Aufhebung eines Nachsichtsbescheides (§ 236 BAO), weil kein entsprechender Antrag vorlag
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter in der Beschwerdesache A, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt X vom betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO zu Recht erkannt:
1. Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 279 BAO aufgehoben.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Mit Einkommensteuerbescheid für 2000 vom wurde dem Beschwerdeführer eine Abgabennachforderung an Einkommensteuer in Höhe von € 1.289,58 vorgeschrieben .
Mit Zahlungsaufforderung des Finanzamtes X vom wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, er habe offenbar übersehen, den auf seinem Abgabenkonto aushaftenden vollstreckbaren Rückstand im Gesamtbetrag von € 1.339,72 zu entrichten. Laut Abgabenkonto des Beschwerdeführers setzt sich dieser Betrag zusammen aus der Abgabennachforderung an Einkommensteuer von € 1.289,58 sowie Anspruchszinsen von € 50,14.
Mit Schreiben vom brachte der Beschwerdeführer bezugnehmend auf die Zahlungsaufforderungen vom vor, seines Erachtens sei eine Abgabenschuld - sofern überhaupt entstanden - gemäß § 238 BAO verjährt. Er ersuche um Streichung seiner Abgabenschuld und beantrage die Stundung bis zur Entscheidung über sein Ansuchen.
Mit "Bescheid über die Abweisung einer Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten" vom hat das Finanzamt X einen "Antrag vom um Bewilligung einer Nachsicht in Höhe von € 1.339,72" abgewiesen. Begründend wurde unter Hinweis auf § 236 BAO im Wesentlichen ausgeführt, den Antragsteller würde eine erhöhte Mitwirkungspflicht treffen. Die Abgabenbehörde habe im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nur die vom Nachsichtswerber geltend gemachten Gründe zu prüfen. Die Unbilligkeit könne eine persönliche oder sachliche sein. Im Nachsichtsansuchen sei ausgeführt worden, dass die Einkommensteuernachforderung in Höhe von € 1.289,58 und Anspruchszinsen in Höhe von € 50,14 gemäß § 238 BAO verjährt seien. Aufgrund von vom Finanzamt X durchgeführten Unterbrechungshandlungen sei Verjährung nicht eingetreten.
Mit Schreiben vom brachte der Beschwerdeführer gegen "den Bescheid über die Abweisung einer Nachsicht und die Abweisung des Einwandes der Verjährung" Beschwerde ein und beantragte, dass die Einkommensteuernachforderung des Jahres 2000 und die betreffenden Anspruchszinsen nicht nachgefordert werden, da Verjährung eingetreten sei, und dass das Finanzamt ihm diese Unterbrechungshandlung in geeigneter Form (z.B. Belegkopie über Meldeabfragen) als Nachweis zukommen lasse. Weiters beantragte er die Aussetzung der Einhebung von insgesamt € 1.339,72 bis zur Erledigung der Beschwerde.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom hat das Finanzamt X die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. In der Begründung stellte es zunächst unter Hinweis auf einen Antrag auf Veranlagung der Einkommensteuer für 2000 vom das Verwaltungsgeschehen dar und führte weiter aus zu den Begriffen der persönlichen und sachlichen Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO. Der Beschwerdeführer habe sowohl im Nachsichtsansuchen als auch in der Beschwerde nicht vorgebracht, dass die Abgabeneinhebung unbillig sei. Da aufgrund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes lediglich die vorgebrachten Gründe zu prüfen seien, könne nach Aktenlage keine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung festgestellt werden. Der Einwand der Einhebungsverjährung könne keine Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO begründen, zumal der Eintritt der Einhebungsverjährung ohnehin von Amts wegen zu berücksichtigen wäre. Verjährung sei noch nicht eingetreten, da regelmäßig Ermittlungsschritte vorgenommen worden seien, um den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers festzustellen. Somit seien die notwendigen Unterbrechungshandlungen von der Abgabenbehörde gesetzt worden.
