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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 28.07.2020, RV/7100411/2017

Antrag auf Akteneinsicht vs. Auskunftsersuchen.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid des ***FA*** vom , St.Nr. ***1***, zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG ) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt und Verfahrensgang

Mit Eingabe vom richtete der Beschwerdeführer (Bf.) (auszugsweise) folgendes Anbringen an das ***FA*** (FA***2***):

"[...]

ANSUCHEN UM BEKANNTGABE EINHEITSWERTE

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich ersuche Sie um Bekanntgabe der Einheitswerte für die herrenlosen Liegenschaften
***3*** (zu je 3/12 Anteile)

***4*** (1/1 Anteil)

***5*** (zu 3/40 Anteile).

Ich benötige diese, um eine Selbstberechnung der Grunderwerbsteuer vornehmen lassen zu können.

Vielen Dank im Voraus

[...]"

Ebenfalls mit Eingabe vom richtete der Bf. ein weiteres Anbringen an das FA ***2***:

" [...]

ANSUCHEN UM BEKANNTGABE EINHEITSWERTE

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich ersuche Sie um Bekanntgabe der Einheitswerte für die herrenlosen Liegenschaften

***6*** (1/1 Anteil)

***7*** (1/15 Anteil)

Ich benötige diese, um eine Selbstberechnung der Grunderwerbsteuer vornehmen lassen zu können.

Vielen Dank im Voraus!

[...]

Nach durchgeführtem Mängelbehebungsverfahren ergingen am folgende Erledigungen:

  • die Übermittlung von Einheitswerten hinsichtlich ***8*** und ***9***

  • ein Zurückweisungsbescheid hinsichtlich ***10***, ***11*** und ***12*** folgenden Inhalts:

  • "Begründung:

  • Sie führen in ihrem Ersuchen aus, dass Sie hinsichtlich folgender herrenloser Liegenschaftsanteile um Bekanntgabe der Einheitswerte ersuchen:

  • ***7*** (1/15 Anteil)

  • ***3*** (zu je 3/12 Anteile)

  • ***5*** (zu 3/40 Anteile)

  • Dazu wird ausgeführt:

  • Diese oben bezeichneten Anteile (schlichte Miteigentumsanteile) sind im Grundbuch als "herrenlos" bezeichnet. Auf Grund der OGH-Judikatur () und des Lehrbuches von Rassl zum "Grundbuchsrecht" ist auf der Basis der Lehre und Rechtsprechung davon auszugehen, dass bei Miteigentum rechtlich kein herrenloses Anteilsgut entstehen kann, sondern dieser Anteil automatisch den verbleibenden Grundeigentümern zuwächst.

  • Da bei Miteigentum entsprechend der obigen Ausführungen demnach eine Dereliktion nicht möglich ist, sind Sie nicht Partei iS des § 78 BAO. Nur die Partei (bzw. ihr Vertreter) hat nach der Judikatur () und der in der Literatur überwiegenden Auffassung das Recht auf Akteneinsicht.

  • Ihr Ersuchen auf Bekanntgabe der Einheitswerte von Miteigentumsanteilen war daher mangels Antragslegitimation zurückzuweisen.

  • Hinweis: Hinsichtlich jener Grundstücke die im "herrenlosen Alleineigentum" stehen ergeht eine gesonderte Erledigung."

Dagegen wurde am Beschwerde eingebracht.

Der Bf. bringt vor:

"[…]

Bekanntermaßen hat eine herrenlose Liegenschaft keinen Eigentümer. Der Gesetzeszweck, warum Parteistellung im Abgaben/Einheitswertverfahren grundsätzlich nur einem im Grundbuch eingetragenen Eigentümer zukommt ist vermutlich mit Datenschutzinteressen begründet. Es liegt auf der Hand, dass eine herrenlose Sache, der weder Rechtsträgereigenschaft zukommt, noch einem Rechtsträger zugeordnet werden kann, keine Datenschutzrechte genießen kann.

Diese Bestimmung ist also teleologisch zu reduzieren, zumal es mit Sicherheit nicht der Gesetzeszweck war, hierdurch einen Rechtserwerb durch Aneignung zu unterbinden. Vielmehr sollte genauso wie sich jedermann eine herrenlose Liegenschaft aneignen kann (angelehnt an
§ 381 ABGB ) auch jedermann das Recht haben, zumindest eine informelle Einheitswertabfrage über eine solche herrenlose Liegenschaft zum Zweck der Grunderwerbsteuerberechnung zu erhalten, wenn er die entsprechende herrenlose Liegenschaft erwerben möchte.

