Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 23.07.2020, RV/2300009/2020

Antrag auf Akteneinsicht des Masseverwalters einer GmbH in das gegen den Geschäftsführer und die Prokuristin der GmbH geführte Finanzstrafverfahren

Beachte

Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2020/16/0136. Zurückweisung mit Beschluss vom .; VfGH-Beschwerde zur Zahl E 2884/2020 anhängig. Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom abgelehnt.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch ***1*** über die Beschwerde des M als Masseverwalter der A.GmbH, Adresse, vertreten durch R.GmbH, Adresse, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt als Finanzstrafbehörde vom , GZ, betreffend die Abweisung der Akteneinsicht zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Über das Vermögen der A.GmbH wurde mit dem Beschluss des Landesgerichtes für ZRS Graz vom Datum, GZ, das Konkursverfahren eröffnet und M zum Masseverwalter bestellt. Die Gesellschaft wurde infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst.

Nach der am für die A.GmbH, den Geschäftsführer G und die Prokuristin P erstatteten Selbstanzeige gemäß § 29 FinStrG, in der die Nichtabfuhr der Lohnabgaben für den Zeitraum März 2017 bis Juni 2018 offen gelegt wurde, führte das Finanzamt bei der A.GmbH eine Außenprüfung betreffend Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag über den Prüfungszeitraum bis durch (Bericht gem. § 150 BAO über das Ergebnis der Außenprüfung vom , ABNr. GZ).

In der Begründung der in der Folge vom Finanzamt an M als Masseverwalter im Insolvenzverfahren A.GmbH erlassenen Haftungsbescheide Lohnsteuer 2016 bis 2018 und 01-03/2019 sowie der Festsetzungsbescheide Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 2016 bis 2018 und 01-03/2019 vom wurde auf den zitierten Bericht vom gleichen Tag verwiesen. Aus diesem geht hervor, dass die Nachforderungen in den Kalenderjahren 2017 und 2018 entstanden, da in beiden Kalenderjahren die einbehaltene Lohnsteuer, der errechnete Dienstgeberbeitrag und der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag nicht oder nur teilweise an das Finanzamt abgeführt wurden.

Beim Finanzamt Graz-Stadt als Finanzstrafbehörde ist derzeit ein Finanzstrafverfahren nach § 49 Abs. 1 lit. a FinStrG gegen G und P anhängig.

In der an das Finanzamt Graz-Stadt gerichteten Eingabe vom beantragte M als Masseverwalter der A.GmbH (Beschwerdeführer = Bf.) als Nebenbeteiligter die Übermittlung einer Abschrift der im Finanzstrafverfahren getätigten Aussagen des G, der P und des (im Strafverfahren als Zeugen einvernommenen) steuerlichen Vertreters der A.GmbH, Z.
Es sei offenkundig, dass die A.GmbH zur Haftung für die verkürzten Lohnabgaben herangezogen werden könne, die im Zuge der von der steuerrechtlichen Vertreterin der A.GmbH eingebrachten Selbstanzeige offengelegt worden seien. Entsprechende Haftungsbescheide für die Lohnsteuern 2017 und 2018 seien dem Antragsteller am zugestellt worden.
Die A.GmbH, vertreten durch den Masseverwalter, sei daher Nebenbeteiligte im Sinne des § 76 lit. b FinStrg, weshalb ihr gemäß § 79 Abs. 1 FinStrG das Recht auf Akteneinsicht zustehe.

