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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.01.2021, RV/5100885/2020

Neuer Lohnzettel als Wiederaufnahmegrund

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die RichterinRi.in in der Beschwerdesache Bf., AdresseBf., vertreten durch Stb., über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Lilienfeld St. Pölten und vom betreffend Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2013 bis 2015 sowie Einkommensteuer 2013 bis 2015

I.
Zu Recht erkannt:
Der Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide betreffend Einkommensteuer 2013 bis 2015 wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

II.
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide 2013 bis 2015 wird gemäß § 261 Abs. 2 BAO als gegenstandslos erklärt.

Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensablauf

Mit Bescheid vom wurde der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2013 gemäß § 303 Abs. 1 BAO wieder aufgenommen und wie folgt begründet:
Das Verfahren wäre gemäß § 303 Abs. 1 BAO wieder aufzunehmen gewesen, weil dem Finanzamt auf Grund eines berichtigten oder neuen Lohnzettels oder einer (geänderten) Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, etc.) erst nachträglich Umstände bekannt geworden wären, die im betreffenden Veranlagungszeitraum bereits existent gewesen wären und aus denen sich eine geänderte Einkommensteuerfestsetzung ergebe. Zur näheren Begründung werde auf die Begründung des im wiederaufgenommenen Verfahren neu zu erlassenen Einkommensteuerbescheides verwiesen.

Mit Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2013 vom wurden erstmals steuerpflichtige Bezüge aufgrund eines Lohnzettels des AG in Höhe von 1.169,46 € festgesetzt und wie folgt begründet:
"Wir haben nachträglich Informationen zu Lohnzettelangaben oder Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandhilfe oder Krankengeld erhalten. Die Beträge finden sich in der Aufstellung."

Mit Bescheid vom wurde der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 gemäß § 303 Abs. 1 BAO wieder aufgenommen und wie folgt begründet:
Man hätte das Verfahren gemäß § 303 Abs. 1 BAO wieder aufgenommen, da es nachträglich eine oder mehrere der folgenden Änderungen gegeben hätte:
- Ein Lohnzettel sei berichtigt oder neu übermittelt worden;
- Eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe sei berichtigt oder neu übermittelt worden.
Eine nähere Begründung finde man im neu erlassenen Einkommensteuerbescheid.

Mit Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 vom wurden erstmals steuerpflichtige Bezüge aufgrund eines Lohnzettels des AG in Höhe von 1.323,54 € festgesetzt. Der Bescheid wurde nicht begründet.

Mit Bescheid vom wurde der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2015 gemäß § 303 Abs. 1 BAO wieder aufgenommen und wie folgt begründet:
Man hätte das Verfahren gemäß § 303 Abs. 1 BAO wieder aufgenommen, da es nachträglich eine oder mehrere der folgenden Änderungen gegeben hätte:
- Ein Lohnzettel sei berichtigt oder neu übermittelt worden;
- Eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe sei berichtigt oder neu übermittelt worden.
Eine nähere Begründung finde man im neu erlassenen Einkommensteuerbescheid.

Mit Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2015 vom wurden erstmals steuerpflichtige Bezüge aufgrund eines Lohnzettels des AG in Höhe von 1.259,22 € festgesetzt. Der Bescheid wurde nicht begründet.

In den Einkommensteuerbescheiden 2013 bis 2015 wurden folgende Lohnzetteldaten ergänzt:

2013
"Bundesministerium X, bis


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Beträge in
EUR
Bruttobezüge (210)
1.169,46
Steuerpflichtige Bezüge (245)
1.169,46


Die Bezüge waren gemäß § 84 bzw. § 3 Abs. 2 EStG 1988 von den bezugs-, pensionsauszahlenden Stellen dem Finanzamt zu melden."

2014
"Bundesministerium X, bis


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Beträge in
EUR
Bruttobezüge (210)
1.323,54
Steuerpflichtige Bezüge (245)
1.323,54


Die Bezüge waren gemäß § 84 bzw. § 3 Abs. 2 EStG 1988 von den bezugs-, pensionsauszahlenden Stellen dem Finanzamt zu melden."

