Haftung Geschäftsführer ohne Kenntnisschaffung der der Haftung zugrundeliegenden Bescheide
Entscheidungstext
BESCHLUSS
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Ulrike Nussbaumer LL.M. M.B.L. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Maggi Brandl Kathollnig RechtsanwaltsGmbH, St. Veiter Ring 21A, 9020 Klagenfurt, betreffend Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Haftung gemäß § 9 Bundesabgabenordnung (BAO) beschlossen:
Der angefochtene Bescheid vom sowie die Beschwerdevorentscheidung vom , werden unter Zurückverweisung an die Abgabenbehörde aufgehoben (§ 278 Abs. 1 BAO).
Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Begründung
Verfahrensgang
Zwischen den Parteien ist einerseits die Frage der Rechtzeitigkeit der verfahrensgegenständlichen Beschwerde, sowie andererseits jene der Haftung gemäß § 9 BAO strittig.
Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführer (in der Folge kurz: Bf.) gemäß § 9 iVm §§ 80 ff BAO für "die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten" der Fa. GmbH im Ausmaß von Euro Betrag in Anspruch genommen und in einem aufgefordert, diesen Betrag innerhalb eines Monats ab Zustellung zu entrichten.
Am erhob der (nunmehr) anwaltlich vertretene Bf. gegen den vorbezeichneten Bescheid das Rechtsmittel der Beschwerde und beantragte, diesen ersatzlos aufzuheben, in eventu die Angelegenheit zur neuerlichen Verfahrensdurchführung an die Finanzbehörde erster Instanz zurückzuverweisen. Meritorisch bestritt der Bf. einerseits den Bestand der in Haftung gezogenen Abgabenschuldigkeiten und führte andererseits in Bezug auf die Zustellung aus, dass diese erst am erfolgt, und folglich die Beschwerde rechtzeitig sei.
In der mit datierenden Beschwerdevorentscheidung wurde die Beschwerde als verspätet zurückgewiesen, da "der Haftungsbescheid nachweislich am ordnungsgemäß" zugestellt worden sei.
Im dagegen am erhobenen Vorlageantrag wird die von der belangten Behörde behauptete Zustellung per bestritten und dazu ausgeführt, dass diese erst am erfolgt sei. Zum Beweis der Richtigkeit dieses Vorbringens wurde in einem ein Schreiben der italienischen Postdienste vom (samt beglaubigter Übersetzung aus der italienischen Sprache) vorgelegt.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde am dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und hielt darin ihre Rechtsansicht im Zusammenhang mit der verspäteten Beschwerdeerhebung aufrecht; nach den Ausführungen im Vorlagebericht sei der Haftungsbescheid dem Bf. "mit internationalem Rückschein nachweislich am " zugestellt worden.
Mit Schreiben vom ersuchte das Bundesfinanzgericht die Österreichische Post AG um Beantwortung diverser Fragen im Zusammenhang mit dem von der belangten Behörde in Kopie übermittelten internationalen Rückschein; mit E-Mail vom teilte sie mit, dass jeder "international Rückschein" mit einer sog. "RECO-Sendungsnummer" gekennzeichnet sei, die - zwecks Eruierung des konkreten Zustelldatums - in jeder Post-Geschäftsstelle vorgelegt werden möge.
Mit verfahrensleitender Verfügung vom wurde die belangte Behörde aufgefordert, den Originalveranlagungsakt samt dem Originalrückschein vorzulegen, respektive die "RECO-Sendungsnummer" bekannt zu geben.
Binnen offener Frist legte die belangte Behörde den Haftungsakt der Abgabensicherung vor und teilte weiters mit, dass am Originalrückschein keine "RECO-Sendungsnummer" ersichtlich sei, sowie weiter wörtlich: "Vom ital. Postzusteller wurde jenes Feld, in welchem der Empfänger des Haftungsbescheides die ordnungsgemäße Sendungsübernahme zu bestätigen hatte, mit einem "X" versehen. Die Übernahme wurde mittels Unterschrift bestätigt. Vom ital. Postzusteller wurde unter das Absenderfeld das Datum "" vermerkt."
Sachverhalt
Über die mit Vertrag vom Datum errichtete GmbH (FN xxxxxx), mit dem Sitz in der politischen Gemeinde Ort, wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Ort vom Datum zur GZ der Konkurs eröffnet.