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom wies das Finanzamt Graz-Stadt als Finanzstrafbehörde den Antrag auf Übermittlung einer elektronischen Abschrift der Protokolle der Einvernahmen des G, der P und des Z als unbegründet ab.
Gegen die A.GmbH würden derzeit keine Ermittlungsmaßnahmen der Finanzstrafbehörde gesetzt und sei auch kein Strafverfahren im Sinne des § 83 FinStrG eingeleitet worden, weshalb diese weder als Beschuldigte noch als Verdächtige anzusehen sei.
Mit dem Außerkrafttreten des § 28 Abs. 1 FinStrG aF seien § 28 Abs. 9 und § 28a FinStrG eingefügt worden, denen (sinngemäß) zu entnehmen sei, dass auf Verbände das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG), und nicht die Bestimmungen über die Haftung nach § 28 FinStrG, anzuwenden sind. Dies entspreche auch der Intention des Gesetzgebers (vgl. 1187 der Beilagen XXII. GP - Regierungsvorlage - Materialen, S 6, "Soweit die neuen Verbandsverantwortlichkeitsbestimmungen von Verbänden gelten, sollen die Haftungsbestimmungen des § 28 FinStrG entfallen").
Die A.GmbH stelle einen Verband im Sinne des § 1 Abs. 2 VbVG dar, weshalb die Haftungsbestimmungen des § 28 FinStrG nicht auf diese anwendbar seien und somit auch keine Nebenbeteiligteneigenschaft im Sinne des § 76 FinStrG vorliege.
§ 28 FinStrG sehe eine Haftung für Finanzstrafen und nicht für Abgabenbeträge vor. Die Haftung für Abgaben richte sich nach den allgemeinen abgabenrechtlichen Vorschriften, insbesondere §§ 6 ff BAO.
Der Anwendungsbereich des § 79 FinStrG sei damit nicht eröffnet, zudem sei im Antrag auch kein entsprechendes finanzstraf- oder abgabenrechtliches Interesse geltend gemacht worden.

In der gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachten Beschwerde wird vom Antragsteller wie folgt ausgeführt:

SACHVERHALT UND RECHTLICHE WÜRDIGUNG DER BELANGTEN BEHÖRDE
……

1.2. VERBANDSVERANTWORTLICHKEIT UND NEBENBETEILIGTE

Wie von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid ausgeführt, wurde § 28 Abs 1 FinStrG mit BGBl I 2005/161 aufgehoben und unter anderem § 28a FinStrG eingefügt.

Die A.GmbH ist gemäß § 1 Abs 2 VbVG ein Verband im Sinne des Gesetzes. Das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz findet expressis verbis auch Anwendung auf Finanzvergehen, soweit dies im Finanzstrafgesetz vorgesehen ist (vgl § 1 Abs 1 VbVG iVm § 28a FinStrG) [Urbanek in Kert/Kodek (Hrsg), Das große Handbuch Wirtschaftsstrafrecht (2016) Rz 2.23 (Stand , rdb.at)].Für von der Finanzstrafbehörde zu ahndende Finanzvergehen von Verbänden sind die §§ 2, 3, 4 Abs 1, 5, 10, 11 und 12 Abs 2 VbVG sinngemäß anzuwenden [Rohregger/Wess in Preuschl/Wess (Hrsg), Wirtschaftsstrafrecht (2018) § 1 VbVG Rz 13].

In § 28a Abs 2 FinStrG ist weiters vorgesehen, dass im Übrigen auch die Bestimmungen jenes Abschnitts (des FinStrG), soweit sie nicht ausschließlich auf natürliche Personen anwendbar sind, gelten. Daraus folgt, dass auch eine Haftung für Verbände gemäß dem FinStrG besteht.

Die A.GmbH ist Haftungsbeteiligte und hat daher die Stellung eines Nebenbeteiligten gemäß § 76 lit b FinStrG.

Juristische Personen, wie die A.GmbH, waren im aufgehobenen § 28 Abs 1 FinStrG aF inkludiert. Durch Einführung des § 28a FinStrG verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, dies auch weiterhin beizubehalten. Auch aus den Materialien der Regierungsvorlage zu BGBL I 2005/161 ist klar ersichtlich, dass der historische Wille des Gesetzgebers keinesfalls auf die Aufhebung der Haftung von juristischen Personen im FinStrG abzielte. Vielmehr ist darauf hinzuweisen, dass das FinStrG schon seit jeher generell die Haftung juristischer Personen vorsieht. Da aber diese Haftungsbestimmungen den Anforderungen des oa. Zweiten Protokolls nicht genügen, ist die Verantwortlichkeit von juristischen Personen und Personengesellschaften auch (hervorgehoben durch den Beschwerdeführer) im FinStrG zu verankern [MatRV 1187 BlgNR XXII GP, 5.]. Daraus folgt, dass die Verantwortlichkeit von Verbänden nicht ausschließlich im VbVG, sondern zusätzlich zur (weiterhin bestehenden) Haftung nach FinStrG besteht.

