Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 01.02.2021, RV/5100968/2018

Auflösung des Gewinnfreibetrages bei Betriebsaufgabe

Rechtssätze


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Folgerechtssätze
RV/5100968/2018-RS1
wie RV/7100382/2013-RS1
Anlässlich der Aufgabe des Betriebes kommt es zwingend zum Ausscheiden von Wertpapieren aus dem Betriebsvermögen, für deren Anschaffung im Rahmen eines Betriebes der Freibetrag für investierte Gewinne bzw. der Gewinnfreibetrag gemäß § 10 EStG 1988 geltend gemacht worden ist. Erfolgt die Betriebsaufgabe innerhalb der Behaltefrist, kommt es daher zur Nachversteuerung, sofern die Betriebsaufgabe nicht ausnahmsweise auf höhere Gewalt oder behördlichen Eingriff zurückzuführen ist.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch ***BfStb***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Einkommensteuer 2016, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Im Einkommensteuerbescheid 2016 vom wurde der Gewinnfreibetrag der Wertpapiere des Anlagevermögens in Höhe von 62.928,79 € gewinnerhöhend dem Veräußerungsgewinn zugerechnet. Begründend wurde ausgeführt, dass bei Ausscheiden von Wirtschaftsgütern, für die ein investitionsbedingter Gewinnfreibetrag geltend gemacht worden sei, vor Ablauf der Frist von vier Jahren aus dem Betriebsvermögen der investitionsbedingte Gewinnfreibetrag im Jahr des Ausscheidens gewinnerhöhend anzusetzen sei. Dies gelte auch im Fall einer Betriebsaufgabe. Da der Betrieb im Jahr 2016 eingestellt worden sei, sei der Gewinnfreibetrag der Wertpapiere des Anlagevermögens gewinnerhöhend dem Veräußerungsgewinn zugerechnet worden.

Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Beschwerde vom . Die Rechtsansicht des Finanzamtes sei nicht zutreffend. Die beschwerdeführende Partei sei der Auffassung von Herrn Univ.-Prof. Dr. Reinhold Beiser (SWK 9/2017, 498): "Wenn es zu einer Betriebsaufgabe kommt, so bleiben die Wertpapiere die vorher für die Ausnutzung eines Gewinnfreibetrages angeschafft wurden, notwendiges nachträgliches Betriebsvermögen unter der Voraussetzung, dass sie bis zum Ablauf der Behaltefrist gehalten werden. Die betriebliche Veranlassung fällt erst mit dem Ablauf dieser Frist weg. Bis dahin sind die Wertpapiere als notwendiges Betriebsvermögen zu klassifizieren. Wird die Behaltefrist erfüllt, unterbleibt die Nachversteuerung."

In der abweisenden Beschwerdevorentscheidung vom führte das Finanzamt im Wesentlichen aus, dass der investitionsbedingte Gewinnfreibetrag gewinnerhöhend dem Veräußerungsgewinn zugerechnet werde, wenn die Wirtschaftsgüter, für die ein investitionsbedingte Gewinnfreibetrag geltend gemacht worden sei, vor Ablauf der Frist von vier Jahren aus dem Betriebsvermögen ausscheiden würden. Dies gelte auch im Fall der Betriebsaufgabe. Der Nachversteuerungsbetrag sei Teil des Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinns.

Mit Schreiben vom brachte die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers ohne weiteres Vorbringen Vorlageantrag und den Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung ein.

Mit Vorlagebericht vom legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor und beantragte deren Abweisung.

Mit Schreiben vom wurde der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgezogen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Am gab der Beschwerdeführer seinen Betrieb freiwillig auf. In den Jahren zuvor waren Wertpapiere angeschafft worden, für die der investitionsbedingte Gewinnfreibetrag gemäß § 10 EStG 1988 geltend gemacht worden war und die im Anlagevermögen des Beschwerdeführers gehalten worden waren. Für Wertpapiere im Wert von 62.928,79 € war die Behaltefrist iSd § 10 Abs. 5 EStG 1988 im beschwerdegegenständlichen Zeitraum noch nicht abgelaufen.

Strittig ist nunmehr, ob diese Wertpapiere nachträgliches notwendiges Betriebsvermögen darstellen - so die Ansicht der beschwerdeführernden Partei, oder ob sie ins Privatvermögen übernommen worden und daher dem Veräußerungsgewinn zuzurechnen sind - so die Meinung des Finanzamtes.

