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Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 22.09.2020, RV/2100749/2020

Wiederaufnahme des Verfahrens: Begründung der Sache der Verfahrenswiederaufnahme durch Verweis auf die Niederschrift über abgabenbehördliche Prüfung und den Prüfungsbericht

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/2100749/2020-RS1
Aus dem im Betriebsprüfungsbericht gegebenen Hinweis auf einzelne Textziffern darf die Rechtsmittelbehörde im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 Abs. 4 BAO (nun: § 303 Abs. 1 BAO) folgern, dass das Finanzamt die Wiederaufnahme auf den Neuerungstatbestand gestützt hat und die in den einzelnen Textziffern getroffenen Prüfungsfeststellungen jenen Tatsachenkomplex bilden, der nach Ansicht des Finanzamtes im Zuge der Prüfung neu hervorgekommen ist (vgl. )

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch durch den Senatsvorsitzenden Dr. Michael Rauscher und die weiteren Senatsmitglieder Mag. Franz Glashüttner, Dr. Christian Haid und Mag. Bruno Sundl im Beisein der Schriftführerin Claudia Schmölzer über die Beschwerden der ***Bf***, ***Bf-Adr*** vertreten durch die LBG Steiermark Steuerberatung GmbH, Rathausplatz 3, 8940 Liezen vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Judenburg Liezen vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer 2014 bis 2016 zu Recht erkannt:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin ist eine GmbH. Geschäftszweig ist laut Firmenbuch der Handel mit Waren aller Art (ausgenommen Bankgeschäfte) sowie Beteiligung an und die Gründung von anderen Unternehmen mit gleichem oder ähnlichem Unternehmensgegenstand.

Mit Bescheid über einen Prüfungsauftrag vom führte die belangte Behörde bei der Beschwerdeführerin eine Außenprüfung ua. betreffend Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer 2014 bis 2017 durch. Aufgrund der dort vom Prüfer getroffenen Feststellungen verfügte die belangte Behörde mit den hier entscheidungsgegenständlichen Bescheiden vom die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer 2014 bis 2016 und setze die betroffenen Abgaben mit den (hier nicht entscheidungsgegenständlichen) Sachbescheiden neu fest. Zur Begründung der Verfahrenswiederaufnahmen verwies die belangte Behörde in diesen Bescheiden auf die über die abgabenbehördliche Prüfung aufgenommene Niederschrift und den Prüfungsbericht. Im vorliegenden Fall habe - so die Ermessensbegründung - das Interesse an der Rechtsrichtigkeit das Interesse an der Rechtsbeständigkeit überwogen.

Mit Schreiben erhob die Beschwerdeführerin durch ihren steuerlichen Vertreter die Beschwerden gegen die Wiederaufnahmsbescheide und beantragt deren Aufhebung. Zur Begründung ist dem Schreiben neben umfangreicher Zitierung der bezughabenden VwGH-Rechtsprechung zur Verfahrenswiederaufnahme zu entnehmen, dass im Spruch der "Wiederaufnahmetatbestand" nicht zu entnehmen sei, in der Begründung keine Wiederaufnahmegründe angeführt seien und eine Begründung hinsichtlich der Ermessensübung fehle (siehe Seite 3). Die Begründungen der Wiederaufnahmebescheide enthielten keine weitergehenden "Informationen zum hier relevanten Wiederaufnahmetatbestand". Nach einer Einzelfallentscheidung sei es dem VwGH zwar ausreichend erschienen, dass der Wiederaufnahmetatbestand dem Außenprüfungsbericht entnehmbar gewesen sei (vgl. , 90/13/0027), allerdings werde im vorliegenden Fall in der Bescheidbegründung in keiner Weise dargelegt, um welchen Prüfungsbericht es sich handeln solle (siehe Seite 4). Um welche Niederschrift bzw. um welchen Prüfungsbericht es sich dabei handle oder welche Teilzahl des Berichts konkret gemeint sei, sei dieser Begründung nicht zu entnehmen. Mangels Verweis auf einen konkreten Bericht bzw. eine konkrete Teilzahl sei der Begründung der jeweiligen Wiederaufnahmebescheide aber eben gerade nicht zu entnehmen, welche Wiederaufnahmegründe vorlägen (siehe ebenfalls Seite 4). Darüber hinaus werde mit dem in der Begründung der Abgabenbehörde angeführten bloß "formelhaften" Verweis auf den Vorrang des Prinzips der Rechtsrichtigkeit vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit nach Ansicht der Lehre der ordnungsgemäßen Begründungspflicht hinsichtlich des Ermessens nicht Rechnung getragen. Die gegenständlichen Wiederaufnahmebescheide enthielten somit auch hinsichtlich der Ermessensübung keinerlei konkretisierte Ausführungen (siehe nochmals Seite 4).

