Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.12.2020, RV/5101540/2019

Die Wohnsitzfiktion des Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 macht eine Beschäftigung mit der Frage entbehrlich, ob sich die betroffene Person nach den Bestimmungen des NAG rechtmäßig im Inland aufhalten würde

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/5101540/2019-RS1
Durch Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 wird fingiert, dass alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Es wird also unwiderleglich angenommen, dass im konkreten Beschwerdefall alle beteiligten Personen in Österreich wohnen, weshalb es auch keine Rolle spielen kann, ob den nicht in Österreich wohnhaften Personen ein tatsächlicher Aufenthalt in Österreich nach den Bestimmungen des NAG möglich wäre oder nicht.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Freistadt Rohrbach Urfahr vom betreffend Abweisung eines Antrags auf Gewährung einer Ausgleichszahlung ab März 2019, Steuernummer ***, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf.), eine bulgarische Staatsbürgerin, stellte am einen Antrag auf Gewährung einer Ausgleichszahlung für ihren Sohn, der laut den Angaben in diesem Antrag nebst nachgereichten Unterlagen in Bulgarien bei seiner Großmutter wohnt und dort die Schule besucht.

Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom mit folgender Begründung ab:

"Gemäß Art. 67 der EU-Verordnung 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.

Nationales Recht:

Gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Da das Kind zum Haushalt der Großeltern gehört, hat aufgrund der geänderten Rechtsmeinung (Rechtssache EuGH C-378/14, Deutsche Bundesagentur für Arbeit; Familienkasse Sachsen / Trapkowski vom ) gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 vorrangig die Großmutter Anspruch auf Familienbeihilfe.

In diesem Fall hat daher die Person, die die Unterhaltskosten überwiegend trägt, keinen Anspruch auf Familienbeihilfe."

Dagegen richtet sich folgende Beschwerde:

"1. Sachverhalt:

Ich bin 2017 nach Österreich gezogen. Seit November 2018 bin ich auch teilzeitig beschäftigt. Bei unserem Umzug, haben wir uns entschieden, dass mein älterer Sohn ***O******N***, geb 2001, in Bulgarien bleibt und dort weiter in die Schule geht. Der Grund für diese Entscheidung war, dass er das schulpflichtige Alter vollendet hat und wir keinen Schulplatz in Österreich für ihn gefunden haben. Jetzt ist er in der 11. Klasse der Mittelschule "***1***" - Sofia und hat noch ein Jahr, um seine Ausbildung zu vollenden. Zur Zeit wohnt mein Sohn mit seiner Großmutter ***2******3***.

Für den Unterhalt meines Sohnes komme ich überwiegend auf, in dem ich jeden Monat zwischen 100,00 und 150,00 EUR meiner Mutter überweise. Zusätzlich gebe ich meinem Sohn immer Bargeld, wenn wir ihn besuchen, oder er nach Österreich kommt (ca. vier Mal im Jahr)

Am habe ich den Antrag auf Familienbeihilfe gestellt, der mit Bescheid vom abgewiesen wurde.

2. Beschwerdepunkte

Der angefochtene Bescheid verletzt meine Rechte dadurch, dass; 1. er falsch annimmt, dass die Großmutter vorrangig einen Anspruch auf Familienbeihilfe hat.

3. Beschwerdegründe

3.1. Europäisches Recht:

Die Entscheidung C-378/14 des EuGH bestimmt, dass die in Art 60 Abs. 1 Satz 2 der VO (EG) Nr. 987/2009 Fiktion dazu führen kann, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind.

Diese Voraussetzungen aber sind vom verlegenden Gericht bzw. Verwaltungsbehörde zu prüfen. Gemäß der Konstelationen dieser Entscheidung sind der Sohn von Frau (Bf.) und seine Großmutter so zu betrachten, als würden sie im Inland wohnen. Frau (Bf.) ist eine Person, die nicht zu diesem Haushalt gehört.

