Neuer Lohnzettel keine ausreichende Begründung für Wiederaufnahme
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***1*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***2***, ***3***, über die Beschwerde vom gegen folgende Bescheide des ***4***
Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2013 und Einkommensteuerbescheid 2013, jeweils vom
Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 sowie Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015, jeweils vom
zu Recht erkannt:
Der Beschwerde gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2013 bis 2015 wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide 2013 bis 2015 wird als gegenstandslos erklärt.
Gegen dieses Erkenntnis bzw. diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahren vor der Abgabenbehörde
Aufgrund der Arbeitnehmerveranlagungen des Beschwerdeführers, im folgenden "der Bf.", für die Jahre 2013 bis 2015 wurde die Einkommensteuer für die Jahre 2013 bis 2015 rechtskräftig veranlagt.
Der Bf. bewohnte in den Jahren 2013 bis 2015 eine Dienstwohnung, die ihm durch seinen Dienstgeber, das Bundesministerium für ***5***, zur Verfügung gestellt wurde. Nach einem Rechnungshofbericht wurde eine GPLA-Prüfung bei diesem Ministerium durchgeführt. Die GPLA-Prüfung kam zum gleichen Ergebnis wie zuvor bereits der Rechnungshof, wonach die Zurverfügungstellung von Natural- oder Dienstwohnungen einen geldwerten Vorteil für die aktiven und ehemaligen Bediensteten des Bundesministeriums für ***5*** darstelle, der als Sachbezug zu versteuern gewesen wäre. Das Ministerium stellte daher im Mai 2019 für die betroffenen (ehemaligen) Bediensteten des Bundesministeriums für ***5*** Lohnzettel über die in den einzelnen Fällen festgestellten steuerpflichtigen Sachbezüge aus.
Die für den Bf. am für 2013 und 2014 sowie am für 2015 ausgestellten zusätzlichen Sachbezugslohnzettel führten bei diesem mit Bescheid vom zu einer Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2014 und 2015. Die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2013 wurde mit Bescheid vom verfügt. Die Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 wurden am und jener für 2013 am neu erlassen. Darin wurden die zusätzlichen Lohnzettel berücksichtigt, weshalb sich in den neuen Sachentscheidungen gegenüber den Erstbescheiden Abgabennachforderungen in Höhe von 486 Euro (2013), 535 Euro (2014) bzw. 496 Euro (2015) ergaben.
Der Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2013 wurde wie folgt begründet: "Das Verfahren war gemäß § 303 (1) BAO BAO wiederaufzunehmen, weil dem Finanzamt auf Grund eines berichtigten oder neuen Lohnzettels oder einer (geänderten) Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe etc.) erst nachträglich Umstände bekannt wurden, die im betreffenden Veranlagungszeitraum bereits existent waren und aus denen sich eine geänderte Einkommensteuerfestsetzung ergibt. Zur näheren Begründung wird auf die Begründung des im wiederaufgenommenen Verfahren neu erlassenen Einkommensteuerbescheides verwiesen."
In der Begründung des Einkommensteuerbescheides 2013 vom findet sich dazu folgendes: "Wir haben nachträglich Informationen zu Lohnzettelangaben oder Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe oder Krankengeld erhalten. Die Beträge finden Sie in der Aufstellung." Mit der Aufstellung ist der unter den Lohnzetteln ausgewiesene zweite Lohnzettel gemeint. Darin wird als bezugsauszahlende Stelle das Bundesministerium für ***5*** genannt, als Bezugszeitraum 01.01. bis und als Bruttobezüge (210) EUR 1.172,32 und als steuerpflichtige Bezüge (245) ebenfalls EUR 1.172,32. Diese steuerpflichtigen Bezüge sind im Einkommensteuerbescheid in einer eigenen Zeile als nichtselbständige Einkünfte ausgewiesen.
In den beiden Bescheiden über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015, jeweils vom , findet sich gleichlautend folgende Begründung: "Wir haben das Verfahren nach § 303 (1) Bundesabgabenordnung wiederaufgenommen, da es nachträglich eine oder mehrere der folgenden Änderungen gegeben hat:
• Ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt
• Eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder
Notstandshilfe wurde berichtigt oder neu übermittelt
Die nähere Begründung finden Sie im neu erlassenen Einkommensteuerbescheid."
In den neu erlassenen Einkommensteuerbescheiden für das Jahre 2014 und 2015 findet sich außer der Aufnahme eines neuen Lohnzettels vom Bundesministerium ***5*** und der Aufnahme von dessen steuerpflichtigen Bezügen als eigens ausgewiesener Teil der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit keine weitere Begründung. Die neuen Lohnzettel für die Jahr 2014 und 2015 schauen gleich aus wie jener im Jahr 2013, lediglich die Bezugszeiträume und die Bruttobezüge (210) = steuerpflichtigen Bezüge (245) sind verschieden: im Jahr 2014 Bezugszeitraum bis und EUR 1.326,40, im Jahr 2015 Bezugszeitraum bis und EUR 1.262,21.