Die belangte Behörde wies die hier entscheidungsgegenständlichen Beschwerden mit Beschwerdevorentscheidungen vom als unbegründet ab und begründet dies im Wesentlichen damit, dass ein Verweis auf die anlässlich der Schlussbesprechung aufgenommene Niederschrift und den Prüfungsbericht nach hL und über zwei Jahrzehnte langer ständiger Rechtsprechung jedenfalls zulässig sei (siehe Seite 2). Die Ausführungen im Bericht samt den unmittelbar bescheidlichen Ausführungen seien insgesamt auffallend umfangreich und mustergültig; sie würden in der Beschwerde völlig zu Unrecht auf eine "bloß formelhafte" Darlegung "heruntergespielt" (siehe Seite 4). Es sei zwar im Bescheid unmittelbaren Begründungsteil zu den dort verwiesenen Schriftstücken ("darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfbericht")keine Datumsangabe angeführt, was jedoch entgegen der Beschwerde keinen mangelhaften bzw. zu wenig konkreten Verweis und schon gar nicht einen wesentlichen Begründungsmangel darzustellen vermöge, zumal - abgesehen davon, dass bei der Beschwerdeführerin eine ohnehin sehr weit zurückliegende die Jahre 2008 bis 2010 umfassende Vorbetriebsprüfung stattgefunden habe und somit hier keinerlei Unklarheit oder Verwechslungsmöglichkeit mit anderen Prüfungsmaßnahmen möglich sei - die im Vorfeld und eindeutigen Konnex mit den gegenständlichen Wiederaufnahmsbescheiden 2014 bis 2016 gesetzten Verfahrensschritte (nämlich beginnend ab dem nachweislich der Geschäftsführerin persönlich am zugestellten Prüfungsauftrag vom , die anschließende sich über mehrere Wochen erstreckende Prüfungsdurchführung, bis hin zur in Anwesenheit der Beschwerdeführerin-Vertreter in Gestalt von Geschäftsführerin und Steuerberater durchgeführten Schlussbesprechung samt deren Niederschriftsunterzeichnungen am , und letztlich Zustellung aller Bescheide samt Bericht vom jeweils nachweislich am an den zustellbevollmächtigten Steuerberater) ohne jeden Zweifel und damit ganz offensichtlich eben nur diese eine Niederschrift gemäß § 149 Abs. 1 BAO vom und eben nur diesen einen Prüfbericht gemäß § 150 BAO vom bezüglich der laut übergebenen Prüfungsauftrag gemäß § 148 BAO vom geprüften Abgaben Umsatz- und Körperschaftsteuern 2014 bis 2016 hätten betreffen können (siehe Seite 4). Insgesamt besteht für die Beschwerdeführerin bzw. ihre beiden Vertreter eine völlig zweifelsfrei nachvollziehbare durchgehende bzw. lückenlose Verweis- und Begründungskette (siehe Seite 4). Zur Ermessensübung ist der Begründung der belangten Behörde unter Hinweis auf VwGH-Rechtsprechung zu entnehmen, dass mit wenigen Ausnahmen (wie etwa im hier nicht vorliegenden Verjährungseintritt oder bei bloß unwesentlicher Geringfügigkeit der Auswirkungen) die Herstellung des rechtskonformen Status jedenfalls geboten sei (siehe Seite 5). Allein schon aus dem direkten Begründungstext ergebe sich eine völlig ordnungsgemäße Begründung für das hier geübte Ermessen (siehe Seite 6). Gegenständlich sei aber ohnehin zusätzlich auch auf die nicht bloß geringfügigen Auswirkungen hingewiesen worden, zumal die Nachforderungen laut den im Gefolge der Wiederaufnahme gemäß § 307 BAO neu ergangenen Umsatzsteuerbescheiden 2,500 € (2014), 2.700 € (2015) und 2.400 € (2016), in Summe somit 7.600 €, betragen hätten, und weiters bezüglich Körperschaftsteuer die neu ergangenen Bescheide zu jährlichen Erhöhungen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb (2014 von erklärt 55.959 auf 68.620 €; 2015 von erklärt 9.870 € auf 39,031 €; 2016 von erklärt 45.317 € auf 62.849 €) und damit zu einem schnelleren Verbrauch der Verlustvorträge geführt habe, womit für 2016 erstmals eine über der bis dahin vorgeschriebenen Mindest-Körperschaftsteuer (1.750 €) liegende Abgabe (2.844 €) festsetzbar geworden sei (siehe Seite 6).

