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Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 25.11.2020, RV/7102309/2012

Vorsteuerabzug bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Vorsitzenden Dr. Christian Lenneis, die Richterin Mag. Mirha Karahodzic MA und die fachkundigen Laienrichter Erwin Agneter und Mag. Belinda Maria Eder in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***BfAdr***, vertreten durch Holzer & Partner, Eichenweg 27, 1140 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 1/23 vom betreffend Umsatzsteuer 2009 sowie über die gemäß § 253 BAO auch als gegen den Umsatzsteuerbescheid 2010 gerichtet geltende Beschwerde gegen die Bescheide über die Festsetzung von Umsatzsteuer für die Monate Jänner bis März 2010, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin Asli Özdemir, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Die Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 werden abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgaben sind den als Beilage angeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang und Beschwerdevorbringen:

Strittig ist, ob der beschwerdeführenden Gesellschaft der Vorsteuerabzug in Zusammenhang mit Leistungen der ***1*** s.r.o. im Jahr 2009 (Vorsteuer iHv € 54.998,98) und in den Monaten Jänner bis März 2010 (Vorsteuer iHv € 10.841,33) zusteht, der ihr mit Bescheiden vom mit folgender Begründung versagt wurde:

Die im ***A***-Büro nur nach außen hin ansässige ***1*** s.r.o. habe weder Steuererklärungen abgegeben noch die festgesetzten Umsatzsteuervorschreibungen in der Vergangenheit abgeführt, sodass davon auszugehen sei, dass die Rechnungsausstellung mit dieser Adresse missbräuchlich erfolgt sei, ohne dem Grundprinzip der Neutralität der Umsatzsteuer gerecht werden zu können. Eine Rechnung, die den liefernden oder leistenden Unternehmer mit einer Anschrift kennzeichne, unter welcher dieser Unternehmer zum Zeitpunkt der Rechnungsausstellung nicht oder nur zum äußeren Anschein den Sitz seines Unternehmens habe, berechtige nicht schon zum Vorsteuerabzug. Insofern seien die Bestimmungen des § 11 Abs. 1 UStG 1994 nicht erfüllt.

Gemäß § 19 Abs. 1 UStG 1994 gehe die Steuerschuld auf den Leistungsempfänger über, wenn das leistende Unternehmen im Inland weder Sitz noch Betriebsstätte habe. Nachdem die Firma ***1*** s.r.o. somit gemäß § 29 BAO keine Betriebsstätte im Inland habe, sei der Vorsteuerabzug bei der Beschwerdeführerin zu versagen. Laut vorliegendem Mietvertrag zwischen der Firma ***1*** s.r.o. und der Firma ***A*** GmbH sei lediglich das Bereitstellen von Bürodiensten verkauft worden, das die Nutzung der renommierten Adresse für den Empfang und die Weiterleitung von Postsendungen zweimal pro Woche beinhaltete.

In der dagegen eingebrachten Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom wird Folgendes ausgeführt:

Die durch das Finanzamt festgestellten Sachverhalte seien unrichtig: Die ***1*** s.r.o. mit Sitz in Bratislava und einer Betriebsstätte in Wien habe verschiedene Dienstleistungen für die Beschwerdeführerin wie insbesondere Inbound und Callcenter Dienstleistung (Service Hotline), Bereitstellung von Postfächern für Kunden der Beschwerdeführerin, Kundenbriefbearbeitung für Kunden der Beschwerdeführerin, Bearbeitung sonstigen Schriftverkehrs für Kunden der Beschwerdeführerin durchgeführt. Die seitens der ***1*** s.r.o. zu erbringenden Dienstleistungen waren in schriftlichen Vereinbarungen festgehalten. ***1*** s.r.o. sei unter anderem mit der Übernahme sämtlicher Postsendungen beauftragt gewesen und habe hierfür ein Postlager in Wien anzumieten gehabt. Zum besseren Verständnis werde die Tätigkeit der Beschwerdeführerin wie folgt dargelegt:

