und ihrer unionsrechtlichen Grundlage mehrfach auseinandergesetzt ( mwN). Mit der Durchführungsverordnung (EU) 282/2011 für den Tätigkeitsbereich, den die Befreiungsbestimmung des Art. 132 Abs. 1 lit. i MwStSystRL (Richtlinie 2006/112 des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. 2006, L 347, S. 1) erfasst, wird ein Mindestumfang verbindlich festgelegt. Im Hinblick auf die Konkretisierung der Richtlinienbestimmung durch die Durchführungsverordnung sind Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahmen, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dienen, jedenfalls begünstigte Tätigkeiten. Die Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung ist hierfür unerheblich. Die Schulungsmaßnahmen sind daher in jedem Fall von der Befreiungsbestimmung erfasst, unabhängig davon, ob sie sich in einem Mitgliedstaat als eine den öffentlichen Schulen vergleichbare Tätigkeit darstellen ().
2.3. Die Steuerbefreiung des § 6 Abs. 1 Z 11 lit. a UStG 1994 erfordert, dass die private Einrichtung eine mit den öffentlichen Schulen vergleichbare Tätigkeit ausübt. Als Maßstab für die Vergleichbarkeit mit der Tätigkeit einer öffentlichen Schule war nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich auf den Inhalt des Lehrstoffes abzustellen. Dieser musste nach Umfang und Lehrziel annähernd dem von öffentlichen Schulen entsprechen (). Das Erfordernis des (insbesondere dem Umfang nach) vergleichbaren Lehrstoffes widerspricht der Durchführungsverordnung (EU) 282/2011. Unionsrechtlich ist maßgeblich, dass die Schulungsmaßnahmen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind oder von anderen Einrichtung mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung erbracht werden müssen (, MDDP, Rn. 35 f, 46; ; ; ).
2.4. Nach der Rechtsprechung des Der Europäische Gerichtshofs sieht Art. 132 der Richtlinie 2006/112 Steuerbefreiungen vor, mit denen, wie die Überschrift des Kapitels zeigt, zu dem dieser Artikel gehört, die Förderung bestimmter, dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten bezweckt wird. Diese Befreiungen betreffen jedoch nicht alle dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten, sondern nur diejenigen, die in der Vorschrift einzeln aufgeführt und genau beschrieben sind (, Brockenhurst College, Rn. 22; , A & G Fahrschul-Akademie, Rn. 17; , HA, Rn. 21).
2.5. Die Steuerbefreiungen nach Art. 132 der Richtlinie 2006/112 stellen autonome unionsrechtliche Begriffe dar, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung der Mehrwertsteuerregelung verhindern sollen (, The English Bridge Union, Rn. 17; , A & G Fahrschul-Akademie, Rn. 18; , HA, Rn. 22).
2.6. Die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen des Art. 132 der Richtlinie 2006/112 umschrieben sind, sind eng auszulegen, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen, sich aus Art. 2 dieser Richtlinie ergebenden Grundsatz darstellen, dass jede Leistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt. Diese Regel einer engen Auslegung bedeutet jedoch nicht, dass die zur Definition der Steuerbefreiungen des Art. 132 verwendeten Begriffe in einer Weise auszulegen sind, die den Befreiungen ihre Wirkung nähme (, Brockenhurst College, Rn. 23; , A & G Fahrschul-Akademie, Rn. 19; , HA, Rn. 23).
2.7. Art. 132 Abs. 1 lit. i und j der Richtlinie 2006/112 enthält keine Definition des Begriffs "Schul- und Hochschulunterricht" (, A & G Fahrschul-Akademie, Rn. 20; , HA, Rn. 24).
2.8. Der Europäische Gerichtshof hat zum einen befunden, dass die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten vom Unterrichtenden an die Studierenden ein besonders wichtiger Bestandteil der Unterrichtstätigkeit ist (, Horizon College, Rn. 18, , A & G Fahrschul-Akademie, Rn. 21; , HA, Rn. 25).
2.9. Zum anderen hat er klargestellt, dass sich der Begriff "Schul- und Hochschulunterricht" im Sinne der Richtlinie 2006/112 nicht auf Unterricht beschränkt, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern andere Tätigkeiten einschließt, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben (, Eulitz, Rn. 29, , A & G Fahrschul-Akademie, Rn. 22; , HA, Rn. 26).
2.10. Hierzu hat der Europäische Gerichtshof ausgeführt, dass nach dieser ständigen Rechtsprechung Tätigkeiten, die nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben, vom diesem Begriff erfasst werden können, sofern die Unterweisung in Schulen oder Hochschulen erfolgt (, A & G Fahrschul-Akademie, Rn. 23; , HA, Rn. 27).
2.11. Der Begriff "Schul- und Hochschulunterricht" im Sinne des Art. 132 Abs. 1 lit. i und j der Richtlinie 2006/112 umfasst mithin Tätigkeiten, die sowohl durch ihre spezifische Art als auch durch den Rahmen, in dem sie ausgeübt werden, charakterisiert werden (, Horizon College, Rn. 20, , A & G Fahrschul-Akademie, Rn. 24; , HA, Rn. 28).
2.12. Daraus folgt, dass der Unionsgesetzgeber auf einen bestimmten Typus von Unterrichtssystem abstellen wollte, der allen Mitgliedstaaten unabhängig von den jeweiligen Besonderheiten der nationalen Systeme gemeinsam ist (, A & G Fahrschul-Akademie, Rn. 25; , HA, Rn. 29).
2.13. Für die Zwecke der Mehrwertsteuerregelung verweist der Begriff "Schul- und Hochschulunterricht" daher allgemein auf ein integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen sowie auf die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studenten je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf den verschiedenen dieses System bildenden Stufen (, A & G Fahrschul-Akademie, Rn. 26; , HA, Rn. 30).
3.14. Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts handelt es sich bei dem in der Tanzschule der Beschwerdeführerin erteilten Unterricht um einen spezialisierten und punktuell erteilten Unterricht, der für sich alleine nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt. Der Tanzunterricht wird nicht vom Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts im Sinne Art. 132 Abs. 1 lit i und j MwStSystRL erfasst, die Steuerbefreiung nach diesem Tatbestand kommt demzufolge für die Beschwerdeführerin nicht in Betracht. Auch für die Anwendung der nationalen Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 1 Z 11 UStG 1994 ist kein Raum. Die Gesetzesmaterialien zu § 6 Abs. 1 Z 11 UStG 1972, der gleichlautenden Vorgängerregelung, halten bereits fest, dass Tanzschulen nicht unter die Begünstigung fallen (382 BlgNR XIII. GP, 3).
3.15. Somit war spruchgemäß zu entscheiden und die Beschwerde gemäß § 279 BAO als unbegründet abzuweisen.
III. Zulässigkeit einer Revision
Nach Art 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes die Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt vor Allem dann vor, wenn das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine solche Rechtsfrage liegt im Beschwerdefall nicht vor, die Rechtslage ist mit Bedacht auf die zitierten Entscheidungen (Punkt II.2.2. ff) ausreichend geklärt. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist demzufolge nicht zulässig. Zur außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof siehe nachstehende Rechtsbelehrung.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 6 Abs. 1 Z 11 lit. a UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 § 6 Abs. 1 Z 11 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.3100758.2012 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at