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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.06.2020, RV/2100083/2018

1. Festsetzung des Dienstgeberbeitrages bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO (§ 201 Abs. 2 Z 3 BAO) 2. Förderung der Neugründung gemäß § 1 Z 7 NeuFöG 3. Bezeichnung der angefochtenen Bescheide im Beschwerdeschreiben gemäß § 250 Abs. 1 lit a BAO

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch PKF Corti & Partner GmbH Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Peter Tunner-Straße 7, 8700 Leoben, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Deutschlandsberg Leibnitz Voitsberg vom betreffend die Festsetzung des Dienstgeberbeitrages für die Jahre 2013 und 2014 zu Recht erkannt:

Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang und Sachverhalt

Die Bf erwarb laut Unternehmenskaufvertrag vom das "***1***". Im Zuge einer GPLA stellte der Prüfer im Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung fest, dass laut Erklärung der Neugründung (§ 4 Neugründungs-Förderungsgesetz-NeuFöG) und der darin enthaltenen Erklärung der Wirtschaftskammer ***3*** nach Überprüfung der rechtlichen Voraussetzungen die Begünstigungen des Neufög 1 nicht zustehen würden. Somit sei der Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds vorzuschreiben gewesen. Weiters stellte der Prüfer fest, dass Erschwerniszulagen für Nichtleistungszeiten steuerfrei gewährt wurden. Die Nachversteuerung sei nach genauester Absprache mit dem Steuerberater erfolgt.

Das Finanzamt folgte den Feststellungen des Prüfers und erließ unter Verweis auf den Bericht vom als Begründung
-Haftungsbescheide für die Jahre 2013, 2014 und 2015, mit denen die Bf als Arbeitgeberin für die Einbehaltung und Abfuhr der vom Arbeitslohn zu entrichtenden Lohnsteuer in Anspruch genommen wurde, und
-Bescheide über die Festsetzung des Dienstgeberbeitrages für die Jahre 2013 und 2014.

In der gegen die Haftungsbescheide für die Jahre 2013, 2014 und 2015 fristgerecht eingebrachten Beschwerden wird vorgebracht, dass sich die Beschwerde gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens in Bezug auf den Dienstgeberbeitrag richten würde, da keine Wiederaufnahmegründe vorliegen würden. Im Zuge der GPLA sei es zur Feststellung gekommen, dass das NeuFöG nicht zustehen würde und daher die Begünstigung nicht in Anspruch genommen werden könne. Auf Grund dieser Feststellung seien für die Jahre 2013 bis 2015 Haftungsbescheide erlassen worden.

Es liege eine vertretbare Rechtsansicht vor, auf Basis derer die Möglichkeit der Begünstigung des NeuFöG in Anspruch genommen worden sei. Vor der Übernahme sei das Pflegezentrum ***2*** als unselbständiger, nicht alleinstehend überlebensfähiger Teilbetrieb eines Unternehmens geführt worden. Der im Hintergrund stehende Verbund mehrerer Heime sei für das Pflegezentrum unabdingbar gewesen. Sowohl die Verwaltung als auch die Pflegedienstleistung sei vor der Übernahme von der Zentrale des Verbundes gesteuert worden. Nach dem Erwerb des Pflegezentrums durch die Bf seien sämtliche Tätigkeiten direkt in ***2*** zentralisiert worden, die Pflegedienstleistung sowie die Verwaltung mit eigenem Sekretariat seien dafür völlig neu aufgebaut worden. Der größte Unterschied in der täglichen Praxis sei nach dem Kauf jener, dass sich nach dem Kauf die Geschäftsführung der Bf um sämtliche Belange des Pflegeheims (Softwarebelange, Dienstplanerstellung, Einkauf, Werbung, etc.) selbständig und ohne auf die Ressourcen des ehemaligen Verbunds zugreifen zu können, kümmern hätte müssen. Auf Grund dieser Änderungen liege nach Ansicht der Bf eine maßgebliche Veränderung der betrieblichen Struktur vor.

Weiters verwies die Bf auf § 201 Abs. 2 BAO, wonach bei Selbstberechnungsabgaben die Festsetzung erfolgen könne, wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben werde oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gegeben seien. Ein selbstberechneter Betrag sei nicht bekannt gegeben worden, da das NeuFöG in Anspruch genommen worden sei.

Am sei das Antragsformular für die Inanspruchnahme des NeuFöG an das Finanzamt mit der Bitte um Kenntnisnahme und unter Angabe der Steuernummer der Bf gefaxt worden. Dieses Fax sei seither Teil des Steueraktes beim Finanzamt. Auf dem Formular sei vermerkt, dass laut Ansicht der Wirtschaftskammer ***3*** das NeuFöG nicht zustehen würde. Ebenfalls sei dem Finanzamt am der Kaufvertrag per Mail übermittelt worden, wodurch erkennbar gewesen sei, dass es sich um keine Neugründung und keine Neuschaffung betrieblicher Strukturen handeln würde. Auch dieser Kaufvertrag sei seither Teil des Steueraktes beim Finanzamt. Das Finanzamt sei demnach seit bzw. in Kenntnis über die relevanten Umstände gewesen. Es gebe daher keine Beweismittel oder Tatsachen, die im Zuge der GPLA neu hervorgekommen seien und dem Finanzamt nicht bekannt gewesen wären. Das Hervorkommen neuer Tatsachen sei jedoch der einzige Wiederaufnahmegrund gemäß § 303 BAO, der in diesem Fall für die Festsetzung der Selbstberechnungsabgaben nach § 201 Abs. 2 BAO in Frage kommen würde. Es werde daher beantragt, neue Bescheide zu erlassen und keine Vorschreibung des Dienstgeberbeitrages vorzusehen, da keine Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden.

