TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 28.10.2020, RV/7102094/2020

Erhöhte Familienbeihilfe - Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit, Bindung an Gutachten des Sozialministeriumservice (SMS)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Helga Hochrieser in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Hollabrunn Korneuburg Tulln vom betreffend Abweisung des Antrags vom auf (erhöhte) Familienbeihilfe für den Zeitraum ab September 2011 nach am durchgeführter mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (Bf.), geb. am tt.mm.1989, beantragte am die Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages ab September 2011.

Die Bf. wurde auf Grund des Antrages im Sozialministeriumservice am 6.8.1019 untersucht und am folgendes Gutachten erstellt:

"Anamnese:

Frau Bf. kommt zur neuerlichen Untersuchung. Laut Anamnese und Vorgutachten vom erhielt sie bei Diagnose Epilepsie einen GdB 50%. Zusätzlich entwickelte sich eine homonyme Hernianopsie des rechten Auges. Dabei wurde der Verdacht auf Vaskulitis gestellt und nun auch eine MS vermutet. Anfälle treten 1-2 mal monatlich auf und sind mit Lichtblitzen rechts verbunden. Dazu kommen noch Doppelbilder. Es tritt auch ein Kribbeln in den Beinen auf, es besteht eine Gangunsicherheit. Es kommt auch zu Kraftverlust, sie kann ihr Kind nicht lange halten. Die Konzentration ist vermindert, insgesamt fühlt sie sich nur gering belastbar.

Ihre Sehkraft hat seit der Voruntersuchung ebenfalls abgenommen.

Sie steht im UK Tulln in Betreuung. Sie wurde wegen wiederholten Doppelbildern 05/2019 stationär aufgenommen. Es erfolgte eine Durchuntersuchung, die Ergebnisse sind noch ausständig. Die Doppelbilder haben sich zurückgebildet.

Sie begann eine Lehre zur Floristin, die sie abbrach. Es wurden keine weiteren Ausbildungen oder Arbeitsversuche gestartet. Sie lebt in einer Lebensgemeinschaft, ist Hausfrau und Mutter eines 2-jährigen Kindes.

Derzeitige Beschwerden:

Vd.a.atypische demyelinisierende Erkrankung. DD zerebrale Vaskulitis, symptomatische, strukturelle Epilepsie mit fokalen Anfällen und sekundär generalsierten Anfällen seit der Jugend;

Behandlung(en)/ Medikamente/ Hilfsmittel:

Levetiracetam, Thrombo ASS, bei Bed. Stesolid

Sozialanamnese:

keine Ausbildung, Hausfrau
lebt in Lebensgemeinschaft, 1 Kind (2 Jahre)

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

UK Tulln, ärztl. Entlassungsbrief, Abt.f.Neurologie, : Diagnose rez. passagere Doppelbilder (20.-) und fluktuierende Parästhesien an sämtlichen Extremitäten, Vd.a.atypische demyelinisierende Erkrankrung, DD zerebrale Vaskulitis, symptomatische, strukturielle Epilepsie mit fokalen Anfällen und sekundär generalsierten Anfällen seit der Jugend; Zusammenhang: .. bei geringen klin. Auffälligkeiten sowie wenig bildgebender Progression wurde keine Immunsupression veranlasst, auch eine Biopise ist nicht erfolgt ... im Vergleich zur MRT-Letztuntersuchung von 08/17 vereinzelt neu aufgetretene Plaques, einer hochparietal li. paramedian ... Veränderungen werden als entzündlich interpretiert ... Befunde sind zur Entlassung noch nicht vollständig vorhanden, EEG, VEP's unauffällig.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:
unauffällig

Ernährungszustand:
unauffällig

Größe 163,00 cm Gewicht: 53,00 kg Blutdruck:

Status (Kopf/ Fußschema) - Fachstatus:

Brillenträgerin, Hören nicht eingeschränkt, Zähne in Ordnung, Intern unauffälliger Befund, Gelenke frei beweglich

Gesamtmobilität - Gangbild:
unauffällig

Psycho(patho)logischer Status:
unauffällig

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd.
nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
Gdb %
Demyelinisierende Erkrankung mit Funktionseinschränkungen mittleren GradesUnterer Rahmensatz bei wiederholt auftretenden passageren Doppelbilder (zuletzt 20.-) und fluktuierende Parästhesien an sämtlichen Extremitäten, Verdacht auf atypische demyelinisierende Erkrankung differentialdiagnostisch zerebrale Vaskulitis), symptomatische, strukturelle Epilepsie mit fokalen Anfällen und sekundär generalsierten Anfällen seit der Jugend, jedoch bei weitgehend stabilem Verlauf kein Erfordernis einer immunmodulierenden Therapie
50

Gesamtgrad der Behinderung 50 v.H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Stellungnahme zu Vorgutachten:

Der Zustand präsentiert sich weitgehend unverändert. Der Grad der Behinderung wird gegenüber dem Vorgutachten nicht verändert.