Die Tätigkeit der Beschwerdeführerin als IT Dienstleistungsunternehmen umfasse insbesondere die Abwicklung von Lottospielgemeinschaften und Gewinnspieleintragungsdiensten für ihre Kunden. Die Abwicklung von Lottospielgemeinschaften umfasse insbesondere Korrespondenz (zB Begrüßungsschreiben, Anfragebeantwortung, Mitteilung über Spielergebnisse und allfällige Gewinne), Bereitstellen der Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Endkunden (Service Hotline, Faxnummer, Website), mündliche Anfragebeantwortung (in der Regel durch Mitarbeiter in einem Callcenter), Durchführung der Abrechnung (Führung der Spielerkonten) und des Zahlungsverkehrs (durch Beauftragung eines externen Dienstleisters) sowie Abgabe der Lottoscheine (einschließlich Einkauf der Lottospielscheine bei den jeweiligen staatlichen Lotterien) und Gewinnermittlung (im Rahmen des Gewinnspieleintragsdienstes würden Spieler bei kostenlosen Gewinnspielen eingetragen). Die Tätigkeit der Beschwerdeführerin als "Abwickler" für ihre Kunden umfasse die Betreuung von tausenden von Endkunden (Spielern) und sei neben der EDV-technischen Abwicklung in einer Vielzahl von Briefsendungen und telefonischen Kundenanfragen verbunden ("Massengeschäft"). Zur Bewältigung dieses "Massengeschäftes" bediene sich die Beschwerdeführerin verschiedener externer Dienstleister wie unter anderem der ***1*** s.r.o. Das Bereitstellen von Postfächern (verbunden mit der zugehörigen Adresse) sei Teil der Dienstleistung von ***1*** s.r.o.Aus diesem Grund seien seitens der ***1*** s.r.o. von der Firma ***A*** GmbH entsprechende Bürodienste in Anspruch genommen und auch diese Anschrift für die österreichische Betriebsstätte verwendet worden. Im Hinblick auf die Art der Geschäftsaktivitäten der ***1*** s.r.o. in Österreich erscheine die Inanspruchnahme der Bürodienste der ***A*** GmbH für sinnvoll und wirtschaftlich angemessen. Die sofortige Anmietung repräsentativer, eigener Büroräumlichkeiten in Österreich wäre auch vom wirtschaftlichen Standpunkt (Kosten) kaum vertretbar und jedenfalls unüblich. Die Adresse ***6*** sei somit keine "Scheinadresse", bestehe diesbezüglich auch ein ordnungsgemäßer Mietvertrag.

Darüber hinaus seien auf den seitens der ***1*** s.r.o. gelegten Rechnungen sowohl die Adresse des Stammhauses in der Slowakei als auch die Büroanschrift der Betriebsstätte in Wien angeführt. Die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin sei beginnend mit auch mit der steuerlichen Vertretung der österreichischen Betriebsstätte der ***1*** s.r.o. beauftragt gewesen; auch davor sei sie in Österreich steuerlich vertreten gewesen. Nach Übernahme der Buchhaltung und Lohnverrechnung vom bisherigen Steuerberater sei die Meldung an das Finanzamt betreffend Umsatzsteuer Februar 2009 sowie Lohnabgaben für Februar und März 2009 seitens der steuerlichen Vertretung nachgeholt und laufende monatliche Meldungen betreffend Umsatzsteuer und Lohnabgaben fristgerecht erfolgt. Die Buchhaltung sei von der steuerlichen Vertretung bis einschließlich Dezember 2009, die Lohnverrechnung bis April 2010 geführt worden. Das Auftragsverhältnis mit der ***1*** s.r.o. sei im Mai 2010 beendet worden, da der Geschäftsführer nicht mehr erreichbar gewesen sei und auch keine Belege für 2010 übermittelt worden seien. Die Umsatzsteuer und Lohnabgaben dieser Zeiträume seien ordnungsgemäß an das Finanzamt gemeldet und (teilweise zeitlich verzögert) seitens ***1*** s.r.o. bezahlt worden. Im betreffenden Zeitraum seien daher - entgegen den Ausführungen im Betriebsprüfungsbericht - Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und die Umsatzsteuerzahllast abgeführt worden.