Die Nichterwähnung des § 28a FinStrG in § 76 lit b FinStrG stellt, gemessen am historischen Willen des Gesetzgebers und dem Zweck des Gesetzes, keine Exkludierung der Haftung, sondern vielmehr eine planwidrige Gesetzeslücke dar. Die Antragstellerin hat bei rechtskonformer Auslegung des § 76 lit b FinStrG durch Lückenschließung im Wege der Analogie, genauso wie die in § 28 FinStrG ausdrücklich genannten die Haftung nach dem FinStrG und folglich die Stellung eines Nebenbeteiligten. Damit ist auch das Recht auf die beantragte Akteneinsicht verbunden. Analogien im Strafprozessrecht werden vom OGH prinzipiell bejaht [Vlg. RIS-Justiz RS0117416].

Der Dienstgeber haftet für die über den Dienstnehmer verhängte Geldstrafe und den ihm auferlegten Wertersatz, wenn der Dienstnehmer das Finanzvergehen im Rahmen seiner dienstlichen Obliegenheiten begangen hat. Auch die Haftung einer AG für Tathandlungen eines Prokuristen ist eine Dienstgeberhaftung und kann daher nur auf § 28 Abs 3 gestützt werden [Seiler/Seiler, Finanzstrafgesetz - Kommentar5 (2017) Rz 3; 9Os 143/76].

Der als Beschuldigte im Finanzstrafverfahren geführte G, vertritt seit die A.GmbH als Geschäftsführer [Siehe das offene Firmenbuch]. Somit haftet die A.GmbH auch gemäß § 28 Abs 3 FinStrG.

Darüber hinaus regelt § 4 VbVG die Verhängung einer "Verbandsgeldbuße und deren Bemessung. Gemäß § 28a Abs1 ist aber die Verbandsgeldbuße nach der für das Finanzvergehen, für das der Verband verantwortlich ist, angedrohten Geldstrafe und unter Anwendung der Bestimmungen des 1. Abschnittes zu bemessen [Tannert in Tannert (Hrsg), Finanzstrafrecht § 28a FinStrG (Stand , rdb.at].

Die Bemessung der "Verbandsgeldbuße" für das Finanzvergehen, für das der Verband verantwortlich ist, wird nach den Bestimmungen des 1. Abschnitts des FinStrG durchgeführt. Daher ist es nur konsequent, auch die Haftung nach dem 1. Abschnitt des FinStrG zu bestimmen, zumal das VbVG keine selbständigen Regelungen dazu trifft.

Die belangte Behörde hat den Antrag der Beschwerdeführerin sohin rechtlich unrichtig beurteilt, indem sie zu Unrecht die Nebenbeteiligteneigenschaft der A.GmbH nicht anerkannt hat, obwohl es offenkundig ist, dass die A.GmbH zur Haftung herangezogen werden kann. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung wäre der Beschwerdeführerin die begehrten Auskünfte als Nebenbeteiligte gemäß § 79 FinStrG zu gewähren gewesen.

Sollte das erkennende Gericht wider Erwarten zu dem Schluss kommen, dass das FinStrG nicht anwendbar ist, hätte die A.GmbH trotzdem nach der Strafprozessordnung und/oder der Bundesabgabenordnung ein Recht auf Akteneinsicht.

1.3. HAFTUNG DES ARBEITGEBERS

Über das Vermögen der A.GmbH wurde mit dem Beschluss des Landesgerichtes für ZRS Graz vom Datum, zur GZ GZ, das Konkursverfahren eröffnet und M zum MV bestellt.

Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung einzubehalten und abzuführen [Doralt in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG21 § 78 Rz 1 (Stand , rdb.at]. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der "Masseverwalter für die Zeit seiner Bestellung betreffend die Konkursmasse - soweit die Befugnisse des Gemeinschuldners beschränkt sind - gesetzlicher Vertreter des Gemeinschuldners im Sinne des § 80 BAO. Auch in einem Abgabenverfahren tritt nach der Konkurseröffnung der Masseverwalter an die Stelle des Gemeinschuldners, soweit es sich um Aktiv- oder Passivbestandteile der Konkursmasse handelt [].