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:

X ja O nein

GdB liegt vor seit: 08/2005

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
analog zu den Vorgutachten

Frau ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN.

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
aus den biographischen Daten kann eine Selbsterhaltungsfähigkeit angenommen werden

X Dauerzustand
O "

Das Finanzamt wies den Antrag auf (erhöhte) Familienbeihilfe ab September 2011 unter Zugrundelegung der in dem Gutachten getroffenen Feststellungen mit Bescheid vom ab (Anm.: das Sachverständigengutachten wurde mit seperater Post zugesendet) und verwies in der Begründung auf die Bestimmungen des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung, wonach volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Das Sozialministeriumservice habe mit Gutachten vom eine 50%ige Erwerbsminderung ab August 2008 bei der Bf. festgestellt. Da diese jedoch nicht erwerbsunfähig sei und in keiner Berufsausbildung stehe, müsse ihr Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe abgewiesen werden.

Gegen den Abweisungsbescheid wurde mit folgender Begründung Beschwerde eingebracht:

"Falsche Angaben so wie Falsche Urzeit denn davon war sie vielleicht 10 Minuten bei der Untersuchung. Meine Partnerin wurde Körperlich nicht untersucht also wie kann die Ärztin etwas angeben was sie nicht getan hat. Meine Partnerin wurde nur Gefragt wie schwer und Gros sie ist. Und meine Partnerin wurde nicht ansatzweiße Gefragt wie ihre Lebens Situation ist. Auf der Bescheinigung hat sie mit einem Textmacker Falsche Angaben markiert.

Ich ***1*** Schrieb diese Beschwerde weil ich nicht nach vollziehen kann wie man eine Ärztin werden kann wenn man diese Arbeit nicht ordnungsgemäß ausführt. Ich lebe mit meiner Partnerin schon 5 Jahren zusammen und in dieser Zeit habe ich schon zu oft quasi täglich mit bekommen das es meiner Partnerin nicht möglich wäre arbeiten zu gehen. Leider konnte ich an dem Tag aus beruflichen Gründen nicht mit zur Untersuchung kommen. Was ich damit sagen will als ich das gelesen habe war ich entsetzt über die Ablehnung.

Ich bitte um einem neuen Termin."

Die Bf. wurde auf Grund der Beschwerde im Sozialministeriumservice am 18.12.1019 untersucht und am selben Tag folgendes Gutachten erstellt:

"Anamnese:

Vorgutachten :

Epilepsie bei Vaskulitis GdB 50%

Vorgutachten :

Epilepsie GdB 50%

Gesichtsfeldeinschränkung rechtes Auge GdB 30%

Gesamt GdB 50%

Vorgutachten :

Demyelinisierende Erkrankung mit Funktionseinschränkungen mittleren Grades, Epilepsie

GdB 50%

seit 08/2005

Frau ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu

verschaffen: NEIN

aktuell: dagegen Beschwerde- Schreiben

vorbestehend:

Epilepsie seit dem 15. LJ, mehrfache neurologische stationäre Abklärungen. Im MRT

Auffälligkeiten V.a. Vaskulitis, V.a. MS- diese sei im KH Tulln bestätigt worden und seit

einem Monat Tecfideratherapie

Derzeitige Beschwerden:

Sie sei dauernd müde und erschöpft, das habe sie täglich. Sie habe Schmerzen in den

Gliedern, gehe unsicher. Es fühle sich an den Beinen an wie wenn sie eingeschlafen wäre.

Immer wieder schlafe die rechte Hand ein. Auf der rechten Seite sei das Gesichtsfeld

eingeschränkt.

