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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.03.2020, RV/5100527/2020

Haftungsbescheid bei der Kindesmutter für uneinbringliche Rückforderungsbeträge des Kindesvaters?

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Christoph Kordik in der Beschwerdesache Bf., St.Nr. 000*, Adresse , über die Beschwerde vom  betreffend Inanspruchnahme durch das Finanzamt  Name v. als Haftungspflichtige gemäß § 26 Abs. 3 FLAG 1967 in Verbindung mit § 224 Bundesabgabenordnung für die aushaftenden Abgabenverbindlichkeiten (Rückforderung von Differenzzahlungen und Kinderabsetzbeträgen  beim Kindesvater) für den Zeitraum 05/13 -08/14 ,10/14-1/15, 04/15 -06/15 sowie 08/15 -12/15 in Höhe von € 4.728,93

                                          zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird – ersatzlos – aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Für das gemeinsame Kind Name wurde von der Kindesmutter (KM) u. Beschwerdeführerin (Bfin.) ein Antrag vom Jänner2016  auf Differenzzahlung gestellt.

Mit Bescheid des FA v.   wurde dieser Antrag als unbegründet abgewiesen. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass bereits der Kindesvater (KV), Herr Name , geb.am 000*, der diesen Anspruch hätte, schon diese Differenzzahlung erhalten hätte.

Die gegen den abweisenden Bescheid von der KM eingebrachten Beschwerde vom war Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens vor dem BFG zu RV/ 5100594/2017. Das BFG gab der Beschwerde am  teilweise Folge ( für den Zeitraum 05/13 -08/14 ,10/14-1/15, 04/15 -06/15 sowie 08/15 -12/15 wurde der primäre Anspruch auf Differenzzahlungen der Kindesmutter zugesprochen).

Daraus ergibt sich - soweit hier relevant -  Folgendes:

"Gegenständlich habe jedoch die Bf. als Kindesmutter mit ihrer Tochter einen gemeinsamen Wohnsitz. Auch werde beiliegend eine Verzichtserklärung des Kindesvaters übermittelt. Der Kindesvater (KV) , das minderjährige Kind V. (Schülerin ab in Ungarn, als auch die Bfin. als Kindesmutter verfügen über die Ungarische Staatsbürgerschaft. Der Kindesvater war in  Österreich vom bis selbständig erwerbstätig. Aus dem Versicherungsdatenauszug finden sich danach weitere Beschäftigungsverhältnisse in Österreich für B. als Arbeiter vom  bis , vom bis , vom bis , vom bis , vom bis , vom bis . Nach Ablauf des Monats November 2015 ging der Kindesvater in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nach. Die Bfin. ist in Ungarn erwerbstätig und lebt mit dem genannten Kind in einem gemeinsamen Haushalt. Des Weiteren erhält die Bf. vom Kindesvater Unterhaltszahlungen für die gemeinsame Tochter V. Das Finanzamt gewährte dem Kindesvater für das zuvor genannte Kind für dieZeiträume Juni 2011 bis August 2014, für die Monate Oktober 2014 bis Jänner 2015, von April 2015 bis Juni 2015 und von August 2015 bis Dezember 2015 eine Differenzzahlung...Unabhängig davon, ob nun der Kindesvater in diesem Zeitraum ebenfalls noch diesem Haushalt angehörte, ergibt sich durch die Bestimmungen des FLAG eine primäre Anspruchsberechtigung der Kindesmutter. So wäre in jenem Fall, wenn ab Juni 2011 ein gemeinsamer Haushalt der Eltern mit dem Kind in Ungarn vorgelegen sein sollte, ein vorrangiger Beihilfenanspruch der Kindesmutter durch die Bestimmung des § 2a Abs. 1 FLAG gegeben, da diese Bestimmung jene Vermutung aufstellt, dass bis zum Nachweis des Gegenteils die Kindesmutter jene Person darstellt, welche den Haushalt überwiegend führt. Trifft der Umstand zu - wie die Bf. nunmehr behauptet -, dass der in Österreich beschäftigte Kindesvater seit Juni 2011 nicht mehrdem gemeinsamen Haushalt angehört hätte, bestimmt sich der primäre Anspruch für die Kindesmutter durch die Regelungen des § 2 Abs. 2 erster Satz leg cit....