Der Arbeitgeber haftet gemäß § 82 EStG "für die Einbehaltung und Abfuhr" der Lohnsteuer. Obwohl im Gesetz nicht ausdrücklich erklärt, soll der Arbeitgeber damit auch für die Lohnsteuer selbst haften [Doralt in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG15 § 82 Rz 1 (Stand , rdb.at]. Die Haftung wird durch Haftungsbescheid gemäß § 224 BAO geltend gemacht.

Es wurden nach der Konkurseröffnung über das Vermögen der A.GmbH nach einer abgabenbehördlichen Prüfung am Haftungsbescheide betreffend Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2016 bis 2018 gegenüber dem MV der Gesellschaft erlassen. Da der MV zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Kenntnisse hatte, wurde gegen diese Bescheide kein Rechtsmittel eingebracht, weshalb diese in Rechtskraft erwachsen sind.

Dem MV wurden die Einsicht in die Protokolle der Einvernahme von G, P und Z verweigert. Hätte der MV Kenntnis der Sachlage, insbesondere die Einvernahmen der genannten, vormals vertretungsberechtigten Personen der A.GmbH, gehabt, hätte er möglicherweise ein Rechtsmittel eingelegt.

Er benötigt Einsicht in die Einvernahmen, da darin möglicherweise Tatsachen des mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende Umstände neu hervorgekommen sind, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht wurden, geführt hätte. In weiterer Folge benötigt er die Einsicht, um eine eventuelle Wiederaufnahme des Verfahrens einzuleiten.

1.4. FINANZSTRAF- ODER ABGABEBRECHTLICHES INTERESSE

Die belangte Behörde verweist ohne irgendeine Ausführung darauf, dass die Beschwerdeführerin kein entsprechendes finanzstraf- oder abgabenrechtliches Interesse geltend gemacht hätte.

Ein derartiges Interesse muss von der Finanzstrafbehörde eigenständig beurteilt werden, wobei der Behörde kein Ermessen eingeräumt ist [Reger/Judmaier/Kalcher/Kuroki, Finanzstrafgesetz II4 (2016) § 79, Z 5]. Die A.GmbH muss sich zur Verteidigung ihrer finanzstrafrechtlichen und abgabenrechtlichen Interessen über den Inhalt der beantragten Vernehmungen Kenntnis verschaffen, um sich im laufenden Verfahren verteidigen zu können, sollte sie von der Abgabenbehörde in die Pflicht genommen werden. Sie hat als rechtmäßige Nebenbeteiligte gemäß § 79 FinStrG in jeder Lage des Verfahrens das Recht die Einsicht und Abschriftnahme der Aktenteile zu verlangen. Während eines laufenden Strafverfahrens besteht aufgrund des umfassenden Verteidigungsrechts grundsätzlich immer ein begründetes rechtliches Interesse des Beschuldigten [Wieser, Akteneinsicht im verwaltungsbehördlichen Finanzstraf-verfahren, ZWF 2018,263 (264]. Das muss genauso für den Nebenbeteiligten gelten, da ihn gemäß § 79 FinStrG gleichbehandelt.

Darüberhinaus erscheint es absurd, dass die A.GmbH keine Parteistellung im gegenständlichen Verfahren haben soll. Die A.GmbH ist das gegenständlich Steuersubjekt. Da die A.GmbH sich als juristische Person ihrer Organe bedienen muss um handeln zu können, hat sie G als Geschäftsführer bestellt. Dieser hat in seiner Funktion keine Lohnnebenkostenmeldung abgegeben und diese auch nicht abgeführt. Bei den womöglich verkürzten Abgaben handelt es sich also um jene, die von der A.GmbH geschuldet waren. In dieser eigenen Sache, die Akteneinsicht zu verweigern, kann nicht Sinn des Gesetzes sein. Die Akteneinsicht ist für einen geordneten Vollzug der Aufgaben im Rechtsstaat unentbehrlich. Sie ist für alle Beteiligten von maßgeblicher Bedeutung und steht auch schon im Interesse einer allgemeinen Waffengleichheit nicht nur dem Beschuldigten, sondern auch den im betreffenden Finanzstrafverfahren involvierten Nebenbeteiligten und deren Vertretern zu [[Tannert in Tannert (Hrsg), Finanzstrafrecht § 79 FinStrG (Stand , rdb.at].