3.2. Nationales Recht:

Nach § 2 Abs 2 Familienlastenausgleichgesetz 1967 hat eine Person Anspruch auf Familienbeihilfe, für ein im Abs. 1 genanntes Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört.

Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Die betroffene Person entspricht allen dieser Voraussetzungen. Sie verfügt über eine aktuelle Anmeldebescheinigung; sie ist im Inland aufgrund ihrer Beschäftigung versichert und ihr Lebensmittelpunkt ist in Österreich.

Weiter muss in diesem Fall geprüft werden, ob die Großmutter des Kindes den Voraussetzungen des FLAG 1967 entspricht, damit ihr Familienbeihilfe zugesprochen wird. Die Großmutter ist bulgarische Staatsbürgerin. Gem § 3 Abs 1 FLAG 1967 haben Personen, die keine österreichischen Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, oder nach §54 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012, rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Der rechtmäßige Aufenthalt von europäischen Staatsbürger wird in § 51 NAG geregelt. Jeder EWR - Bürger hat das aus Art. 6 Abs 1. Der RL 2004/38/EG abgeleitete Recht, sich bis zu drei Monate ohne weitere Formalitäten frei in den Mitgliedstaaten der Union aufzuhalten. EWR - Bürger sind zu einem länger als drei Monate dauernden Aufenthalt in Österreich berechtigt, wenn sie Arbeitnehmer oder Selbständige sind, für sich und Ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherung verfügen (Privatiers) oder als Hauptzweck ihres Aufenthaltes eine Ausbildung absolvieren. Somit bestimmt das Gesetz drei Gruppen von Personen, die sich rechtmäßig in Österreich aufhalten können. Die Großmutter von ***O******N*** entspricht keiner von diesen. Aus diesem Grund hat sie auch keinen Anspruch auf Familienbeihilfe.

Somit sind alle Voraussetzungen erfüllt, damit die nicht zum Haushalt gehörende Mutter die Gewährung von Familienbeihilfe für ihren Sohn ***O******N***, geb. 2001 zugesprochen wird.

Aus oben genannten Gründen erhebe ich wegen Rechtswidrigkeit des Bescheidinhalts die Beschwerde gegen den Bescheid des Finanzamts Freistadt Rohrbach Urfahr in der Sache Gewährung von Familienbeihilfe für das Kind ***O******N*** und stelle den nachfolgenden Antrag:

1. Der angefochtene Bescheid abzuändern und mir die Familienbeihilfe ab zuzusprechen."

Mit Verfügung vom des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesfinanzgerichtes wurde der Akt dem bisher zuständig gewesenen Richter wegen Versetzung in den Ruhestand gemäß § 9 Abs. 9 BFGG abgenommen und dem nunmehr ausgewiesenen Richter zugeteilt.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt ist in den entscheidungsrelevanten Teilen unstrittig; das Kind der Bf. lebt im Haushalt der Großmutter in Bulgarien, die Bf. selbst arbeitet und wohnt in Österreich. Wie unten zu zeigen ist, spielt es für die Entscheidung über die Beschwerde keine Rolle, in welcher Höhe die Bf. ihrem Sohn Unterhalt geleistet hat.

Beweiswürdigung

Dies ergibt sich aus den insoweit übereinstimmenden Vorbringen der Verfahrensparteien und den vorliegenden Unterlagen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt diese Verordnung für die Bf. und deren Sohn, da dieser bulgarischer Staatsbürger und damit Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union ist. Da aber weiters auch die Mutter der Bf. - wie unten noch näher ausgeführt wird - als Familienangehörige iSd obigen Bestimmungen anzusehen ist, gilt die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auch für sie.

Der Kindesmutter unterliegt aufgrund ihrer nichtselbständigen Erwerbstätigkeit in Österreich gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 den österreichischen Rechtsvorschriften, die Großmutter unterliegt den bulgarischen Rechtsvorschriften.