Mit Schreiben vom stellte die Beschwerdeführerin durch ihren steuerlichen Vertreter gegen diese Beschwerdevorentscheidungen ohne weiteres Vorbringen die Vorlageanträge.

Mit Vorlagebericht vom legte die belangte Behörde die Bescheidbeschwerden dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Die Beschwerdeführerin hat die Entscheidung durch den Senat beantragt. Der Antrag auf mündliche Verhandlung wurde zurückgenommen.

Das Bundesfinanzgericht hat über die Bescheidbeschwerden erwogen:

Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann ua. von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte (§ 303 Abs. 1 BAO).

Vorweg ist festzuhalten, dass weder im Beschwerdeschreiben noch im Vorlageantragsschreiben Einwendungen gegen den Spruch der mit den Verfahrenswiederaufnahmen verbundenen Abgabenbescheide erhoben wurden.

Mit dem Vorbringen, dass dem Spruch (der angefochtenen Bescheide) der "Wiederaufnahmetatbestand" nicht zu entnehmen sei (siehe Seite 3 des Beschwerdeschreibens), zeigt die Beschwerdeführerin keine Rechtswidrigkeit auf, weil es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens darauf ankommt, ob die Abgabenbehörde die Wiederaufnahme des Verfahrens ausreichend begründet hat, indem sie jene (als Wiederaufnahmegründe tauglichen) Umstände, die als Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind (und die Abgabenbehörde im wiederaufgenommenen Verfahren zu einem anderslautenden Bescheid veranlasst haben), dem Abgabepflichtigen bekannt gegeben hat (vgl. dazu die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum bis geltenden Rechtsmittelverfahren, insbes ; vgl. auch ; ; ; ; ; ; ; ; ; ; ; ).

Wenn die Beschwerdeführerin bemängelt, dass in der Begründung keine Wiederaufnahmegründe angeführt seien (siehe nochmals Seite 3 des Beschwerdeschreibens) und die Begründungen der Wiederaufnahmebescheide keine "weitergehenden Informationen zum hier relevanten Wiederaufnahmetatbestand" zu entnehmen sei (siehe Seite 4 des Beschwerdeschreibens), so ist ihr die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegenzuhalten, wonach es nicht rechtswidrig ist, in der Begründung eines Bescheides auf die der Partei zugegangenen Schriftstücke (zB Betriebsprüfungsbericht) Bezug zu nehmen (; vgl. auch ).