Schon zur Überprüfung, ob die Erfüllung von Anzeige-, Offenlegungs- und Erklärungspflichten der A.GmbH ihren aktenmäßigen Niederschlag gefunden hat, bedarf es der Möglichkeit der Akteneinsicht [Unger, Akteneinsicht (Stand , Lexis Briefings in lexis360.at)].

Der Beschwerdeführer hat in seinem Antrag auf Übermittlung einer elektronischen Aktenabschrift klar ausgeführt, dass sie als Nebenbeteiligte ein rechtliches Interesse an den Protokollen der Einvernahme hat, da sie in der Haftung nach dem FinStrG steht.

Vom Recht auf Akteneinsicht unabhängig, hat der Beschwerdeführer darüber hinaus ein rechtliches Interesse auf die Akteneinsicht. In den Vernehmungsprotokollen sind potentiell Tatsachen des mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens (in dem Haftungsbescheide gegenüber dem MV der A.GmbH erlassen wurden) zusammenhängende Umstände neu hervorgekommen, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht wurden, geführt hätte. Diese neuen Tatsachen würden potentiell einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 BAO nach sich ziehen.

Der Beschwerdeführer hat das rechtliche Interesse deutlich dargetan, obwohl in einem laufende Verfahren grundsätzlich immer von einem begründeten rechtlichen Interesse ausgegangen wird. Der Gewährung der Akteneinsicht steht dies daher nicht entgegen.

1.5. ZUSAMMENFASSUNG

Nach den obenstehenden Ausführungen ergibt sich eindeutig, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid, der antragstellenden Partei zu Unrecht die Eigenschaft als Nebenbeteiligte und ihr rechtliches Interesse abgesprochen hat.

Bei der Abweisung des Antrags auf Akteneinsicht ist der belangten Behörde daher eine unrichtige rechtliche Beurteilung unterlaufen. Sie hätte ganz im Gegenteil die beantragte Akteneinsicht erteilen müssen.

Darüber hinaus ist schon aus dem Grund der potentiellen Wiederaufnahme des Verfahrens, das rechtliche Interesse des Beschwerdeführers gegeben und die Akteneinsicht zu gewähren.

Der Bf. beantragte, die Akteneinsicht zu gewähren.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Der Beschwerdeführer begehrt Akteneinsicht in die Aussagen des G, der P sowie des Z im gegen G und P geführten Finanzstrafverfahren nach § 49 Abs. 1 lit. a FinStrG mit der Begründung, die A.GmbH sei Nebenbeteiligte des Strafverfahrens.

Gemäß § 79 Abs. 1 FinStrG hat die Finanzstrafbehörde dem Beschuldigten und den Nebenbeteiligten in jeder Lage des Verfahrens und auch nach dessen Abschluss die Einsicht und Abschriftnahme der Akten oder Aktenteile zu gestatten, deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer finanzstrafrechtlichen oder abgabenrechtlichen Interessen oder zur Erfüllung solcher Pflichten erforderlich ist; sie kann ihnen stattdessen auch Abschriften (Ablichtungen) ausfolgen. …...

Gemäß § 76 lit. b FinStrG sind Nebenbeteiligte Personen, die nach § 28 zur Haftung herangezogen werden können (Haftungsbeteiligte).

Unbestritten blieb seitens des Bf. die Feststellung im angefochtenen Bescheid, die Finanzstrafbehörde habe gegen die A.GmbH im Sinne des § 82 FinStrG kein Finanzstrafverfahren eingeleitet, weshalb diese nicht Beschuldigte im Strafverfahren ist.

Es ist daher zu prüfen, ob die A.GmbH als Haftungsbeteiligte ein Recht auf Akteneinsicht hat.