Dieser Meinung schloss sich das ***FA*** an, reduzierte diese Ansicht jedoch auf Liegenschaften, die zur Gänze herrenlos sind.

Zur rechtlichen Beurteilung des ***FA*** führe ich folgendes an:

Die Behörde führt an, dass eine Dereliktion von Miteigentumsanteilen laut Ansicht des OGH gemäß seinem Judikat 5 Ob 105/11v nicht möglich sei. Diese Rechtssprechung gibt es seit 2011. Die Einverleibung der Herrenlosigkeit auf Miteigentumsanteile ist oftmals in der Zeit vor 2011 bewilligt worden. Weiters bindet ein -wenn auch höchstgerichtliches- Gerichtsurteil gemäß §12 ABGB nur die beteiligten Parteien des jeweiligen Verfahrens. Es obliegt den Grundbuchsrechtspflegern, ob sie auf Miteigentumsanteilen die Herrenlosigkeit eintragen. Wenn eine solche Eintragung bewilligt wird und in Rechtskraft erwächst, kann auch ein Miteigentumsanteil herrenlos werden. Aus dem Grundbuchstand ist klar ersichtlich, dass die gegenständlichen Miteigentumsanteile als herrenlos ausgewiesen sind.

Was hingegen vollkommen außer Acht gelassen wurde ist, dass dieses Judikat sich mit der Dereliktion von herrenlosen Liegenschaftsaneteilen beschäftigt. Nicht hingegen mit der Okkupation von diesen. Der OGH untersagt eine Dereliktion von Anteilen deswegen, weil die einzelnen Mitglieder der Miteigentümergemeinschaft untereinander (Treue-)pflichten treffen, derer sich nicht ein Miteigentümer einseitig entledigen dürfen soll. Im Umkehrschluss dazu ist es für die Miteigentümer von Vorteil, wenn ein anderer herrenloser Miteigentumsanteil durch erfolgte Okkupation nun wieder einem Rechtssubjekt zugeordnet werden kann, zumal sich der Erwerber dann den (Treue-)pflichten, die sich aus dem Gemeinschaftseigentum ergeben, unterwirft.

Die Ansicht der Behörde, dass ein herrenloser Miteigentumsanteil den anderen Miteigentümern zuwächst ist unrichtig. Der Österreichischen Rechtsordnung ist ein derartiges Institut fremd. Das österreichische System von Miteigentum (siehe §§825ff ABGB ) sieht eine solche Anwachsung keinesweges vor. Vielmehr ist gem. § 829 ABGB "jeder Teilhaber vollständiger Eigentümer seines Anteiles", was bedeutet, dass ein herrenloser Miteigentumsanteil auch bis zu seiner Okkupation vollständig eigentümerlos ist. Jeder Anteil ist somit als isolierte sachenrechtliche Einheit anzusehen. Weder der OGH noch Dr. Jürgen Rassi in seinem Buch "Grundbuchsrecht" sind auf das rechtliche Schicksal von (rechtskräftig bewilligten) herrenlosen Miteigentumsanteilen jemals eingegangen.

Daher sind auf jeden Fall die allgemeinen Regelungen herrenloser Sachen (§ 381) auf diese anzuwenden. Eine derartige Anwachsung bedürfe eines Rechtstitels oder zumindest einer gesetzlichen Grundlage, die ganz klar nicht vorliegt. Dies ist somit laut derzeitig geltendem Recht unmöglich.

Es ist im Bescheid angemerkt, es sei "bei Miteigentum [...] eine Dereliktion nicht möglich". Eine

Dereliktion ist von meiner Seite aus nie erfolgt, sondern eine Okkupation, sprich Erwerb einer freistehenden Sache durch Zueignung von dieser. Ich habe mir die Liegenschaften/Liegenschaftsanteile durch Zueignung angeeignet. Ich habe an den Liegenschaftsanteilen einen Eigentumswillen gefasst. Weiters habe ich mich der Objekte bemächtigt in der Absicht, sie als die meinigen zu behandeln. Bei den Miteigentumsanteilen habe ich mich der Sachen nur entsprechend der Miteigentumsquote bemächtigt in der Absicht, sie im Ausmaß der Quote als die meinigen zu behandeln. Ich bin daher als Prätendent dieser Liegenschaftsanteile anzusehen. Der physische Erwerb hat bereits stattgefunden. Teilweise habe ich zur Sicherung meines grundbücherlichen Ranges auch die Vormerkung meines Eigentumsrechtes im Grundbuch erwirkt. Es ist daher nur noch eine Rechtfertigung mittels Grunderwerbsteuerselbstberechnungserklärung erforderlich.