In diesem Fall werden nach den in Art. 68 der Verordnung normierten Prioritätsregeln die Familienleistungen primär nach den bulgarischen Rechtsvorschriften gewährt; ein Unterschiedsbetrag in Höhe der darüber hinausgehenden Familienleistungen ist nach den sekundär anzuwendenden österreichischen Bestimmungen zu gewähren (Differenzzahlungen).

Ein Anspruch auf Differenzzahlungen ist im vorliegenden Fall grundsätzlich gegeben. Zu klären ist lediglich die Frage, ob dieser Anspruch der Kindesmutter zusteht.

Dazu bestimmt Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009:

"Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird."

Im , Tomislaw Trapkowski, hat der EuGH unter Hinweis auf die Familienbetrachtungsweise (Rn 36) mehrfach betont, dass die Frage, wem der Anspruch auf Differenzzahlungen zusteht, ausschließlich nach den innerstaatlichen (hier also österreichischen) Rechtsvorschriften zu prüfen ist (siehe insbesondere die Rn 38 ff dieser Entscheidung), was sich im Übrigen schon unmissverständlich aus dem klaren und unzweideutigen Wortlaut des Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 ergibt. Der EuGH stellte daher fest, dass der Anspruch auf Familienleistung auch einer Person zustehen kann, die nicht in dem Mitgliedsstaat wohnt, der für die Gewährung der Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind (Rn 41).

Das Unionsrecht selbst vermittelt somit keinen originären Anspruch auf nationale Familienleistungen. Es ist nach wie vor Sache der Mitgliedstaaten, wem sie unter welchen Voraussetzungen wie lange Familienleistungen zuerkennen. Das Unionsrecht verlangt allerdings im Allgemeinen, dass diese Zuerkennung diskriminierungsfrei erfolgen muss, und im Besonderen, dass die Familienangehörigen einer Person, die in den Anwendungsbereich der VO 883/2004 fällt, so zu behandeln sind, als hätten alle Familienangehörigen ihren Lebensmittelpunkt in dem Mitgliedstaat, der Familienleistungen gewähren soll (; ; ; ; ; ).

Die nach Art. 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO 987/2009 vorzunehmende Fiktion bewirkt, dass die Wohnsituation auf Grundlage der im Streitzeitraum im anderen EU-Mitgliedstaat gegebenen Verhältnisse(fiktiv) ins Inland übertragen wird. Diese Fiktion besagt aber nur, dass zu unterstellen ist, dass alle Familienangehörigen im zuständigen Mitgliedstaat wohnen. Ob etwa ein gemeinsamer Haushalt besteht, ist dagegen sachverhaltsbezogen festzustellen (; ; ; ; ; ).

Wer von den unionsrechtlich grundsätzlich als anspruchsberechtigte Personen anzusehenden Familienangehörigen tatsächlich primär oder sekundär oder gar keinen Anspruch auf österreichische Familienleistungen hat, ist daher nach nationalem Recht zu beurteilen(; ; ; ).

Nach Art. I, Buchstabe i, Nummer 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 bezeichnet der Ausdruck "Familienangehöriger" "jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltszugehöriger bezeichnet wird."

Gemäß § 2 Abs. 3 FLAG 1967 "sind Kinder einer Person

a) deren Nachkommen,
b) deren Wahlkinder und deren Nachkommen,
c) deren Stiefkinder,
d) deren Pflegekinder (§§ 186 und 186a des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches."

Aus dem bereits oben zitierten , Tomislaw Trapkowski, geht hervor, dass auch die Frage, welche Personen als Familienangehörige iSd Art. I, Buchstabe i, Nummer 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, anzusehen sind, nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen ist. Dies ergibt sich aus den Rz 29-31 dieses Urteils:

"29 Wie jedoch das vorlegende Gericht darlegt, steht der Anspruch auf Familienleistungen für ein Kind nach deutschem Recht den mit dem Kind im ersten Grad verwandten Eltern zu, gleich ob sie verheiratet sind oder nicht.