Die steuerliche Vertretung des Bf. richtete gegen sämtliche genannte Bescheide, somit die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2013 bis 2015 und die neuen Einkommensteuerbescheide 2013 bis 2015, mit Anbringen vom eine Bescheidbeschwerde und beantragte, sämtliche Bescheide wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts ersatzlos aufzuheben. Begründet wurde die Beschwerde wie folgt:
"Verfahrensrecht
Die Wiederaufnahme der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2013, 2014 und 2015 erfolgte standardisiert und entspricht nicht der ständigen Rechtsprechung des BFG und des VwGH. Es liegen auch keine Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vor, weil hier eindeutig und klar für eine Abgabennachforderung auf Grund einer GPLA-Prüfung der Dienstgeber oder die pensionsauszahlende Stelle zur Haftung heran zu ziehen ist.
Die Ermessensübung wurde nicht entsprechend der Vorgaben des BFG und des VwGH begründet. Bei der Ermessensübung wurde nicht die persönliche Unbilligkeit berücksichtigt. Die Nachforderung umfasst mehrere Jahre, wobei davon ausgegangen wird, dass noch Bescheide für Folgejahre ergehen werden und daher die Nachforderung überproportional hoch gegenüber dem Pensionsbezug ist. Aus diesem Grund liegt eine persönliche Unbilligkeit vor.
Zusätzlich wird auf Treu und Glauben verwiesen, welcher auch im Verwaltungsverfahren anzuwenden ist. In Angelegenheiten des Dienstrechts besteht auf Grund der besonderen Treuepflicht eine materiellrechtliche Manduktionspflicht der Verwaltung, insbesondere die Pflicht der Aufklärung. Es hätte die Behörde (Dienstgeber) den Dienstnehmer (Beschwerdeführer) aufklären müssen, dass zusätzlich zur Vergütung der Naturalwohnungen auch ein Sachbezug gemäß Einkommensteuergesetz(EStG) anfällt oder anfallen kann. Es erfolgte auch bis einschließlich Dezember 2018 keine Verrechnung eines Sachbezuges für die zur Verfügung gestellte Naturalwohnung. Durch das Verhalten der Behörde/des Bundes ist eindeutig und klar zum Ausdruck gekommen, dass kein Sachbezug gemäß EStG vorliegt. Unser Klient hat darauf vertraut und seine Dispositionen danach eingerichtet. Wäre unser Klient in Kenntnis gesetzt worden, dass ein Sachbezug zusätzlich anfällt, hätte dieser die Naturalwohnung nicht angenommen und um eine Wohnung des sozialen Wohnbaus bzw., um eine Gemeindewohnung angesucht.
Es erfolgten im Zeitraum 1988 bis 2018 unzählige Prüfungen des zuständigen Finanzamtes und der Gebietskrankenkasse des Arbeitgebers bzw. der pensionsauszahlenden Stelle und es wurde KEIN Sachbezug festgestellt. Durch das Verhalten des Bundes (BMLV, BMF und BKA) ist eindeutig und unzweifelhaft zum Ausdruck gekommen, dass KEIN Sachbezug anfällt.
Gemäß der geltenden Rechtsprechung lösen Erklärungen von Verwaltungsstellen eine materiellrechtliche Beachtlichkeit und eine damit einhergehende verfahrensrechtliche Auseinandersetzungspfiicht aus. Gemäß der Rechtsprechung des VwGH hat der Grundsatz des Vertrauensschutzes des Einzelnen Vorrang vor der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit des Verwaltungshandelns (siehe auch Ra 2017/16/0001).
Gemäß der Rechtsprechung des EuGH haben Behörden von einer Nacherhebung von Abgaben abzusehen, wenn deren Nichterhebung auf einem Irrtum der zuständigen Behörden zurückzuführen Ist. Dies ist im ggstdl. Fall gegeben, da
• das BMLV auf Grund des Erlasses des BKA im Einvernehmen mit dem BMF davon ausgegangen ist, dass Naturalwohnungen nicht der Sachbezugsregelung unterliegen,
• seit Beginn der Nutzung der Naturalwohnung bis 2018 kein Sachbezug zur Anwendung kam und
• In diesem Zeitraum Prüfungen der Abgabenbehörden stattgefunden haben und KEIN Sachbezug festgestellt wurde.
Die gesetzliche Ordnung hat im gesamten Zeitraum keine Änderung erfahren.
Durch die Vorschreibung des Sachbezuges und der sich daraus resultierenden o.a. Bescheide wurde unser Klient mit einer nicht vorhersehbaren finanziellen Belastung konfrontiert, der entgegen seines berechtigten Vertrauens auf die Zusagen und des Verhaltens der Behörden (BMLV und BMF) entstanden ist. (…)"
Unter der Überschrift "Materielles Steuerrecht - Einkommensteuer" führt die steuerliche Vertretung aus, dass nach Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide auch die Einkommensteuerbescheide aufzuheben seien, weil dann die Einkommensteuerbescheide 2013 bis 2015 gegenstandslos werden. Im Übrigen wird detailliert ausgeführt, dass auch die Berechnungsgrundlagen lt. Lohnzettel Bundesministerium für ***5*** unrichtig festgestellt worden seien.