Das Finanzamt würde durch Nichtbekanntgabe der Einheitswerte bewirken, dass ein originärer Eigentumserwerb an den herrenlosen Miteigentumsanteilen nicht stattfinden kann, zumal man nie vollwertiges zivilrechtliches Eigentum an einer Liegenschaft erwerben kann, wenn keine Grunderwerbsteuer abgeliefert wird und dies dem Grundbuchgericht nicht gem. §160 BAO nachgewiesen wird. Eine solche Vorgehensweise des Finanzamtes wäre daher auch klar kompetenzwidrig und rechtsstaatlich bedenklich.

Um einen originären Eigentumserwerb nach §381ABGB zu unterbinden sind allerhöchstens die Grundverkehrsbehörden und die Grundbuchsgerichte nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen befugt. Es sollte schließlich auch im Interesse des Finanzamtes liegen, dass sich jemand findet, der diese Liegenschaften/Liegenschaftsanteile erwirbt und im Zuge des Erwerbes Grunderwerbsteuern abliefert. Ich bin hinsichtlich der Grunderwerbsteuer abgabenpflichtig. Das Finanzamt für Gebühren erwartet von mir die Ablieferung der GrewSt für diesen Erwerbsvorgang. Schon alleine deswegen sollte mir das Parteirecht nach §78 BAO eingeräumt werden.

Das ***FA*** ist bislang das einzige Finanzamt, welches die Rechtsmeinung vertritt, dass eine Einheitswertbekanntgabe in so einem Fall nicht möglich ist. Alle anderen Finanzämter bei denen ich derartige Verfahren geführt habe, haben mir die Einheitswerte mitgeteilt.

Der Zurückweisungsbescheid wurde mir am durch Hinterlegung zugestellt. Ich ersuche Sie, meinem Begehren stattzugeben!

[…]"

Am erging die abweisende Beschwerdevorentscheidung, worin das Finanzamt feststellte:

"[…]

Dazu wird ausgeführt:

§ 78. (1) Partei im Abgaben verfahren ist der Abgabepflichtige (§ 77), im Beschwerdeverfahren auch jeder, der eine Beschwerde einbringt (Beschwerdeführer), einem Beschwerdeverfahren beigetreten ist (§§ 257 bis 259) oder, ohne Beschwerdeführer zu sein, einen Vorlageantrag (§ 264) gestellt hat

(2) Parteien des Abgabenverfahrens sind ferner,

a) wenn die Erlassung von Feststellungsbescheiden vorgesehen ist, diejenigen, an die diese Bescheide ergehen (§ 191 Abs. 1 und 2);

b) wenn nach den Abgabenvorschriften Steuermeßbeträge oder Einheitswerte zu zerlegen oder zuzuteilen sind, die Körperschaften, denen ein Zerlegungsanteil zugeteilt worden ist oder die auf eine Zuteilung Anspruch erheben.

(3) Andere als die genannten Personen haben die Rechtsstellung einer Partei dann und insoweit, als sie auf Grund abgabenrechtlicher Vorschriften die Tätigkeit einer Abgabenbehörde in Anspruch nehmen oder als sich die Tätigkeit einer Abgabenbehörde auf sie bezieht.

Nach Ansicht der Behörde fehlt Ihnen jedoch hinsichtlich Einheitswertverfahren diese Parteienstellung. In einer Vorfrage muss das Finanzamt die Frage ob Sie Eigentümer der gegenständlichen Grundstücksanteile werden können und somit (dann) zur Partei werden, beurteilen.

Sie führen in Ihrer Begründung der Beschwerde aus, dass Sie gegenständliche herrenlose Grundstücksanteile durch Okkupation in Ihren Besitz genommen haben.

