Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 18.05.2020, RV/7100908/2018

Familienbeihilfenanspruch bei grenzüberschreitendem Sachverhalt

Entscheidungstext


IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache A.K., Anschr., gegen den Bescheid des Finanzamtes Neunkirchen Wr. Neustadt vom , betreffend Nichtgewährung von Familienbeihilfe für die Monate ab Juli 2016, zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Monate Juli 2016 bis Mai 2017 betrifft, aufgehoben. Im Übrigen (Monate Juni 2017 und Juli 2017) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer beantragte am (eingelangt bei der Abgabenbehörde am ) die Zuerkennung von Familienbeihilfe/Ausgleichszahlung (gemeint Differenzzahlung) für seinen am xy1995 geborenen Sohn B.K. ab .

Mit Schreiben vom ersuchte die Abgabenbehörde den Beschwerdeführer folgende Unterlagen beizubringen:

- Schulnachricht/Jahreszeugnis 2016/17 des Sohnes
- Bestätigung der monatlichen Unterhaltszahlungen an den Sohn ab 09/2015 (Überweisungen, Bankbestätigungen …)
- Erklärung der Kindesmutter, dass zugunsten des Kindesvaters auf Familienbeihilfe verzichtet wird (unter Beischluss einer Kopie aus dem Personalausweis der Kindesmutter).

In Beantwortung dieses Schreibens legte der Beschwerdeführer am nachstehende Unterlagen vor:

- Semesterzeugnis (Jahreszeugnis) des Sohnes vom , wonach dieser im Schuljahr 2016/17 die Klasse x des Kollegs für Tourismus der Tourismusschulen MODUL der Wirtschaftskammer Wien besucht hat;
- Erklärung des Sohnes, wonach er in der Straße-Ort, gemeldet ist und dort als Untermieter monatlich brutto € 343,-- bezahlt (Erklärung unterfertigt vom Sohn als Untermieter und R.M. als Hauptmieter);
- Erklärung der Kindesmutter, wonach diese zugunsten des Kindesvaters auf die Zuerkennung von Familienbeihilfe verzichtet (unter Beifügung einer Kopie der Identitätskarte).

Mit Bescheid vom wies die Abgabenbehörde den Antrag des Beschwerdeführers ab Juli 2016 ab.

Da der Beschwerdeführer - so die Begründung im Abweisungsbescheid - trotz Aufforderung die abverlangten Unterlagen - es fehle eine Bestätigung über die monatlichen Unterhaltsleistungen an den Sohn ab 09/2015 bis laufend (Überweisungen, Bankbestätigungen …) - nicht beigebracht habe und dadurch seiner Mitwirkungspflicht nach § 115 BAO nicht nachgekommen sei, müsse angenommen werden, dass in dem im Spruch genannten Zeitraum kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestanden habe bzw. bestehe.

Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer am Beschwerde ein. Begründend führte er aus, er habe an den Sohn ab 09/2015 monatlich laufend ca. € 500,-- bar als Unterhaltskosten geleistet.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom gab die Abgabenbehörde der Beschwerde keine Folge.

Diese Entscheidung begründete sie damit, gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 habe Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehöre. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehöre, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trage, habe dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt sei.

Die Unterhaltskosten müssten nachweislich und nachvollziehbar geleistet werden. Da laut den Angaben des Beschwerdeführers der Unterhalt an den Sohn in Form von Barzahlungen entrichtet worden sei, sei die Beschwerde abzuweisen.

Mit Eingabe vom stellte der Beschwerdeführer einen Vorlageantrag.

Darin führt er Folgendes aus:

Da er aufgrund seines österreichischen Arbeitsverhältnisses auf das österreichische Sozialsystem Zugriff habe, habe er für seinen Sohn am die österreichische Familienbeihilfe ab (gemeint wohl ) beantragt. Seine Familie, ganz genau seine Ehegattin, die die leibliche Kindesmutter sei, der Sohn und er, lebten am gemeinsamen Hauptwohnsitz in Ungarn-Adresse. Sein Sohn sei mit Nebenwohnsitz in Österreich (Straße-Ort) seit gemeldet, da er in Wien die Tourismusschulen MODUL der Wirtschaftskammer Wien besuche und nicht jeden Tag nach Adresse pendle. Der Hauptwohnsitz wie auch Lebensmittelpunkt seines Sohnes sei aber bei ihm und der Kindesmutter in Ungarn. Er finanziere seinen Sohn, da er in Vollzeit studiere und kein Einkommen habe.