Das bedeutet, dass bei der Frage des gemeinsamen Haushaltes zwischen KV u.KM(=Bfin) damals keine abschließende Würdigung vorgenommen wurde, weil jedenfalls der KM der primäre Anspruch zukam.

Dieses Erkenntnis wurde rechtskräftig. Diese Gerichtsentscheidung v. hat sich allerdings nicht mit der hier strittigen Haftungsfrage beschäftigten müssen.  Dies ist ein eigenständiges Beschwerdeverfahren.

Mit Rückforderungsbescheid v. wurden beim Kindesvater(KV) zu Unrecht bezogene Familienbeihilfen und Kinderabsetzbeträge für das gemeinsame Kind Name, geb. am 000*,hinsichtlich des Zeitraumes  05/13 -08/14 ,10/14-1/15, 04/15 -06/15 sowie 08/15 -12/15 zurückgefordert. Dieser Rückforderungsbescheid ist rechtskräftig. Er wurde auch als Beilage zum Haftungsbescheid an die Kindesmutter u. Bfin mitversendet.

Die Uneinbringlichkeit wurde beim KV festgestellt (EB-Akt und Zustellung gem. § 23 Zustellgesetz). Mittlerweile hat der KV seiner ehemaligen Partnerin u. Bfin. seine nunmehrige Adresse in der Schweiz bekanntgegeben (siehe Vorlageantrag v. ).

Am wurde der Haftungsbescheid mangels Einbringlichkeit an die KM u. Bfin. erlassen.

Im Haftungsbescheid wurde Folgendes ausgeführt:

"Die Haftung wird hinsichtlich folgender Abgabenschuldigkeiten geltend gemacht:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Abgabenart
Zeitraum
Höhe in Euro
Familienbeihilfe
2013
1.104,00
 
Familienbeihilfe
2014
1.234,26
 
Familienbeihilfe
2015
755,47
 
Kinderabsetzbetrag
2013
467,20
 
Kinderabsetzbetrag
2014
642,40
 
Kinderabsetzbetrag
2015
525,60
 
Summe:
 
 
4.728,93

Begründung:

Herr Name wurde gemäß § 26 Abs. 3 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 zur Rückzahlung der zu Unrecht bezogenen Familienbeihilfe verpflichtet. Der entsprechende Rückforderungsbescheid liegt in Kopie bei. Bei Ihm ist der rückgeforderte Betrag uneinbringlich.

Gegen den Haftungsbescheid wurde rechtzeitig Beschwerde mit 8 Beilagen (Anhängen) (Übersetzung aus dem Ungarischen in die deutsche Sprache durch ein spezialisiertes ungarisches Übersetzungsbüro) erhoben. Auf die umfangreichen Ausführungen wird verwiesen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Es ergeht die Beschwerdevorentscheidung betreffend der Beschwerde vom von Frau Bfin., Adresse gegen den Haftungsbescheid vom . Über die Beschwerde wird auf Grund des § 263 Bundesabgabenordnung (BAO) entschieden:

Ihre Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen. In ihrer Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid vom , zugestellt am , wird zusammengefasst vorgebracht, dass die Voraussetzungen für die Haftungsinanspruchnahme gern. § 26 Abs 3 FLAG nicht vorliegen würden. Insbesondere bringen Sie vor, dass trotz identer Postanschrift kein gemeinsamer Wohnsitz existieren würde. Sie hätten lediglich bis September 2007 mit Hr. Name zusammengelebt. Dem Finanzamt liegt ein Dokument vom vor, wonach Sie im Bewusstsein ihrer strafrechtlichen Verantwortung erklären, dass Sie und Hr. Name seit in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft leben. Als Wohnsitz wird in diesem Dokument sowohl bei Hr. Name als auch bei Ihnen die Adresse Adresse angegeben. Des Weiteren enthält das Dokument des Passus „Diese Erklärung geben wir zur Beanspruchung der Familienzulage ab." Der Verwaltungsgerichtshof judiziert regelmäßig, dass der Erstaussage höhere Beweiskraft zukommt als späteren Aussagen (vgl. bereits ) und „es nicht im Widerspruch zur Lebenserfahrung steht, dass Abgabepflichtige ihre Erklärungen im Verlauf eines Abgabenverfahrens zunehmend der Kenntnis ihrer abgabenrechtlichen Wirkung entsprechend gestalten" (). In freier Beweiswürdigung geht das Finanzamt Name daher nach wie vor von einem gemeinsamen Haushalt iSd § 26 Abs 3 FLAG aus. Die Beschwerde ist daher abzuweisen ".