Der Oberste Gerichthof hat im Erkenntnis 5 Ob 105/11v zum Thema Wohnungsmiteigentum und schlichtes Miteigentum ausgeführt, dass eine Dereliktion diesbezüglich nicht möglich ist und führt dazu wie folgt aus:

1. Nach Rechtsprechung (5 Ob 126/98k NZ 1999, 166 [insoweit zust Hoyer, NZ 1999, 161]; RIS-Justiz RSO110725) und herrschender Lehre (Klang in Klang2 II 256; Spielbüchler in Rummel3 § 387 Rz 1; Dengler, Dereliktion und Okkupation von Liegenschaften, NZ 1983, 182; Hoyer, Die Dereliktion von Liegenschaften und deren Verbücherung, in FS Brauneder [2008]) 181 [182]; Klicka in Schwimann3 II § 387 Rz 1; Eccher in KBB3 § 387 Rz 1; Mader in ABGB -ON 1.00 § 387 Rz 1) besteht auch die Möglichkeit der Preisgabe unbeweglicher Sachen. Lediglich die grundbücherliche Behandlung ist umstritten: Während die Rechtsprechung die Eintragung der Herrenlosigkeit fordert, sieht Hoyer unter Verweis auf den Unterschied zwischen "schlichter" Löschung und Einverleibung der Löschung in letzterer die Lösung (Hoyer, Verbücherung der Dereliktion einer Liegenschaft, NZ 1999, 161).

2. In der Entscheidung 5 Ob 197/02k (wobl 2003/56 [zust Oberhofer]) wurde unter Aufrechterhaltung der Auffassung, dass auch Liegenschaften derelinquiert werden können, die Dereliktion von Wohnungseigentum als unzulässig und nicht verbücherungsfähig angesehen. Tragende Begründung dafür war, dass der Wohnungseigentümer als Mitglied im Personenverband (Wohnungs-)Eigentümergemeinschaft nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten habe, an deren Einhaltung die übrigen Wohnungseigentümer interessiert seien. Er könne sich dieser Pflichten nicht durch einseitigen Austritt aus der Gemeinschaft unter Preisgabe des Wohnungseigentumsobjekts entledigen. Ein Ausscheiden nicht durch Anteilsübertragung an einen Rechtsnachfolger, sondern durch einseitigen Austritt aus der Gemeinschaft unter Preisgabe des Objekts sei dem Gesetz fremd. Es kenne nur den Verzicht auf das Wohnungseigentum und die Ausschließung eines Wohnungseigentümers; auch im letzteren Fall komme es zu keinem einer Herrenlosigkeit auch nur ähnlichen Stadium. Der Ausgeschlossene bleibe ungeachtet des rechtskräftigen und vollstreckbaren Urteils bis zur freiwilligen Veräußerung (Übereignung) oder bis zum Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren vollberechtigter Mit- und Wohnungseigentümer.

3. Es bedarf daher einer Auseinandersetzung damit, ob diese in 5 Ob 197/02k angestellten Überlegungen auch für die Dereliktion schlichter Miteigentumsanteile gelten:

3.1 Oberhof er verweist in seiner Glosse zu wobl 2003/56 darauf, dass sich die Frage aufdränge, ob die Dereliktion eines schlichten Miteigentumsanteils nicht genauso unzulässig sei wie die Dereliktion von Wohnungseigentum. Schließlich sei auch der Wohnungseigentümer zugleich schlichter Miteigentümer der Liegenschaft. Die vom Obersten Gerichtshof gegen die Derelinquierbarkeit vorgebrachten Argumente würden - wenn auch nicht in identer Form - für ideelle Miteigentümer ebenso gelten. Auch letztere hätten nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Sie seien aus dem schuldrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis ganz allgemein zur Rücksichtnahme auf die Mitgemeinschafter und gemäß § 839 ABGB zur anteiligen Lastentragung verpflichtet. Auch ein schlichter Miteigentümer sollte sich dieser Pflichten nicht einseitig durch Preisgabe seines Miteigentumsanteils entledigen können. Es könne vielleicht Sinn machen, die Zulässigkeit der Dereliktion ideeller Miteigentumsanteile im Einzelfall davon abhängig zu machen, ob berechtigte Interessen der Mitgemeinschafter verletzt würden.

3.2 Rassi (in Kodek, Grundbuchsrecht § 10 Rz 48) vertritt ebenfalls die Auffassung, dass die Unzulässigkeit der Dereliktion bei Wohnungseigentum auch für schlichtes Miteigentum gelte (ebenso Rassi, Grundbuchsrecht, Rz 232).