Mit je Beschwerdevorentscheidung vom für die Jahre 2013 bis 2015 wurde die Beschwerde vom gegen die Einkommensteuerbescheide 2013 bis 2015 mit ausführlicher, jeweils identer, inhaltlicher Begründung abgewiesen.
Dagegen wurde mit Anbringen vom ein Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das BFG zur Entscheidung durch den gesamten Senat und Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt. Im Vorlageantrag wurde zur Begründung auf die Beschwerde vom sowie auf die dort angeführten anhängigen Beschwerdeverfahren beim Finanzamt Wien 1/23 verwiesen.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2013 bis 2015 als unbegründet abgewiesen. Die Begründung lautet:
"Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO ist die Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorkommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Bei der amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens ist daher zuerst die Rechtsfrage zu beantworten, ob der Tatbestand der Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens gegeben ist. Ist dies zu bejahen, so ist in Ausübung des Ermessens zu entscheiden, ob die Wiederaufnahme
verfügt wird.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln nur aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln" im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO bezieht sich damit auf den Wissensstand (auf Grund der Abgabenerklärungen und ihrer Beilagen) im jeweiligen Veranlagungsjahr (vgl. z.B. ).
Von der Kenntnis einer Tatsache kann erst dann gesprochen werden, wenn der Abgabenbehörde die Tatsache in ihrem für die abgabenrechtliche Beurteilung wesentlichen Umfang bekannt ist (vgl. Ellinger-Iro-Kramer-Sutter-Urtz, a.a.O, E177).
Für die amtswegige Wiederaufnahme ist es bedeutungslos, aus welchen Gründen der Abgabenbehörde die Tatsachen oder Beweismittel bisher unbekannt geblieben sind; insbesondere ist es unerheblich, dass die Abgabenbehörde an der Nichtfeststellung der maßgeblichen Tatsachen durch das Unterlassen entsprechender Ermittlungen ein Verschulden trifft (vgl. Ellinger-Iro-Kramer-Sutter-Urtz, a.a.O, E177a).
Daher ist durch das Gegenüberstellen des Wissensstandes der Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des Erstbescheides und jenes Wissenstandes anlässlich der Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens zu beurteilen, ob Tatsachen neu hervorgekommen sind.
Wurden der Abgabenbehörde zum Zeitpunkt der Erlassung des Erstbescheides noch nicht sämtliche Lohnzettel des Abgabepflichtigen für das betreffende Kalenderjahr übermittelt, so stellt die spätere erstmalige Übermittlung eines weiteren Lohnzettels einen tauglichen Wiederaufnahmsgrund dar, weil die Behörde nun erst Kenntnis von den darin angeführten für die Abgabenerhebung maßgeblichen Angaben erlangt.
Erst durch die Übermittlung der zusätzlichen Lohnzettel für 2013, 2014 und 2015 am bzw. verfügte das Finanzamt über jenen Wissensstand, der die Erlassung der neuen Sachbescheide ermöglichte. Mit der Übermittlung der für die Besteuerung des Abgabepflichtigen maßgeblichen Angaben hinsichtlich Sachbezug für die Nutzung einer Naturalwohnung (in Höhe von 1.172,32 Euro 2013, 1.326,40 Euro 2014 und 1.262,21 Euro 2015) in den o.a. Lohnzetteln sind damit für das Finanzamt Tatsachen neu hervorgekommen, die zuvor in den Verfahren nicht berücksichtigt werden konnten, und deren Kenntnis und Berücksichtigung im Spruch anderslautende Bescheide (nämlich die in den wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Sachbescheide) herbeigeführt haben.
Damit stellt die erstmalige Übermittlung der gegenständlichen Lohnzettel des Bundesministeriums für ***5*** taugliche Wiederaufnahmsgründe im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO dar. Die Verfügung der Wiederaufnahmen stand damit im Ermessen der Behörde.
Unter Bedachtnahme auf die Bestimmung des § 20 BAO waren im Verfahren Ermessensentscheidungen innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Bei der Ermessensübung hat die Abgabenbehörde unter Bedachtnahme auf die amtswegige Wahrheitsermittlungspflicht (§115 BAO) grundsätzlich der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) den Vorrang vor der Rechtsbeständigkeit (Rechtskraft) einzuräumen.
Bei Überprüfung der einer Verfügung der Wiederaufnahme entgegenstehenden Gründe wurde festgestellt, dass die Auswirkungen der neuen Sachbescheide keinesfalls als geringfügig bezeichnet werden können und ausschließlich eine Folge der genannten Wiederaufnahmsgründe (zusätzliche Lohnzettel) darstellen. Eine Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung war nicht ersichtlich. Ein Verschulden der Behörde an der ursprünglichen Nichtberücksichtigung des Sachbezuges kann grundsätzlich nicht festgestellt, und wenn ein solches doch vorgelegen haben sollte, dann könnte es wohl nur als geringfügig bezeichnet werden, da ein Sachbezug vom Bundesministerium für ***5*** in der Lohnverrechnung bis zu diesem Zeitpunkt nicht berücksichtigt worden war. Auch eine Rechtswidrigkeit des Vorgehens der Behörde bei der Erlangung der bis dahin unberücksichtigt gebliebenen Lohnzettel konnte nicht festgestellt werden.
