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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 26.03.2021, RV/7101165/2016

Vorsteuer für die Erstellung eines Expertengutachtens gemäß § 35 Abs. 1 Abfallwirtschaftsgesetz 2002

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die RichterinR in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Deloitte Tax Wirtschaftsprüfungs GmbH, Renngasse 1/Freyung, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 1/23 vom betreffend Berichtigung gemäß § 293b BAO des Bescheides vom betreffend Umsatzsteuer 2005 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Durch die Aufhebung des Bescheides tritt der Bescheid betreffend Umsatzsteuer 2005 vom wieder in Kraft.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (Bf.) war im Veranlagungsjahr 2005 ein Rechtsträger im Sammel- und Verwertungssystem iSd. Abfallwirtschaftsgesetzes 2002 (AWG 2002). Die Gesellschaften des Bf.-Systems betreiben das Sammeln und Verwerten von Kunststoffen entsprechend den Zielen und Grundsätzen des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002, BGBl I 2002/102 und den einschlägigen Bestimmungen über die Vermeidung, Sammlung, Abfuhr, Verwertung, Ablagerung und sonstige Behandlung von Abfällen.

Als Ergebnis einer bei der Bf. durchgeführten Betriebsprüfung wurde mit Niederschrift vom folgende Feststellung getroffen:

Die Rechnungen für die Prüfung der Tarife durch die Experten aus dem Jahr 2005 berechtigen lt. Ansicht der BP nicht zum Vorsteuerabzug, da lt. AWG § 33 Auftraggeber - durch bescheidmäßige Ernennung der Experten - und Leistungsempfänger das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW) war und daher kein Vorsteuerabzug gem. § 12 (1) UStG möglich ist. Die Leistung wurde nicht für das Unternehmen der [Bf.] ausgeführt. Der Leistungsaustausch erfolgte zwischen dem BMLFUW und dem Expertengremium. Die Vorsteuerkorrektur beträgt daher im Nachschauzeitraum € -27.159,40. Die Nachforderung erfolgt durch Festsetzung der UVA 6/2005,

In der Umsatzsteuererklärung 2005 vom machte die Bf. dessen ungeachtet aus der Inrechnungstellung des oa. Gutachtensgemäß § 35 AWG 2002 durch das vom BMLFUW eingerichtete Expertengremium Vorsteuern iHv. € 27.159,40 geltend. Der Erstbescheid betreffend Umsatzsteuer für 2005 erging mit zunächst erklärungsgemäß.

Mit Berichtigungsbescheid gemäß § 293b BAO vom wurde die Umsatzsteuer für das Jahr 2005 mit € 162.885,52 (anstelle € 135.726,12 laut Erstbescheid) neu festgesetzt. In der Begründung verwies das Finanzamt auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung. Die Feststellung laut Tz. 1 der Niederschrift zur Schlussbesprechung sei im Zuge der Erstellung der Jahreserklärung nicht berücksichtigt worden, sodass die abziehbaren Vorsteuern um € 27.159,40 zu kürzen gewesen seien.

Mit - aufgrund der Gewährung von Fristverlängerungen rechtzeitiger - Beschwerde vom führte die Bf. aus, der für die Rechnung des Expertengremiums getätigte Vorsteuerabzug iHv EUR 27.159,40 sei im Zuge einer Außenprüfung aberkannt worden, obwohl alle im UStG für den Vorsteuerabzug normierten Bedingungen erfüllt seien. Der Bescheid sei daher aufzuheben und der Gesamtbetrag der Vorsteuern erklärungsgemäß mit € 30.176.239,69 bzw. die Umsatzsteuer für das Jahr 2005 mit € 135.726,12 festzusetzen.

Die Bf. beantragte die Entscheidung durch den Senat sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Der Beschwerde waren folgende Unterlagen beigelegt:

  • Auskunft des BMLFUW vom unter Hinweis auf die Schreiben vom und vom , wonach der BMLFUW nicht Auftraggeber des Gutachtens gemäß § 35 AWG 2002 sei, sondern sich die Pflicht zur Erstellung des Gutachtens unmittelbar aus den §§ 32 ff AWG 2002 ergäbe,

  • Gutachten von Univ. Prof. C vom betreffend Vorsteuerabzug für Gutachten des Expertengremiums iSd § 35 AWG 2002, worin er zum Schluss komme, dass die Bf. als Leistungsempfängerin des Expertengutachtens "in Betracht komme", sodass sich dadurch "ein Recht auf Vorsteuerabzug ableiten lasse".