3.3 Demgegenüber geht ein Teil der Lehre, wenngleich ohne nähere Auseinandersetzung mit gegenteiligen Argumenten, davon aus, dass auch schlichte Miteigentumsanteile derelinquiert werden können (Hoyer in FS Brauneder 182; Eccher in KBB3 § 387 Rz 1; Mader in ABGB -ON 1.00 § 387 Rz 6 jeweils unter Hinweis auf die - implizite - Bejahung der Möglichkeit der Dereliktion von schlichten Miteigentumsanteilen durch Spielbüchler in Rummel3 § 387 Rz 4).

3.4 Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs sprechen die tragenden Argumente der Entscheidung 5 Ob 197/02k für eine Gleichbehandlung von Wohnungseigentum und schlichten Miteigentumsanteilen in der Frage der Zulässigkeit der Dereliktion.

3.4.1 Auch schlichte Miteigentümer einer Liegenschaft stehen in Rechtsgemeinschaft. Die Teilhaber trifft nach herrschender Ansicht aufgrund des gesetzlichen Schuldverhältnisses eine Treuepflicht (3 Ob 2032/96m SZ 70/114; Gamerith in Rummeil3 § 825 Rz 11; weitere Nachweise bei Sailer in KBB3 § 825 Rz 5).

3.4.2 Die gemeinschaftlichen Nutzen und Lasten, so etwa die Grundsteuer, werden gemäß § 839ABGB nach dem Verhältnis der Anteile ausgemessen.

3.4.3 Ließe man die Dereliktion von Miteigentumsanteilen zu, müssten die auf die derelinquierten Anteile, die den übrigen Miteigentümern nicht zuwachsen (Spielbüchler in Rummel3 § 387 Rz 4; Hoyer in FS Brauneder 188), entfallenden Lasten von den übrigen Miteigentümern - die sich gegen die Dereliktion nicht zur Wehr setzen können - getragen werden (vgl etwa zur Gesamtschuldnerhaftung der Miteigentümer für die Grundsteuer § 9 Abs 2 GrStG [Grundsteuergesetz 1955 BGBl 1955/149 idgFJ).

3.4.4 Ebenso wie bei Wohnungseigentum ist auch bei schlichtem Miteigentum ein einseitiger Austritt unter Preisgabe des Miteigentumsanteils im Gesetz nicht vorgesehen.

Vielmehr muss der Miteigentümer, der die Gemeinschaft nicht aufrecht erhalten will, gemäß § 830 ABGB die Aufhebung durch Teilungsklage verlangen. Auch das in § 835ABGB erwähnte "Austrittsrecht" der Miteigentümer wird von der herrschenden Ansicht lediglich im Sinn der Möglichkeit, die Aufhebung der Gemeinschaft gemäß § 830 ABGB zu verlangen, verstanden (Sailer in KBB3 § 834 Rz 4 mwN). Der Gesetzgeber kennt somit auch bei schlichtem Miteigentum ein Ausscheiden eines Miteigentümers durch einseitigen Austritt aus der Gemeinschaft nicht.

3.4.5 Wegen des auch bei schlichtem Miteigentum trag fähigen Arguments, dass sich ein Miteigentümer nicht durch einseitigen Austritt aus der Miteigentumsgemeinschaft unter Preisgabe des Miteigentumsanteils seiner im Privatrecht begründeten Pflichten gegenüber den übrigen Miteigentümern entledigen können soll, ist dem Rekursgericht darin beizupflichten, dass eine Dereliktion schlichter Miteigentumsanteile grundsätzlich nicht in Betracht kommt.

3.4.6 Darauf, ob im konkreten Anlassfall tatsächlich die Interessen der übrigen Miteigentümer beeinträchtigt werden könnten, kann es schon wegen der Besonderheiten des einseitigen Grundbuchsverfahrens, dem die Durchführung eines Beweisverfahrens fremd ist, nicht ankommen.

Da eine Dereliktion an Grundstücksanteilen (Miteigentumsanteile an Grundstücken) - laut dem obigen Erkenntnis - nicht möglich ist, ist demnach auch eine Okkupation desselben nicht möglich.