In der österreichischen Betriebsstätte der ***1*** s.r.o. seien im Jahresdurchschnitt 2009 rund zwölf Dienstnehmer jeweils mit Wohnsitz in Wien (davon sechs Vollzeit und sechs Teilzeit) beschäftigt gewesen.

Die ***1*** mit Sitz in Bratislava sei ein ausländischer Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes. Bei der Erbringung von Leistungen mit einem Inlandsbezug unterlägen diese dem österreichischen Umsatzsteuergesetz. Die ***1*** s.r.o. habe durch in Österreich beschäftigte Dienstnehmer Leistungen an österreichische Unternehmen - unter anderem die Beschwerdeführerin - erbracht. Weiters habe sie in Österreich Bürodienste und Räumlichkeiten bei der Firma ***A*** GmbH für sich und Kunden angemietet. Die Leistungen der ***1*** s.r.o. seien in Österreich steuerbar und steuerpflichtig. Da sie durch ihre Tätigkeit in Österreich eine Betriebsstätte begründet habe, sei sie Registrierungs- und Aufzeichnungspflichten unterlegen, die vorgenommen worden seien. Die ***1*** sei beim Finanzamt 1/23 unter der Steuernummer ***5*** steuerlich erfasst und habe auch eine UID-Nummer. Die steuerliche Registrierung und Abfuhr der österreichischen Umsatzsteuer stehe nicht im Ermessen der ***1*** s.r.o. Zu den einzelnen Punkten aus dem Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung sei daher festzuhalten:

1. Eine missbräuchliche Rechnungsausstellung sei nicht erfolgt, weil tatsächlich in Österreich erbrachte Leistungen abgerechnet worden seien. Diesbezügliche Unterlagen und Nachweise betreffend an die Beschwerdeführerin erbrachte Leistungen könnten beigebracht werden. Die notwendigen Aufzeichnungen seien in Österreich geführt und die monatliche Umsatzsteuerzahllast an das Finanzamt gemeldet und auch bezahlt worden. Dem Grundprinzip der Neutralität der Umsatzsteuer sei daher entsprochen. Die Abgabe von Jahressteuererklärungen habe keine Bedeutung für die Beurteilung der Umsatzsteuerpflicht von Leistungen.

2. Die Inanspruchnahme der Bürodienste und Büroräumlichkeiten der ***A*** GmbH sei wirtschaftlich sinnvoll und angemessen gewesen. Der Umstand, dass noch andere Räumlichkeiten für Mitarbeiter des Callcenters verwendet worden seien, sei nicht schädlich. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass die ***1*** s.r.o. in Österreich lediglich im Rahmen einer Betriebsstätte tätig gewesen sei und auf den jeweiligen Rechnungen auch die Adresse des Sitzes in Bratislava vermerkt gewesen sei. Die auf den Rechnungen angeführte Adresse in Österreich unter jener der Slowakei seien daher zutreffend.