In der abweisenden Beschwerdevorentscheidung verwies das Finanzamt zu dem Umstand, dass die Bf in ihrer Beschwerde die Haftungsbescheide 2013 bis 2015 bekämpft, mit welchen sie für die Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer für die nachversteuerte Erschwerniszulagen zur Haftung herangezogen wurde, darauf, dass die Dienstgeberbeiträge nicht in den angefochtenen Haftungsbescheiden, sondern in eigenständigen Bescheiden über die Festsetzung des Dienstgeberbeitrages festgesetzt worden seien. Durch Mängelbehebung sanierbare inhaltliche Mängel iSd § 85 Abs. 2 BAO erster Satz würden nur bei Fehlen gesetzlich geforderter Angaben vorliegen. Sämtliche Anforderungen des § 250 Abs. 1 BAO seien durch die Beschwerde vom erfüllt worden. Ein Mängelbehebungsauftrag sei daher vom Finanzamt nicht zu erlassen gewesen.

Zur Wiederaufnahme des Verfahrens wird unter Hinweis auf § 201 Abs. 1 BAO ausgeführt, dass die Erschwerniszulagen seitens der Bf in ihrer Lohnverrechnung steuerlich nicht korrekt behandelt worden seien. Gegenteiliges sei auch von der Bf weder in der Schlussbesprechung noch in der Beschwerde behauptet worden. Die nichtversteuerten Erschwerniszulagen für Nichtleistungszeiten seien der Abgabenbehörde erst durch die GPLA bekannt geworden. Es würden die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme sowie die erstmalige bescheidmäßige Festsetzung vorliegen. Die Beschwerden gegen die Haftungsbescheide seien somit aus diesem Grund abzuweisen gewesen.

Zum Vorliegen der Voraussetzungen des NeuFöG verweist das Finanzamt nach Aufzählung der gemäß § 2 NeuFöG kumulativ erforderlichen Voraussetzungen darauf, dass die Bf selbst in der Beschwerde ausführt, dass es sich im gegenständlichen Fall um keine Neugründung und keine Neuanschaffung betrieblicher Strukturen handeln würde. Das Finanzamt teile die Ansicht, dass mit der bloßen Lösung eines bestehenden (Teil-)Betriebes aus einem Unternehmensverbund keine Neugründung im Sinne des § 2 NeuFöG vorliegen könne, da kein Betrieb durch Schaffung einer bisher nicht vorhandenen betrieblichen Struktur eröffnet worden sei. Vielmehr sei ein bestehender Betrieb veräußert und unter neue Verwaltung gestellt worden. Es liege somit ein bloßer Wechsel in der Person des Betriebsinhabers in Bezug auf einen bereits vorhandenen Betrieb vor. Eine übertragungsbedingte Änderung der inneren Verwaltungsabläufe stelle für sich alleine keine neu geschaffene betriebliche Struktur dar.

Die Begünstigungen des NeuFöG seien somit dem Grunde nach zu Unrecht in Anspruch genommen worden und die Dienstgeberbeiträge seitens der Bf nicht selbstberechnet, nicht bekannt gegeben oder abgeführt worden. Die Bf übersehe in ihrer Argumentation zur Wiederaufnahme, dass die Wiederaufnahmsgründe des § 303 BAO für eine erstmalige Festsetzung nicht zwingend vorliegen müssten, wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben werde ("oder-Bestimmung"). Eine bescheidmäßige Festsetzung sei somit bereits aufgrund der Nicht-Bekanntgabe der selbst zu berechnenden Abgabe möglich.

Nichtsdestoweniger würden im konkreten Fall die Gründe des § 303 BAO vorliegen. Der mit der Bitte um Kenntnisnahme per Fax an das Finanzamt übermittelten Erklärung der Neugründung am sei der Text "Nach Überprüfung der rechtlichen Voraussetzungen steht nach Ansicht der Wirtschaftskammer ***3*** das NeuFög 1 nicht zu!" zu entnehmen. Aus diesem vorliegenden Schreiben könne jedoch nicht geschlossen werden, dass die Bf beabsichtigen würde, trotz selbst auf der Erklärung eingestandener Nichterfüllung der Voraussetzungen des NeuFöG, die Begünstigung in Anspruch zu nehmen und dahingehend eine Entscheidung bzw. Handlung des Finanzamtes erwarten würde. Vielmehr hätte das Finanzamt annehmen können, dass die Bf, die die Voraussetzungen nicht erfüllen würde und diese Rechtsansicht durch ein Schreiben selbst bekannt gegeben habe, diese Begünstigung auch nicht in Anspruch zu nehmen. Dass die Bf die Begünstigung nunmehr rechtswidrig doch in Anspruch genommen habe, sei in jedem Fall für die Abgabenbehörde eine neu hervorgekommene entscheidungsrelevante Tatsache. Es wären somit auch die Gründe für eine Wiederaufnahme vorgelegen.

In dem dagegen fristgerecht eingebrachten Vorlageantrag verweist die Bf zum Umstand, dass die Beschwerden gegen die Haftungsbescheide und nicht gegen die Bescheide über die Festsetzung des Dienstgeberbeitrages erhoben wurden darauf, dass laut zahlreichen Entscheidungen es aber ausreichend sei, wenn aus dem gesamten Inhalt des Rechtsmittels hervorgeht, wogegen es sich richtet und die Behörde auf Grund des Berufungsvorbringens nicht zweifeln kann, welcher Bescheid angefochten ist (Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 § 250 E 28, ff). Aus der Beschwerde (vor allem aus dem Beschwerdegegenstand und der Begründung) sei allerdings klar ersichtlich, dass es sich um einen Beschwerde gegen die Festsetzung des DB handeln würde. Da sämtliche Bescheide gemeinsam und mit dem gleichen Datum ausgestellt worden seien, könne hieraus geschlossen werden, dass es sich nur um eine Beschwerde gegen die Festsetzung des DB handeln könne.