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab und führte aus:

Das Expertengremium habe kraft Gesetz ein Gutachten zu erstellen und erbringe damit seine Leistungen gegenüber dem BMLFUW. Für den vorliegenden Fall sei demnach das BMLFUW, und nicht die Bf., als Leistungsempfänger für die vom Expertengremium erbrachte Leistung anzusehen. Da kein Leistungsaustausch zwischen der Bf. und dem Expertengremium stattgefunden habe und die Bf. keine Leistung erhalten habe, stehe demnach der Bf. auch kein Vorsteuerabzug zu ().

Mit Vorlageantrag vom führte die Bf. ergänzend aus:

Bis zur Bf.-Systemreform im Jahr 2008 sei das Bf.-System in unterschiedlichen Gesellschaften arbeitsteilig organisiert gewesen. Die Bf. selbst sei kein genehmigtes Sammel- und Verwertungssystem nach dem AWG 2002 gewesen, sondern habe die Entsorgungsverträge mit den acht Branchenrecyclinggesellschaften (BRG) abgeschlossen. Bei der Bf. seien wesentliche Aufgaben wie die Sicherstellung der Finanzierung, die Öffentlichkeitsarbeit und der Abschluss von Lizenzverträgen angesiedelt gewesen. Diese Konstruktion habe bis 2008 bestanden.

Anders als bei den normalen Gutachten des Expertengremiums sei im konkreten Fall für das Gutachten des Expertengremiums eine Beauftragung und ein Einverständnis der Bf. erforderlich gewesen. Mit dem Sonderbericht des Expertengremiums habe sich die Bf. das Attest verschafft, dass sie als Dachorganisation des Bf.-Systems weiterhin agieren könne, damit es aufgrund des Umstandes, dass die Bf. selbst kein genehmigtes Sammel- und Verwertungssystem ist, nicht zu einer Vereitelung der gesetzlichen Prüfungsrechte kommt.

Im Beschwerdefall liege also insofern eine Sondersituation vor, als das Expertengremium bei der Erstellung des Gutachtens nicht unmittelbar aufgrund der Bestimmungen des AWG 2002, sondern aufgrund eines privatrechtlichen Auftragsverhältnisses (gemeint: gegenüber der Bf.) aktiv geworden sei.

Dem Vorlageantrag waren folgende Beilagen angeschlossen:

  • Beilage A: Gutachten Expertengremium gemäß § 35 AWG -Sonderbericht über die Bf. vom ;

  • Beilage B: Gutachten gemäß § 35 AWG anlässlich der Änderung der Tarife für das Jahr 2003 der Gesellschaft B vom ;

  • Beilage C: Expertengutachten gemäß § 35 AWG - Sonderbericht über die Bf. (Entwurf vom );

  • Beilage D: Schreiben des Expertengremiums vom an die Bf. betreffend die letzte Entwurfsfassung des Sonderberichts.

Das Finanzamt verwies im Vorlagebericht vom auf das zwischenzeitig ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes vom , 2012/13/0122. Demnach bestehe eine Leistungserbringung durch das Expertengremium an das geprüfte und mit den Kosten belastete Unternehmen; der Vorsteuerabzug stehe daher zu.

Mit Eingabe vom zog die Bf. die Anträge auf Entscheidung durch den Senat sowie auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Die Bf. war im beschwerdegegenständlichen Veranlagungsjahr 2005 Teil des Sammel- und Verwertungssystems iSd. Abfallwirtschaftsgesetzes 2002 (AWG 2002), BGBl I 2002/102. Bis zur umfassenden Reform des Bf.-Systems im Jahr 2008 war dieses in unterschiedlichen Gesellschaften arbeitsteilig organisiert. Die Bf. selbst war bis 2008 kein genehmigtes Sammel- und Verwertungssystem nach dem AWG 2002, sondern schloss Entsorgungsverträge mit den acht Branchenrecyclinggesellschaften (BRG) ab und beauftragte diese mit der Sammlung und Verwertung des Verpackungsabfalles. Wesentliche Aufgaben der Bf. waren die Finanzierung, die Öffentlichkeitsarbeit und der Abschluss von Lizenzverträgen; diese stellten auch die wesentliche Geschäftsgrundlage im Rechtsverhältnis zu den BRG dar. Im Jahr 2008 wurden sodann die ehemals acht BRG mit der Bf. als übernehmender Gesellschaft verschmolzen.

Das Bf.-System steht unter behördlicher Aufsicht des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft ("BMLFUW").