Beweiswürdigung

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich unbestritten aus dem Akteninhalt, dem Parteienvorbringen und der vom Beschwerdeführer nicht beeinspruchten Darstellung im Vorlagebericht, der nach Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Vorhaltecharakter zukommt ().

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

§ 10 Abs. 5 EStG 1988 lautet auszugsweise:
"Scheiden Wirtschaftsgüter, für die der investitionsbedingte Gewinnfreibetrag geltend gemacht worden ist, vor Ablauf der Frist von vier Jahren aus dem Betriebsvermögen aus oder werden sie ins Ausland - ausgenommen im Falle der entgeltlichen Überlassung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes - verbracht, gilt Folgendes:
1. Der investitionsbedingte Gewinnfreibetrag ist insoweit gewinnerhöhend anzusetzen. Der gewinnerhöhende Ansatz hat im Jahr des Ausscheidens oder des Verbringens zu erfolgen.
2. ...
Im Falle des Ausscheidens eines Wirtschaftsgutes infolge höherer Gewalt oder behördlichen Eingriffs unterbleibt der gewinnerhöhende Ansatz."

Beiser in SWK/2017/498: "Wird ein Betrieb aufgegeben, so bleiben die Wertpapiere für einen investitionsbedingten Gewinnfreibetrag notwendiges nachträgliches Betriebsvermögen, soweit sie bis zum Ablauf der Behaltefrist gehalten werden: Anschaffen und Halten sind durch den betrieblichen GFB verursacht (veranlasst/bedingt). Erst mit dem Ablauf der Behaltefrist von vier Jahren erlischt diese betriebliche Veranlassung und damit auch die Qualität als notwendiges Betriebsvermögen. Eine Nachversteuerung widerspricht dem Ziel, laufende Betriebsgewinne nach dem Vorbild des § 67 EStG zu begünstigen: Arbeitnehmer, die in Pension gehen, müssen nicht die nach § 67 EStG begünstigt besteuerten Bezüge der letzten vier Jahre nachversteuern."

Atzmüller in SWK/2017, 655ff: "Beiser sieht in diesen Fällen in den Wertpapieren "notwendiges nachträgliches Betriebsvermögen". Damit würden die Wertpapiere nicht aus dem Betriebsvermögen ausscheiden und es bliebe gewährleistet, dass dem ehemaligenBetriebsinhaber die Disposition in Bezug auf die Behaltefrist weiterhin verbleibt. Werden demnach die Wertpapiere nach Betriebsaufgabe oder -veräußerung bis zum Ende der Behaltefrist gehalten, würde die Nachversteuerung entfallen.
Allerdings fehlt der Einhaltung der Behaltefrist jeder Sinn, wenn es einen Betrieb, dessen Kapital gestärkt werden könnte, nicht mehr gibt. Es ist auch sachlich (Art 7 B-VG) keineswegs geboten, eine Dispositionsbefugnis weiter einzuräumen. Wird die Behaltefrist in Bezug auf den wertpapiergedeckten GFB nicht erfüllt, weil die Wertpapiere aus dem Betriebsvermögen ausscheiden, sieht das Gesetz in § 10 Abs 5 Z 1 EStG die Nachversteuerung vor, sofern keine Ersatzbeschaffung vorliegt. Was für das Ausscheiden des Wertpapiers durch Veräußerung gilt, kann nach dem Telos der Regelung nicht anders sein, wenn der betriebliche Zusammenhang wegfällt, weil der Betrieb aufgegeben wird oder ohne Wertpapiere übertragen wird. Mit der Betriebsaufgabe oder -veräußerung hat der Steuerpflichtige den betrieblichen Zusammenhang in Bezug auf die Wertpapiere gelöst und eine Disposition getroffen, für die das Gesetz die Konsequenz der Nachversteuerung vorsieht. Es ist nach Art 7 B-VG nicht geboten, ihn davon zu entbinden. Der GFB ist nachzuversteuern."