Dagegen wurde rechtzeitig ein Vorlageantrag („Apell“) v. erhoben. Auf die dort vorgebrachte Begründung wird verwiesen (ebenfalls Übersetzung aus dem Ungarischen in die deutsche Sprache durch ein spezialisiertes ungarisches Übersetzungsbüro).Umfassende Beilagen (4 x) wurden vorgelegt. Eine Würdigung fand durch das Finanzamt nicht statt, weil diese Unterlagen erst nach der Beschwerdevorentscheidung v. von der Bfin. vorgelegt wurden.

Mit Vorlagebericht v.  wurde der Beschwerdefall an das Gericht vorgelegt.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus der elektronischen Aktenalge.

Lt. Finanzamt liege beim zu beurteilenden  Fall ein "haftungsbegründender Sachverhalt" für die Kindesmutter (KM) vor.

Dies sieht das Gericht in freier Beweiswürdigung gem. § 167 BAO anders:

A) Ein gemeinsamer Haushalt zwischen KV und KM (=Bfin) im Haftungszeitraum konnte jedoch vom Gericht nicht als erwiesen angenommen werden. Diesbezüglich wird auf die Unterlagen der Bfin. v. verwiesen, in denen die Bfin. ausreichend und glaubhaft darlegen konnte, dass im Haftungszeitraum kein gemeinsamer Haushalt zwischen dem KV u. ihr bestanden hat (vgl. insbesondere Angaben der KM zum Wegzug bereits ab 08/2007 zur Freundin Frau Name, Erwerbstätigkeit in Österreich Beilagen seit 05/2011 , Blg. 2 b (1 Grundstücksparzelle, aber getrennte Wohnungen), Blg. 3 (gerichtlich angeordnete Unterhaltszahlungen ab 09/2011) ,Vermögensaufteilung durch Notar am , weiterer Aufenthalt des KV ab in Österreich (Anhang 2 a) , Anhang 6 (Status Schülerin (Tochter V. ) in Ungarn) zum Vorlageantrag . Die Tatbestandsvoraussetzung des § 26 Abs. 3 FLAG 1967 ("gemeinsamer Haushalt") liegt daher nicht vor (siehe dazu im Einzelnen die rechtlichen Ausführungen).

B) Der Kindesvater stellte ohne Wissen der Kindesmutter einen Antrag auf Differenzzahlung am . Die Abgabenbehörde gewährte die beantragten Zahlungen formlos (also ohne Bescheid). Die Kindesmutter (KM) wusste auch nichts von Bezug der Differenzzahlungen an den Kindesvater. Auch hätte sie davon nichts wissen müssen. Sie hatte damit weder direkt noch indirekt (keine diesbezüglichen Feststellungen) einen Vorteil. Für vergangene Zeiträume bezogene unrechtmäßige Bezüge an Transferleistungen während der aufrechten eheähnlichen Lebensgemeinschaft standen hier mehr zur Prüfung an (siehe die Erklärung v. ). Sie hat auch - über eigene Initiative- damals dem Finanzamt gegenüber offengelegt, dass sie nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Partner und Kindesvater lebte. Eine Rückforderung beim KV wurde dadurch auch ermöglicht. Eine Verzichtserklärung wurde von ihr niemals unterschrieben, auch dies wurde vom KV im Verfahren fälschlicherweise angegeben. Sie ist nicht für die falschen Angaben des Kindesvaters verantwortlich. Dies muss auch unter dem Aspekt des Ermessens berücksichtigt werden. Sie stellte folglich im Jänner 2016 - ohne Wissen eines schon gestellten Antrages des KVs- einen Antrag auf Differenzzahlung. Die Behörde lehnte ab. Ihrer Beschwerde wurde teilweise Folge ( zu RV/5100594/2017). Sie wurde damit für einem bestimmten Zeitraum zur Anspruchsberechtigten. Von der kurze Zeit zuvor - am -  ausgesprochenen bescheidmäßig verfügten Haftung durch das FA Name wird daher aus Ermessensgründen Abstand genommen (siehe dazu im Einzelnen die rechtlichen Ausführungen zur Handhabung des Ermessens durch das Gericht -Beschwerdestattgabe). 