Als selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer fungierte seit der im strittigen Zeitraum in I- ***Bf1-Adr***, wohnhafte Bf..
Mit Beschluss vom wurde das Konkursverfahren nach Verteilung des Massevermögens gemäß § 139 IO aufgehoben.
Am wurde der Bf. bescheidmäßig für aushaftende Abgaben zur Haftung herangezogen, wobei diese dem Grunde und der Höhe nach tabellarisch wie folgt dargestellt wurden:
[...]
Begründend wurde unter Darlegung der Rechtslage ausgeführt, dass der Bf. als Geschäftsführer für die vorgenannten Abgaben hafte; dadurch dass er dieser Verpflichtung nicht entsprechend nachgekommen sei, habe er eine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten zu verantworten. Die rückständigen Abgaben seien beim Primärschuldner uneinbringlich und basiere der Abgabenausfall letztlich auch auf dem Verschulden des Bf.; im Adressfeld des Haftungsbescheides scheint als Empfänger der Bf. unter seiner italienischen Adresse auf.
Es kann weder festgestellt werden, ob dem Bf. im Zuge der Erlassung des angefochtenen Haftungsbescheides Bescheidablichtungen der haftungsgegenständlichen, bereits gegenüber der Primärschuldnerin festgesetzten Abgaben übermittelt worden sind, noch ob ihm ein Bescheid über den betreffenden Abgabenanspruch zugegangen ist. Weiters nicht festgestellt werden kann, ob dem Bf. zum Zeitpunkt der Heranziehung zur Haftung von der belangten Behörde in einer anderen Art und Weise konkret Kenntnis über die Bescheidinhalte bzw.-grundlagen verschafft worden ist.
Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass die Zustellung des angefochtenen Bescheides vor dem erfolgte.
Mit Wirksamkeit zum Datum wurde die GmbH wegen Vermögenslosigkeit gemäß § 40 FBG im Firmenbuch gelöscht.
Beweiswürdigung
Der vorstehende Sachverhalt basiert auf nachfolgender Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Gründung der GmbH und deren Sitz fußen auf einer Einsicht des Gerichtes in das offene Firmenbuch unter Berücksichtigung der dort hinterlegten historischen Daten. Dass der Beschwerdeführer in Italien wohnhaft sowie Geschäftsführer dieser Gesellschaft war, ist zwischen den Streitteilen unstrittig und geht ebenfalls aus den Eintragungen im Firmenbuch hervor.
Die Fakten der Konkurseröffnung und Aufhebung desselben resultieren aus dem von Amts wegen eingeholten Akt des Landesgerichtes Ort zu GZ.
Der - ohnedies unstrittige - Gang des erstinstanzlichen Verfahrens, insbesondere der Inhalt des angefochtenen Haftungsbescheides, ergibt sich aus den von der belangten Behörde mit dem Vorlagebericht übermittelten Unterlagen, sowie dem Originalhaftungsakt.
Im vorgelegten Akt waren keinerlei Hinweise dazu zu finden, ob dem Bf. von der belangten Behörde Kenntnis über die dem gegenständlichen Haftungsbescheid zugrundeliegenden Abgabenfestsetzungen der Primärschuldnerin gegenüber (etwa durch Zusendung von Ausfertigungen bzw. Ablichtungen der Abgabenbescheide) verschafft, bzw. diesem ein gesonderter Bescheid über den betreffenden Abgabenanspruch übermittelt wurde, weshalb die entsprechenden Negativfeststellungen zu treffen waren.
Zwischen den Streitteilen ist schließlich die Frage der Rechtzeitigkeit der Beschwerde strittig. Im von der belangten Behörde vorgelegten Haftungsakt befindet sich der Originalrückschein der internationalen Sendung, mit nachfolgendem Inhalt:
[...]