Zur Argumentation des Finanzamtes in der Beschwerdevorentscheidung, dass die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO nicht vorliegen müssten, da es sich bei § 201 Abs. 2 Z 3 BAO um eine Oder-Bestimmung handeln würde, wird vorgebracht, dass die Festsetzung des DB gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO nur erfolgen könne, wenn keine selbstberechneten Beiträge bekannt gegeben worden seien oder wenn die Voraussetzungen gemäß § 303 BAO vorliegen würden. Diese Argumentation können nur im Jahr 2013 zur Anwendungen kommen, da im Jahr 2013 zwar kein DB ausdrücklich an das Finanzamt gemeldet worden sei, dennoch sei dem Finanzamt ein Betrag bekannt gegeben worden, dass im ersten Jahr kein DB abzuführen sei. Der selbstberechnete Betrag im Jahr 2013 sei daher EUR 0,- gewesen. Die Tatsache, dass auf dem Finanzamtskonto keine Beträge verbucht oder überwiesen worden seien, könne nicht alleinig dafür ausschlaggebend sein, ob eine Festsetzung gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 1. Fall erfolgen könne. Somit sei ein Betrag in Höhe von EUR 0,- dem Finanzamt bekannt gegeben worden, wodurch auch hier die Voraussetzungen der Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO vorliegen müssten. Im Jahr 2014 seien ein DB in Höhe von EUR 9.849,79 berechnet und dem Finanzamt bekannt gegeben worden. Durch die Bekanntgabe eines selbstberechneten Betrages scheide die Festsetzung des DB gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 1. Fall aus, wodurch auch im Jahr 2014 ein Wiederaufnahmegrund gemäß § 303 vorliegen müsse. Eine Wiederaufnahme scheitere im gegenständlichen Fall aber daran, dass in der Begründung des Bescheides, welche auf den Bericht der GPLA verweisen würde, keine Wiederaufnahmegründe angegeben worden seien. Dies schließe die Festsetzung des DB gemäß § 303 BAO aus. Ein solcher Mangel könne auch nicht saniert werden.

Der Feststellung des Finanzamtes in der Beschwerdevorentscheidung, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Begünstigungen des NeuFöG nicht gegeben seien, wird entgegengehalten, dass eine neue Verwaltung und Struktur geschaffen worden sei, die die alleinige Überlebensfähigkeit des Pflegeheims hergestellt habe und somit eine nicht vorhandene betriebliche Struktur laut dem NeuFöG erschaffen worden sei. Der NeuFöG-Antrag enthalte zwar den Vermerk der Wirtschaftskammer, dass die Voraussetzungen nach deren Ansicht nicht zutreffen würden, dadurch werde aber nicht wie behauptet das Nicht-Vorliegen der Voraussetzungen bestätigt. Es handle sich hierbei lediglich um die Ansicht der Wirtschaftskammer. Hätte die Bf auf die Begünstigungen des NeuFöG verzichten wollen, hätte sie diesen Antrag nicht unterschrieben und auch nicht an das Finanzamt gesendet. Es entspreche wohl nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass man Anträge, die man nicht geltend machen wolle, abgeben würde. Somit sei davon auszugehen, dass dem Finanzamt die relevanten Umstände über die Geltendmachung des NeuFöG bekannt gewesen seien und daher eine Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO nicht zulässig sei.

Ergänzend zum Vorlageantrag gab die Bf mit weiterem Schreiben vom bekannt, dass entgegen ihrer Angaben im Vorlageantrag im Jahr 2013 monatlich ein selbstberechneter DB in Höhe von EUR 0,- über eine Verrechnungsweisung ausdrücklich an das Finanzamt gemeldet worden sei. Diese gemeldeten Beiträge seien monatlich am Finanzamtskonto verbucht worden. Die Festsetzung gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO 1. Teilsatz würde also daran scheitern, dass laut dem Gesetzeswortlaut die Festsetzung nur möglich sei, wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben werde. Dass die Höhe des gemeldeten Betrages dafür ausschlaggebend sein solle, ob eine Festsetzung gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO 1. Teilsatz erfolgen könne, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen.

Das Finanzamt legte die Beschwerden an das Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und verwies auf die Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung. Ergänzend wurde vorgebracht, dass in einem amtsinternen Aktenvermerk vom zur ****/2013 festgehalten sei, dass die steuerliche Vertretung per Email die Rechnung des Unternehmenskaufs vorgelegt habe und dass dies auch entsprechend abgelegt worden sei. Der Unternehmenskaufvertrag sei in diesem Aktenvermerk nicht angeführt und hätte im aufliegenden Steuerakt auch nicht aufgefunden werden können. Eine von der Bf nunmehr behauptete Übermittlung des Kaufvertrages per Email an das Finanzamt könne somit nicht verifiziert werden. Diesbezüglich werde weiters vorgebracht, dass eine Übermittlung per Email im Abgabenverfahren iSd § 86a BAO iVm der Verordnung des BMF BGBl 1991/494 (Telekopierer) bzw. FinanzOnline-Verordnung 2006 grundsätzlich nicht vorgesehen sei bzw. Anbringen per Email nicht zulässig seien (). Es werde die Abweisung der Beschwerden beantragt.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Zur Bezeichnung der angefochtenen Bescheide im Beschwerdeschreiben:

Die Bf hat im Wege ihrer bevollmächtigten steuerlichen Vertretung Beschwerde gegen die Haftungsbescheide für die Jahre 2013, 2014 und 2015 erhoben. Unter dem Punkt "Beschwerdegegenstand" wird ausgeführt, dass sich die Beschwerde gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens in Bezug auf den Dienstgeberbeitrag richten würde, da keine Wiederaufnahmegründe vorliegen würden.