Sie habe wöchentliche epileptische Anfälle . Es beginne im Gesichtsfeld rechts zu blitzen

und dann könne sie sich an nichts mehr erinnern. Der LG berichtet, dass sie zittere und zu

Boden stürze. Sie beiße sich auch in die Zunge. Es komme ca. 3x/ Monat dazu.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Levetiracetam 1500 1-0-1, Tecfidera 1-0-1, T ASS 100 lxl, Temesta b. Bed: ca. 3-4x/

Monat-jedes mal wenn sie merke es beginne zu blitzen, Stesolid b. Bed.,

KH Tulln Neurlogie

Sozialanamnese:

VS, HS, Poly, dann keine weitere Ausbildung, sie hätte einen Platz zur Ausbildung zur

Floristin gehabt, es sei wegen der Krankheit dann nicht dazu gekommen.

Seither keine Arbeitstätigkeit, Hausfrau

keine eigenen Einkünfte, mit LG mitversichert, der LG verdiene "über der Grenze" für die

Mindestsicherung

lebt in Lebensgemeinschaft, 1 Kind( 2 1/2 Jahre)

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

zur Untersuchung mitgebrachte Befunde:

Arztbrief UK Tulln Neurologie 29 04- :

UK Tulln, ärztl. Entlassungsbrief, Abt.f.Neurologie, :

Diagnose bei Entlassung:

rez. passagere Doppelbilder(20.-) und fluktuierende Parästhesien an sämtlichen

Extremitäten,

Vd. a. atypische demyelinisierende Erkrankung, DD zerebrale Vaskulitis,

symptomatische, strukturelle Epilepsie mit fokalen Anfällen und sekundär generalisierten

Anfällen seit der Jugend;

.... Kortisonstoßtherapie.... darunter deutliche Besserung der Klinik....völliges Abklingen

der Parästhesien...keine Doppelbilder

....klinisch neurologisch fand sich bei Entlassung die vorbestehende Hemianopsie rechts

temporal, ein lebhaftes Reflexniveau an den UE bds. bei sonst unauffälligem Status....

Befund Neuro Ambulanz UK Tulln :

....unverändert homonyme Hemianposie nach rechts der übrige Status unauffällig....

...sie hat schon längere Zeit keine Blitze rechts mehr gesehen, gelegentlich sieht sie auch

schemenartige Strukturen, sodass neben partiellen visuellen Anfällen es sich auch um

Halluzinationen im heminoptischen Feld handeln könnte, diesbezüglich , wie gesagt, seit 1

Woche keine Symptome mehr....

NLG UK Tulln :

...bei entsprechender Klinik korreliert der Befund mit einer sehr diskret ausgeprägten links

und beinbeotnten PNP....sämtliche Werte der OE und UE im Normbereich ...bis auf mäßig

verzögerte distale Latenz n. peroneus links....

Ambulanzbefund UK Tulln Neurologie :

Dg.: V.a. Schub mit rez. Doppelbildern....

....bei der Pat sind epileptische Anfälle bekannt, wobei diese üblicherweise mit einer Aura

mit Lichtblitzen im rechten Gesichtsfeld beginnen. Meistens sei eine Anfallskoupierung mit

Temesta möglich, selten käme es zu einer sekundären Generalisierung mit

Bewusstseinsverlust und Zungenbiss....

Ambulanzbefund UK Tulln Neurologie :

Dg.: Multiple Sklerose

....mehrere Episoden von epileptischen Anfällen, welche als Schubäquivalente aufgefasst

werden können....

.... Klinisch besteht eine homonyme Hemianposie nach rechts und zirkuläre Hypästhesie

am distalen Unterschenkel bds.

EDSS 1,5

Gesichstfeld Dr. Geyer Augen FA

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

30 jährige in gutem AZ

Ernährungszustand:

gut

Größe: 163,00 cm Gewicht: 56,00 kg Blutdruck:

Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:

Stuhkunauffällig

Miktiomunauffällig, manchmal imperativer Harndrang

Neurologisch:

Hirnnerven:

Geruch: anamnestisch unauffällig

Gesichtsfeld: fingerperimetrisch nach rechts Einschränkung

Visus: Brille

Pupillen mittelweit, rund isocor

Optomotorik frei,

keine Doppelbilder, Nystagmus: keiner

Facialis: seitengleich innerviert, kein mimisches Defizit

Sensibilität: unauffällig

Hörvermögen anamnestisch unauffällig,

Zunge: wird gerade herausgestreckt, stgl. gut beweglich

Uvula mittelständig, Gaumensegel hebt symmetrisch

Kopfdrehung und Schulterhebung: unauffällig

rötliche großflächigere Hautrötung im Gesicht

OE:

Rechtshänder

Kraft: seitengleich unauffällig

Trophik: unauffällig

Tonus: unauffällig

Motilität: Nacken und Schürzengriff: nicht eingeschränkt

Seitabduktion bds. bis zur Senkrechten

Faustschluss und Fingerspreizen gut durchführbar

Pinzettengriff: bds. möglich

Feinmotorik: ungestört

MER (BSR, RPR, TSR): seitengleich mittellebhaft

Pyramidenbahnzeichen: negativ

Eudiadochokinese

AVV: beidseits gehalten ohne Absinken, ohne Pronation

FNV: zielsicher bds.