Soweit die Beschwerdeführerin bemängelt, dass der (auf die über die abgabenbehördliche Prüfung aufgenommene Niederschrift und den Prüfungsbericht verweisenden) Begründung der Wiederaufnahmebescheide nicht zu entnehmen sei, um welche Niederschrift bzw. um welchen Prüfungsbericht es sich dabei handle oder welche Teilzahl des Berichts konkret gemeint sei, und dass mangels Verweises auf einen konkreten Bericht bzw. eine konkrete Teilzahl der Begründung der jeweiligen Wiederaufnahmebescheide nicht zu entnehmen sei, welche Wiederaufnahmegründe vorlägen (siehe Seite 4 des Beschwerdeschreibens), so zeigt sie damit keine Rechtswidrigkeit auf, weil ihr Vorbringen nicht erkennen lässt, dass tatsächlich (berechtigte) Zweifel aufgekommen sind, dass mit dem Verweis der Begründung der Wiederaufnahmebescheide auf den Prüfungsbericht der der Beschwerdeführerin (im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang) bekannt gegebene Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung vom gemeint war. Aus dem im Betriebsprüfungsbericht gegebenen Hinweis auf einzelne Textziffern darf die Rechtsmittelbehörde im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 Abs. 4 BAO (nun: § 303 Abs. 1 BAO) folgern, dass das Finanzamt die Wiederaufnahme auf den Neuerungstatbestand gestützt hat und die in den einzelnen Textziffern getroffenen Prüfungsfeststellungen jenen Tatsachenkomplex bilden, der nach Ansicht des Finanzamtes im Zuge der Prüfung neu hervorgekommen ist ().

Schließlich bemängelt die Beschwerdeführerin, dass die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide hinsichtlich der Ermessensübung keine konkretisierten Ausführungen enthielten, sondern einen bloß "formelhaften" Verweis auf den Vorrang des Prinzips der Rechtsrichtigkeit vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit, womit der ordnungsgemäßen Begründungspflicht hinsichtlich des Ermessens nicht Rechnung getragen worden sei (siehe Seite 4 des Beschwerdeschreibens)

Die Durchführung der Wiederaufnahme des Verfahrens liegt im Ermessen der Behörde. Wenn die Rechtsfrage dahingehend geklärt ist, dass ein Wiederaufnahmegrund tatsächlich gegeben ist, hat die Behörde in Ausübung ihres Ermessens zu entscheiden, ob die Wiederaufnahme zu verfügen ist. Dabei sind der Sinn des Gesetzes (Art. 130 Abs. 2 B-VG idF vor BGBl. I Nr. 51/2012, nunmehr Art. 133 Abs. 3) und § 20 BAO als Ermessensrichtlinien zu berücksichtigen (vgl. zB ).

Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), müssen sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen (§ 20 BAO).

Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren in Abgabensachen ist die Ermessensentscheidung durch das Bundesfinanzgericht zu treffen (vgl. Art. 130 Abs. 3 B-VG).

Im Beschwerdefall geht das Bundesfinanzgericht davon aus, dass die Wiederaufnahme der Abgabenverfahren aus den von der Abgabenbehörde herangezogenen Umständen zur Erhebung der betroffenen Umsatzsteuern und Körperschaftsteuern in der gesetzlichen (und nicht geringfügigen) Höhe in Erfüllung des gesetzlichen Auftrages zur Gleichbehandlung aller Abgabepflichtigen (§ 114 BAO) zweckmäßig war. Unbilligkeitsgründe sind der Aktenlage nicht zu entnehmen und wurden auch von der Beschwerdeführerin nicht behauptet.

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da diese Voraussetzung im Hinblick auf die oben wiedergegebene Rechtsprechung nicht vorliegt, war auszusprechen, dass die Revision nicht zulässig ist.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.2100749.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at