Gemäß § 250 Abs. 1 lit a BAO hat die Bescheidbeschwerde die Bezeichnung des Bescheides, gegen den sie sich richtet, zu enthalten.

Nach dem Erkenntnis des , ist es Ziel dieser Bestimmungen, dass die Behörde in die Lage versetzt wird, eine Entscheidung über die Berufung treffen zu können. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Berufung den im § 250 Abs. 1 BAO bezeichneten Erfordernissen entspricht, ist davon auszugehen, dass der Rechtsschutz nicht durch einen überspitzten Formalismus beeinträchtigt werden darf. So genügt für die Bezeichnung des Bescheides, dass aus dem gesamten Inhalt des Rechtsmittels hervorgeht, wogegen es sich richtet. Wenn die Behörde auf Grund des Berufungsvorbringens nicht zweifeln kann, welcher Bescheid angefochten ist, ist der Formalvorschrift des § 250 Abs. 1 lit. a BAO Genüge getan (vgl. Stoll, BAO Kommentar, 2572, und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im gegenständlichen Fall war die Bezeichnung der angefochtenen Bescheide zwar falsch, die Inhalte unter den Punkten "Beschwerdegegenstand" und "Begründung" lassen jedoch keine Zweifel offen, dass sich die Beschwerden nicht gegen die Feststellung über die Erschwerniszulagen und den dazu ergangenen Haftungsbescheiden betreffend Nachforderung von Lohnsteuer, sondern gegen die Feststellung betreffend die Nicht-Gewährung der Begünstigungen gemäß NeuFöG und den hierzu ergangenen Bescheiden betreffend die Festsetzung des Dienstgeberbeitrages richten. Unter Berücksichtigung der oben zitierten Rechtsprechung des VwGH bestehen keine Zweifel, dass die gegenständlichen Beschwerden gegen die Bescheide betreffend die Festsetzung des Dienstgeberbeitrages für die Jahre 2013 und 2014 gerichtet sind.

Zum Streitpunkt der Festsetzung des Dienstgeberbeitrages gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO:

Die Bf vertritt in der Beschwerdeschrift die Ansicht, dass Wiederaufnahmegründe nicht vorliegen würden. Am sei das Antragsformular für die Inanspruchnahme des NeuFöG an das Finanzamt mit der Bitte um Kenntnisnahme und unter Angabe der Steuernummer der Bf gefaxt worden. Dieses Fax sei seither Teil des Steueraktes beim Finanzamt. Auf dem Formular sei vermerkt, dass laut Ansicht der Wirtschaftskammer ***3*** das NeuFöG nicht zustehen würde. Ebenfalls sei dem Finanzamt am der Kaufvertrag per Mail übermittelt worden, wodurch erkennbar gewesen sei, dass es sich um keine Neugründung und keine Neuschaffung betrieblicher Strukturen handeln würde. Auch dieser Kaufvertrag sei seither Teil des Steueraktes beim Finanzamt. Das Finanzamt sei demnach seit bzw. in Kenntnis über die relevanten Umstände gewesen. Es gebe daher keine Beweismittel oder Tatsachen, die im Zuge der GPLA neu hervorgekommen seien und dem Finanzamt nicht bekannt gewesen wären. Das Hervorkommen neuer Tatsachen sei jedoch der einzige Wiederaufnahmegrund gemäß § 303 BAO, der in diesem Fall für die Festsetzung der Selbstberechnungsabgaben nach § 201 Abs. 2 BAO in Frage kommen würde.

§ 201 BAO lautet auszugsweise:

(1) Ordnen die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen an oder gestatten sie dies, so kann nach Maßgabe des Abs. 2 und muss nach Maßgabe des Abs. 3 auf Antrag des Abgabepflichtigen oder von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst berechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gibt oder wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.

(2) Die Festsetzung kann erfolgen,
1. von Amts wegen innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages
2. wenn der Antrag auf Festsetzung spätestens ein Jahr ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages eingebracht ist
3. wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden.

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorkommen sind.

Die Bf gibt im Ergänzungsschreiben zum Vorlageantrag vom bekannt, dass im Jahr 2013 monatlich ein selbstberechneter DB in Höhe von EUR 0,- über eine Verrechnungsweisung ausdrücklich an das Finanzamt gemeldet worden sei. Diese gemeldeten Beiträge seien monatlich am Finanzamtskonto verbucht worden. Die Festsetzung gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO scheitere also daran, dass laut dem Gesetzeswortlaut die Festsetzung nur möglich sei, wenn "kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben" werde.

Dieser von der Bf vertretenen Ansicht kann sich das BFG nicht anschließen. Die Vorschrift des § 201 BAO hat den Zweck, einen Gleichklang mit der bei einem durch Bescheid abgeschlossenen Verfahren geltenden Rechtslage herbeizuführen (, mwN). Wie in Ritz, BAO Kommentar, 6. Auflage, TZ 3 zu § 201, dargestellt, entspricht die erstmalige Festsetzung des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO der Wiederaufnahme nach § 303 BAO bei Veranlagungsbescheiden.

Das bedeutet, dass gerade dann, wenn bereits ein selbstzuberechnender Betrag bekannt gegeben wurde, eine Abgabe gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 zweiter Fall BAO festgesetzt werden kann, wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen.