3. Reverse Charge gemäß § 19 Abs. 1 UStG - keine Betriebsstätte im Inland: Aufgrund der Aktivitäten der ***1*** s.r.o. in Österreich (Beschäftigung von Dienstnehmern, Inanspruchnahme von Büroräumlichkeiten, Leistungsbeziehungen in Österreich) seien die Leistungen der ***1*** s.r.o. in Österreich steuerbar und steuerpflichtig; korrespondierend seien noch die Leistungen der Beschwerdeführerin gegenüber der österreichischen Betriebsstätte der ***1*** s.r.o. umsatzsteuerpflichtig. Der Umstand, dass in der österreichischen Betriebsstätte Dienstnehmer beschäftigt wurden, sei bekannt gewesen. Die im Zuge der Schlussbesprechung seitens der Prüfer getätigte Aussage, dass die Dienstnehmer ausländische Namen hätten und diese auch in der Slowakei gesessen haben könnten, könnte leicht widerlegt werden, da die Dienstnehmer im Wesentlichen österreichische Staatsbürger und auch in Wien wohnhaft seien. Die weitere Aussage, dass nie Umsatzsteueranmeldungen abgegeben worden und nie Umsatzsteuer bezahlt worden sei, habe noch während der Schlussbesprechung durch Einsichtnahme in das Steuerkonto der ***1*** s.r.o. widerlegt werden können.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wurde die Berufung (nunmehr: Beschwerde) gegen den Umsatzsteuerbescheid 2009 sowie gegen den Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer 01/2010, 02/2010 und 03/2010 (beide vom ) abgewiesen. Zur Begründung wurde auf die Feststellungen der Betriebsprüfung vom Bericht vom verwiesen. Schon aus der vertraglich vereinbarten Weiterleitung der Postsendungen an die ***1*** s.r.o. durch die Firma ***A*** ergebe sich, dass die geschäftliche Tätigkeit zwingend an einem anderen Ort als der in den Rechnungen aufscheinenden Geschäftsanschrift in ***6***, erfolgt sein müsse, wodurch die in den Rechnungen aufscheinende Anschrift unrichtig gewesen sei und nicht den in § 11 UStG 1994 festgelegten Merkmalen entspreche, weshalb kein Vorsteuerabzug zustehe. Im Übrigen zeige eine Internetrecherche, dass sich an der in den Rechnungen ebenfalls angeführten slowakischen Adresse ebenfalls eine Niederlassung der Firma ***A*** befinde. Es werde daher davon ausgegangen, dass die Geschäftstätigkeit an einem anderen Ort in Österreich stattfinde, der nicht auf den Rechnungen aufscheine. Es komme somit nicht zum Übergang der Steuerschuld gemäß § 19 UStG 1994, weshalb in diesem Punkt der Berufung (Beschwerde) stattgegeben werde.

In ihrem rechtzeitigen Vorlageantrag vom wiederholte die beschwerdeführende Gesellschaft ihr Vorbringen und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem gesamten Senat. Auf Grund der Ausführungen in der Berufungsvorentscheidung verbleibe lediglich der Punkt "falsche Rechnungsanschrift" zu dem wie folgt ausgeführt werde: Es sei nicht verwerflich, sich eines professionellen Anbieters wie der ***A*** für Büroräumlichkeiten und Bürodiensten zu bedienen. Der Umstand, dass Postsendungen zweimal pro Woche weitergeleitet worden seien, erkläre sich aus der Geschäftstätigkeit der ***1*** s.r.o., die die Bereitstellung von Postfächern für Kunden und Kundenbriefbearbeitung beinhalte.

Am fand vor dem Bundesfinanzgericht die beantragte mündliche Verhandlung vor dem gesamten Senat statt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde mit Gesellschaftsvertrag vom gegründet und am im Firmenbuch eingetragen. ***2*** fungierte als ihr Geschäftsführer. Auf Grund des Generalversammlungsbeschlusses vom ist die Gesellschaft aufgelöst. Der bisherige Geschäftsführer wurde zum Liquidator bestellt (vgl. historischer Firmenbuchauszug zu FN ***7***).