Über die Beschwerde wurde vom Bundesfinanzgericht erwogen:

Auf die innerstaatliche Rechtslage sowie auf die Unionsrechtslage zu Differenzzahlungen wird auf die Ausführungen zu RV/5100594/2017 verwiesen.

Rückforderung beim Kindesvater (KV) mit Bescheid v.:

Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen (§ 26 Abs. 1 FLAG 1967).

Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden (§ 33 Abs. 3, 3. Satz ESTG 1988).

Für die Rückzahlung eines zu Unrecht bezogenen Betrages an Familienbeihilfe haftet auch derjenige Elternteil des Kindes, der mit dem Rückzahlungspflichtigen in der Zeit, in der die Familienbeihilfe für das Kind zu Unrecht bezogen worden ist, im gemeinsamen Haushalt gelebt hat ( § 26 Abs. 3 FLAG 1967 ).

Haftungsbescheid v. bei der Kindesmutter u. Bfin:

Die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten ( § 224 Abs. 1 BAO ).

Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), müssen sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ( § 20 BAO ).

Personen, die nach Abgabenvorschriften für eine Abgabe haften, werden durch Geltendmachung dieser Haftung (§ 224 Abs. 1) zu Gesamtschuldnern.

Persönliche Haftungen (Abs. 1) erstrecken sich auch auf Nebenansprüche (§ 3 Abs. 1 und 2) ( § 7 Abs. 1 und 2 BAO ).

Der Gesetzgeber verfolgte mit der Einführung der Haftungsbestimmung des § 26 Abs. 3 FLAG 1967 im Jahr 1976 (BGBL 1976/290 - spätere Novelle im Jahre 2008) folgendes Ziel:

„Die im gemeinsamen Haushalt mit dem Kind lebenden Eltern können nunmehr bestimmen, ob die Familienbeihilfe an die Mutter oder an den Vater ausgezahlt werden soll. Als Folge dieses Wahlrechtes sieht der neue Abs. 3 des § 26 vor, daß für einen unrechtmäßigen Bezug an Familienbeihilfe beide Teile haften.

In den Fällen, in denen die Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen wurde und der Elternteil, der die Familienbeihilfe ausgezahlt erhalten hat, den zu Unrecht bezogenen Betrag nicht zurückzahlen kann, wird demnach der andere Elternteil für die Rückzahlung haftbar gemacht werden können. Die Haftung des anderen Elternteiles findet ihre Begründung darin, daß mit der Familienbeihilfe ein Teil der Haushaltsausgaben bestritten wird und dies auch dem Elternteil, der die Familienbeihilfe nicht selbst bezogen hat, zugutekommt.(114 der Beilagen XIV. GP – Regierungsvorlage)."

Wanke in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 26, Rz 64- 70 führt Folgendes aus :

Zu Punkt VI. Haftung des anderen Elternteiles

A. Voraussetzungen

64

Die Rückzahlungs­pflicht nach § 26 Abs 1 trifft denjenigen, der die FB zu Unrecht bezogen hat. Nach § 26 Abs 3 haftet zudem unter bestimmten Voraussetzungen der andere Elternteil für die Rückzahlung der FB.

Voraussetzung der Inanspruchnahme als Haftender ist,

  • dass der in Anspruch genommene Elternteil in der Zeit der zu Unrecht bezogenen FB für das Kind mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat, und

  • dieser andere Elternteil von der Behörde durch Erlassung eines Haftungs­bescheides zur Haftung herangezogen wird.

1. Anderer Elternteil

65

Unter „Eltern“ sind nicht nur die leiblichen Eltern, sondern gem § 2 Abs 3 auch die Großeltern, Wahleltern, Stiefeltern und Pflegeltern zu verstehen.

Die Haftung desjenigen Elternteils, der die FB nicht bezogen hat, bezieht sich nur auf die Beträge, die während der Zeit eines gemeinsamen Haushaltes mit dem primären Rückzahlungs­pflichtigen bezogen wurden. Die Geltendmachung der Haftung wird nach den Erläuterungen nur dann gerechtfertigt sein, wenn der Rückzahlungs­pflichtige zur Rückzahlung nicht in der Lage ist, insbesondere dann, wenn er ohne Einkommen ist (s Wittmann/Papacek, § 26, C, 2). ...

70

Die Erlassung eines Haftungs­bescheides liegt im Ermessender Behörde. Bei der Ermessensübung ist vor allem der Zweck der Haftungsbestimmung zu berücksichtigen. Haftungen sind Besicherungsinstitute. Daraus ergibt sich eine gewisse Nachrangigkeit der Haftung im Verhältnis zur Inanspruchnahme des Hauptschuldners.

