Die BAO enthält in Verbindung mit dem Zustellgesetz Regelungen über die Heilung von Zustellmängeln. Eine Heilung durch "Einlassung in die Beschwerde" kennen diese Bestimmungen nicht (VwGH 9.4.2020, Ro 2020/16/0004).
Entscheidungstext
BESCHLUSS
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***R*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH, Wächtergasse 1, 1010 Wien, betreffend Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid der belangten Behörde, Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6, Rechnungs- und Abgabenwesen, Dezernat Abgaben und Recht, Referat Landes- und Gemeindeabgaben, vom , MA 6/ARL-***1***, beschlossen:
Die Beschwerde wird gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO als nicht zulässig zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Begründung
Die Beschwerdeführerin (Bf.) war im Zeitraum bis im Vereinsregister als Obfrau des ***Verein***.
Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom ***Datum1*** wurde über den genannten Verein das Sanierungsverfahren eröffnet. Mit Beschluss des Gerichtes vom ***Datum2*** wurde der Sanierungsplan rechtskräftig bestätigt, die Gläubiger erhielten eine Quote von 20%.
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Am erging durch den Magistrat der Stadt Wien bezüglich am Abgabenkonto aushaftenden Abgabenrückstände in Höhe von € 11.300,69 ein Haftungsvorhalt mit der Aufforderung zur Stellungnahme an die Bf.
Mit Mail vom gab die ***Vertreter***GmbH bekannt, die Bf. in dieser Angelegenheit rechtsfreundlich zu vertreten. Die Beantwortung des Haftungsvorhaltes erfolgte am per Mail durch die genannte Vertretung.
Der weitere Inhalt wird mangels Entscheidungsrelevanz nicht wiedergegeben.
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Mit Bescheid vom wurde die Bf. als ehemalige Obfrau des genannten Vereins gemäß § 6a des Kommunalsteuergesetzes und § 6a des Dienstgeberabgabegesetzes für folgende aushaftende Abgabenrückstände in Höhe von € 10.447,70 an Kommunalsteuern und Dienstgeberabgaben für den Zeitraum 1-12/2013, 1-12/2015 und 4-6/2016 jeweils samt Nebenansprüchen zur Haftung herangezogen:
Der Bescheid wurde an die Bf. direkt adressiert und zugestellt.
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Mit Schriftsatz vom erhob die Bf. durch ihre ausgewiesene Vertreterin gegen den Haftungsbescheid Bescheidbeschwerde und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Mit Beschwerdevorentscheidung vom , zugestellt an die rechtsfreundliche Vertreterin, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Die jeweiligen Ausführungen werden mangels Entscheidungsrelevanz nicht wiedergegeben.
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Mit Eingabe vom beantragte die Bf. durch ihre die Vertreterin die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht.
Die Begründung wird mangels Entscheidungsrelevanz nicht wiedergegeben.
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Mit Vorhalt vom ersuchte das BFG die Bf. um Mitteilung, ob sie das Original des Haftungsbescheides ihrer rechtsfreundlichen Vertreterin, der ***Vertreter*** GmbH, übergeben habe und wenn nein, wie die Vertreterin Kenntnis über den Bescheidinhalt erlangt habe.
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Im Antwortschreiben vom teilte die rechtsfreundliche Vertreterin mit, dass der hier gegenständliche Haftungsbescheid bisher nicht an diese als bevollmächtigte Vertreter im Original übergeben bzw. überreicht worden sei.
Die Vertreterin habe von dem Haftungsbescheid durch mündliche Erzählung der Bf. sowie durch die Übermittlung des Haftungsbescheids als Scan per E-Mail, welcher von schlechter Qualität gewesen sei, Kenntnis erhalten.
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Rechtliche Würdigung:
Gemäß § 260 Abs. 1 BAO ist die Bescheidbeschwerde mit Beschluss zurückzuweisen, wenn sie a) nicht zulässig ist oder b) nicht fristgerecht eingebracht wurde.
Nach § 98 BAO sind, soweit in der Bundesabgabenordnung nicht anderes bestimmt ist, Zustellungen nach dem Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 (in der Folge: ZustellG), vorzunehmen.
Die Anwendbarkeit des ZustellG im Abgabenverfahren ergibt sich auch aus dessen § 1 Abs. 1.
Nach § 9 Abs. 3 ZustellG hat die Behörde, sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, dann, wenn eine im Inland wohnende Person gegenüber der Behörde zum Empfang von Schriftstücken bevollmächtigt ist, diese Person als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, gilt die Zustellung in dem Zeitpunkt als vollzogen, in dem das Schriftstück dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist.
Eine gemäß § 8 Abs. 1 RAO zur umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung erteilte Vollmacht erfasst auch eine Zustellvollmacht iSd § 9 ZustG (VwGH B , 94/14/0104).