2015
"Bundesministerium X, bis


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Beträge in
EUR
Bruttobezüge (210)
1.259,22
Steuerpflichtige Bezüge (245)
1.259,22


Die Bezüge waren gemäß § 84 bzw. § 3 Abs. 2 EStG 1988 von den bezugs-, pensionsauszahlenden Stellen dem Finanzamt zu melden."

Mit Schreiben vom wurde Beschwerde eingereicht gegen oben angeführte Bescheide und unter anderem wie folgt begründet:
Verfahrensrecht:
Die Wiederaufnahme der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2013, 2014 und 2015 sei standardisiert erfolgt und entspreche nicht der ständigen Rechtsprechung des BFG und des VwGH.
Es würden auch keine Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen, weil eindeutig und klar für eine Abgabennachforderung auf Grund einer GPLA-Prüfung der Dienstgeber oder die pensionsauszahlende Stelle zur Haftung heranzuziehen sein würde.
Die Ermessensübung sei nicht entsprechend den Vorgaben des BFG und des VwGH begründet worden.
Bei der Ermessensübung sei nicht die persönliche Unbilligkeit berücksichtigt worden. Die Nachforderung umfasse mehrere Jahre, wobei auch davon ausgegangen werde, dass noch Bescheide für die Folgejahre ergehen würden und daher die Nachforderung überproportional hoch gegenüber dem Pensionsbezug sei. Aus diesem Grund liege eine persönliche Unbilligkeit vor.
Zusätzlich werde auf Treu und Glauben verwiesen, welcher auch im Verwaltungsverfahren anzuwenden sei.
…..
Gemäß der Rechtsprechung des EuGH hätten Behörden von einer Nacherhebung von Abgaben abzusehen, wenn deren Nichterhebung auf einen Irrtum der zuständigen Behörden zurückzuführen sei. Dies sei im gegenständlichen Fall gegeben, da
- das AG auf Grund des Erlasses des BKA im Einvernehmen mit dem BMF davon ausgegangen sei, dass Naturalwohnungen nicht der Sachbezugsverordnung unterliegen würden;
- seit Beginn der Nutzung der Naturalwohnung bis 2018 kein Sachbezug zur Anwendung gekommen wäre und
- in diesem Zeitraum Prüfungen der Abgabenbehörden stattgefunden hätten und kein Sachbezug festgestellt worden wäre.
…..
Materielles Steuerecht - Einkommensteuer
…..