Auch wenn in Ausnahmefällen die Inanspruchnahme des Haftenden ohne vorherige Inanspruchnahme des Hauptschuldners zulässig ist, ist doch das zentrale Ermessenskriterium jenes der Nachrangigkeit (Subsidiarität) der Haftung. Daher darf der Haftende idR nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die Einbringung der Abgabe beim Hauptschuldner gefährdet oder wesentlich ersch­wert wäre oder wenn die Inanspruchnahme des Hauptschuldners aus rechtlichen Gründen nicht möglich oder nicht zulässig wäre (s Ritz, BAO6, § 7 Rz 6).

Neben der Nachrangigkeit (der Subsidiarität als Ermessens­richtlinie) sind bei der Ermessensübung zB zu berücksichtigen:

  • die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Haftungs­pflichtigen,

  • der Grundsatz von Treu und Glauben,

  • die Uneinbringlichkeit beim Haftungs­pflichtigen selbst,

  • das öffentliche Interesse an einem gesicherten und zeitnahen Abgabenaufkommen sowie

  • die Einbringlichkeit der Abgaben-(Haftungs-)schuld.

Die Ermessenübung ist von der Behörde zu begründen ( § 93 Abs 3 lit a BAO).

Aus folgenden Umständen ist die gewählte Sicherungsmaßnahme nach Ansicht des Gerichtes unbillig:

Mit dem Begriff der „Billigkeit“, der in erster Deutung als Gebot der Bedachtnahme auf die Interessen der Partei verstanden werden kann, also auf die Angemessenheit einer Lösung in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei, sind je nach den Besonderheiten des Sachverhaltes und der anzuwendenden Ermessenbestimmung die wirtschaftlichen Verhältnisse zu würdigen, ferner auch das bisher redliche oder unredliche Verhalten des Abgabepflichtigen, seine Einstellung zum Recht und zu seinen abgabenrechtlichen Pflichten, wie überhaupt Abgabenehrlichkeit, das ernsthafte Bemühen um Erfüllung abgabenrechtlicher Obliegenheiten, wie insbesondere die Erfüllung von Meldepflichten gegenüber der Abgabenbehörde sowie die Offenlegungs- und Wahrheitspflichten (siehe Stoll, BAO Kommentar, Band I, 208).

                                          Zusammenfassung

A) Ein gemeinsamer Haushalt zwischen KV und KM (=Bfin) - auch nicht aus den aktenkundigen Formularen E 401 und deren Übersetzungen v. u. v. mangels konkreter Zeitraumangabe - konnte jedoch vom Gericht nicht als erwiesen angenommen werden.

Auf die Beweiswürdigung gem. § 167 BAO wird in diesem Zusammenhang  verwiesen.

B) Zudem wurde aus Unbilligkeitsgründen auf der Ebene der Ermessensausübung  zugunsten der beschwerdeführenden Kindesmutter entschieden. Diesen Gründen war vor Zweckmäßigkeitsüberlegungen (öffentliches Interesse) der Vorzug zu geben. 

Aus verfahrensökonomischen Gründen wurde auch von einer Maßnahme im Sinne einer Zurückverweisung an die Abgabenbehörde Abstand genommen. 

Aus den angeführten Gründen war daher - wie im Spruch ersichtlich -zu entscheiden.

Unzulässigkeit einer (ordentlichen) Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Verfahren handelt es sich weder um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung noch fehlt eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und die zu lösende Rechtsfrage wurde in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht uneinheitlich beantwortet. Das Bundesfinanzgericht ist in rechtlicher Hinsicht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (, 94/14/0049) gefolgt. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht zulässig. 

Hinweis zum 2. COVID-19-Gesetz

Abweichend von der folgenden Rechtsbelehrung beginnt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen diese Entscheidung – sofern diese vor dem zugestellt wurde -  mit zu laufen (§ 6 Abs. 2 i. V. m. § 1 Abs. 1 Art. 16 2. COVID-19-Gesetz BGBl. I Nr. 16/2020).

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Schlagworte
Differenzzahlungen
Unbilligkeit
Ermessen
Rückforderungsbescheid beim Kindesvater
Haftungsbescheid bei der Kindesmutter
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.5100527.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at