Mayer in BFGjournal 2020, 240: "Werden zur Inanspruchnahme eines investitionsbedingten Gewinnfreibetrags gemäß § 10 EStG Wertpapiere angeschafft, sind diese, unter Beachtung der Bestimmungen über Ersatzbeschaffungen gemäß § 10 Abs 5 Z 2 iVm Abs 3Z 1 EStG, für die Dauer von mindestens vier Jahren dem Betriebsvermögen zu widmen. Wird diese Behaltefrist nicht erfüllt, hat gemäß § 10 Abs 5 Z 1 EStG eine Nachversteuerung durch gewinnerhöhenden Ansatz des geltend gemachten Gewinnfreibetrags im Jahr des Ausscheidens der Wertpapiere aus dem Betriebsvermögen zu erfolgen. Durch eine Betriebsaufgabe bzw -veräußerung ohne Übertragung der Gewinnfreibetragswertpapiere gehen diese nach Ansicht des BFG ins Privatvermögen des ehemaligen Betriebsinhabers über. Erfolgt dies innerhalb der Behaltefrist, hat eine entsprechende Nachversteuerung zu erfolgen.
Die Möglichkeit, für die Anschaffung von Wertpapieren den investitionsbedingten Gewinnfreibetrag steuerlich geltend zu machen, zeigt insbesondere iZm den Regelungen über die Ersatzbeschaffung mMn die klare Absicht des Gesetzgebers, dadurch das Kapital des Betriebs für zukünftige Investitionen zu stärken. Erlischt die Verbindung zum Betriebsvermögen, kann dieser Zweck durch das Halten der Wertpapiere nicht mehr verfolgt werden. Daher ist die Entscheidung des BFG mE die Folge der richtigen teleologischen Auslegung des Gesetzes.
"

Werden begünstigte Wirtschaftsgüter im Zuge der Betriebsveräußerung vor Ablauf der Behaltefrist entnommen, erhöht der Nachversteuerungsbetrag den Veräußerungsgewinn (so Kanduth-Kristen in Jakom, EStG, 12. Aufl. 2019 Rz 29 zu § 10, die sich dabei ausdrücklichauf EStR Rz 3723 bezieht).

Auch Mühlehner in Hofstätter/Reichel, EStG 1988 Kommentar, Rz 8.2 zu § 10, zählt Wertpapiere zu den Wirtschaftsgütern, bei denen es zu einer Nachversteuerung kommt, wenn diese nicht an den Betriebskäufer übertragen werden.

In den Rechtssätzen zu und zu hat das Bundesfinanzgericht Folgendes ausgeführt: "Anlässlich der Aufgabe des Betriebes kommt es zwingend zum Ausscheiden von Wertpapieren aus dem Betriebsvermögen, für deren Anschaffung im Rahmen eines Betriebes der Freibetrag für investierte Gewinne bzw. der Gewinnfreibetrag gemäß § 10 EStG 1988 geltend gemacht worden ist. Erfolgt die Betriebsaufgabe innerhalb der Behaltefrist, kommt es daher zur Nachversteuerung, sofern die Betriebsaufgabe nicht ausnahmsweise auf höhere Gewalt oder behördlichen Eingriff zurückzuführen ist."
Im gleichen Tenor entschied das BFG auch in der Entscheidung vom , RV/5100617/2018.

Auch im vorliegenden Fall schließt sich das Bundesfinanzgericht der bisherigen einheitlichen Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichtes und den überwiegend gleichlautenden Literaturmeinungen an.

Die Wertpapiere sind somit mit der erfolgten Betriebsaufgabe des Beschwerdeführers am vorzeitig aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden. Da weiters unbestritten ist, dass die Wertpapiere weder infolge höherer Gewalt noch infolge behördlichen Eingriffs aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden sind, ist der entsprechende Gewinnfreibetrag nach § 10 Abs. 5 EStG 1988 nachzuversteuern.

Das Bundesfinanzgericht hat auf Grund der obigen Ausführungen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Nachversteuerung des mit den Wertpapieren gedeckten Gewinnfreibetrages.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zur Frage der Nachversteuerung von mit Wertpapieren gedeckten Gewinnfreibeträgen anlässlich einer Betriebsaufgabe existiert die einheitliche Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichtes. Da jedoch einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt, war die ordentliche Revision zuzulassen.

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
Zitiert/besprochen in
Hatzenbichler in ecolex 2021/381
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.5100968.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at