Die Tätigkeit der Beschwerdeführerin als IT Dienstleistungsunternehmen umfasste im Jahr 2009 bzw. in den Monaten Jänner bis März 2010 insbesondere die Abwicklung von Lottospielgemeinschaften und Gewinnspieleintragungsdiensten für ihre Kunden, insbesondere Korrespondenz (zB Begrüßungsschreiben, Anfragebeantwortung, Mitteilung über Spielergebnisse und allfällige Gewinne), Bereitstellen der Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Endkunden (Service Hotline, Faxnummer, Website), mündliche Anfragebeantwortung (in der Regel durch Mitarbeiter in einem Callcenter), Durchführung der Abrechnung (Führung der Spielerkonten) und des Zahlungsverkehrs (durch Beauftragung eines externen Dienstleisters) sowie Abgabe der Lottoscheine (einschließlich Einkauf der Lottospielscheine bei den jeweiligen staatlichen Lotterien) und Gewinnermittlung. Die Tätigkeit der Beschwerdeführerin als "Abwickler" für ihre Kunden umfasste die Betreuung von tausenden von Endkunden (Spielern) und war neben der EDV-technischen Abwicklung mit einer Vielzahl von Briefsendungen und telefonischen Kundenanfragen verbunden ("Massengeschäft").

Zur Bewältigung dieser Masse bediente sich die Beschwerdeführerin verschiedener externer Dienstleister wie unter anderem der ***1*** s.r.o. Diese wurde am mit Sitz in Bratislava gegründet, als Geschäftsführer fungierte ***3*** mit Wohnort in 1170 Wien. Gesellschafterin war die ***4*** mit Sitz in Panama City (vgl. beglaubigte Übersetzung aus dem Handelsregister des Bezirksgerichtes Bratislava I).

Zwischen der ***1*** s.r.o. und der beschwerdeführenden Gesellschaft bestanden schriftliche Vereinbarungen über die von der ***1*** s.r.o. zu erbringenden Leistungen, insbesondere Inbound und Callcenter-Dienstleistungen (Service Hotline), die Übernahme sämtlicher Postsendungen und die Bereitstellung von Postfächern für Kunden der Beschwerdeführerin, Kundenbriefbearbeitung für Kunden der Beschwerdeführerin, Bearbeitung sonstigen Schriftverkehrs für Kunden der Beschwerdeführerin (vgl. u.a. Vereinbarung über die Erbringung von Dienstleistungen im Kundenservice zwischen der beschwerdeführenden Gesellschaft und der ***1*** s.r.o. vom ). Die Geschäftsbeziehung kam dadurch zustande, dass die Vorgängerin der ***1*** s.r.o., die LottoTip, und die beschwerdeführende Gesellschaft im selben Haus in 1040 Wien angesiedelt waren (vgl. dazu auch die genannten Firmenbuchsauszüge). Die Kontakte entstanden durch den Geschäftsführer der beschwerdeführenden Gesellschaft und den Gesellschafter der ***1*** s.r.o.

Die in Rede stehenden Rechnungen der Firma ***1*** s.r.o., ***11***, wurden von dieser an die beschwerdeführende Gesellschaft ausgestellt. Auf ihnen scheint sowohl die slowakische Adresse als auch jene der "Repräsentanz" in ***6*** auf. Die Bezahlung der Rechnungen erfolgte durch Überweisung auf das in der Rechnung ausgewiesene österreichische Konto überwiesen (vgl. die im Akt enthaltenen Überweisungsbelege).

Diese genannte Adresse in Wien befand sich in den Räumlichkeiten der ***A*** GmbH (vgl. im Akt befindliche Rechnungen sowie beglaubigte Übersetzung aus dem Handelsregister des Bezirksgerichtes Bratislava I). Aus dem dazu abgeschlossenen Mietvertrag ergibt sich, dass die ***1*** s.r.o. dort ein ***10*** angemietet hat. Darin enthalten war das Bereitstellen von Bürodiensten durch die ***A*** und die Nutzung der renommierten Adresse für den Empfang und die Weiterleitung von Postsendungen zweimal pro Woche (vgl. im Akt enthaltene Kopie des Mietvertrages). Die Inanspruchnahme der Bürodienste der ***A*** GmbH erschien für die ***1*** s.r.o. sinnvoll und wirtschaftlich angemessen. Da man schnell mehr Mitarbeiter brauchte, lagerte man die zu verrichtenden Dienste insbesondere an die Adresse 1070 Wien, ***12***, im Rahmen eines Untermietvertrages aus. Besprechungen mit Kunden wurden in 1010 Wien durchgeführt, während sämtliche Mitarbeiter in 1070 Wien tätig waren (vgl. Aussage des ***3*** in der mündlichen Verhandlung). Es steht fest, dass sämtliche gegenständlichen Leistungen durch die ***1*** s.r.o. tatsächlich erbracht wurden. Der Geschäftsführer der beschwerdeführenden Gesellschaft führte regelmäßig UID-Nummerabfragen und kannte die Repräsentationsräumlichkeiten der ***1*** s.r.o. in 1010 Wien, wusste aber auch, dass die Callcenter-Tätigkeiten in den Räumlichkeiten in 1070 Wien ausgeübt wurden (vgl. Aussage ***2*** in mündlicher Verhandlung).