Sinngemäße Anwendung des § 303 bedeutet, den Akt der Selbstbemessung mit einem Bescheid gleichzustellen und sodann das Gefüge des § 303 auf diesen Vorgang prüfend einwirken zu lassen (Tanzer in Althuber/Tanzer/Unger (Hrsg), BAO Handbuch (2015) zu § 201 BAO, Seite 544). Die Bekanntgabe des selbst zu berechnenden Betrages kommt somit der Erlassung eines Bescheides durch das Finanzamt gleich. Wird kein selbstberechneter Betrag bekanntgegeben, obzwar dies hätte erfolgen können oder müssen, so kann die zuständige Abgabenbehörde innerhalb der allgemeinen Verjährungsfrist der §§ 207 ff die Festsetzung selbst vornehmen (Tanzer in Althuber/Tanzer/Unger (Hrsg), BAO Handbuch (2015) zu § 201 BAO, Seite 544).

Nachdem die Bf den selbst zu berechnenden Dienstgeberbeitrag im strittigen Zeitraum mit null bekannt gegeben hat, hat die bescheidmäßige Festsetzung des Dienstgeberbeitrages durch das Finanzamt im Zuge des Prüfungsverfahrens gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 zweiter Fall BAO bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO zu erfolgen, wenn sich die bekannt gegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.

Zur Wortfolge der sinngemäßen Anwendung des § 303 BAO in § 201 Abs. 2 Z 3 BAO ist Folgendes auszuführen:

Laut Ritz, BAO Kommentar, 6. Auflage, Rz 37 zu § 201, kann nach § 201 Abs 2 Z 3 eine Festsetzung ua erfolgen, wenn in sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden. Bezogen auf den "Neuerungstatbestand" ist somit erforderlich, dass für die Abgabenbehörde im Verfahren nicht geltend gemachte Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, wenn die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Voraussetzung für die Festsetzung ist daher, dass entscheidungserhebliche Tatsachen oder Beweismittel der Abgabenbehörde im Zeitpunkt der Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages noch nicht bekannt waren und dass diese Umstände nachträglich neu hervorkommen (etwa im Zuge einer Außenprüfung). Eine solche Festsetzung kann, ebenso wie bei der Wiederaufnahme, entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Abgabenschuldners erfolgen. Maßgeblich soll demnach nur der Wissensstand der Abgabenbehörde sein, nicht jedoch jener des Pflichtigen (Tanzer in Althuber/Tanzer/Unger, BAO-Handbuch, § 201, Seite 544). Die Festsetzung hat mit Abgabenbescheid zu erfolgen. Die Begründung (§ 93 Abs 3 lit a) des Festsetzungsbescheides hat das Vorliegen der Voraussetzungen für seine Erlassung darzulegen. Stützt sich die Behörde auf neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel (iSd § 303), so hat sie diese Tatsachen (Beweismittel) und ihr "Neuhervorkommen" in der Bescheidbegründung darzulegen (zB BMF, AÖF 2009/278, Abschn 1.5.5).

Bei Wiederaufnahmsbescheiden ist die Nichtdarlegung der maßgeblichen Tatsachen oder Beweismittel in der Bescheidbegründung nicht im Rechtsmittelverfahren sanierbar (vgl zB ; , 93/14/0187, 0188). Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmsgrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmsantrag gestützt, so muss das BFG den angefochtenen Wiederaufnahmsbescheid ersatzlos aufheben. Gleiches gilt für Bescheide iSd § 201 Abs 2 Z 3 (zB ) und entsprechende Bescheide nach § 202 ().

Zu der im Vorlageantrag wiedergegebenen Ansicht, dass eine Wiederaufnahme durch das Finanzamt daran scheitern würde, dass in der Begründung des Bescheides, welche auf den Bericht zur GPLA verweisen würde, keine Wiederaufnahmegründe angegeben worden seien, was die Festsetzung des DB gemäß § 303 BAO ausschließen würde, und weiters, dass ein solcher Mangel auch nicht saniert werden könne, wird auf den Punkt "Sachverhalt" des Berichtes über das Ergebnis der Außenprüfung vom verwiesen. Darin wird ausgeführt, dass nach Überprüfung der rechtlichen Voraussetzungen das NeuFöG 1 nicht zustehen würde. Dies decke sich auch mit der Ansicht der Wirtschaftskammer ***3***. Damit wird aber eindeutig ein Wiederaufnahmegrund angegeben.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ) hat die Berufungsbehörde, sofern die Bescheidausführungen des wiederaufnehmenden Finanzamtes mangelhaft sind, ausgehend von dem genannten Wiederaufnahmegrund, diesen zu prüfen und zu würdigen und gegebenenfalls erforderliche Ergänzungen vorzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 90/16/0003).

Abgesehen davon, dass der Wiederaufnahmegrund eindeutig und den neuen Tatsachenkomplex mit ausreichender Bestimmtheit in dem als Begründung für die angefochtenen Bescheide dienenden Bericht genannt wurde, kann das BFG den Wiederaufnahmegrund entsprechend der Einwendungen der Bf ergänzen. Denn, wenn das Finanzamt bei der amtswegigen Festsetzung gemäß ​§ 201 Abs. 2 Z 3 BAO den Wiederaufnahmegrund nicht ausreichend bekannt gibt, hat das BFG die mangelhafte Begründung in Richtung der tatsächlich vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmegrundlagen zu ergänzen. Dies stellt kein unzulässiges Auswechseln von Wiederaufnahmegründen dar ( ​Ro 2015/15/0030).