Die Abgabenbehörde habe von ihm Bestätigungen über die monatlichen Unterhaltsleistungen angefordert. Diese habe er deshalb nicht übermittelt, da er keine Unterhaltszahlungen in dem Sinne leiste, dass sie getrennt lebten. Wie bereits vorher betont, bezahle er alle Geldaufwendungen seines Sohnes, da dieser noch studiere.

Dem Vorlageantrag fügte der Beschwerdeführer folgende Unterlagen bei:

- Bestätigung der Tourismusschulen MODUL der Wirtschaftskammer Wien vom , wonach der Sohn im Schuljahr 2015/16 die Klasse y besucht;
- Bestätigung der Tourismusschulen MODUL der Wirtschaftskammer Wien vom , wonach der Sohn im Schuljahr 2016/17 die Klasse z besucht;
- Meldebestätigung des Magistrates Wien-MBA f.d.12. Bezirk, wonach der Sohn seit mit Nebenwohnsitz in Straße-Ort, gemeldet ist;
- Erklärung des Sohnes vom , wonach er im Zeitraum September 2015 bis Mai 2016 (gemeint wohl: Mai 2017) an der "Wirtschaftskammer Wien" studiert habe. Er habe in diesem Zeitraum keine eigenen Einkünfte gehabt. Sein Vater (der Beschwerdeführer) habe ihm jeden Monat zur Abdeckung seiner Ausgaben € 700,-- gegeben. Er habe die Beträge in bar erhalten. Die Ausgaben hätten aus Miete, Schulgeld, Fahrtkosten, Lebensmittel und tägliche Kosten bestanden.

In dem von der Abgabenbehörde vorgelegten Akt finden sich weiters folgende entscheidungsrelevante Unterlagen:
- eine Versicherungsdatenabfrage, wonach der Beschwerdeführer seit in Österreich nichtselbständig erwerbstätig ist;
- das ausgefüllte und von der ungarischen Behörde am unterfertigte Formular E 411, wonach die Kindesmutter in Ungarn eine selbständige Tätigkeit ausübt;
- das ausgefüllte und von der ungarischen Behörde am unterfertigte Formular E 401, wonach der Beschwerdeführer, die Kindesmutter und der Sohn in einem gemeinsamen Haushalt in Adresse, leben.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer A.K., dessen Ehegattin C.K., und deren gemeinsamer Sohn B.K., geb. am xy1995, sind ungarische Staatsbürger.

Alle drei genannten Personen lebten in den streitgegenständlichen Monaten in Ungarn in einem gemeinsamen Haushalt in Adresse.

Der Beschwerdeführer war in den strittigen Monaten in Österreich nichtselbständig erwerbstätig, die Kindesmutter übte in Ungarn eine selbständige Tätigkeit aus.

Der Sohn besuchte in den Schuljahren 2015/16 und 2016/17 das Kolleg für Tourismus der Tourismusschulen MODUL der Wirtschaftskammer Wien, in Wien-Adresse.

Diese Ausbildung schloss er im Mai 2017 ab (Zeugnis vom ).

Beim Kolleg für Tourismus handelt es sich um eine zwei Jahre dauernde Ausbildung, wobei ein Jahr 2 Semester umfasst. Die Ausbildung wird in Ganztagesform geführt.

Der Sohn war seit in Straße-Ort, mit Nebenwohnsitz gemeldet.

Der Beschwerdeführer beantragte am (bei der Abgabenbehörde eingelangt am ) die Zuerkennung von Familienbeihilfe/Ausgleichszahlung (gemeint Differenzzahlung) für den Sohn ab .

Die Kindesmutter gab zugunsten des Beschwerdeführers eine Verzichtserklärung gemäß § 2a Abs. 2 FLAG 1967 ab.

Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt gründet sich auf die Angaben des Beschwerdeführers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, die von der Abgabenbehörde anlässlich der Aktenvorlage den Beschwerdeunterlagen angeschlossenen Formulare E 401 und E 411, die beigefügte Versicherungsdatenabfrage sowie die Informationen auf der website der Tourismusschulen MODUL der Wirtschaftskammer Wien und ist unstrittig.

Rechtslage:

Nationales Recht:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.

Gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Gemäß § 2 Abs. 5 FLAG 1967 gehört ein Kind zum Haushalt einer Person dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Die Haushaltszugehörigkeit gilt nicht als aufgehoben, wenn
a) […]
b) das Kind für Zwecke der Berufsausübung notwendigerweise am Ort oder in der Nähe des Ortes der Berufsausübung eine Zweitunterkunft bewohnt,
c) […]

Ein Kind gilt bei beiden Elternteilen als haushaltszugehörig, wenn diese einen gemeinsamen Haushalt führen, dem das Kind angehört.