Die Beschwerdevorentscheidungen betreffend die Einkommensteuerbescheide 2013 bis 2015 wurden am und am erlassen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde betreffend Wiederaufnahmebescheide als unbegründet abgewiesen und wie folgt begründet:
Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO sei die Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen seien und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt haben würde.
Bei der amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens sei daher zuerst die Rechtsfrage zu beantworten, ob der Tatbestand der Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens gegeben sei. Sie dies zu bejahen, so sei in Ausübung des Ermessens zu entscheiden, ob die Wiederaufnahme verfügt werde.
Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH sei das Heuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln nur aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens derart zu beurteilen, dass es darauf ankomme, ob der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen sei, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln" im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO beziehe sich damit auf den Wissensstand (auf Grund der Abgabenerklärungen und ihrer Beilagen) im jeweiligen Veranlagungsjahr ().
Von der Kenntnis der Tatsache könne erst dann gesprochen werden, wenn der Abgabenbehörde die Tatsache in ihrem für die abgabenrechtliche Beurteilung wesentlichen Umfang bekannt sei (Ellinger-Iro-Kramer-Suter-Urtz, a.a.O. E 177).
Für die amtswegige Wiederaufnahme sei es bedeutungslos, aus welchen Gründen der Abgabenbehörde die Tatsachen oder Beweismittel bisher unbekannt geblieben seien; insbesondere sei es unerheblich, dass die Abgabenbehörde an der Nichtfeststellung der maßgeblichen Tatsachen durch das Unterlassen entsprechender Ermittlungen ein Verschulden treffe (Ellinger-Iro-Kramer-Suter-Urtz, a.a.O. E 177a).
Daher sei durch das Gegenüberstellen des Wissensstandes der Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des Erstbescheides und eines Wissensstandes anlässlich der Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens zu beurteilen, ob Tatsachen neu hervorgekommen seien.
Seien der Abgabenbehörde zum Zeitpunkt der Erlassung des Erstbescheides noch nicht sämtliche Lohnzettel des Abgabepflichtigen für das betreffende Kalenderjahr übermittelt worden, so stelle die spätere erstmalige Übermittlung eines weiteren Lohnzettels einen tauglichen Wiederaufnahmegrund dar, weil die Behörde nun erst Kenntnis von den darin angeführten für die Abgabenerhebung maßgeblichen Angaben erlange.
Erst durch die Übermittlung der zusätzlichen Lohnzettel für 2013, 2014 und 2015 am bzw. hätte das Finanzamt über jenen Wissensstand verfügt, der die Erlassung der neuen Sachbescheide ermögliche. Mit der Übermittlung der für die Besteuerung des Abgabepflichtigen maßgeblichen Angaben hinsichtlich Sachbezug für die Nutzung einer Naturalwohnung in den o.a. Lohnzetteln seien damit für das Finanzamt Tatsachen neu hervorgekommen, die zuvor in den Verfahren nicht berücksichtigt werden hätten können, und deren Kenntnis und Berücksichtigung im Spruch anderslautende Bescheide herbeigeführt hätten.
Damit stelle die erstmalige Übermittlung der gegenständlichen Lohnzettel des AG taugliche Wiederaufnahmegründe iSd § 303 Abs. 1 lit. d BAO dar. Die Verfügung der Wiederaufnahmen wäre somit im Ermessen der Behörde gestanden.
Unter Bedachtnahme auf die Bestimmung des § 20 BAO wären im Verfahren Ermessensentscheidungen innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände zu treffen.
Bei der Ermessensübung hätte die Abgabenbehörde unter Bedachtnahme auf die amtswegige Wahrheitsermittlungspflicht (§ 155 BAO) grundsätzlich der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) den Vorrang vor der Rechtsbeständigkeit (Rechtskraft) einzuräumen.
Bei Überprüfung der einer Verfügung der Wiederaufnahme entgegenstehenden Gründe sei festgestellt worden, dass die Auswirkungen der neuen Sachbescheide keinesfalls als geringfügig bezeichnet werden könnten und ausschließlich eine Folge der genannten Wiederaufnahmegründe (zusätzliche Lohnzettel) darstellen würden. Eine Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung wäre nicht ersichtlich. Ein Verschulden der Behörde an der ursprünglichen Nichtberücksichtigung des Sachbezuges könne grundsätzlich nicht festgestellt werden, und wenn eine solche doch vorgelegen haben sollte, dann hätte es wohl nur als geringfügig bezeichnet werden können, da ein Sachbezug vom AG in der Lohnverrechnung bis zu diesem Zeitpunkt nicht berücksichtigt worden wäre. Auch eine Rechtswidrigkeit des Vorgehens der Behörde bei der Erlangung der bis dahin unberücksichtigt gebliebenen Lohnzettel hätte nicht festgestellt werden können.
Aus dem Blickwinkel der Billigkeit sei unter Bedachtnahme auf den Grundsatz von Treu und Glauben auch die Frage der Zumutbarkeit des Erkennens der Abgabepflicht von Bedeutung. Dass geldwerte Vorteile aus einem Dienstverhältnis als Sachbezug der Einkommensbesteuerung zu unterziehen seien, könne als allgemein bekannt Tatsache vorausgesetzt werden. Es wäre daher davon auszugehen, dass dem Abgabepflichtigen die Steuerpflicht derartiger Bezüge dem Grund nach bekannt gewesen wäre.
Dass die Qualifikation geldwerter Vorteile aus der Nutzung einer Naturalwohnung durch den Abgabepflichtigen als Sachbezug erst aufgrund des Rechnungshofberichtes vom August 2017 erfolgt sei, die Höhe der jährlichen Sachbezüge erst in der danach vorgenommenen GPLA-Prüfung festgestellt worden wäre und diese die Ausstellung der Lohnzettel durch das AG bedingt hätte, sei für die Beurteilung irrelevant.
Im Sinne der angeführten Erwägungen wäre es dem Finanzamt daher nicht unbillig erschienen, die Interessen der Allgemeinheit an der Abgabeneinbringung über die Interessen des Abgabepflichtigen an der Rechtsbeständigkeit zu stellen.