Sensibilität: seitengleich unauffällig

UE:

Kraft: seitengleich unauffällig

Trophik: unauffällig

Tonus: unauffällig

Motilität: nicht eingeschränkt

PSR: seitengleich mittellebhaft

ASR: seitengleich mittellebhaft

Pyramidenbahnzeichen : negativ

Laseque: negativ

Beinvorhalteversuch: kein Absinken

Knie- Hacke- Versuch : zielsicher bds.

Sensibilität: seitengleich unauffällig

Stand und Gang: unauffällig

Romberg: unauffällig

Unterberger Tretversuch: unauffällig, sicher, kein Abweichen, keine Falltendenz

Zehen- und Fersenstand: unauffällig

Sprache und Sprechen: unauffällig

Gesamtmobilität-Gangbild:

kommt frei gehend zur Untersuchung, LG anwesend

Führerschein: nein

An/Auskleiden Hose, Schuhe und Socken ohne Hilfe

Psycho(patho)logischer Status:

Kooperativ und freundlich, gut auskunftsfähig, bewußtseinsklar, voll orientiert, kein

kognitiv- mnestisches Defizit, Gedankenductus: geordnet, kohärent; Konzentration und

Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen, stabil, gut affizierbar; Affekte: angepasst,

keine produktive Symptomatik

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd.Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen,welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauernwerden:Begründung der Rahmensätze:
Pos. Nr.
Gdb %
1
Multiple Sklerose mit homonymer Hemianposie nach rechts,verminderter Belastbarkeit, GefühlsstörungenUnterer Rahmensatz, da keine Lähmungen vorliegend
50
2
Epilepsie (DD: Schubäquivalente bei MS) mit dokumentierten visuellenAuren und seltener sekundärer GeneralisierungOberer Rahmensatz, entsprechend der dokumentierten Anfallsfrequenz
40

Gesamtgrad der Behinderung 60 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Leiden 1 wird durch Leiden 2 um 1 Stufe erhöht, da schwerwiegend

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten

Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

--

Stellungnahme zu Vorgutachten:

Leiden 1: keine Änderung zum Vorgutachten

Leiden 2: neu aufgenommen, Teile von vormaligem Leiden 1 darin includiert

Gesamtgrad: Erhöhung um 1 Stufe im Vergleich zum Vorgutachten 8/19

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:

X ja □ nein

GdB liegt vor seit: 12/2019

GdB 50 liegt vor seit: 08/2005

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:

aktuelle Untersuchung

Frau ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu

verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit,

sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Nach der Anamnese und den Befunden ist der Beginn von krankheitsbedingten

Funktionseinschränkungen in die Jugend zurückreichend dokumentiert. Es sind aber daraus keine

schwerwiegende Funktionseinschränkung in einem solchen Ausmaß abzuleiten, dass eine daraus

resultierende anhaltende Selbsterhaltungsunfähigkeit vor dem 18./21. LJ eingetreten ist.

Auch aus den aktuell vorliegenden Funktionseinschränkungen ist keine Selbsterhaltungsunfähigkeit

abzuleiten.

□ Dauerzustand

X Nachuntersuchung: in 3 Jahren

Anmerkung hins. Nachuntersuchung:

Reevaluierung, Besserung möglich"

Das Finanzamt wies die Beschwerde unter Zugrundelegung der in dem Gutachten getroffenen Feststellungen mit Beschwerdevorentscheidung vom im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass im Gutachten des Sozialministeriumservice vom eine 50%ige Behinderung ab 1.8.205 und ab eine 60%ige Behinderung festgestellt worden sei. Allerdings sei im genannten Gutachten auch erneut eine dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht bestätigt worden.