Die Bf wendet weiters ein, dass dem Finanzamt am das Antragsformular für die Inanspruchnahme des NeuFöG, aus dem hervorgeht, dass laut Ansicht der Wirtschaftskammer ***3*** das NeuFöG nicht zustehen würde, an das zuständige Finanzamt mit der Bitte um Kenntnisnahme und unter Angabe der Steuernummer der Bf gefaxt worden sei. Ebenfalls sei dem Finanzamt am der Kaufvertrag per E-Mail übermittelt worden. Sowohl das Antragsformular als auch der Kaufvertrag seien seither Teil des Steueraktes des Finanzamtes.

Dadurch soll offensichtlich zum Ausdruck kommen, dass es sich bei dem aus dem Bericht genannten Wiederaufnahmesachverhalt um keine neuen Tatsachen im Sinne des § 303 BAO handeln würde.

Zur Darstellung der Bf, der Kaufvertrag sei am per Mail an das Finanzamt übermittelt worden, wird darauf hingewiesen, dass das Finanzamt diesen Umstand, im Vorlagebericht bestreitet. Zur Klärung dieser Frage hat das BFG die Bf mit Vorhalt vom ersucht, einen Nachweis der Übermittlung des Kaufvertrages an das Finanzamt vorzulegen. Im Antwortschreiben vom verweist die Bf auf das im Vorlageantrag angesprochene E-Mail vom . Mit diesem E-Mail wird als Anhang lediglich die Rechnung, nicht jedoch der Kaufvertrag, über den Verkauf des ***1*** vom übermittelt. Damit steht entgegen der Ansicht der Bf fest, dass an das Finanzamt zwar die Rechnung über den Verkauf des ***1***, nicht aber der Unternehmenskaufvertrag übermittelt wurde.

Für eine neue Tatsache im Sinne des § 303 BAO ist maßgebend, ob der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können (zB ; , 2006/15/0006; , 2009/15/0135; , 2011/15/0157).

Wie bereits festgestellt hat die Bf per EMail vom zwar die Rechnung vom über den Kauf des ***1*** an das Finanzamt übermittelt, nicht jedoch den Unternehmenskaufvertrag vom .

Die an das Finanzamt übermittelte Rechnung über den Unternehmenskauf mag zwar für die Geltendmachung der Vorsteuer, nicht jedoch für die Beurteilung des Sachverhalts für die Inanspruchnahme der Begünstigungen gemäß § 1 Z 7 NeuFöG ausreichend sein. Dem Finanzamt war mit dem übermittelten Kaufvertrag der Sachverhalt nicht so vollständig bekannt, dass es schon in im Jahr 2013 bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können. Diese Feststellung wird unter dem nachfolgenden Punkt "Vorliegen der Voraussetzungen für die Begünstigungen des NeuFöG" näher ausgeführt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ) ist das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln nur aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Dabei ist das Hervorkommen neuer Tatsachen oder Beweismittel aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens und nicht aus anderen Verfahren, bei denen diese Tatsachen möglicherweise erkennbar waren, zu beurteilen.

Die Bf hat über Vorhalt des im Wege ihrer bevollmächtigten steuerlichen Vertretung zur Rechnungsübermittlung bekannt gegeben, da es sich um einen Vorhalt zur UVA gehandelt habe, sei die Rechnung zum Unternehmenskauf an das Finanzamt gesendet worden, da nur auf dieser der USt-Betrag ausgewiesen sei. Auf der Rechnung werde jedoch auf den Unternehmenskaufvertrag vom hingewiesen. Das Finanzamt sei also spätestens am darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass es sich um einen Unternehmenskauf gehandelt habe.

Daraus ist ersichtlich, dass die Übermittlung der Rechnung im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer für das Jahr 2013 bezüglich der Geltendmachung der Vorsteuer aus dem Unternehmenskauf erfolgt ist.

Die Bf hat selbst in ihrem Schreiben vom bekannt gegeben, dass die Rechnung zum Unternehmenskauf an das Finanzamt per E-Mail am gesendet wurde, da nur auf dieser der USt-Betrag ausgewiesen sei.

Das Umsatzsteuerverfahren betreffend das Jahr 2013 und dem mit dem Unternehmenskauf zusammenhängenden Vorsteuerabzug stellt jedoch bezüglich der gegenständlich strittigen in den Jahren 2016/2017 durchgeführten Lohnabgabenprüfung ein anderes Verfahren dar. In diesem Zusammenhang ist entscheidend, ob der abgabenfestsetzenden Stelle alle rechtserheblichen Sachverhaltselemente bekannt waren. Dass die Veranlagungsabteilung betreffend die Gewährung der Vorsteuer von der Rechnung für den Unternehmenskauf Kenntnis hatte, steht der Festsetzung der gegenständlich strittigen Dienstgeberbeiträge durch ein Organ der Prüfungsabteilung für Lohnabgaben und damit der Wiederaufnahme des Verfahrens im Lohnabgabenprüfungsverfahren (GPLA) nicht entgegen.

Zum weiteren Vorbringen der BF, das per Fax vom an das Finanzamt übermittelte Formular NeuFö 1, in dem die Wirtschaftskammer ***3*** mit Datum vom bestätigt, dass nach Überprüfung der rechtlichen Voraussetzungen nach Ansicht der Wirtschaftskammer ***3*** das Neufög 1 nicht zustehen würde, sei seit damals Teil des Steueraktes beim Finanzamt, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes allfälliges Verschulden der Behörde an der Nichtausforschung von Sachverhaltselementen die amtswegige Wiederaufnahme nicht ausschließt (zB ; , 2001/14/0007; , 2002/13/0029; , 2006/13/0114; , 2008/13/0090). Dem Finanzamt kann nicht angelastet werden, bereits zum Zeitpunkt der Vorlage des von der Wirtschaftskammer bestätigten Formulars NeuFö 1 die näheren Hintergründe nicht ermittelt zu haben.