Das darauf offenbar im rechten unteren Bereich enthaltene handschriftlich vermerkte Zustelldatum ist jedoch - zumindest was die Jahreszahl anlangt - für das erkennende Gericht unleserlich. Die Ausführungen der belangten Behörde zu diesem Punkt sind ebenfalls widersprüchlich: So ist in der Beschwerdevorentscheidung von einer Zustellung am 20.03.2017, im Vorlagebericht von einer solchen am 20.03.2015 und im Schriftsatz vom von einer Übernahme am 20.03.2018 die Rede. Der Bf. hingegen behauptet in seiner Beschwerde vom , dass ihm der Haftungsbescheid am zugestellt worden sei und bestreitet darüber hinaus im Vorlageantrag vom ausdrücklich unter Hinweis auf eine von der italienischen Post eingeholte Auskunft, das in der Beschwerdevorentscheidung genannte Zustelldatum. Nach seiner Verfahrensbehauptung sei die Zustellung erst mit der Sendungsnummer RH xxxxxxxx am erfolgt. Trotz entsprechender Aufforderung durch das erkennende Gericht konnte die belangte Behörde die für die Eruierung des konkreten Zustelldatums notwendige RECO-Sendungsnummer nicht bekannt geben (vgl. dazu Schreiben der Österreichischen Post an das wonach für konkrete Nachforschungen diese Nummer, mit der die Zusatzleistung "AR Sendungen ins Ausland" gekennzeichnet werden, notwendig sei, sowie die diesbezügliche Antwort der belangten Behörde vom ).
Das Bundesfinanzgericht hat zur Frage der Rechtzeitigkeit wie folgt erwogen: Nach dem im § 167 Abs. 2 BAO normierten Grundsatz der freien Beweiswürdigung, hat die Abgabenbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Diese Norm ist auch auf das Verfahren vor dem BFG anzuwenden (vgl. § 2a BAO). Nach ständiger Rechtsprechung genügt es, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt (Ritz, BAO- Kommentar, § 166 Rz 2; § 167 Rz 6 und 8 mwN). Der Beweis, dass eine Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist, wird durch den eine öffentliche Urkunde darstellenden ordnungsgemäßen Zustellnachweis (Rückschein) erbracht, gegen den jedoch gemäß § 47 AVG und § 168 BAO iVm § 292 Abs. 2 ZPO der Gegenbeweis zulässig ist (vgl. ; , Fr 2015/07/0001; , Ra 2017/20/0290). All diese Prämissen vorausgeschickt kommt das Gericht zu dem Schluss, dass der vorliegende internationale Rückschein zwar das Faktum der Zustellung an sich beweist, nicht jedoch auch das Jahr derselben. Einzig die Zahlen "20.3" sind dem Rückschein zweifellos zu entnehmen, die nachfolgenden Aufzeichnungen sind hingegen nicht entzifferbar. Auch die belangte Behörde nennt drei unterschiedliche Jahreszahlen, in denen die Zustellung erfolgt sein sollte, weshalb das Gericht die Wahrscheinlichkeit, dass eine Zustellung erst zum vom Bf. behaupteten Zeitpunkt erfolgt ist, als weitaus höher einschätzt. Es war sohin die Feststellung zu treffen, dass die Zustellung des angefochtenen Bescheides nicht vor dem erfolgt ist.
Dass die Primärschuldnerin am Datum wegen Vermögenslosigkeit aus dem Firmenbuch gelöscht wurde, ergibt sich aus dem offenen Firmenbuch.
Rechtliche Beurteilung
Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde:
Die belangte Behörde vertritt unter Hinweis auf dem im Akt erliegenden internationalen Rückschein die Rechtsansicht, dass die am eingebrachte Beschwerde verspätet sei. Dem kann jedoch aus nachfolgenden Gründen nicht gefolgt werden:
Die Bescheidbeschwerde ist nach § 260 Abs. 1 BAO mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder mit Beschluss (§ 278) zurückzuweisen, wenn sie
a) nicht zulässig ist oder
b) nicht fristgerecht eingebracht wurde.
Nach § 245 Abs. 1 erster Satz BAO beträgt die Beschwerdefrist einen Monat.
Nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen enden gemäß § 108 Abs. 2 erster Satz BAO mit Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monates, der durch seine Benennung oder Zahl dem für den Beginn der Frist maßgebenden Tag entspricht.
Beginn und Lauf einer Frist werden nach § 108 Abs. 3 BAO durch Samstage, Sonntage oder Feiertage nicht behindert. Fällt das Ende einer Frist auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag, Karfreitag oder 24. Dezember, so ist der nächste Tag, der nicht einer der vorgenannten Tage ist, als letzter Tag anzusehen.
Wird der Lauf einer Frist durch eine behördliche Erledigung ausgelöst, so ist für den Beginn der Frist nach § 109 BAO der Tag maßgebend, an dem die Erledigung bekanntgegeben worden ist (97 Abs. 1).