Die Bf. stellte mit Schreiben vom einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht, wobei eine mündliche Verhandlung beantragt wurde. Begründend wurde ausgeführt, dass laut Gutachten vom die gegenständliche Behinderung voraussichtlich über 3 Jahre andauernd sei (§ 8 Abs. 5ff FLAG 1967).

Bei der am durchgeführten mündlichen Verhandlung war keine der Parteien anwesend. Gemäß § 274 Abs. 4 BAO steht das Fernbleiben der Parteien der Durchführung der Verhandlung nicht entgegen.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Sachverhalt

Das Bundesfinanzgericht geht vom grundsätzlich unstrittigen oben angeführten Sachverhalt laut Aktenlage aus.

Beweiswürdigung

Die beschwerdegegenständlichen Sachverständigengutachten erstellt durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen am sowie das Vorgutachten vom sind schlüssig und vom Bundesfinanzgericht nicht zu widerlegen.

Gesetzliche Grundlagen und rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG in der Fassung ab gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

§ 10 FLAG 1967 normiert:

(1) Die Familienbeihilfe wird, abgesehen von den Fällen des § 10a, nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) ist besonders zu beantragen.

(2) Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

(3) Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) werden höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt. In Bezug auf geltend gemachte Ansprüche ist § 209 Abs. 3 der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961, anzuwenden.

Gemäß § 8 Abs. 3 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe um näher angeführte Beträge monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe bei volljährigen "Kindern"

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht (vgl FLAG Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke, Rz 5 zu § 8). Dies bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor dem 21. (25.) Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (vgl , vgl. weiters Lenneis in Csaszar / Lenneis / Wanke, FLAG, § 8 Rzln 5 und 19 ff).

Der Verwaltungsgerichtshof stellte in seinem Erkenntnis vom , 2013/16/0170, auszugsweise Folgendes fest:

"Eine Behinderung im Sinn des § 8 Abs. 5 FLAG mit einen Grad von mindestens 50 v.H. kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. aufweist, ist der Tatbestand des § 8 Abs. 5 FLAG erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. erreicht (Hinweis E , Ra 2014/16/0010)." (vgl. auch ; ; , sowie die Erkenntnisse des und vom , RV/7106028/2016).

Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens

Nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen (vgl. , , , ).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat das ärztliche Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung iSd FLAG Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer begründeter Weise zu enthalten und bildet die Grundlage für die Entscheidung, ob die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung einwandfrei daraus hervorgehen und das/die Gutachten nicht unschlüssig sind (vgl. , , , ).

Wird für eine volljährige Person die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag beantragt bzw. stellt eine volljährige Person einen Eigenantrag auf die Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag, so hat sich das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren darauf zu erstrecken, ob diese Person wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder - für den Beschwerdefall nicht relevant - während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl etwa , vgl. auch ).

Bindung an die Gutachten des Sozialministeriumservice - keine andere Form der Beweisführung

Zufolge § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden (vgl. 2007/15/0019, , ) und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und - im Falle mehrerer Gutachten - nicht einander widersprechen (vgl. , , , Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310, vgl. auch die bei Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 29 zitierte Rechtsprechung). Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl. ).

Ist ein Gutachten unschlüssig, so ist nach der Judikatur des VwGH für deren Ergänzung zu sorgen. Sowohl eine Gutachtensergänzung als auch ein neues Gutachten stellen Beweismittel dar. (; ; ).

Gegen die Einschränkung der Beweisführung des Grades der Behinderung oder der voraussichtlichen dauerhaften Unfähigkeit, sich selbst den Erwerb zu verschaffen, hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , B 700/07, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen (vgl. ) und weiters erkannt, dass von Gutachten NUR nach "entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung" abgegangen werden kann, wenn diese nicht schlüssig sind (vgl. ; , ).

Zusammenfassend wird festgestellt, dass der Bf. in den Gutachten keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr bzw. während einer schulischen Ausbildung bescheinigt wurde.

Die Sachverständigengutachten wurden, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, als schlüssig erachtet.

Der Antrag des Bf. auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe war daher abzuweisen und spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Bei der Frage, wie hoch der Behinderungsgrad in einem bestimmten Zeitraum war bzw. ob eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, handelt es sich um eine Tatfrage und ist das Bundesfinanzgericht an das vom Sozialministeriumservice erstellte ärztliche Gutachten de facto gebunden. Eine über den Individualfall hinaus relevante Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor. Da das gegenständliche Erkenntnis der geltenden Gesetzeslage sowie der hRspr folgt, ist die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at