§ 28 FinStrG sieht eine Haftung für Geldstrafen und Wertersätze vor, während die abgabenrechtliche Haftung in den §§ 7 ff BAO und in verschiedenen Abgabengesetzen (wie z.B. § 82 EStG 1988) festgelegt ist und durch § 28 FinStrG nicht berührt wird. Wie bereits im angefochtenen Bescheid ausgeführt, ist die Bf. daher nicht bereits deshalb Nebenbeteiligte im Strafverfahren, weil sie mit den Haftungsbescheiden vom zur Haftung für die nicht abgeführte Lohnsteuer herangezogen wurde.

Mit dem BGBl I 2005/151 wurde mit dem VbVG die Verbandsverantwortlichkeit in Österreich eingeführt. Der Haftungstatbestand des § 28 Abs. 1 FinStrG wurde in Folge der Implementierung der Verbandsverantwortlichkeit im FinStrG durch § 1 Abs. 2 ("Nach Maßgabe des § 28a sind auch Verbände im Sinne des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes für Finanzvergehen verantwortlich") und § 28a aufgehoben.

Der für das verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren wesentliche § 28a Abs. 2 FinStrG lautet:
Für von der Finanzstrafbehörde zu ahndende Finanzvergehen von Verbänden sind die §§ 2, 3, 4 Abs. 1, 5, 10, 11 und 12 Abs. 2 des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes sinngemäß anzuwenden. Die Verbandsgeldbuße ist nach der für das Finanzvergehen, für das der Verband verantwortlich ist, angedrohten Geldstrafe zu bemessen. Im Übrigen gelten die Bestimmungen dieses Abschnittes, soweit sie nicht ausschließlich auf natürliche Personen anwendbar sind.

"Verband" im Sinne des § 1 Abs. 2 VbVG sind u.a. juristische Personen des Privatrechts. Die A.GmbH als Gesellschaft mit beschränkter Haftung fällt daher unter das VbVG.

Insoweit der Bf. vorbringt, die Nichterwähnung des § 28a FinStrG in § 76 lit b FinStrG stelle eine planwidrige Gesetzeslücke dar, ist darauf hinzuweisen, dass für das verwaltungsbehördliche Verfahren gegen Verbände gemäß § 56 Abs. 5 Z 1 FinStrG die Bestimmungen für das verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren mit der Maßgabe gelten, dass dem Verband in dem gegen ihn und auch in dem gegen den beschuldigten Entscheidungsträger geführten Verfahren die Rechte eines Beschuldigten (und damit das Recht auf Akteneinsicht) zukommen. Die vom Bf. intentierte rechtskonforme Auslegung des § 76 FinStrG durch die Einbeziehung des § 28a in diese Bestimmung ist daher nicht erforderlich, weil eine Gesetzeslücke nicht vorliegt.

Wie bereits ausgeführt, ist ein verwaltungsbehördliches Finanzstrafverfahren gegen die A.GmbH GmbH nicht anhängig, weshalb ihr aus diesem Blickwinkel das Recht auf Akteneinsicht nicht zukommt.

Die Verbandshaftung nach § 28 FinStrG beschränkt sich seit dem Jahr 2006 auf die noch geltenden Haftungstatbestände des § 28 Abs. 2 (Haftung in Vertretungsfällen) und Abs. 3 (Dienstgeberhaftung). Beide Haftungstatbestände setzen gemäß § 28 Abs. 9 FinStrG voraus, dass über die Haftungspflichtige nicht bereits eine Verbandsgeldbuße nach § 28a FinStrG zu verhängen ist.

Da die A.GmbH GmbH unter das VbVG fällt, ist die Anwendung des § 28 Abs. 3 FinStrG und somit eine Haftungsinanspruchnahme für Geldstrafen, die G und P im Finanzstrafverfahren - möglicherweise - auferlegt werden, nicht möglich.

Im Übrigen wären Haftungsbeteiligte, deren Haftung in Anspruch genommen werden soll, dem Verfahren zuzuziehen (siehe § 122 FinStrG). Eine amtswegige Zuziehung der A.GmbH GmbH zum Strafverfahren ist unbestritten nicht erfolgt, weshalb eine zur Haftung für die Geldstrafe ihrer Organe bzw. Mitarbeiter nach § 28 Abs. 3 FinStrG ohnedies nicht in Betracht kommt.