Die Bekanntgabe erfolgt nach § 97 Abs. 1 lit. a BAO bei schriftlichen Erledigungen, wenn nicht in besonderen Vorschriften die öffentliche Bekanntmachung oder die Auflegung von Listen vorgesehen ist, durch Zustellung.
Die Zustellung ist nach § 5 ZustG von der Behörde zu verfügen, deren Dokument zugestellt werden soll. Die Zustellverfügung hat den Empfänger möglichst eindeutig zu bezeichnen und die für die Zustellung erforderlichen sonstigen Angaben zu enthalten.
Empfänger ist nach § 2 Z. 1 ZustG die von der Behörde in der Zustellverfügung (§ 5) namentlich als solche bezeichnete Person. Als Empfänger des verfahrensgegenständlichen Bescheides scheint der Bf. unter seiner italienischen Adresse auf.
All diese rechtlichen Prämissen vorangestellt hat die Beschwerdefrist des am Freitag, dem zugestellten Bescheides (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt III. Beweiswürdigung), am Montag, dem geendet, sodass sich die am Freitag, dem , eingebrachte Beschwerde als jedenfalls rechtzeitig erweist. Dass die Einbringung per Telefax erfolgte schadet aufgrund der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Zulassung von Telekopierern zur Einreichung von Anbringen an das Bundesministerium für Finanzen, an die Verwaltungsgerichte sowie an die Finanzämter und Zollämter (BGBl. II 2013/447) nicht.
Zur Zurückverweisung
Gemäß § 9 BAO haften die in den §§ 80 ff. leg. cit. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Gemäß § 224 Abs. 1 BAO werden die in den Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.
Gemäß § 248 BAO kann der nach den Abgabenvorschriften Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung (Haftungsbescheid, § 224 Abs. 1 leg. cit.) innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerde einbringen. Diese Regelung räumt somit dem Haftungspflichtigen einen unabdingbaren Rechtsanspruch ein, innerhalb der gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Beschwerdefrist auch den Bescheid über den der Haftung zugrundeliegenden Abgabenanspruch mit Bescheidbeschwerde zu bekämpfen. Dieses Beschwerderecht gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch steht dem Haftungspflichtigen unberührt davon zu, ob dieser Bescheid bereits vom Abgabepflichtigen (Primärschuldner) mit Beschwerde angefochten und über diese allenfalls auch schon entschieden wurde, oder der Haftungspflichtige vor seiner Inanspruchnahme allenfalls einer Bescheidbeschwerde des Primärschuldners gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch gemäß § 257 BAO beigetreten ist (Ritz, aaO, § 248 Rz. 7 mwN). Aus § 248 erster Satz BAO folgt sohin, dass der zur Haftung Herangezogene Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit einer dem Primärschuldner bescheidmäßig vorgeschriebenen Abgabe nicht im Haftungsverfahren, sondern nur mittels einer ihm dadurch auch ermöglichten Bescheidbeschwerde gegen den Abgabenbescheid geltend machen kann. Aus dem Zweck dieser Norm erhellt, dass der Haftungspflichtige den gegen ihn geltend gemachten Abgabenanspruch dem Grunde und der Höhe nach bekämpfen können muss. Zur Wahrung dieses gesetzlich eingeräumten Rechtsverteidigungsanspruches ist es damit aber unabdingbar, dass die Abgabenbehörde dem als Haftungspflichtigen in Anspruch genommenen Vertreter iSd. § 80 BAO anlässlich der Erlassung des Haftungsbescheides auch umfassende Kenntnis über den haftungsgegenständlichen Abgabenanspruch, und zwar über Art, Grund und Höhe des feststehenden Abgabenanspruches, verschafft (; ; ). Diese Kenntnisverschaffung hat in Fällen des § 248 BAO insbesondere durch Zusendung einer Ausfertigung (Ablichtung) des/der Abgabenbescheide(s) an den Haftungspflichtigen, allenfalls durch konkrete Mitteilung des Bescheidinhaltes zu geschehen, und ist selbst dann unerlässlich, wenn der Haftungspflichtige, etwa, weil ihm die betreffenden Bescheide als Geschäftsführer einer GmbH zugestellt wurden, vom Abgabenanspruch Kenntnis haben muss (Ritz, aaO, § 248 Rz. 8 und Rz. 9 mwN). Wurde hingegen bei Selbstbemessungsabgaben noch kein Bescheid gemäß § 201 BAO (bzw. bei Umsatzsteuervorauszahlungen