Unstrittig ist, dass nach der Regelung des § 33 Abs 3 AWG 2002 die Bf. die Kosten für die Erstellung eines Gutachtens des Expertengremiums gemäß § 35 AWG 2002 zu tragen hat. Das Gutachten dient nach den Bestimmungen des AWG 2002 der Missbrauchsaufsicht durch das BMLFUW und ist diesem direkt zu übermitteln.

In der Umsatzsteuererklärung 2005 vom machte die Bf. aus der Inrechnungstellung der Kosten eines Gutachtens gemäß § 35 AWG 2002 durch das vom BMLFUW eingerichtete Expertengremium Vorsteuern iHv EUR 27.159,40 geltend.

Der Erstbescheid betreffend Umsatzsteuer 2005 vom erging ungeachtet der anderslautenden Feststellungen der vorangegangenen Betriebsprüfung erklärungsgemäß.

Mit beschwerdegegenständlichem Berichtigungsbescheid vom wurde sodann unter Verweis auf die Feststellungen der Betriebsprüfung die Umsatzsteuer für das Jahr 2005 mit € 162.885,52 neu festgesetzt.

Aufgrund des Erkenntnisses des besteht jedoch zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens kein Streit mehr - die belangte Behörde vertrat im Vorlagebericht unter Verweis auf das oa. Erkenntnis nunmehr ebenfalls die Rechtsauffassung, dass der Bf. der strittige Vorsteuerabzug aus der Rechnung des Expertengremiums zustehe.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Steuerbarkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Umsatz auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung bewirkt wird oder kraft gesetzlicher Vorschrift als bewirkt gilt.

Gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 kann der Unternehmer die von anderen Unternehmern in einer Rechnung (§ 11 UStG 1994) an ihn gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die im Inland für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.

Die strittige Rechtslage wurde durch das Erkenntnis des klargestellt:

Der VwGH judizierte in diesem, eine der acht oa. Branchenrecyclinggesellschaften betreffenden Fall, dass kein Zweifel darin besteht, dass das in Rede stehende Expertengutachten der Missbrauchsaufsicht durch den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft dient. Dies ergibt sich aus der Überschrift des § 35 AWG 2002, der die Erstellung dieses Gutachtens anordnet.

Die Funktion des Gutachtens im Rahmen der dem BMLFUW obliegenden Missbrauchsaufsicht steht aber der Annahme einer Leistungserbringung an die Bf. nicht entgegen, zumal diese mit den Kosten des in Rede stehenden Expertengutachtens belastet war.

Daraus, dass für die Bestimmung des Leistungsempfängers nicht "allein" auf die Kostentragung abzustellen ist und Empfänger der gesetzlich angeordneten Leistung "nicht unbedingt" der Schuldner der Gegenleistung sein muss, kann nicht gefolgert werden, dass die Bf. nicht als Leistungsempfängerin anzusehen sei.

Die Verneinung einer Leistungserbringung an die Bf. würde im Ergebnis zum Verlust des Vorsteuerabzuges führen, womit die von ihr zu tragenden Kosten eines Gutachtens, das ihr als Nachweis der Erfüllung gesetzlicher Pflichten dient und somit Grundlage und Voraussetzung für ihr weiteres unternehmerisches Handeln ist, endgültig mit der Umsatzsteuer belastet blieben.

Die Versagung des Vorsteuerabzuges stünde auch in einem Spannungsverhältnis zu dem in der Judikatur des EuGH stets betonten Recht auf Vorsteuerabzug als integralem Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer. Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer nämlich vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden (vgl. C- 126/14, Sveda UAB, Rn 16 f).

Für den beschwerdegegenständlichen Fall bedeutet dies aufgrund der gleichgelagerten Sachlage, dass der Bf. der Vorsteuerabzug iHv € 27.159,40 aus der Inrechnungstellung des Gutachtens des Expertengremiums gemäß § 35 AWG 2002 zu gewähren ist.

Der Bescheid vom betreffend Umsatzsteuer 2005 enthielt demnach betreffend die Berücksichtigung der oa. strittigen Vorsteuern keine Übernahme offensichtlicher Unrichtigkeiten aus der Abgabenerklärung, welche die Abgabenbehörde zur Vornahme einer Berichtigung gemäß § 293b BAO berechtigt hätte. Der angefochtene Berichtigungsbescheid vom war somit aufzuheben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit der Revision:

Gegen das gegenständliche Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision nicht zulässig, weil sie nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, da die Rechtsfrage, ob aus einem Gutachten gemäß § 35 Abs. 1 AWG 2002 dem geprüften Unternehmen die Vorsteuer zusteht, mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2012/13/0122 entschieden wurde.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7101165.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at