Das Bundesfinanzgericht kommt auf Grund dieser Ausführungen zu dem Ergebnis, dass das Finanzamt die strittigen Abgaben rechtskonform gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO festgesetzt hat.

Zum Vorliegen der Voraussetzungen für die Begünstigungen des NeuFöG:

Gemäß § 1 Z 7 NeuFöG werden zur Förderung der Neugründung von Betrieben u.a. die für beschäftigte Arbeitnehmer (Dienstnehmer) anfallenden Dienstgeberbeiträge zum Familienlastenausgleichsfonds samt Kammerumlage nach § 122 Abs. 7 und 8 Wirtschaftskammergesetz 1988 ("Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag") für einen Zeitraum von 12 Monaten nicht erhoben.

Nach § 2 Z 1 NeuFöG liegt die Neugründung eines Betriebes (u.a.) unter folgender Voraussetzung vor: Es wird durch Schaffung einer bisher nicht vorhandenen betrieblichen Struktur ein Betrieb neu eröffnet, der der Erzielung von Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 EStG 1988 dient.

§ 2 Abs. 1 der Neugründungs-Förderungsverordnung, BGBl. II Nr. 278/1999, bestimmt hiezu Folgendes ("Begriff der Neugründung):
Unter einem Betrieb im Sinne des § 2 Z 1 NEUFÖG ist die Zusammenfassung menschlicher Arbeitskraft und sachlicher Betriebsmittel in einer organisatorischen Einheit zu verstehen. Ein Betrieb wird neu eröffnet, wenn die für den konkreten Betrieb wesentlichen Betriebsgrundlagen neu geschaffen werden. Der Betrieb muß der Erzielung von Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Einkünften aus selbständiger Arbeit (einschließlich Einkünften aus sonstiger selbständiger Arbeit) oder von Einkünften aus Gewerbebetrieb dienen. Keine Neugründung eines Betriebes liegt bei Aufnahme einer Betätigung im Sinne des
§ 1 Abs. 2 der Liebhabereiverordnung, BGBl. Nr. 33/1993, vor.

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des SteuerreformG 2000, mit dem das NeuFöG eingeführt worden ist, führen zu § 2 aus (1766 BlgNR 20. GP 77 f):

"Die Schaffung einer bisher nicht vorhandenen betrieblichen Struktur wird anzunehmen sein, wenn die wesentlichen Grundlagen des neu zu gründenden Betriebes zu einem bisher nicht vorhandenen Betrieb verdichtet werden.
...
Eine Neugründung liegt nicht vor, wenn ein bereits existierender Betrieb bloß unter einer neuen Rechtsform geführt wird. So wäre zB keine Neugründung anzunehmen, wenn ein bereits vorhandener Betrieb in eine - wenn auch neu gegründete - Kapitalgesellschaft eingebracht wird. Ob die Änderung der Rechtsform dabei unter Anwendung der Bestimmungen des Umgründungssteuergesetzes erfolgt, ist dabei unmaßgeblich.
Der bloße Erwerb eines Betriebes - sei es entgeltlich oder unentgeltlich bzw. durch einen Umgründungsvorgang - stellt keine Neugründung dar."

Die Bf führt aus, dass vor der Übernahme das Pflegezentrum ***2*** als unselbständiger, nicht alleinstehend überlebensfähiger Teilbetrieb eines Unternehmens geführt worden sei. Der im Hintergrund stehende Verbund mehrerer Heime sei für das Pflegezentrum unabdingbar gewesen. Sowohl die Verwaltung als auch die Pflegedienstleistung sei vor der Übernahme von der Zentrale des Verbundes gesteuert worden. Nach dem Erwerb des Pflegezentrums durch die Bf seien sämtliche Tätigkeiten direkt in ***2*** zentralisiert worden, die Pflegedienstleistung sowie die Verwaltung mit eigenem Sekretariat seien dafür völlig neu aufgebaut worden. Der größte Unterschied in der täglichen Praxis sei nach dem Kauf jener, dass sich nach dem Kauf die Geschäftsführung der Bf um sämtliche Belange des Pflegeheims (Softwarebelange, Dienstplanerstellung, Einkauf, Werbung, etc.) selbständig und ohne auf die Ressourcen des ehemaligen Verbunds zugreifen zu können, kümmern hätte müssen. Auf Grund dieser Änderungen liege nach Ansicht der Bf eine maßgebliche Veränderung der betrieblichen Struktur vor.

Wie in § 2 NeuFöG iVm der Neugründungs-Förderungsverordnung bestimmt wird, ist Voraussetzung einer Befreiung, ob "durch Schaffung einer bisher nicht vorhandenen betrieblichen Struktur ein Betrieb", der "die Zusammenfassung menschlicher Arbeitskraft und sachlicher Betriebsmittel in einer organisatorischen Einheit" darstellt, in dem Sinne "neu eröffnet" wird, dass "die für den konkreten Betrieb wesentlichen Betriebsgrundlagen neu geschaffen werden".

Für die Beurteilung, ob der beschwerdegegenständliche Betrieb im Sinne des NeuFöG neu gegründet wurde, sind die für den konkreten Betrieb gegebenenfalls neu geschaffenen wesentlichen Betriebsgrundlagen zu beurteilen. Die Neugründereigenschaft muss nicht nur subjektiv aus dem Blickwinkel des Neugründers nach der Regel des § 2 Z 2 NeuFöG vorliegen, sondern darüber hinaus muss objektiv ein neuer Betrieb entstehen (vgl. Erkenntnis des ).