gemäß § 21 Abs. 3 UStG 1994) oder gemäß § 202 BAO (z.B. auf § 82 EStG 1988 geschützter Lohnsteuerhaftungsbescheid) erlassen, so ist ein Bescheid über den betreffenden Abgabenanspruch zu erlassen (Ritz, aaO, § 248 Rz 5). Eine Haftungsinanspruchnahme ohne zugrundeliegenden Abgabenbescheid stellt damit lediglich den Ausnahmefall dar, in dem kein Bescheid an den Abgabenschuldner ergehen kann. Dies betrifft z.B. den Fall, in dem die Erlassung eines Abgabenbescheides an den ursprünglichen Schuldner nicht mehr möglich ist ( 96,94/14/0148 hinsichtlich eines im Zeitpunkt der geplanten Abgabenvorschreibung bereits aufgelösten Vereins). Ein derartiger Fall liegt gegenständlich nicht vor, erfolgte die amtswegige Löschung der Primärschuldnerin doch erst Monate nach Erlassung des Haftungsbescheides. Besteht sohin die Möglichkeit der rechtsgültigen Erlassung und Zustellung des Abgabenbescheides an den Primärschuldner (wie im gegenständlichen Fall), so ist dies und die Bekanntgabe dieses Bescheides an den potentiell Haftungspflichtigen im Haftungsverfahren unabdingbar (). All diese judikativen Prämissen vorausgeschickt ist als Zwischenergebnis festzuhalten, dass - wie festgestellt - der Beschwerdeführer nicht im Sinne der Vorausführungen über den Grund und die Höhe der einzelnen Abgabenschuldigkeiten in Kenntnis gesetzt wurde. Im vorliegenden Beschwerdefall beschränkte sich der Haftungsbescheid der Abgabenbehörde erster Instanz, der die Haftung hinsichtlich 25 verschiedener Abgabenforderungen geltend machte, auf die allgemeine Aussage, die Abgaben seien "aushaftend" und infolge der Aufhebung des Insolvenzverfahrens bei der Primärschuldnerin uneinbringlich. Die von der höchstgerichtlichen Judikatur geforderte Kenntnisverschaffung wurde gegenständlich unterlassen, wodurch der Bf. in seinen Verteidigungsrechten derart beschnitten wurde, dass - im Einklang mit der höchstgerichtlichen Judikatur - von einem Mangel des Verfahrens auszugehen ist, der im Verfahren über die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid nicht sanierbar ist, sondern zur Aufhebung des Haftungsbescheides zu führen hat (; ; Ritz, aaO, § 248 Rz. 8).
Damit ist das Schicksal dieser Haftungsbeschwerde aber bereits entschieden: In Anlehnung an die Rechtsansicht des Höchstgerichtes ist somit mit Aufhebung und Zurückverweisung im Sinn des § 278 Abs. 1 BAO vorzugehen.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine derartige Rechtsfrage liegt gegenständlich nicht vor: Dass eine im Rechtsmittelverfahren nicht sanierbare Mangelhaftigkeit des Verfahrens dann vorliegt, wenn dem zur Haftung Herangezogenen nicht schon die Abgabenbehörde I. Instanz in einer Weise über die Abgabenfestsetzung in Kenntnis setzt, die ihm die Einbringung eines Rechtsmittels ermöglicht, ist - wie im Zuge der rechtlichen Beurteilung ohnedies dargelegt - höchstgerichtlich geklärt. Was die Rechtzeitigkeit der Beschwerdeerhebung anlangt ist einerseits auf den klaren Gesetzestext sowie andererseits darauf zu verweisen, dass eine in freier richterlicher Beweiswürdigung getroffene Feststellung des Bundesfinanzgerichts der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich entzogen ist (vgl. ); eine im Einzelfall vorgenommene, nicht als grob fehlerhaft erkennbare Beweiswürdigung wirft nämlich im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG auf (), weshalb insgesamt die ordentliche Revision für nicht zulässig zu erklären war.
Klagenfurt am Wörthersee, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 80 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 260 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 245 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 108 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 224 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 248 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Zurückverweisung Haftung Geschäftsführer GmbH mangelnde Kenntnis der Abgabenfestsetzung |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.4100013.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at