Die Eigenschaft als Nebenbeteiligte des Strafverfahrens kann nicht über den Umweg einer behaupteten, zusätzlich zur Verbandsverantwortlichkeit bestehenden Haftung nach § 28 FinStrG herbeigeführt werden.

Ob der Bf. nach der StPO oder der BAO ein Recht auf Akteneinsicht hat, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Dass der Bf. im Zeitpunkt der Erlassung der Haftungsbescheide Lohnsteuer und der Festsetzungsbescheide Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag "keine weiteren Kenntnisse" hatte, weshalb auf die Einbringung einer Beschwerde gegen die genannten Bescheide verzichtet wurde, ist aktenwidrig, weil dem Bf. der Bericht über die Außenprüfung vom zugekommen ist, in dem die Begründung für die Abgabennachforderung (Nicht- bzw. nur teilweise Abfuhr der Lohnabgaben) sowie eine detaillierte Aufgliederung der nicht entrichteten Abgaben nach Abgabenart und Lohnzahlungszeiträumen enthalten ist.
Dass die - jederzeit mögliche - Akteneinsicht im Abgabenverfahren vorgenommen wurde oder vom Finanzamt verweigert worden wäre, wird nicht vorgebracht.

Das Vorbringen, der Bf. hätte bei Kenntnis der Einvernahmen der genannten Personen "möglicherweise" ein Rechtsmittel gegen die Bescheide eingelegt, ist spekulativer Natur und kann ein Recht auf Akteneinsicht im Strafverfahren nicht begründen.

Das Vorbringen, die A.GmbH GmbH müsse sich zur Verteidigung ihrer finanzstrafrechtlichen und abgabenrechtlichen Interessen über den Inhalt der beantragten Vernehmungen Kenntnis verschaffen, "um sich im laufenden Verfahren verteidigen zu können, sollte sie von der Abgabenbehörde in die Pflicht genommen werden", ist unverständlich, weil weder ein Strafverfahren gegen die Gesellschaft geführt wird, eine Inanspruchnahme der GmbH als Haftungspflichtige nach § 28 FinStrG nicht erfolgen kann und die Haftungsbescheide Lohnsteuer und die Festsetzungsbescheide Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag vom in Rechtskraft erwachsen sind.

Auch die Suche nach "eventuellen", nicht näher ausgeführten Wiederaufnahmsgründen vermag ein abgabenrechtliches Interesse des Bf. an der Akteneinsicht nicht zu begründen. Konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Wiederaufnahme des Verfahrens wurden nicht dargelegt und sind auch aus der Aktenlage nicht erkennbar.

Das Vorbringen des Bf., es sei absurd, dass die A.GmbH GmbH im gegenständlichen Finanzstrafverfahren keine Parteistellung habe, weil sie das gegenständliche Steuersubjekt sei, ist rechtstheoretischer Natur und thematisiert das Spannungsfeld der abgabenrechtlichen Geheimhaltungspflicht (siehe § 48a BAO).
Gegenstand des Finanzstrafverfahrens sind - mögliche - finanzstrafrechtliche Verfehlungen des G und der P. Von einer "eigenen Sache" der A.GmbH GmbH im gegenständlichen Finanzstrafverfahren kann daher nicht gesprochen werden.

Der Bf. hat weder ein finanzstrafrechtliches noch ein abgabenrechtliches Interesse an der Einsichtnahme in die Niederschriften über die Einvernahmen des G, der P und des Z nachgewiesen, weshalb die Finanzstrafbehörde dem Bf. zu Recht die Akteneinsicht verwehrt hat.

Zur Unzulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf die zitierte Judikatur wird verwiesen.

Der Entscheidung liegen die eindeutigen gesetzlichen Vorschriften zu Grunde, wonach im Finanzstrafverfahren nur Beschuldigten und Nebenbeteiligten Akteneinsicht zu gewähren ist. Grundsätzliche bedeutsame Rechtsfragen liegen nicht vor.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.2300009.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at