Nach Literatur und Rechtsprechung zu § 24 EStG (zB Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuer-Handbuch EStG 1988, Tz 21ff zu § 24, Doralt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Tz 12ff zu § 24) sind grundsätzlich solche Betriebsgrundlagen als wesentlich zu qualifizieren, die geeignet sind, dem Erwerber die Fortführung des Betriebes zu ermöglichen (Gaggl/Sander, NeuFöG (2008) Rz 15).

Welche Betriebsmittel zu den wesentlichen Grundlagen des Betriebes gehören, ist in funktionaler Betrachtungsweise nach dem jeweiligen Betriebstypus zu bestimmen (Hofstätter in Hofstätter/Reichel, Die Einkommensteuer Kommentar, § 24 Rz 13). Die wesentliche Betriebsgrundlage richtet sich nach der Art des Betriebes und nach der Funktion des Wirtschaftsgutes.

Über Ersuchen des BFG hat die Bf mit Schreiben vom den Unternehmenskaufvertrag vom als Beilage übermittelt. Daraus ist zu ersehen, dass die Verkäuferin an verschiedenen Standorten in der ***3***, ***4*** und ***5*** Pflegeheime betrieben hat. Als Vertragsgegenstand wird der im Unternehmenskaufvertrag und dessen Anlagen angeführte Teilbetrieb "***1***" genannt. Der Verkauf beinhaltet sämtliche Rechte und Pflichten der Verkäuferin im Zusammenhang mit dem Betrieb des kaufgegenständlichen Pflegeheimes in ***2***.

Unter dem Punkt "Vertragsgegenstand" werden weiters der Betriebsbewillligungsbescheid des Landes ***3*** vom und der Goodwill genannt. Der Goodwill besteht aus den aktuellen Bewohnern, dem im Eigentum der Verkäuferin stehenden Inventar, dem Personal sowie dem Lagerbestand (Verbrauchsmaterialien für Pflegedienstleistungen und Ähnliches). Laut Punkt 11.6. des Unternehmenskaufvertrages verpflichtet sich die Verkäuferin mit Stichtag 24:00 Uhr ihren Betrieb im Kaufgegenstand einzustellen und diesen der Käuferin zu übergeben. Die Bf als Käuferin ihrerseits verpflichtet sich zur nahtlosen Fortführung des Betriebs und zur Pflege der im Heim zum Stichtag betreuten Personen.

Die Voraussetzungen für die Befreiung für die Abfuhr des DB gemäß § 1 Z 7 NeuFöG liegen im gegenständlichen Fall aus nachfolgenden Gründen nicht vor:

Für eine Pflegeeinrichtung stellen die Liegenschaft, das für die Pflege erforderliche und geeignete Inventar, Verbrauchsmaterialien für Pflegeleistung, eine behördliche Betriebsbewilligung und nicht zuletzt das geeignete und ausgebildete Personal spezifische wesentliche Betriebsgrundlagen dar. Der Aufbau einer Verwaltung mit eigenem Sekretariat und das Kümmern der Geschäftsführung der Bf um sämtliche Belange des Pflegeheims (Softwarebelange, Dienstplanerstellung, Einkauf, Werbung, etc.) mag zwar subjektiv eine maßgebliche Veränderung der übernommenen betrieblichen Struktur darstellen, eine spezifische für ein Pflegeheim wesentliche Betriebsgrundlage kann darin jedoch nicht gesehen werden, da derartige Belange in jedem Betrieb als erforderlich betrachtet werden müssen.

Die wesentlichen Betriebsgrundlagen wie die Liegenschaft, das Inventar, das Personal sowie der Lagerbestand (Verbrauschmaterialen für Pflegedienstleistungen und Ähnliches) wurden von der Bf als Käuferin vom Verkäufer übernommen. Auch der vorliegende Betriebsbewilligungsbescheid des Landes ***3*** ist Vertragsgegenstand des Unternehmenskaufvertrages. Schließlich wird im Unternehmenskaufvertrag die nahtlose Weiterführung des Betriebs des Pflegeheimes durch die Bf vereinbart. Dadurch kommt die fehlende Neueröffnung eines Betriebs klar und deutlich zum Ausdruck.

Dass im gegenständlichen Fall objektiv gesehen keine wesentlichen Betriebsgrundlagen geschaffen werden mussten, um den Betrieb fortzuführen, zeigt die Meinung der Wirtschaftskammer, die ebenfalls davon ausgegangen ist, dass die Neugründungsförderung nicht zusteht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Wirtschaftskammer auf Grund der Vielzahl an vorgelegten Neugründungsanträgen wohl ein gewisses Maß an objektiver Beurteilungsfähigkeit zugesprochen werden kann.

Hinsichtlich der Bemessungsgrundlagen und der Höhe der vorgeschriebenen Abgaben wurden keine Einwendungen erhoben. Das Finanzamt hat zu Recht die Begünstigung des § 1 Z 7 NeuFög verweigert und die strittigen Dienstgeberbeiträge nachgefordert.

Zusammenfassend waren die Beschwerden aus den vorgenannten Gründen spruchgemäß abzuweisen.

Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Gemäß § 25a VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist.

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nachdem die Beschwerde insoweit keine für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen aufwirft, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme, war unter Hinweis auf die gesetzlichen Bestimmungen, die zitierte Literatur und Rechtsprechung die Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision auszusprechen.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 201 Abs. 2 Z 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 250 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 1 Z 7 NeuFöG, Neugründungs-Förderungsgesetz, BGBl. I Nr. 106/1999
§ 2 NeuFöG, Neugründungs-Förderungsgesetz, BGBl. I Nr. 106/1999
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.2100083.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at