Mit Schreiben vom wurde der Antrag auf Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht gestellt. Zudem wurde eine Entscheidung durch den gesamten Senat sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Mit Schreiben vom wurde durch den Beschwerdeführer unter anderem ergänzend ausgeführt:
Es werde festgestellt, dass die Begründung in der Beschwerdevorentscheidung nicht von der Abgabenbehörde verfasst worden wäre sondern zentral "von oben" vorgegeben worden wäre.
Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH und des BFG sei ein neuer Lohnzettel keine neu hervorgekommene Tatsache iSd § 303 Abs. 1 BAO und auch eine Begründung, die im ursprünglichen Bescheid gefehlt hätte, könne nicht nachgereicht werden. Somit ergebe sich daraus kein tauglicher Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 BAO. Der Verweis auf § 303 Abs. 1 lit. b BAO finde sich erstmals in der Begründung zur abweisenden Beschwerdevorentscheidung und sei ebenfalls untauglich.
Weiters ergebe sich, dass der Tatbestand der gegenständlichen "Dienstwohnung" seit ungefähr über 40, fast schon seit 50 Jahren vorliege. Wo sich hier neu hervorgekommenen Tatsachen ergeben würden, sei beim besten Willen nicht ersichtlich.
Es seien in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten unzählige Prüfungen durchgeführt worden (Lohnsteuerprüfungen, SV-Prüfungen, GPLA-Prüfungen) und es hätte beim gleichliegenden Sachverhalt nie Beanstandungen gegeben.
Nachdem zumindest bei den Vorprüfungen alle wesentlichen Tatbestände gleich vorgelegen wären, werde auf das Erkenntnis des , verwiesen, wonach in diesen Fällen eine Wiederaufnahme des Verfahrens unbillig sei.
Eine Vorschreibung aufgrund der Sachbezugswerte für die Jahre 2005 bis 2009 sei damals vom Finanzamt selbständig und ohne Begründung wieder ersatzlos aufgehoben worden. (siehe auch BVwG , I413 2221229-1/2E und I413 2221230-1/2E).

Vorliegend ist ein Bericht des Rechnungshofes vom August 2017.