Aus dem Blickwinkel der Billigkeit ist unter Bedachtnahme auf den Grundsatz von Treu und Glauben auch die Frage der Zumutbarkeit des Erkennens der Abgabepflicht von Bedeutung. Dass geldwerte Vorteile aus einem Dienstverhältnis als Sachbezug der Einkommensbesteuerung zu unterziehen sind, kann als allgemein bekannte Tatsache vorausgesetzt werden. Es war daher davon auszugehen, dass dem Abgabepflichtigen die Steuerpflicht derartiger Bezüge dem Grunde nach bekannt war.
Dass die Qualifizierung geldwerter Vorteile aus der Nutzung einer Naturalwohnung durch den
Abgabepflichtigen als Sachbezug erst aufgrund des Rechnungshof-Berichtes vom August 2017
erfolgte, die Höhe der jährlichen Sachbezüge erst in der danach vorgenommenen GPLA-Prüfung festgestellt wurde und diese die Ausstellung der Lohnzettel durch das Bundesministerium für ***5*** bedingte, ist für diese Beurteilung irrelevant.
Im Sinne der angeführten Erwägungen erschien es dem Finanzamt daher nicht unbillig, die Interessen der Allgemeinheit an der Abgabeneinbringung über die Interessen des Abgabepflichtigen an der Rechtsbeständigkeit zu stellen. Die Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer 2013, 2014 und 2015 war daher zu verfügen."
Gegen die abweisende Beschwerdevorentscheidung betreffend die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2013 bis 2015 stellte die steuerliche Vertretung des Bf. einen Antrag auf Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht durch einen Senat und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Die Begründung wurde wie folgt ergänzt:
Wir halten und stellen fest, dass die Begründung in der Beschwerdevorentscheidung nicht von der Abgabenbehörde verfasst wurde, sondern zentral"von oben" vorgegeben wurde.
Grundsätzlich ist es nicht nachvollziehbar, möglicherweise auch verwerflich, dass hier alt- und langgediente Personen, die auch von der Republik mit höchsten Orden ausgezeichnet wurden, im hohen Alter "steuerlich belästigt" werden."Steuerlich belästigt" deshalb, weil hier Fehler und Versäumnisse der Abgaben- als Prüfbehörden zu Lasten der Dienstnehmer saniert werden sollen. "Steuerlich belästigt" deshalb, weil diese Personen in zahlreichen Krisensituationen der Republik Österreich treu zur Seite gestanden sind (seit den 60er-Jahren zB Hochwassersituation in Kärnten, CSSR-Krise, UN-Auslandselnsätze, Jugoslawienkrise u.v.a.m.). "Steuerlich belästigt" deshalb, weil nach ständiger Rechtsprechung des VwGH und des BFG ein neuer Lohnzettel keine neu hervorgekommene Tatsache iS des § 303 Abs 1 BAO ist und auch eine Begründung, die im ursprünglichen Bescheid gefehlt hat, nicht nachgereicht werden kann. Somit ergibt sich daraus kein tauglicher Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 1 BAO. Der Verweis auf § 303 Abs 1 lit b BAO findet sich erstmals in der Begründung zur abweisenden BVE und ist somit ebenfalls untauglich.
Weiters ergibt sich, dass der Tatbestand derggstdl. "Dienstwohnung" seit ungefähr über 40, fast schon seit 50 Jahren vorliegt. Wo sich hier neu hervorgekommene Tatsachen ergeben, ist beim besten Willen nicht ersichtlich.
Es wurden in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten unzählige Prüfungen durchgeführt (Lohnsteuerprüfungen, SV-Prüfungen, GPLA-Prüfungen) und es hat beim gleichliegenden Sachverhalt nie Beanstandungen gegeben.
Sollte eingewendet werden, dass das nie ein Prüfungsschwerpunkt gewesen ist, wird entgegen gehalten, dass das dann nicht unbedingt ein Zeichen eines Qualitätsmerkmales einer Prüfung gewesen sein kann, von wem auch immer diese Prüfung durchgeführt wurde.
Nachdem jedoch zumindest bei den Vorprüfungen alle wesentlichen Tatbestände gleich vorgelegen haben, wird auf das Erkenntnis des verwiesen, wonach in diesen Fällen eine Wiederaufnahme des Verfahrens unbillig ist.
Eine Vorschreibung auf Grund der Sachbezugswerte für die Jahre 2005 bis 2009 wurde damals vom FA 1/23 selbständig und ohne näherer Begründung wieder ersatzlos aufgehoben.
Zur ggstdl. Causa wird auch noch auf das Erkenntnis des BVwG , 1413 2221229-1/2E und 1413 2221230-1/2E (Seite 4) verwiesen.