Gehört ein Kind zum gemeinsamen Haushalt der Eltern, so geht gemäß § 2a Abs. 1 FLAG 1967 der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vor. Bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, dass die Mutter den Haushalt überwiegend führt.

In den Fällen des Abs. 1 kann gemäß § 2a Abs. 2 FLAG 1967 der Elternteil, der einen vorrangigen Anspruch hat, zugunsten des anderen Elternteiles verzichten. Der Verzicht kann auch rückwirkend abgegeben werden, allerdings nur für Zeiträume, für die die Familienbeihilfe noch nicht bezogen wurde. Der Verzicht kann widerrufen werden.

Gemäß § 10 Abs. 1 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe, abgesehen von den Fällen des § 10a, nur auf Antrag gewährt.

Die Familienbeihilfe wird gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

Gemäß § 53 Abs. 1 FLAG 1967 sind Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hiebei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.

Unionsrecht:

I. Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit:

Nach Art. 2 Abs. 1 gilt diese Verordnung für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

Nach Art. 3 Abs. 1 lit. j umfasst der sachliche Geltungsbereich dieser Verordnung auch Familienleistungen.

Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben nach Art. 4 Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.

Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen nach Art. 7 Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.

Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen nach Art. 11 Abs. 1 den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

Vorbehaltlich der Art. 12 bis 16 unterliegt nach Art. 11 Abs. 3 lit. a eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats.

Eine Person hat nach Art. 67 erster Satz auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.

Sind für denselben Zeitraum und für denselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten nach Art. 68 Abs. 1 folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen gemäß Art. 68 Abs. 2 nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Abs. 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

Wird nach Artikel 67 beim zuständigen Träger eines Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften gelten, aber nach den Prioritätsregeln der Absätze 1 und 2 des vorliegenden Artikels nachrangig sind, ein Antrag auf Familienleistungen gestellt, so gilt gemäß Art. 68 Abs. 3 Folgendes:

a) Dieser Träger leitet den Antrag unverzüglich an den zuständigen Träger des Mitgliedstaats weiter, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, teilt dies der betroffenen Person mit und zahlt unbeschadet der Bestimmungen der Durchführungsverordnung über die vorläufige Gewährung von Leistungen erforderlichenfalls den in Absatz 2 genannten Unterschiedsbetrag;

b) der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, bearbeitet den Antrag, als ob er direkt bei ihm gestellt worden wäre; der Tag der Einreichung des Antrags beim ersten Träger gilt als der Tag der Einreichung bei dem Träger, der vorrangig zuständig ist.

II. Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit:

Nach Art. 60 Abs. 1 dieser Verordnung werden die Familienleistungen bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaates, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird.

Rechtliche Beurteilung:

Im vorliegenden Fall übte der Beschwerdeführer in den streitgegenständlichen Monaten in Österreich eine nichtselbständige Tätigkeit aus, die Kindesmutter war in Ungarn selbständig erwerbstätig, der gemeinsame Wohnort der Familie (Beschwerdeführer, Kindesmutter und Kind, allesamt ungarische Staatsbürger) befand sich in Ungarn.

Es liegt somit ein grenzüberschreitender Sachverhalt mit Unionsbezug vor, sodass die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 zur Anwendung gelangen.

Die Verordnung 883/2004 sieht als tragenden Grundsatz vor, dass Personen, für die diese Verordnung gilt, immer nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterliegen (vgl. Art. 11 Abs. 1). Sind für einen Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften verschiedener Mitgliedstaaten zu gewähren, weil Personen den Rechtsvorschriften verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen, legt die Verordnung in Art. 68 mittels Prioritätsregeln fest, welche Rechtsvorschriften primär Anwendung finden.

Der Beschwerdeführer unterlag in den strittigen Monaten gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. a VO 883/2004 aufgrund seiner nichtselbständigen Tätigkeit in Österreich den österreichischen Rechtsvorschriften, die Kindesmutter gemäß derselben Bestimmung aufgrund ihrer selbständigen Tätigkeit in Ungarn den ungarischen Rechtsvorschriften. Nach den zitierten Prioritätsregeln des Art. 68 VO 883/2004 (siehe oben) ist zur Erbringung von Familienleistungen Ungarn primär und Österreich sekundär (für die Gewährung einer Differenzzahlung) zuständig.