Mit Vorlagebericht vom wurde obige Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt und unter anderem wie folgt ausgeführt:
Sachverhalt:
Die vom Beschwerdeführer in den Erklärungen zur Arbeitnehmer*innenveranlagung 2013 bis 2015 geltend gemachten Aufwendungen seien zur Gänze in den Einkommensteuerbescheiden 2013 vom , 2014 vom und 2015 vom anerkannt worden.
Vom Rechnungshof sei beim AG eine Prüfung betreffend Wohnungen durchgeführt worden. Im zugehörigen RH-Bericht vom August 2017 sei unter Tz 11 ausgeführt worden:
"Die Zurverfügungstellung von Natural- oder Dienstwohnungen stellt einen geldwerten Vorteil für die aktiven und ehemaligen Bediensteten des AG dar, der als Sachbezug zu versteuern war. Entgegen steuerrechtlicher Vorgaben setzte das AG für diese Vergünstigung keine Sachbezüge an und führte keine Lohnsteuer ab. Nach den Schätzungen des RH belief sich der steuerpflichtige Sachbezug auf cirka 4,64 Mio €/Jahr. Der Republik Österreich entgingen somit Lohnsteuereinnahmen in Höhe von cirka 1,84 Mio €/Jahr."
In den Schlussempfehlungen des RH-Berichts sei unter Punkt 32 festgehalten: "Von den Finanzbehörden wäre die allfällige rückwirkende Einhebung nicht abgeführter Lohnsteuer für steuerpflichtige Sachbezüge aus der Zurverfügungstellung von Natural- oder Dienstwohnungen an Bedienstete des AG im Rahmen der gesetzlichen Verjährungsfristen prüfen zu lassen (Tz 11)."
Die daraufhin stattgefundene GPLA-Prüfung beim AG hätte dazu geführt, dass im Mai 2019 für die betroffenen (ehemaligen) Bediensteten des AG für die jeweiligen Jahre Lohnzettel über die in den einzelnen Fällen festgestellten steuerpflichtigen Sachbezüge ausgestellt worden wären.
Die für den Beschwerdeführer am für 2013 und 2014 sowie am für 2015 ausgestellten zusätzlichen Sachbezugslohnzettel hätten bei diesem am zu einer Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2014 und 2015 geführt. Die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2013 sei mit Bescheid vom verfügt worden. In den Einkommensteuerbescheiden vom und vom wurden die zusätzlichen Lohnzettel berücksichtigt, weshalb sich Abgabennachforderungen ergeben hätten.
Stellungnahme:
Wiederaufnahmen 2013 bis 2015
Nach der Judikatur des VwGH seien die Wiederaufnahmegründe in der Begründung der Wiederaufnahmebescheide anzuführen, weil sich die Rechtsmittelbehörde bei der Erledigung des gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Rechtsmittels auf keine neuen Wiederaufnahmegründe stützen könne (; , 93/14/0187). Eine - allenfalls erst auch erst im Beschwerdeverfahren erfolgte - Ergänzung einer offensichtlich mangelhaften Begründung in Richtung der tatsächlich vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmegrundlagen stelle allerdings noch kein unzulässiges Auswechseln von Wiederaufnahmegründen dar (; , 2008/15/0005; , 2011/13/0067).
Wäre im Zeitpunkt der Wiederaufnahme des Verfahrens tatsächlich ein Wiederaufnahmegrund vorhanden, sei die Sanierung eines Wiederaufnahmebescheides durch Ergänzung der Wiederaufnahmegründe mithilfe der Begründung der Beschwerdevorentscheidung möglich. Lediglich wenn dem gesamten erstinstanzlichen Verfahren nicht einmal ansatzweise entnommen werden könne, dass das Finanzamt vom Hervorkommen neuer Tatsachen ausgegangen wäre, würde eine solche Ergänzung unzulässig sein (Rauscher, SWK 25/2003, 636; Knechtl, SWK 35/2014, 1499).
Im gegenständlichen Fall seien nach einer GPLA-Prüfung vom AG am 9. bzw. zusätzliche Lohnzettel für die Jahre 2013, 2014 und 2015 ausgestellt worden.
Der Begründung der Wiederaufnahmebescheide betreffend die Jahre 2013, 2014 und 2015 vom 14. bzw. sei zu entnehmen, dass die Wiederaufnahme aufgrund einer oder mehrerer nachträglich erfolgter Änderungen, nämlich einer Berichtigung oder Neuübermittelung eines Lohnzettels oder einer Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen, erfolgt sein würde.
Im Zeitpunkt der Wiederaufnahmen wären somit tatsächlich Wiederaufnahmegründe für alle strittigen Jahre vorgelegen und das Hervorkommen dieser neuen Tatsachen wäre auch - zumindest ansatzweise - bereits dem erstinstanzlichen Verfahren zu entnehmen gewesen. Die Voraussetzungen für eine Sanierung eines Begründungsmangels bezüglich Wiederaufnahmen wären somit vorgelegen.
Im Ergebnis seien die gesetzlichen Voraussetzungen für die Wiederaufnahme der Verfahren als erfüllt anzusehen.

Dem Erkenntnis zugrunde liegender Sachverhalt

1.
Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß
§ 303 BAO

Der Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 2013 wurde wie folgt begründet:
Das Verfahren wäre gemäß § 303 Abs. 1 BAO wieder aufzunehmen gewesen, weil dem Finanzamt auf Grund eines berichtigten oder neuen Lohnzettels oder einer (geänderten) Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, etc.) erst nachträglich Umstände bekannt geworden wären, die im betreffenden Veranlagungszeitraum bereits existent gewesen wären und aus denen sich eine geänderte Einkommensteuerfestsetzung ergebe. Zur näheren Begründung werde auf die Begründung des im wiederaufgenommenen Verfahren neu zu erlassenen Einkommensteuerbescheides verwiesen.
Der neu erlassene Einkommensteuerbescheid 2013 wurde wie folgt begründet:
"Wir haben nachträglich Informationen zu Lohnzettelangaben oder Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandhilfe oder Krankengeld erhalten. Die Beträge finden sich in der Aufstellung."

Der Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 2014 wurde wie folgt begründet:
Man hätte das Verfahren gemäß § 303 Abs. 1 BAO wieder aufgenommen, da es nachträglich eine oder mehrere der folgenden Änderungen gegeben hätte:
- Ein Lohnzettel sei berichtigt oder neu übermittelt worden;
- Eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe sei berichtigt oder neu übermittelt worden.
Eine nähere Begründung finde man im neu erlassenen Einkommensteuerbescheid.
Der neu erlassene Einkommensteuerbescheid 2014 wurde nicht begründet.