Weiters wird auf die Aussage der Abgabenbehörde in der BVE zu den Sachbescheiden verwiesen: "Zwingende gesetzliche Mietzinsbeschränkungen können sich aus Sicht des Finanzamtes nur aus den einschlägigen Bestimmungen des Miet- und Wohnrechts ergeben." Das ist richtig und genau dieser Tatbestand liegt in den gegenständlichen Verfahren vor: Wie in den ggstdl. Verfahren die Abgabenbehörde wiederholt festgehalten hat, wurden vom BMLV langfristig Wohnungen von gemeinnützigen Wohnbauträgern angemietet und daher die Mietzinse ausschließlich auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen des Miet- und Wohnrechts vorgeschrieben. Die Gestehungskosten (§ 24 GehG) sind jene Aufwendungen, die der Bund trägt und vom Vermieter (BUWOG) direkt verrechnet werden. Die Betriebskosten werden separat berechnet und sind nicht In den Gestehungskosten inkludiert. Die Gestehungskosten sind in der Internen Datenbank im GV (=Grundvergütung) bezeichnet und wurde durch das Finanzamt Wien 1/23 übernommen. Die Gestehungskosten variieren In den Jahren. Die höheren Anstiege sind jedenfalls auch Erhöhungen nach dem WGG iVm Richtwertgesetz. Die "leichten" Veränderungen sind aufgrund der Vorschreibungen durch den Vermieter dividiert durch die Quadratmeter der Nutzer zu begründen. Vorgelegt wird die Berechnungstabelle, Im unteren Teil der Tabelle ist die Aufstellung pro Jahr und Pensionisten Im Verhältnis zum jährlichen Richtwert ersichtlich. Bei bei allen Vergleichen ergibt sich ein Minusbetrag. Dies bedeutet, dass der m2-Gestehungskosten-Satz geringer ist als der Richtwertesatz gem. Sachbezugswerte-VO. Damit lässt sich beweisen, dass die Gestehungskosten niemals an den Richtwert herankommen bzw. immer unterhalb sind. Daher ist kein Sachbezug anzusetzen, weil die Mieten sich seitens der BUWOG unabhängig von der Arbeitnehmer- bzw. von der Pensionisteneigenschaft ergeben. Somit kann der Pensionist oder Dienstnehmer nicht schlechter gestellt werden, als wenn er die Wohnung direkt von der BUWOG angemietet hätte.
Ein Aspekt noch zur BUWOG. Die BUWOG ist grundsätzlich privatrechtlich geführt und keine Genossenschaft. Aber die BUWOG hat auch im Laufe der Jahre Wohnungen hinzugenommen, die als genossenschaftliche Wohnung weiterhin zu führen sind. Die Frage könnte man noch stellen, ob die angeführten Naturalwohnungen auch "genossenschaftlich" geführt werden. Denn bei den Genossenschaften ist die Steigerungsrate für Erhöhungen gesetzlich festgelegt (WGG) und kann nicht "übergebührlich" angehoben werden.
Ergänzt wird, dass im Zuge des Verfahrens das Finanzamt Wien 1/23 im Jahr 2019 den Bundesminister beauftragt hat, die Lohnzettel für die entsprechenden Pensionisten zu erstellen.Dafür hatte die Abgabenbehörde keine rechtliche Grundlage und hat diese darüber hinaus noch selbst die gesetzliche Grundlage geschaffen.
Aus diesen Gründen und In Verbindung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben liegen keine Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahren gemäß § 303 Abs 1 BAO vor.
Wir beantragen, die Wiederaufnahmebescheide vom sowie die daraus folgenden
Sachbescheide ersatzlos aufzuheben.Auf diu Möglichkeiten der Bescheidaufhebung gemäß §§ 299 und 300 BAO wird verwiesen."
Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht
Die Beschwerde wurde am dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt. Im Vorlagebericht wird zur Wiederaufnahme der Jahre 2013 bis 2015 folgendes ausgeführt:
"Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind die Wiederaufnahmsgründe in der Begründung der Wiederaufnahmebescheide anzuführen, weil sich die Rechtsmittelbehörde bei der Erledigung des gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Rechtsmittels auf keine neuen Wiederaufnahmsgründe stützen kann (z.B. ; ). Eine - allenfalls auch erst im Beschwerdeverfahren erfolgte - Ergänzung einer offensichtlich mangelhaften Begründung in Richtung der tatsächlich vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmegrundlagen stellt allerdings noch kein unzulässiges Auswechseln von Wiederaufnahmegründen dar ( mwN; ; ).
War im Zeitpunkt der Wiederaufnahme des Verfahrens tatsächlich ein Wiederaufnahmsgrund vorhanden, ist die Sanierung eines Wiederaufnahmebescheides durch Ergänzung der Wiederaufnahmsgründe mithilfe der Begründung der Beschwerdevorentscheidung möglich. Lediglich wenn dem gesamten erstinstanzlichen Verfahren nicht einmal ansatzweise entnommen werden könnte, dass das Finanzamt vom Hervorkommen neuer Tatsachen ausging, wäre eine solche Ergänzung unzulässig (so auch Rauscher, SWK 25/2003, 636 [637]; Knechtl, SWK 35/2014, 1499 [1502]).
Im gegenständlichen Fall wurden nach einer GPLA-Prüfung vom Bundesministerium für ***5*** am 9. bzw. zusätzliche Lohnzettel für die Jahre 2013, 2014 und 2015 ausgestellt.