Die Beträge der Eingangsrechnungen in Zusammenhang mit der ***1*** s.r.o. stellten sich wie folgt dar:

[…]

Die ***1*** s.r.o. kam es nach Vorhalten im Jahr 2009 zur schätzungsweisen Fesetzsetzung und Erlassung der Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 (vgl. AIS-Eintrag zum Jahr 2009 zur ***1*** s.r.o., StNr. ***5***). Auf Grund des Beschlusses vom des HG Wien kam es mangels Kostendeckung zu keiner Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die ***1*** s.r.o. Die Firma ***A*** kündigte spätestens mit den Mietvertrag mit der ***1***, da weder Mietgebühren noch sonstige Auslagen entrichtet wurden (vgl. AIS EB Akt der ***1*** s.r.o. StNr ***5***).

Der Steuerberater der beschwerdeführenden Gesellschaft betreute diese seit ihrer Gründung und war - nach Vermittlung durch die beschwerdeführende Gesellschaft - ab auch mit der steuerlichen Vertretung der österreichischen Betriebsstätte der ***1*** s.r.o. beauftragt (vgl. Angaben des Steuerberaters in der Beschwerde sowie in der mündlichen Verhandlung). Mit Mai 2010 stellte er die Beratungstätigkeit der ***1*** s.r.o. ein, da diese ab Jänner 2010 keine Unterlagen mehr vorgelegt hatte. Die ***1*** s.r.o. beschäftigte im Jahresdurchschnitt 2009 rund zwölf Dienstnehmer, die alle einen Wiener Wohnsitz innehatten (vgl. im Akt enthaltener AIS-Auszug zur ***1*** s.r.o. mit den Namen der Dienstnehmer).

Hinweise auf ein betrügerisches Handeln der beschwerdeführenden Gesellschaft, insbesondere solche, die auf eine Beteiligung an einer Umsatzsteuerhinterziehung hinweisen, konnten nicht festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den dem Bundesfinanzgericht vorliegenden, erwähnten und zum Teil in Klammer zitierten Unterlagen bzw. Beweismitteln. In Ergänzung dazu ist auszuführen: In der mündlichen Verhandlung machten der ehemalige Geschäftsführer und nunmehrige Liquidator der beschwerdeführenden Gesellschaft und der Geschäftsführer der ***1*** s.r.o. übereinstimmende glaubhafte Aussagen zum Zustandekommen der Geschäftsbeziehung zwischen den beiden Firmen sowie zu deren Geschäftsgegenstand. ***2*** legte nachvollziehbar dar, dass er die ***1*** s.r.o. auf Grund der räumlichen Nähe der Vorgängerfirma der ***1*** s.r.o. zur beschwerdeführenden Gesellschaft kannte (beide hatten Räumlichkeiten im selben Gebäude in 1040 Wien). Daher ist es auch glaubhaft und lebensnah, dass er die ***1*** s.r.o. nicht an der Firmenadresse in 1010 Wien besucht hat. Ihm war allerdings bekannt, dass die Leistungen der ***1*** s.r.o. an anderen Adressen in Wien erbracht wurden. Die belangte Behörde hat in diesem Zusammenhang keine weiteren Ermittlungen durchgeführt und sich allein auf die in den Rechnungen angegebene Adresse bzw. die dort durchgeführte Nachschau gestützt. Es ist für das Bundesfinanzgericht zwar glaubhaft, dass bei den Erhebungen des Finanzamtes an der Rechungsadresse der ***1*** s.r.o. keine Betriebsräumlichkeiten vorgefunden wurden, an denen die Callcenterdienste verrichtet werden hätten können, aber auch für das Finanzamt war evident, dass die Geschäftstätigkeit an einer anderen Adresse in Österreich bzw. Wien erfolgte. Für die belangte Behörde wäre es ein Leichtes gewesen, durch Nachfragen bei den beiden Geschäftsführern oder aber bei der ***A*** betreffend Herausgabe der Nachsendeadressen für die Postsendungen weitere Informationen zu den Leistungsorten der ***1*** s.r.o. in Wien zu bekommen. Dass die Leistungen durch die ***1*** s.r.o auch tatsächlich erbracht wurden, wurde in der mündlichen Verhandlung von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen. Bei Abstellen auf die tatsächlichen Gegebenheiten und die übereinstimmenden Aussagen der beiden einvernommenen Geschäftsführer ist daher glaubhaft, dass die Leistungen von der ***1*** s.r.o. an den genannten Adressen in 1070 bzw. 1040 Wien erbracht worden sind.