Derelinquierte Sachen werden im ABGB "freystehende" Sachen genannt Auch im ABGB wird eine Einschränkung der Okkupationsmöglichkeit vorgenommen. In § 382 ABGB wird dazu ausgeführt: "Freystehende Sachen können von allen Mitgliedern des Staates durch die Zueignung erworben werden, insofern dieses Befugniß nicht durch politische Gesetze eingeschränkt ist, oder einigen Mitgliedern das Vorrecht der Zueignung zusteht"

Eben dieses Vorrecht der Zueignung steht den Miteigentümern an dem verlassenen Anteil zu. Nach dem weiten Parteienbegriff der BAO , der sich darauf bezieht, dass Partei auch jede Person ist, welche die Tätigkeit einer Abgabenbehörde auch auf Grund abgabenrechtlicher Vorschriften in Anspruch nimmt oder sich die Tätigkeit einer Abgabenbehörde auf sie bezieht, müssen auch die Überlegungen angestrebt werden welche abgabenrechtlichen Vorschriften betroffen sein könnten.

Wie den obigen Ausführungen zu entnehmen, ist der Erwerb des Eigentums im Wege der Aneignung von Miteigentumsanteilen rechtlich ausgeschlossen, deshalb scheidet § 1 Abs. 1 Z 2 GrEStG als Rechtsgrundlage aus. Daraus folgt, dass Sie als Aneignender eines

Miteigentumsanteils keine Verpflichtung zur Selbstberechnung oder zur Abgabe einer Abgabenerklärung haben, weil Sie nicht Abgabenschuldner der GrESt sein können. Eine Immobilienertragsteuer kann bei einem unentgeltlichen Vorgang (hier: Aneignung) nicht anfallen, weshalb der (vermeintlich) Aneignende des Miteigentumsanteils nicht als Abgabepflichtiger in Betracht kommt.

Als Abgabenschuldner (oder Haftungspflichtiger) nach § 9 Grundsteuergesetz kommt der Aneignende des Miteigentumsanteils ebenfalls nicht in Betracht, weil er nicht Eigentümer der Grundstücks ist oder werden kann. Gleiches gilt für die anderen Abgaben und Beiträge von Grundbesitz.

Da Sie nach den obigen Ausführungen nicht Partei im Sinne der BAO hinsichtlich des Einheitswertes der oben bezeichneten Grundstücke sind (werden), war spruchgemäß zu entscheiden."

Mit Schriftsatz vom wurde Vorlageantrag eingebracht.

Der Bf. begründet, die rechtliche Beurteilung sei überaus willkürlich, zumal dem Bescheid eine OGH Rechtsprechung zugrunde gelegt werde, die einen ganz anderen Rechtsvorgang erörtere, nämlich die Preisgabe und nicht die Aneignung von Liegenschaftsanteilen.

Bloß in einem kurzen Satz werde erwähnt, dass diese Rechtsprechung auch für die Aneignung gelten müsse, wie wenn dies eine Selbstverständlichkeit wäre. Tatsächlich handelt es sich um eine zivilrechtlich hochkomplexe Materie, die gesetzlich kaum geregelt sei und zu deren Beurteilung auch keine höchstgerichtlichen Entscheidungen vorliegen würde. Die Beschwerdevorentscheidung und der Zurückweisungsbescheid wiesen daher Begründungsmängel gemäß § 58 in Verbindung mit § 60 AVG auf.

Ob jetzt tatsächlich eine Okkupation von Liegenschaftsanteilen rechtlich möglich sei oder nicht sei eine Rechtsfrage, die von den Zivilgerichten zu beurteilen sei. Die juristische Lehre habe sich mangels praktischer Relevanz mit diesem Thema kaum auseinandergesetzt. Die gerichtliche Praxis zeige, dass eine Aneignung von herrenlosen Miteigentumsanteilen durch Dritte in hundert von hundert Fällen jedenfalls bewilligt werde. Es sei schon richtig, dass es sich gewissermaßen um einen Graubereich handle. Im Zweifel spreche jedenfalls alles dafür, für den Antragsteller zu entscheiden, da keine Interessen von dritten Personen beeinträchtigt würden.