Der Begründung der Wiederaufnahmebescheide betreffend die Jahre 2013, 2014 und 2015 vom 14. bzw. ist zu entnehmen, dass die Wiederaufnahme aufgrund einer oder mehrerer nachträglich erfolgter Änderungen, nämlich einer Berichtigung oder Neuübermittlung eines Lohnzettels oder einer Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen, erfolgt sei.
Im Zeitpunkt der Wiederaufnahmen lagen somit tatsächlich Wiederaufnahmegründe für alle strittigen Jahre vor und das Hervorkommen dieser neuen Tatsachen war auch - zumindest ansatzweise - bereits dem erstinstanzlichen Verfahren zu entnehmen. Die Voraussetzungen für eine Sanierung eines Begründungsmangels bezüglich Wiederaufnahmen lagen somit vor.
In der abweisenden Beschwerdevorentscheidung betreffend die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide 2013 bis 2015 vom wurde zu den vorgenommenen Wiederaufnahmen nochmals ausführlich Stellung genommen. Diese Ausführungen treten zu den Begründungen in den Wiederaufnahmebescheiden vom 14. bzw. hinzu und ergänzen diese.
Im Ergebnis sind nach Ansicht des Finanzamtes somit die gesetzlichen Voraussetzungen für die Wiederaufnahme der Verfahren als erfüllt anzusehen."
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013 bis 2015
A.1.
Als Sachverhalt wird diesem Erkenntnis der in Punkt I. und II. dargestellte Verfahrensablauf zugrunde gelegt. Dieser ist unstrittig und ergibt sich aus den vorgelegten Akten.
A.2.
Dem Bundesfinanzgericht wurden zahlreiche Fälle mit derselben Thematik vorgelegt. Einer dieser Fälle wurde bereits von einem Richter des BFG ( GZ RV/2100646/2020) entschieden. Die Richterin in diesem Beschwerdeverfahren teilt seine Rechtsansicht zur Wiederaufnahme, sodass seine rechtlichen Ausführungen weitgehend übernommen werden.
A.3.
A.3.1.
Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Gemäß § 93 Abs. 3 lit. a BAO hat jeder Bescheid unter anderem eine Begründung zu enthalten, wenn er von Amts wegen erlassen wird. Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH hat die Begründung des Wiederaufnahmebescheides das Vorliegen der Voraussetzungen des § 303 BAO darzulegen. Es ist zulässig, wenn die Begründung eines Bescheides auf die Begründung eines anderen, der Partei bekannten Bescheides verweist (Ritz, BAO, 4. Auflage, § 93 Tz 15 unter Anführung derVwGH-Judikatur).
Die Wiederaufnahme iSd § 303 BAO liegt im Ermessen der Abgabenbehörde. Ermessensentscheidungen sind nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen und erfordern eine Abwägung der ermessensrelevanten Umstände (vgl.§ 20 BAO). Diese Abwägung ist ebenfalls in der Begründung des Aufhebungsbescheides anzuführen ().
Die Begründung der Aufhebung sowie des Ermessens ist deshalb so wichtig, weil erst sie den Bescheid für den Abgabepflichtigen nachvollziehbar und kontrollierbar macht. Der Abgabepflichtige soll nicht rätseln müssen, warum ihm eine Abgabe vorgeschrieben wurde (vgl. Ritz, BAO, 4. Auflage, § 93 Tz 10). Das Vorliegen einer Begründung ist aber auch für die Rechtsmittelinstanz wichtig, denn erst durch eine Begründung wird dem Bundesfinanzgericht eine Nachprüfbarkeit des Verwaltungsaktes im Hinblick auf seine Übereinstimmung mit dem Gesetz ermöglicht.
Die Anführung der Wiederaufnahmegründe in der Begründung des Aufnahmebescheides ist zuletzt deshalb notwendig, weil nach der Judikatur des VwGH sich das Bundesfinanzgericht bei der Erledigung der gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Beschwerde auf keine neuen Wiederaufnahmegründe stützen kann. Es hat lediglich zu beurteilen, ob die von der Abgabenbehörde erster Instanz angeführten Gründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen (Ritz, BAO, 4. Auflage, § 307, Tz 3).
Die fehlende Angabe der Wiederaufnahmegründe in der Begründung des mit Beschwerde angefochtenen Bescheides ist auch in der Beschwerdevorentscheidung nicht "nachholbar". Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die für Beschwerdevorentscheidungen bestehende Änderungsbefugnis (§ 263 Abs.1) ident ist mit jener für Erkenntnisse (§ 279 Abs. 3). Weiters ist im Beschwerdeverfahren über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides (und nicht über jene der Beschwerdevorentscheidung) zu entscheiden (vgl. Ritz, Bundesabgabenordnung, Wien 2017, § 307, Tz 3 und die dort zitierte Judikatur und Literatur).