Dass Hinweise auf ein betrügerisches Handeln der beschwerdeführenden Gesellschaft, insbesondere solche, die auf eine Beteiligung an einer Umsatzsteuerhinterziehung hinweisen, nicht festgestellt werden konnten, gründet auf folgenden Umständen:

Der Geschäftsführer der beschwerdeführenden Gesellschaft wurde zwar zunächst mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom , ***9***, wegen des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs. 1 StGB zu einer bedingt auf drei Jahre nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, aber von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe als

[...]

freigesprochen.

In Stattgebung seiner Nichtigkeitsbeschwerde wurde er mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom , ***13***, vom Vorwurf des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels freigesprochen.

Mit weiterem Urteil des LG für Strafsachen Wien vom , ***8***, wurde ***2*** des Verbrechens des schweren Betruges als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs. 3 StGB schuldig erkannt und dafür zu einer gemäß § 43 Abs.1 StGB unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt. Nach dem Inhalt des Schuldspruchs

[...]

Sämtliche inkriminierten Handlungen standen nicht in Zusammenhang mit den hier gegenständlichen Rechnungen der ***1*** s.r.o., sodass für den erkennenden Senat auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen sind, dass die betreffenden Umsätze in Zusammenhang mit Umsatzsteuerhinterziehungen stünden (vgl. dazu ).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchpunkt I.

3.1.1.Zunächst ist festzuhalten, dass nach § 253 BAO idF BGBl. I 14/2013 die Beschwerde gegen die Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide auch als gegen die Umsatzsteuerbescheide gerichtet gilt.

Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zwar in vollem Umfang anfechtbar, haben aber insofern einen zeitlich begrenzten Wirkungsbereich, als sie durch Erlassung eines Jahresbescheides außer Kraft gesetzt werden.

Für das gegenständliche Verfahren gilt daher, dass die Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Zeiträume 01/2010, 02/2010 und 03/2010 jeweils vom infolge Erlassung des Jahresbescheides (betreffend Umsatzsteuer für das Jahr 2010 vom ) nicht mehr dem Rechtsbestand angehören.

Aus diesem Grund gilt die gegen die Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide 01/2010, 02/2010 und 03/2010 gerichtete Beschwerde gemäß § 253 BAO auch als Beschwerde gegen den Veranlagungsbescheid Umsatzsteuer 2010 gerichtet angesehen.

3.1.2.Gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 kann der Unternehmer die von anderen Unternehmern in einer Rechnung (§ 11) an ihn gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die im Inland für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.