Der Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 2015 wurde wie folgt begründet:
Man hätte das Verfahren gemäß § 303 Abs. 1 BAO wieder aufgenommen, da es nachträglich eine oder mehrere der folgenden Änderungen gegeben hätte:
- Ein Lohnzettel sei berichtigt oder neu übermittelt worden;
- Eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe sei berichtigt oder neu übermittelt worden.
Eine nähere Begründung finde man im neu erlassenen Einkommensteuerbescheid.
Der neu erlassene Einkommensteuerbescheid 2015 wurde nicht begründet.

Die den gegenständlichen Lohnzetteln zugrundeliegenden Tatsachen werden in den vorliegenden Bescheiden nicht angeführt.

In den Einkommensteuerbescheiden finden sich die - in den Erstbescheiden nicht berücksichtigten - oben angeführten Lohnzetteldaten. Vom AG und Sport sind diese Lohnzettel am 9. bzw. ausgestellt worden.
Die Erstbescheide betreffend Einkommensteuer 2013 bis 2015 sind am , und am ergangen.

Rechtliche Begründung

1.
Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß
§ 303 BAO

§ 303 Abs. 1 BAO idF BGBl. I 14/2013 lautet wie folgt:

"Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn
a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte."

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur erkennt, besteht die Aufgabe des Verwaltungsgerichtes bei Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch das Finanzamt darin, zu prüfen, ob dieses das Verfahren aus den von ihm gebrauchten Gründen wiederaufnehmen durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre (; , Ra 2017/15/0063; und die darin zitierte Judikatur des VwGH). Das Bundesfinanzgericht könne zwar gemäß § 279 Abs. 1 BAO in der Sache auch durch Abänderung des angefochtenen Bescheides nach jeder Richtung entscheiden, die Abänderung müsste aber jedenfalls innerhalb der "Sache" bleiben; die Heranziehung eines zusätzlichen Wiederaufnahmegrundes durch das BFG wäre eine Überschreitung der Begrenzung durch die "Sache" (siehe auch Ritz in SWK 12/2019, 602).

Um die Prüfung der vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmegründe vornehmen zu können, muss erkennbar sein, aus welchen Gründen das Finanzamt die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügte. Dabei genügt es, wenn der vom Finanzamt herangezogene Wiederaufnahmegrund aus dem Zusammenhang des Wiederaufnahmebescheides und des gleichzeitig zu erlassenden neuen Sachbescheides ersichtlich ist (; ).

Aus der Zusammenschau der Begründungen der Bescheide betreffend das Jahr 2013 vom und dem Vergleich mit dem Erstbescheid ist als herangezogener Wiederaufnahmegrund ein neu übermittelter Lohnzettel erkennbar.

Die Wiederaufnahmebescheide für die Jahr 2014 und 2015 lassen offen, ob ein Lohnzettel oder eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe berichtigt oder neu übermittelt worden ist. Der Verweis auf die Begründungen der Einkommensteuerbescheide geht ins Leere, da diese keine Begründung aufweisen.
Ein Vergleich mit den Erstbescheiden betreffend Einkommensteuer legt den Schluss nahe, dass ein Lohnzettel hinzugefügt worden ist.

"Tatsachen" im Sinne des § 303 BAO sind ausschließlich die mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängenden tatsächlichen Umstände.
"Beweismittel" dagegen sind Mittel zur Herbeiführung der Überzeugung vom gegebenen Sein oder Nichtzutreffen von Tatsachen, letztlich zur Herbeiführung eines Urteils über einen rechtsbedeutenden Sachverhalt.
Nach § 166 BAO kommt als Beweismittel im Abgabenverfahren alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.
Als Beweismittel können daher Urkunden, Datenträger, Sachverständigengutachten, aber auch Aufzeichnungen, Aktenvermerke und Lohnzettel in Betracht kommen.

Die Übermittlung der Lohnzettel dient zu Kontrollzwecken und soll bewirken, dass bei einer Veranlagung die lohnsteuerpflichtigen Einkünfte in zutreffender Höhe erfasst werden (Jakom/Lenneis, EStG, 2018, § 84 Rz 1).