Die die Wiederaufnahme rechtfertigenden neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel müssen bereits im Zeitpunkt der ursprünglichen Bescheiderlassung existent gewesen, jedoch später hervorgekommen und so entscheidungswesentlich sein, dass sie, wären sie bereits im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bekannt gewesen, einen im Spruch anders lautendenBescheid herbeigeführt hätten. Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmegründe (Vgl. Ritz, BAO, 4. Auflage, § 303, Tz 13).
A.3.2.
Unter Bedachtnahme auf die dargestellte Rechtslage war den Beschwerden gegen die Wiederaufnahmebescheide aus nachstehenden Erwägungen ein Erfolg beschieden:
Das Finanzamt ist mit den in den Wiederaufnahmebescheiden angeführten "Begründungen" nicht dem zwingenden Erfordernis der Angabe des konkreten Wiederaufnahmegrundes nachgekommen. Denn durch die Wortfolge "Ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt" ist für den Beschwerdeführer als Bescheidadressaten nicht erkennbar, ob ein berichtigter oder ein neuer Lohnzettel Grund für die Wiederaufnahme war. Außerdem führt die Begründung als weitere Möglichkeit eines Wiederaufnahmegrundes eine berichtigte oder neu übermittelte Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe an. Auch damit lässt die "Begründung" die für die Rechtmäßigkeit der Wiederaufnahme notwendige Bestimmtheit des Wiederaufnahmegrundes vermissen.
Auch wenn im letzten Satz der "Begründung" zur näheren Begründung zulässigerweise auf die Begründung der im wiederaufgenommenen Verfahren neu erlassenen Einkommensteuerbescheide verwiesen wird, kann dadurch die Mangelhaftigkeit der Begründung nicht beseitigt werden, weil auch in diesen der für die Wiederaufnahme entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht festgestellt wurde. Im neuen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2013 findet sich in der Begründung diesbezüglich nur folgende Textierung: "Wir haben nachträglich Informationen zu Lohnzettelangaben oder Transferleistungenwie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe erhalten. Die Beträge finden Sie in der Aufstellung." In den neuen Einkommensteuerbescheiden für das Jahr 2014 und 2015 findet sich im Begründungsteil überhaupt keine Begründung.
In allen Einkommensteuerbescheiden findet sich lediglich unter der Überschrift Lohnzettel und Meldungen ein neuer Lohnzettel "Bundesministerium ***5***" für den Bezugszeitraum bis , bis und bis mit den Beträgen der entsprechenden Bruttobezüge (210) und steuerpflichtigen Bezüge (245) und mit dem Hinweis, dass diese gemäß § 84 bzw. § 3 Abs. 2 EStG 1988 von den bezugs-, pensionsauszahlenden Stellen dem Finanzamt zu melden waren. Dass auch mit diesen Ausführungen für den Bf. nicht erkennbar ist, welchen konkreten Wiederaufnahmegrund das Finanzamt den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegt hat, bedarf keiner weiteren Ausführungen.
Im Übrigen mangelt es auch an einer Begründung für die Änderung der Lohnzetteldaten.
In diesem Zusammenhang ist auch auf einen Aufsatz von Ritz, "Rechtsschutz bei Begründungsmängeln - Welche Mängel sind nicht sanierbar?" in SWK 12/2019, 602 zu verweisen. In diesem Aufsatz bringt der Autor als Beispiel aus der Praxis der Finanzämter als "Begründung"einer Wiederaufnahme eines Einkommensteuerverfahrens von Amts wegen den im Wesentlichen gleichlautenden Text, wie er sich in den angefochtenen Bescheiden findet, und führt dazu aus:
"Wann welche Umstände im betreffenden Abgabenverfahren dem Finanzamt erst nachträglich bekannt wurden, verschweigt die Begründung. Sie ist überdies irreführend, wenn dort von "war […] wiederaufzunehmen" die Rede ist. Die Verfügung von Wiederaufnahmen liegt nämlich im Ermessen; die Ermessensübung ist zu begründen.
Der Bescheidadressat erfährt somit nicht,
•ob ein neuer oder ein berichtigter Lohnzettel Grund für die Wiederaufnahme ist,
•welcher Arbeitgeber gemeint ist,
•ob Transferleistungen (und wenn ja, welche) oder deren Änderung nachträglich bekannt wurden,
•wann die maßgebenden Umstände dem Finanzamt bekannt wurden, oder
•die für die Ermessensübung bedeutsamen Umstände und Überlegungen.
3. Rechtsschutz gegen solche "Begründungen"
Dass eine solche Standardbegründung (Multiple Choice) keine Begründung iSd. § 93 Abs.3 lit. a BAO ist, steht außer Zweifel."
Unter 4.1. Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 303 BAO) führt Ritz weiter aus:
"In der Begründung der Verfügung der Wiederaufnahme eines Verfahrens sind die Wiederaufnahmegründe anzuführen. Die fehlende Angabe der Wiederaufnahmegründe ist im Rechtsmittelverfahren nicht "nachholbar", dies auch nicht in einer Beschwerdevorentscheidung.
Bei einer amtswegigen Wiederaufnahme wird die Identität der "Sache" iSd. § 263 Abs.1 und § 279 Abs. 1 BAO, über die im angefochtenen Bescheid abgesprochen wurde, durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde.