Voraussetzung dafür ist u.a., dass der Rechnung eindeutig die Unternehmer zu entnehmen sind, die einander als Leistungsempfänger einerseits und als Leistungserbringer andererseits gegenübergestanden sind. Sowohl Name als auch Adresse sind notwendige Rechnungsangaben im Sinne des § 11 Abs. 1 Z 1 UStG 1994. Allerdings enthält § 11 Abs. 3 UStG 1994 ausdrücklich Erleichterungen bei deren Angabe und normiert, dass "jede Bezeichnung ausreichend (ist), die eine eindeutige Feststellung des Namens und der Anschrift des Unternehmens sowie des Abnehmers der Lieferung oder des Empfängers der sonstigen Leistung ermöglicht" (vgl. ).

Im vorliegenden Fall wurde der Vorsteuerabzug im angefochtenen Bescheid deshalb untersagt, weil die belangte Behörde zunächst davon ausgegangen ist, dass das leistende Unternehmen weder einen Sitz noch eine Betriebsstätte in Österreich hatte und die Steuerschuld daher gemäß § 19 Abs. 1 UStG 1994 auf den Leistungsempfänger übergegangen sei. In der Berufungsvorentscheidung ließ die belangte Behörde von dieser Meinung wieder ab und begründete die Versagung des Vorsteuerabzuges allein damit, dass eine Rechnung, aus der nicht die richtige Adresse des leistenden Unternehmers hervorgehe, nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Die beschwerdeführende Gesellschaft wendete im Wesentlichen ein, das leistende Unternehmen habe sehr wohl an der in der Rechnung genannten Adresse ihre Geschäftstätigkeit entfaltet.

3.1.3. Der Besitz einer Rechnung, die die in Art. 226 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Angaben enthält, stellt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union eine formelle Bedingung für das Recht auf Vorsteuerabzug dar. Nach dem Urteil vom in den Rechtssachen C-374/16, Geissel, und C-375/16, Butin, ist aber der Vorsteuerabzug zu gewähren, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Bedingungen nicht genügt hat.

Auch nach jüngerer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Unzulässigkeit des Vorsteuerabzugs nicht damit begründet werden, dass die Rechnungen nicht die richtige Anschrift iSd § 11 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 enthielten, weil die vom Finanzamt inkriminierte Gesellschaft an den in ihren Rechnungen ausgewiesenen Anschrift nicht auffindbar gewesen sei bzw. dort keine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet hätte (vgl. ).

In den angefochtenen Bescheiden wurde die Unzulässigkeit des Vorsteuerabzugs hinsichtlich der Rechnungen der ***1*** s.r.o. im Wesentlichen mit dem Vorliegen formeller Rechnungsmängel begründet, insbesondere damit, dass die Rechnungen nicht die richtige Anschrift iSd § 11 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 enthielten, weil die vom Prüfer inkriminierte Gesellschaft an der in ihren Rechnungen ausgewiesenen Anschrift keine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet hätte. Feststellungen, ob die für die Gewährung des Vorsteuerabzugs erforderlichen materiellen Voraussetzungen im Streitfall erfüllt waren, wurden von der belangten Behörde nicht getroffen, da es nach der damaligen Judikatur und Verwaltungsmeinung einzig auf die formellen Voraussetzungen ankam.

Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen und der dargestellten Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union und des Verwaltungsgerichtshofes ist das Bundesfinanzgericht der Ansicht, dass im vorliegenden Fall die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt waren. Der Beschwerde war daher Folge zu geben und die angefochtenen Bescheide waren - wie aus den beigefügten Berechnungsblättern betreffend Umsatzsteuer 2009 und 2010 ersichtlich - unter Anerkennung der Vorsteuern iHv € 54.998,98 für das Jahr 2009 und iHv € 10.841,33 für das Jahr 2010 abzuändern.

3.2. Zu Spruchpunkt II.

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Revision ist mangels einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht zulässig, weil das Bundesfinanzgericht in rechtlicher Hinsicht der in der Entscheidung dargestellten Judikatur folgt.

Wien, am

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Materie
Steuer
betroffene Normen
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ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7102309.2012

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at