Eine Tatsache (bzw. Beweismittel) ist "neu hervorgekommen" (nova reperta), wenn sie schon vor Erlassung des das wieder aufzunehmende Verfahren zuletzt abschließenden Bescheides bestanden hat, aber erst nach diesem Zeitpunkt bekannt wird. Erst nach Erlassung des das wieder aufzunehmende Verfahren zuletzt abschließenden Bescheides entstandene Tatsachen (nova producta) sind keine Wiederaufnahmegründe (; , Ro 2014/15/0035; ; , RV/7101946/2019; , RV/2101157/2019; , RV/5100893/2018; , RV/5101112/2017).

Die gegenständlichen Lohnzettel sind am 9. bzw. in die Lohnzettel-Datenbank aufgenommen worden. Die Lohnzettel sind der belangten Behörde jeweils nach den hier maßgebenden Zeitpunkten , und (Erlassung der Erstbescheide betreffend Einkommensteuer 2013 bis 2015) bekannt geworden. Die Lohnzettel sind erst nach den Daten , und neu entstanden (nova producta). Sie sind also nicht neu hervorgekommene Beweismittel und als Wiederaufnahmegründe ungeeignet.

Konkrete Tatsachen (Sachverhaltselemente), deren rechtliche Würdigung zu den neuen Lohnzetteln geführt haben, werden in den Begründungen der Bescheide nicht genannt.

Eine fehlende Nennung von Wiederaufnahmegründen in der Begründung des angefochtenen Wiederaufnahmebescheides ist auch in der Beschwerdevorentscheidung nicht nachholbar (Ritz6, § 307, Rz 3; ; ).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () ist das Bundesfinanzgericht nicht berechtigt, den vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmegrund durch einen anderen, zutreffenderen zu ersetzen. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat dieses die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss das Bundesfinanzgericht die vor ihr angefochtenen Wiederaufnahmebescheide des Finanzamtes ersatzlos beheben ().

2.
Einkommensteuerbescheide

Durch die Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide tritt nach § 307 Abs. 3 BAO das Verfahren betreffend Einkommensteuer in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat.
Laut treten durch die Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide die neuen Sachbescheide (Einkommensteuerbescheide 2013 bis 2015) ex lege aus dem Rechtsbestand und die alten Sachbescheide erlangen wieder Rechtswirksamkeit.

§ 261 Abs. 2 BAO lautet:
"Wird einer Bescheidbeschwerde gegen einen gemäß § 299 Abs. 1 oder § 300 Abs. 1 aufhebenden Bescheid oder gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid (§ 307 Abs. 1) entsprochen, so ist eine gegen den den aufgehobenen Bescheid ersetzenden Bescheid (§ 299 Abs. 2 bzw. § 300 Abs. 3) oder ein gegen die Sachentscheidung (§ 307 Abs. 1) gerichtete Bescheidbeschwerde mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder mit Beschluss (§ 278) als gegenstandslos zu erklären."

Soweit die Beschwerde gegen die außer Kraft getretenen Einkommensteuerbescheide 2013 bis 2015 gerichtet ist, richtet sie sich gegen rechtlich nicht mehr existierende Anfechtungsobjekte und ist sie gemäß § 261 Abs. 2 BAO beschlussmäßig als gegenstandslos zu erklären.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.


Hier handelt es sich um keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, weil das Bundesfinanzgericht in rechtlicher Hinsicht der in der Begründung dieser Entscheidung dargestellten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Bundesfinanzgerichtes folgt. Das Erkennen der gegenständlichen Aktenlage und die Interpretation der angefochtenen Bescheide stellen - bezogen auf die Wiederaufnahme - keine Rechtsfragen, sondern Tatfragen dar, die nicht revisibel sind.


Die Verpflichtung zur beschlussmäßigen Gegenstandsloserklärung der gegen die Sachbescheide gerichteten Beschwerden ergibt sich unmittelbar aus § 261 Abs. 2 BAO, weshalb auch in diesem Punkt eine Revision nicht zulässig ist.

Linz, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. d BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 261 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
Zitiert/besprochen in
Fröhlich/Aigner in BFGjournal 2021, 179
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.5100885.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at