Die Rechtsmittelbehörde kann sich bei der Erledigung gegen die Wiederaufnahme gerichteter Rechtsmittel auf keine neuen Wiederaufnahmegründe stützen. Sie hat lediglich zu beurteilen, ob die von der Abgabenbehörde angeführten Wiederaufnahmegründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme aus anderen Gründen zulässig wäre.
Hat das Finanzamt die Wiederaufnahme auf Umstände gestützt, die keinen Wiederaufnahmegrund darstellen, so ist der angefochtene Bescheid im Beschwerdeverfahren ersatzlos aufzuheben, was auch bereits durch Beschwerdevorentscheidung erfolgen kann.
Bei einer Beschwerde gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist die "Sache", über die das BFG gemäß § 279 Abs. 1 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltselemente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, so muss das BFG den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufheben."
A.3.3.
Nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits existente Tatsachen oder Beweismittel können Wiederaufnahmegründe sein. Die neuen Lohnzettel wurden nach der Erlassung der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide erstellt. Es handelt sich damit um nach (ursprünglicher) Bescheiderlassung zustande gekommene Beweismittel, die gerade mangels Existenz zum Zeitpunkt der Erlassung der ursprünglichen Bescheide keine neue Beweismittel iSd § 303 Abs 1 lit b BAO darstellen und daher den Tatbestand der Wiederaufnahme wegen Hervorkommens neuer Beweismittel nicht erfüllen.
A.3.4.
Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss das Bundesfinanzgericht den vor ihm bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben (vgl.zB oder ).
Im Beschwerdefall liegt weder ein neues Beweismittel noch die Namhaftmachung einer konkreten Tatsache vor, die eine Wiederaufnahme begründen könnte. Den Wiederaufnahmebescheiden haftet deshalb ein im Rechtsmittelverfahren nicht sanierbarer Mangel an. Die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide sind daher ersatzlos aufzuheben.
Einkommensteuerbescheide 2013, 2014 und 2015
Durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides tritt gemäß § 307 Abs. 3 BAO das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat.
§ 261 Abs. 2 BAO lautet:
"Wird einer Bescheidbeschwerde gegen einen gemäß § 299 Abs. 1 oder § 300 Abs. 1 aufhebenden Bescheid oder gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid (§ 307 Abs. 1) entsprochen, so ist eine gegen den den aufgehobenen Bescheid ersetzenden Bescheid (§ 299 Abs. 2 bzw. § 300 Abs. 3) oder eine gegen die Sachentscheidung (§ 307 Abs. 1) gerichtete Bescheidbeschwerde mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262)oder mit Beschluss (§ 278) als gegenstandslos zu erklären."
Wird der Wiederaufnahmsbescheid aufgehoben (insbesondere im Bescheidbeschwerdeverfahren),so tritt nach § 307 Abs. 3 das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat. Durch die Aufhebung des Wiederaufnahmsbescheides scheidet somit ex lege der neue Sachbescheid aus dem Rechtsbestand aus, der alte Sachbescheid lebt wieder auf (vgl. Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar, Wien 2017, § 307, Tz8 und die dort zitierte Judikatur).
§ 261 Abs. 2 normiert die Gegenstandsloserklärung auch für Fälle, in denen nach bisheriger Rechtsauffassung Rechtsmittel als unzulässig geworden zurückzuweisen waren. Dies galt nach Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz (BAO3, § 299 Anm 25 idF vor 15. Ergänzungslieferung) für Berufungen gegen neue Sachbescheide, wenn der Berufung gegen den Wiederaufnahmebescheid stattgegeben wird, wodurch der neue Sachbescheid als Folge des § 307 Abs. 3 BAO aufgehoben ist.
Die Gegenstandsloserklärung der Bescheidbeschwerde liegt nicht im Ermessen. Sie hat (durch die Abgabenbehörde) mit Beschwerdevorentscheidung bzw. (durch das Verwaltungsgericht) mit Beschluss zu erfolgen. Solche Gegenstandsloserklärungen sind mit Vorlageantrag (§ 264) bzw. mit Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder mit Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof anfechtbar (vgl. Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar, Wien 2017, § 261, Tz 4 und 6 und die dort zitierte Literatur).
Somit war die gegen die Einkommensteuerbescheide 2013, 2014 und 2015 gerichteten Bescheidbeschwerde mit Beschluss als gegenstandslos zu erklären.
Revision
Gegen ein Erkenntnis bzw. einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis bzw. der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Entscheidung betreffend die Unzulässigkeit der Wiederaufnahme der Verfahren mangels Vorliegen eines konkreten Wiederaufnahmegrundes entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. insbesondere ). Die Verpflichtung zur beschlussmäßigen Gegenstandsloserklärung der gegen die Sachbescheide gerichteten Beschwerden bei Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide ergibt sich unmittelbar aus § 261 Abs. 2 BAO. Es wird daher im Beschwerdeverfahren keine Rechtsfragen aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revision ist nicht zulässig.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 261 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 93 Abs. 3 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 307 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Zitiert/besprochen in | Fröhlich/Aigner in BFGjournal 2021, 179 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.5100888.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at