Im Beschwerdefall wird von der Abgabenbehörde nicht in Abrede gestellt, dass ein Anspruch auf Differenzzahlung gegeben ist. Streit herrscht zwischen den Parteien vielmehr darüber, ob dem Beschwerdeführer ein derartiger Anspruch zusteht.

Der EuGH führte in seinem Urteil vom , C-378/14 (Tomislaw Trapkowski) Folgendes aus:

32 Zur Anwendbarkeit der Prioritätsregeln, die in Art. 68 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 für den Fall des Zusammentreffens von Ansprüchen vorgesehen sind, ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Annahme, dass in einem bestimmten Fall eine solche Kumulierung vorliegt, nicht genügt, dass Leistungen in dem Mitgliedstaat, in dem das betreffende Kind wohnt, geschuldet werden und zugleich in einem anderen Mitgliedstaat, in dem ein Elternteil dieses Kindes arbeitet, lediglich potenziell gezahlt werden können (Urteil Schwemmer, C-16/09, EU:C:2010:605, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[…]

34 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 987/2009 dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Fiktion dazu führen könnte, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistungen zuständig ist.

35 Zur Beantwortung dieser Frage ist erstens darauf hinzuweisen, dass die in Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 vorgesehene Fiktion zur Folge hat, dass eine Person Anspruch auf Familienleistungen für Familienangehörige, die in einem anderen als dem für die Gewährung dieser Leistungen zuständigen Mitgliedstaat wohnen, so erheben kann, als würden sie in dem zuständigen Mitgliedstaat wohnen.

36 Zweitens sieht Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 987/2009 vor, dass bei der Anwendung u. a. der Verordnung Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Anspruchs auf Familienleistungen anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen.

37 Drittens geht aus Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung Nr. 987/2009 hervor, dass dann, wenn eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf Familienleistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahrnimmt, der 'andere Elternteil' zu den Personen und Institutionen gehört, die einen Antrag auf Gewährung dieser Leistungen stellen können.

38 Aus Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 in Verbindung mit Art. 60 Abs. 1 der Verordnung Nr. 987/2009 ergibt sich zum einen, dass eine Person Anspruch auf Familienleistungen auch für Familienangehörige erheben kann, die in einem anderen als dem für ihre Gewährung zuständigen Mitgliedstaat wohnen, und zum anderen, dass die Möglichkeit, Familienleistungen zu beantragen, nicht nur den Personen zuerkannt ist, die in dem zu ihrer Gewährung verpflichteten Mitgliedstaat wohnen, sondern auch allen "beteiligten Personen", die berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben, zu denen die Eltern des Kindes gehören, für das die Leistungen beantragt werden.

39 Folglich lässt sich, da die Eltern des Kindes, für das die Familienleistungen beantragt werden, unter den Begriff der zur Beantragung dieser Leistung berechtigten "beteiligten Personen" im Sinne von Art. 60 Abs. 1 der Verordnung Nr. 987/2009 fallen, nicht ausschließen, dass ein Elternteil, der in einem anderen als dem zur Gewährung dieser Leistungen verpflichteten Mitgliedstaat wohnt, diejenige Person ist, die, sofern im Übrigen alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind, zum Bezug dieser Leistungen berechtigt ist.

40 Es obliegt jedoch der zuständigen nationalen Behörde, zu bestimmen, welche Personen nach nationalem Recht Anspruch auf Familienleistungen haben.

41 Nach alledem ist Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 987/2009 dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Fiktion dazu führen kann, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedsstaat wohnt, der für die Gewährung der Leistung zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind, was von dem vorlegenden Gericht zu prüfen ist."

Zu diesen Ausführungen hielt der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Ra 2019/16/0133, Folgendes fest:

"Damit verdeutlichte der EuGH fallbezogen, dass

- die in Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 vorgesehene Fiktion zur Folge hat, dass eine Person Anspruch auf Familienleistungen für Familienangehörige, die in einem anderen als dem für die Gewährung dieser Leistungen zuständigen Mitgliedstaat wohnen, so erheben kann, als würden sie in dem zuständigen Mitgliedstaat wohnen,

- bei der Anwendung u. a. der Verordnung Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Anspruchs auf Familienleistungen anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen,

- Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 987/2009 dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Fiktion dazu führen kann, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind, was von dem vorlegenden Gericht zu prüfen ist,

- aus Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung Nr. 987/2009 hervorgeht, dass dann, wenn eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf Familienleistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahrnimmt, der "andere Elternteil" zu den Personen und Institutionen gehört, die einen Antrag auf Gewährung dieser Leistungen stellen können."