Ebenso sei von der Rechtsordnung nicht gedeckt, dass ein Miteigentümer ein Vorrecht hinsichtlich der Aneignung eines herrenlosen Liegenschaftsanteiles habe vielmehr sei der OGH der Ansicht, dass derjenige Eigentümer werde, dessen Einverleibungsgesuch zuerst beim Grundbuchsgericht einlange, was auch dem grundbücherlichen Rangprinzip entspräche (50bl26/98k). Ein Schutzinteresse des Miteigentümers sei auch sonst nicht in der Rechtsordnung erkennbar, zumal der Miteigentümer sich ja selbst rechtzeitig um eine Aneignung bemühen könne. In den gegenständlichen Fällen sei dies aber nicht passiert, sondern seien vielmehr oft viele Jahre seit Eintragung der Herrenlosigkeit ob dieser Liegenschaftsanteile verstrichen.

  • Beweiserhebung

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die elektronisch übermittelten Aktenteile des Aktes des ***FA***, St.Nr. ***1***.

  • Rechtslage und Erwägungen

Das FA18 ist betreffend die gegenständlichen Liegenschaften bzw. Liegenschaftsanteile Lagefinanzamt iSd § 22 Abs. 1 AVOG 2010 und somit gemäß Abs. 2 Z 2 leg.cit. für die Feststellung der Einheitswerte der entsprechenden wirtschaftliche Einheiten oder Untereinheiten im Sinne des Bewertungsgesetzes 1955 zuständig.

Die Erhebung der Grunderwerbsteuer obliegt gemäß § 19 Abs. 2 Z 3 AVOG 2010 für das gesamte Bundesgebiet dem Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel.

Nach § 78 Abs. 1 BAO ist Partei im Abgabenverfahren der Abgabepflichtige (§ 77), im Beschwerdeverfahren auch jeder, der eine Beschwerde einbringt (Beschwerdeführer), einem Beschwerdeverfahren beigetreten ist (§§ 257 bis 259) oder, ohne Beschwerdeführer zu sein, einen Vorlageantrag (§ 264) gestellt hat.

Nach Abs. 2 lit a leg.cit. sind Parteien des Abgabenverfahrens, wenn die Erlassung von Feststellungsbescheiden vorgesehen ist, ferner diejenigen, an die diese Bescheide ergehen (§ 191 Abs. 1 und 2).

Andere als die genannten Personen haben nach Abs. 3 leg.cit die Rechtsstellung einer Partei dann und insoweit, als sie auf Grund abgabenrechtlicher Vorschriften die Tätigkeit einer Abgabenbehörde in Anspruch nehmen oder als sich die Tätigkeit einer Abgabenbehörde auf sie bezieht.

Auf Grund des § 90 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde den Parteien die Einsicht und Abschriftnahme der Akten oder Aktenteile zu gestatten, deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer abgabenrechtlichen Interessen oder zur Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten erforderlich ist.

Auf Grund des § 1 Abs. 1 Auskunftspflichtgesetz haben die Organe des Bundes sowie die Organe der durch die Bundesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskünfte zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht.

Nach § 2 Auskunftspflichtgesetz kann jedermann schriftlich, mündlich oder telephonisch Auskunftsbegehren anbringen.

Auskünfte sind gemäß § 3 Auskunftspflichtgesetz ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber binnen acht Wochen nach Einlangen des Auskunftsbegehrens zu erteilen. Kann aus besonderen Gründen diese Frist nicht eingehalten werden, so ist der Auskunftswerber jedenfalls zu verständigen.

Wird eine Auskunft nicht erteilt, so ist gemäß § 4 Auskunftspflichtgesetz auf Antrag des Auskunftswerbers hierüber ein Bescheid zu erlassen. Als Verfahrensordnung, nach der der Bescheid zu erlassen ist, gilt das AVG , sofern nicht für die Sache, in der Auskunft erteilt wird, ein anderes Verfahrensgesetz anzuwenden ist.

Das Auskunftspflichtgesetz ist gemäß § 6 nicht anzuwenden, soweit nach anderen Bundesgesetzen besondere Auskunftspflichten bestehen.

Vorweg ist festzuhalten, dass das FA18 entgegen dem Betreff des Zurückweisungsbescheides mit diesem Bescheid nicht über die Eingaben vom sondern über die Ansuchen in den Eingaben vom hinsichtlich der im Zurückweisungsbescheid ausdrücklich genannten Liegenschaften bzw. Liegenschaftsanteile abgesprochen hat.

Entgegen der Ansicht des FA18 stellte der Bf. keine Anträge auf Akteneinsicht, sondern begehrte lediglich Wissenserklärungen (vgl. ).