Die Parteienvertretung hat der Behörde ihre Bevollmächtigung mit Mail vom angezeigt. Ab diesem Zeitpunkt wären sämtliche Schriftstücke an den Parteienvertreter zuzustellen gewesen (vgl. Ritz, BAO6, § 9 Zustellgesetz, Tz 23ff und die dort zitierte Judikatur).
Die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden gemäß § 224 Abs. 1 BAO durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. Die im 6. Abschnitt der Bundesabgabenordnung betreffend die Einhebung der Abgaben geregelte Erlassung eines Haftungsbescheides ist somit eine Einhebungsmaßnahme (Ritz, BAO6, § 224 Tz 4). Die Bestimmung des § 103 Abs. 1 zweiter Satz BAO gilt daher auch für Haftungsbescheide (Ritz, BAO6, § 103 Tz 3 mit Judikaturnachweisen).
Gemäß § 103 Abs. 1 zweiter Satz BAO können im Einhebungsverfahren ergehende Erledigungen aus Gründen der Zweckmäßigkeit, insbesondere zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens, trotz Vorliegens einer Zustellungsbevollmächtigung wirksam dem Vollmachtgeber unmittelbar zugestellt werden.
Bei Vorliegen einer Zustellbevollmächtigung ist die unmittelbare Zustellung eines Haftungsbescheides gemäß § 9 BAO an den Vollmachtgeber nur dann zulässig, wenn dies zweckmäßig im Sinne des § 103 Abs. 1 zweiter Satz BAO ist, somit insbesondere der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens dient. Dabei obliegt es dem Finanzamt, derartige Zweckmäßigkeitsgründe aufzuzeigen (vgl. GZ. RV/1261-L/09).
Der angefochtene Bescheid enthält keine Ausführungen dahingehen, weshalb die direkte Zustellung im Ermessen als zweckmäßig angesehen wurde.
Das Bundesfinanzgericht kann anhand der Aktenlage nicht erkennen, dass die unmittelbare Zustellung des Haftungsbescheides der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens dient. Dass die Direktzustellung nicht der Verhinderung von Verzögerungen diente, ergibt sich schon daraus, dass die Beschwerdevorentscheidung zur Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid vom erst am erging und die Vorlage der Beschwerde aufgrund des Vorlageantrages vom erst am erfolgte.
Jedenfalls ging der Zweck des Vollmachtsverhältnisses, der im fachlichen Beistand zu sehen ist, mit der Direktzustellung verloren.
Demzufolge wäre der Haftungsbescheid an den Vertreter zuzustellen gewesen.
Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt gemäß den §§ 7 und 9 ZustG die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger (Zustellungsbevollmächtigten) tatsächlich zukommt. Ein tatsächliches Zukommen setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes voraus, dass der vom Gesetz vorgesehene Empfänger tatsächlich in den Besitz des zuzustellenden Schriftstücks kommt. Nicht ausreichend ist die bloße Kenntnisnahme des Inhalts des Schriftstücks beispielsweise durch Übermittlung einer Ablichtung oder durch Akteneinsicht. Wenn die Kenntnisnahme des Schriftstücks (ohne tatsächliches Zukommen) nicht genügt, dann saniert auch der Umstand, dass ein Rechtsmittel gegen das Schriftstück eingebracht wird, die fehlende Zustellung nicht (vgl. etwa ; sowie im Ergebnis bereits ). Die BAO enthält in Verbindung mit dem ZustG Regelungen über die Heilung von Zustellmängeln; eine "Heilung durch Einlassung" kennen diese Bestimmungen nicht (vgl. ; nochmals ).
In der Übermittlung mittels E-Mail-Anhang ist aber kein tatsächliches Zukommen des Schriftstückes gelegen.
Der Haftungsbescheid ist demgemäß noch nicht zugestellt und sohin nicht erlassen.
Gemäß der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist eine Bescheidbeschwerde gegen einen mangels Zustellung rechtlich nicht existent gewordenen Bescheid zurückzuweisen (; , 93/17/0318; vgl auch Ritz, BAO6, Tz 8 zu § 260).
Im Hinblick auf die eindeutige Sach- und Rechtslage konnte gemäß § 274 Abs. 3 Z 1 BAO iVm § 274 Abs. 5 BAO von der Durchführung der in der Beschwerde vom beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Der gegenständliche Beschluss weicht von der oben zitierten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ab.
Da die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht erfüllt sind (siehe die in der Begründung zitierten Entscheidungen), ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Landesabgaben Wien |
betroffene Normen | § 260 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 98 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 9 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 § 103 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.7400075.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
HAAAC-27012