Mit Schreiben vom beantragte der Beschwerdeführer die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht zur Entscheidung und führte ergänzend aus, er habe keinen Antrag auf Veranlagung eingereicht, weil er zu dieser Zeit nicht in Europa gewesen sei. Dieser Antrag (anscheinend beim Finanzamt eingelangt am ) sei bisher nie erwähnt oder vorgelegt worden. Er habe sich in X ordnungsgemäß an- und auch abgemeldet, er sei damals mehrmals nach seiner damaligen Wohnadresse in Y gefragt worden, diese habe er angegeben. An diese damalige Adresse sei nie ein Schreiben des Finanzamtes gerichtet worden. Auch diesbezügliche Unterlagen seien trotz Aufforderung in seinem letzten Rechtsmittel nicht vorgelegt worden. Es würde sich die Frage stellen, welchen Schritt das Finanzamt 2017 unternommen habe, um seinen Aufenthaltsort zu ermitteln, der nicht auch schon 2002 oder danach möglich gewesen wäre. Offenbar sei doch nicht alles unternommen worden, um seine Adresse in Erfahrung zu bringen, dann würde sich die Situation aber wohl so darstellen, dass Verjährung eingetreten ist. Weiters beantragte der Beschwerdeführer die Aussetzung der Einhebung von € 1.389,86 "bis zur Entscheidung".
Mit Bescheid vom hat das Finanzamt X den Antrag auf Aussetzung der Einhebung zurückgewiesen.
Zur Entscheidung wurde erwogen:
Die Eingabe des Beschwerdeführers vom stellt ein Anbringen im Sinne des § 85 BAO dar. Für die Beurteilung von Anbringen kommt es auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischritts an. Parteierklärungen im Verwaltungsverfahren sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, das heißt es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens ist die Absicht der Partei zu erforschen (Ritz, BAO6, § 85 Rz. 1 mit Hinweis [u.a.] auf ; ).
Die Eingabe vom enthält eine "Mitteilung", dass nach Ansicht des Beschwerdeführers Verjährung einer Abgabenschuld eingetreten sei, und mündet in einen Antrag auf Stundung. Auch in der Beschwerdeschrift vom und im Vorlageantrag vom ist das Vorbringen des Beschwerdeführers ausschließlich darauf gerichtet, dass seiner Ansicht nach Verjährung im Sinne des § 238 BAO eingetreten sei.
Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten setzt einen hierauf gerichteten Antrag voraus. Wegen der Antragsgebundenheit dieses Verwaltungsaktes darf eine Nachsicht nicht über diesen Antrag hinausgehen. Der Antrag ist nicht bloß ein Formalerfordernis; es muss ein begründeter Antrag sein ().
Das Anbringen vom stellt ohne jeden Zweifel keinen derartigen Antrag auf Gewährung einer Nachsicht im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO dar, zumal der einzige im Anbringen formulierte Antrag auf eine "Stundung" gerichtet ist und der Beschwerdeführer keinerlei Ausführungen betreffend Nachsicht getätigt und - wie das Finanzamt selbst feststellt - keinerlei Vorbringen hinsichtlich einer allfälligen persönlichen oder sachlichen Unbilligkeit der Einbringung erstattet hat. Auch bei seinen weiteren diesbezüglichen Eingaben vom und hat der Beschwerdeführer kein Vorbringen hinsichtlich Nachsicht erstattet.
Im Spruch des verfahrensgegenständlichen Bescheides wurde ausdrücklich über einen "Antrag vom um Bewilligung einer Nachsicht" abgesprochen. Dessen Begründung setzt sich mit den gesetzlichen Voraussetzungen für die Bewilligung einer Nachsicht auseinander. Dieser Bescheid kann weder als Erledigung eines Antrages auf "Stundung" verstanden werden noch stellt er einen Abrechnungsbescheid im Sinne des § 216 BAO dar, welcher bei Meinungsverschiedenheiten über die Frage der Verjährung einer Abgabe in Betracht käme, zumal über einen Antrag gemäß § 216 BAO nur mit Erlassung eines Feststellungsbescheides oder mit Zurückweisung des Antrages, nicht aber mit dessen Abweisung entschieden werden könnte.
Das Bundesfinanzgericht ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen (§ 279 Abs. 1 BAO). Die Änderungsbefugnis nach jeder Richtung ist durch die "Sache" begrenzt. Sache ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des angefochtenen Bescheides gebildet hat, sohin die (Nicht)Gewährung einer Nachsicht im Sinne des § 236 BAO.
Wenn ein antragsgebundener Verwaltungsakt ohne Antrag erging, hat eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides als meritorische Beschwerdeerledigung zu erfolgen (vgl. Ritz, aaO, § 279 Rz. 6 mit Hinweis auf ).
Da der angefochtene Bescheid über die Abweisung der Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten ohne darauf gerichteten Antrag erging, war er gemäß § 279 BAO aufzuheben.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da das Bundesfinanzgericht bei der Beurteilung der gegenständlichen Rechtsfragen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt, ist die Revision nicht zulässig.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 85 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 216 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 236 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 238 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 279 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 279 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Nachsichtsbescheid Sache des Beschwerdeverfahrens Antragsgebundenheit |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2019:RV.3100085.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at