Die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Zurückweisung mangels Parteistellung erfolgte zu Unrecht, da zum einen kein Antrag auf Akteneinsicht vorliegt und zum anderen auf Grund des § 2 Auskunftspflichtgesetz jedermann legitimiert ist, eine Wissenerklärung vom FA18 zu begehren (vgl. ).

Ein Bescheid wäre somit auf Grund des § 4 Auskunftspflichtgesetz lediglich bei Nichterteilung einer Auskunft auf Antrag des Auskunftswerbers zu erlassen gewesen (vgl. ).

Ein solcher Antrag auf Bescheiderlassung liegt ebenso wie ein Antrag auf Akteneinsicht nicht vor.

Es erübrigt sich folglich eine Feststellung dazu, ob das FA18 als für die Einheitsbewertung der antragsgegenständlichen Liegenschaften bzw. Liegenschaftsanteile zuständige Lagefinanzamt dem Bf. in die Akten des Einheitswertverfahrens und somit in die an die Derelinquenten ergangenen Feststellungsbescheide Einsicht zu gewähren hat, wie auch zur Frage, ob das FA18 die begehrten Auskünfte zu Recht oder zu Unrecht verweigert hat (selbst wenn die Miteigentumsanteile (lt. Grundbuch) derelinquiert sind und die Grundbuchsgerichte die Erklärung des Bf, dass er sich die herrenlosen Liegenschaften/Liegenschaftsanteile "aneigne", als ausreichend für den Eigentumserwerb angesehen haben und es folglich unbeachtlich wäre, dass eine Dereliktion von Miteigentumsanteilen nicht möglich ist (dh. eigentlich nicht zulässig wäre) ).

Da das FA18 hier Anträge mangels Parteienstellung des Bf. mit Bescheid zurückgewiesen hat, ist dieser Bescheid mit Bescheidbeschwerde abgesondert anfechtbar (vgl. ).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Lediglich als obiter dictum wird Folgendes bemerkt:

Der Bf. geht entsprechend der vorherrschenden Ansicht von einer Grunderwerbsteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 Z 2 GrEStG) bei einem Erwerb eines herrenlosen Grundstücks durch Okkupation aus.

Ungeachtet dessen, ob man hier Fellner, Aneignung eines herrenlosen Grundstücks, in SWK Heft-Nr 12/2012, 632, folgt, wonach der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Z 2 GrEStG mit Bestätigung des Antragstellers über die Inbesitznahme erfüllt ist, oder, wovon der Bf. wohl ausgeht, dass dieser Tatbestand erst mit der Eintragung des Eigentumsrechtes im Grundbuch verwirklicht ist, stellt sich vorweg die Frage, ob hier dem Einheitswert bei der Feststellung der Grunderwerbsteuerbemessungsgrundlage (§ 4 GrEStG in der jeweiligen Fassung) überhaupt eine Bedeutung zukommen kann.

Insoweit ein grunderwerbsteuerpflichtiger Tatbestand bereits verwirklicht wurde, wird weiters bemerkt, dass lt. § 11 Abs. 1 GrEStG innerhalb der dort genannten Frist lediglich eine Befugnis bestimmter Parteienvertreter zur Selbstberechnung besteht und für Erwerbsvorgänge, für die die Steuerschuld nach dem entsteht, grundsätzlich eine Abgabenerklärung durch einen Parteienvertreter iSd § 11 GrEStG vorzulegen und elektronisch zu übermitteln wäre.

Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass in Ritz, BAO5 Tz 8 zu § 160 BAO die Ansicht vertreten wird, dass jeder, der ein rechtliches Interesse an der Ausstellung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung begründetermaßen geltend macht, berechtigt ist einen Antrag auf Ausstellung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung [wohl an das für die Erhebung der Grunderwerbsteuer zuständige Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel] zu stellen.

  • Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Auf ; und wird hingewiesen; vgl. hie zu auch schon .

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 78 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 90 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 1 Abs. 1 AuskG, Auskunftspflichtgesetz, BGBl. Nr. 287/1987
§ 2 AuskG, Auskunftspflichtgesetz, BGBl. Nr. 287/1987
§ 3 AuskG, Auskunftspflichtgesetz, BGBl. Nr. 287/1987
§ 4 AuskG, Auskunftspflichtgesetz, BGBl. Nr. 287/1987
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7100411.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at