Damit habe - so der VwGH in seinem Erkenntnis weiter - der EuGH ausdrücklich zwischen Satz 2 und Satz 3 von Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009 unterschieden. Von der Frage, wem aller ein Anspruch zustehen könne, sei die Frage zu unterscheiden, wer dieses Recht wahrnehmen könne. Nehme eine Person, die berechtigt sei, Anspruch auf Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, sei nach Art. 60 Abs. 1 Satz 3 VO 987/2009 auch ein Antrag der dort genannten anderen Personen zu berücksichtigen. Es sei daher ohne Bedeutung, welcher Elternteil den entsprechenden Antrag stelle (vgl. Csaszar in Csaszar/Lenneis/Wanke, Kommentar zum FLAG, Rz 208 zu § 53 FLAG mwN).

Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wie sie u.a. im Erkenntnis vom , Ro 2014/16/0067, zum Ausdruck gelange, sei durch das C- 378/14, nicht "überholt", zumal den Entscheidungen jeweils verschiedene Sachverhalte zugrunde lägen.

Der VwGH wies weiters darauf hin, Art. 60 Abs. 1 Satz 3 VO 987/2009, der gleichfalls Anwendungsvorrang beanspruche, verdränge hiedurch § 2 Abs. 2 letzter Halbsatz FLAG.

Für den vorliegenden Fall gilt Folgendes:

Der Sohn des Beschwerdeführers gehörte in den streitgegenständlichen Monaten dem gemeinsamen Haushalt seiner Eltern (Beschwerdeführer und Kindesmutter) an. Dass der Sohn während des Besuches des Kollegs für Tourismus eine Zweitunterkunft bewohnte, ändert gemäß § 2 Abs. 5 lit. b FLAG 1967 (die genannte Bestimmung spricht zwar von Berufsausübung, findet jedoch in gleicher Weise auch auf eine Berufsausbildung Anwendung) an der Zugehörigkeit zum gemeinsamen Haushalt seiner Eltern nichts.

Gehört ein Kind zum gemeinsamen Haushalt der Eltern, so sieht der Gesetzgeber in § 2a Abs. 1 FLAG 1967 vor, dass der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt (bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, dass dies die Mutter ist) dem Anspruch des anderen Elternteiles vorgeht. In diesen Fällen kann jedoch der Elternteil, der einen vorrangigen Anspruch hat, zugunsten des anderen Elternteiles verzichten (§ 2a Abs. 2 FLAG 1967).

Gegenständlich hat die Kindesmutter gemäß § 2a Abs. 2 FLAG 1967 auf ihren Anspruch zugunsten des Beschwerdeführers verzichtet. Dem Beschwerdeführer steht daher ein Anspruch auf Familienbeihilfe/Differenzzahlung zu. Diesen kann er auch geltend machen.

Dem Beschwerdeführer gebührt Familienbeihilfe/Differenzzahlung allerdings nicht für die gesamten streitgegenständlichen Monate.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom hat die Abgabenbehörde den Antrag des Beschwerdeführers ab Juli 2016 abgewiesen, ohne im Spruch einen Endzeitpunkt zu benennen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung dargetan hat, ist die Entscheidung über die Gewährung von monatlich wiederkehrenden Leistungen, zu denen auch die Familienbeihilfe zählt, ein zeitraumbezogener Abspruch. Ein derartiger Abspruch gilt mangels eines im Bescheid festgelegten Endzeitpunktes für den Zeitraum, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren, jedenfalls aber bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides (vgl. z.B. u.a.).

Die streitgegenständlichen Monate umfassen demnach die Monate Juli 2016 bis einschließlich Juli 2017. Da der Sohn die Berufsausbildung am Kolleg für Tourismus im Mai 2017 beendet hat (vgl. Abschlusszeugnis vom ) erlischt gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 der Anspruch auf eine Differenzzahlung mit Ablauf des Monats Mai 2017. Für die Monate Juni und Juli 2017 ist ein Anspruch auf eine Differenzzahlung nicht mehr gegeben, sodass hinsichtlich dieser Monate die Beschwerde als unbegründet abzuweisen ist. Was hingegen die Monate Juli 2016 (ab diesem Zeitpunkt wurde die Zuerkennung einer Differenzzahlung beantragt) bis Mai 2017 anlangt, ist der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

Zulässigkeit einer Revision:

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängig, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine Revision ist daher nicht zulässig.

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Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise
(Tomislaw Trapkowski)


Art. 11 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 68 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 60 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7100908.2018

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