30 Auf dieser Grundlage meint das vorlegende Gericht, das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Kind und seine Mutter seien, was den Anspruch auf Familienleistungen betreffe, als Familienangehörige von Herrn Trapkowski im Sinne des deutschen Rechts anzusehen.

31 Es ist indessen nicht Sache des Gerichtshofs, eine solche Feststellung, die auf das nationale Recht in der Auslegung durch das nationale Gericht gestützt ist, in Frage zu stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil Slanina, C-363/08, EU:C:2009:732, Rn.27)."

Da somit der Kindesbegriff des § 2 Abs. 3 FLAG 1967 auch die Großeltern umfasst (lit. a: "deren Nachkommen"), ist im Beschwerdefall die Großmutter als Familienangehörige zu betrachten.

Gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein (im Abs. 1 genanntes) Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

§ 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 stellt hinsichtlich des Familienbeihilfenanspruchs primär auf die Haushaltszugehörigkeit mit einem Kind ab und nur subsidiär (§ 2 Abs.2 zweiter Satz FLAG 1967) darauf, welche Person die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt.

Transformiert man nun entsprechend den Regelungen des Art. 67 VO 883/2004 iVm Art.60 Abs. 1 Satz 2 VO 987/2009 die im Ausland bestehende Wohnsituation fiktiv ins Inland, und beurteilt die Frage, ob ein gemeinsamer Haushalt vorliegt, aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse, so ergibt sich, dass die Mutter der Bf. mit deren Kindern bei einheitlicher Haushaltsführung eine Wohnung teilt (sh. § 2 Abs. 5 FLAG 1967). Die Kinder gehören daher zu ihrem Haushalt.

Wenn die Bf. vorbringt, ihre Mutter sei mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 9 iVm § 51 NAG nicht berechtigt gewesen, im Inland zu wohnen, weshalb die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Familienbeihilfe nicht gegeben seien, ist sie auf den Wortlaut des Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zu verweisen. Dieser Bestimmung zufolge wird fingiert, dass alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Es wird also unwiderleglich angenommen, dass im konkreten Beschwerdefall alle beteiligten Personen in Österreich wohnen, weshalb es auch keine Rolle spielen kann, ob den nicht in Österreich wohnhaften Personen ein tatsächlicher Aufenthalt in Österreich nach den Bestimmungen des NAG möglich wäre oder nicht.

Mit anderen Worten: Die Verordnung unterstellt, dass sich alle beteiligten Personen rechtmäßig im Inland aufhalten. Erst dann setzt die Überprüfung ein, ob alle weiteren innerstaatlichen Vorschriften, die Voraussetzung für die Gewährung von Familienbeihilfe sind, erfüllt werden.

Verwiesen wird weiters auf , Tomislaw Trapkowski, Rz 35:

"Zur Beantwortung dieser Frage ist erstens darauf hinzuweisen, dass die in Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 vorgesehene Fiktion zur Folge hat, dass eine Person Anspruch auf Familienleistungen für Familienangehörige, die in einem anderen als dem für die Gewährung dieser Leistungen zuständigen Mitgliedstaat wohnen, so erheben kann, als würden sie in dem zuständigen Mitgliedstaat wohnen."

Der vorrangige Anspruch auf Familienleistungen steht somit bei dem gegebenen Sachverhalt der Mutter der Bf. zu, solange die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach in der Person der Bf. erfüllt sind. Der im Verwaltungsverfahren erörterten Frage der überwiegenden Kostentragung durch die Bf. kommt keine Entscheidungsrelevanz zu.

Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zuletzt ) ist durch die dargestellte Rechtsprechung des EuGH überholt. Die Ansicht des VwGH, dass eine überwiegende Kostentragung eines in Österreich erwerbstätigen Unionsbürgers, die bei bestehender Haushaltszugehörigkeit der Kinder zum anderen Elternteil (bzw. zu einer anderen Person, gegenüber der Kindeseigenschaft gegeben ist) nach dem anzuwendenden innerstaatlichem Recht keine Entscheidungsrelevanz hat, hier doch Voraussetzung für einen Differenzzahlungsanspruch sein soll, findet weder im Unionsrecht noch im innerstaatlichen Recht Deckung. Diese Rechtsansicht führte im Ergebnis regelmäßig zu einer Diskriminierung von Unionsbürgern (der haushaltsführenden Mutter der Bf.) gegenüber inländischen Staatsbürgern.

In diesem Zusammenhang sein nochmals auf das ,Tomislaw Trapkowski, verwiesen, in dessen Randziffer 38 der Gerichtshof ausführt:

"Aus Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 in Verbindung mit Art. 60 Abs. 1 der Verordnung Nr. 987/2009 ergibt sich zum einen, dass eine Person Anspruch auf Familienleistungen auch für Familienangehörige erheben kann, die in einem anderen als dem für ihre Gewährung zuständigen Mitgliedstaat wohnen, und zum anderen, dass die Möglichkeit, Familienleistungen zu beantragen, nicht nur den Personen zuerkannt ist, die in dem zu ihrer Gewährung verpflichteten Mitgliedstaat wohnen, sondern auch allen "beteiligten Personen", die berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben, zu denen die Eltern des Kindes gehören, für das die Leistungen beantragt werden."

Familienleistungen können daher auch von allen "beteiligten Personen", die berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben, beantragt werden, wozu nach innerstaatlichem Recht auch die Großmutter, bei der Kinder wohnen, gehört, und die nach innerstaatlichem Recht primären Anspruch auf Familienbeihilfe hat.

Somit wird gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 3 VO 987/2009 das österreichische Finanzamt den von der Kindesmutter gestellten Antrag auf Ausgleichszahlung/Differenzzahlung, wenn und soweit diesem ein Anspruch der haushaltsführenden Großmutter vorgeht, zugunsten des Anspruchs der Großmutter auf österreichische Familienleistungen zu berücksichtigen haben, da diese - wiederum nach innerstaatlichem Recht - iSd Art. 60 Abs. 1 dritter Satz der Verordnung (EG)Nr. 987/2009 als Elternteil behandelt wird (sh. BFH , III R 68/13 "Zu den 'beteiligten Personen' gehören daher die nach dem nationalen Recht Anspruchsberechtigten").

Ungeachtet des Umstandes, dass der Antrag der Bf. im Beschwerdefall als Antrag der Großmutter gilt, konnte dennoch die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden, da Partei dieses Verfahrens iSd § 78 BAO nur die Bf. ist und sich daher die Wirkung dieses Erkenntnisses nur auf sie erstreckt (aA ; , wo mit Feststellungsbescheid nach § 92 BAO vorgegangen wurde).

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Wenn die grundsätzliche Rechtsfrage durch Rechtsprechung des EuGH beantwortet wurde, ist eine Revision (jedenfalls wegen fehlender Rechtsprechung des VwGH) nicht zulässig (vgl. etwa ; , ).

Ob dies auch dann gilt, wenn Judikatur des VwGH vorliegt, die einer früheren Judikatur des EuGH widerspricht, kann im Beschwerdefall dahin gestellt bleiben, da jedenfalls noch keine Judikatur des VwGH zur Frage vorliegt, ob bei Annahme, dass alle "beteiligten Personen" im Inland wohnen, zu berücksichtigen ist, ob ein tatsächlicher rechtmäßiger Aufenthalt in Österreich nach den Bestimmungen des NAG möglich wäre oder nicht. Eine Revision gegen dieses Erkenntnis ist daher zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
§ 2 Abs. 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Verweise





BFH , III R 68/13





Zitiert/besprochen in
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.5101540.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at