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Bescheidbeschwerde – Einzel – Beschluss, BFG vom 07.04.2020, RV/2100044/2020

Beschränkte oder unbeschränkte Steuerpflicht in Österreich?

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht (BFG) hat durch die Richterin N.N. in der Beschwerdesache der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt X vom betreffend Einkommensteuer 2017 beschlossen:

Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2017 vom und die dazu ergangene Beschwerdevorentscheidung vom 27.Sept. 2019 werden gemäß § 278 Abs. 1 BAO aufgehoben und die Sache zur Durchführung weiterer Ermittlungen (§ 115 BAO) an die Abgabenbehörde zurückverwiesen. 

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Im anhängigen Rechtsmittelverfahren war zu klären, ob die Beschwerdeführerin (Bf) im Jahr 2017 ab August in Österreich der unbeschränkten Steuerpflicht unterlag (Standpunkt der Bf) oder beschränkt steuerpflichtig war (Standpunkt der Abgabenbehörde).

Im angefochtenen Einkommensteuer-(ESt-) Bescheid 2017 erfasste das Finanzamt X (FA) im Rahmen einer beschränkten Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 3 EStG 1988 Einkünfte aus einer von der Bf in Österreich ausgeübten Tätigkeit als selbständige Masseurin (Physiotherapeutin) in erklärter Höhe, ohne die Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG 1988 zu begründen.

Die Beschwerde gegen diesen Bescheid führt aus, dass die Bf der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 EStG 1988 unterliege, da der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in Österreich gelegen sei. Sie habe ausschließlich in Österreich Einkünfte erwirtschaftet. Ihr gewöhnlicher Aufenthalt befinde sich in Österreich. Die der Behörde bekannte Wohnadresse in Deutschland stamme aus einer Zeit als sie ausschließlich Einkünfte in Deutschland bezogen habe und sei vorerst „nur aus Eigentumsgründen“ beibehalten worden.

In einer Beschwerdeergänzung verweist die Bf darauf, dass ihre Beschwerde als Antrag nach § 1 Abs. 4 EStG 1988 auf Behandlung als unbeschränkt steuerpflichtig zu verstehen sei. Betont wird, dass die Bf ausschließlich Einkünfte im Sinne des § 98 EStG 1988 aus ihrer freiberuflichen Tätigkeit bezogen habe.

Das FA begründet seinen unveränderten Standpunkt in einer abweisenden Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom 27.Sept.2019 damit, dass die Bf im durchgeführten Ermittlungsverfahren trotz mehrmaliger Aufforderung bzw. Erinnerung und monatelanger Fristeinräumung das übermittelte Formular E9 (Bescheinigung EU/EWR der ausländischen Steuerbehörde) nicht beigebracht habe und damit der erforderliche Nachweis fehle. Eine Eingabe der steuerlichen Vertretung der Bf sei als Nachweis unzureichend.

Im Vorlageantrag an das BFG verweist die Bf darauf, dass die Verzögerung hinsichtlich der Lohnzettelvorlage ihres ehemaligen Arbeitgebers (nichtselbständige Tätigkeit von 1.1. – in Deutschland) nicht in ihrer Einflusssphäre gelegen sei.

Im Übrigen sei ihr die Beibringung der angeforderten Nachweise (Bestätigung Formular E9 der deutschen und der slowenischen Steuerbehörde) nicht zumutbar. In Deutschland habe sie als ausschließlich unselbständig Beschäftigte über keine Steuernummer verfügt bzw. sei nicht der Veranlagung unterlegen.

Zu Slowenien beschränke sich ihr Bezugspunkt auf den Aufenthalt ihrer beim Vater im Nachbarland lebenden Kinder. Sie selbst sei in Slowenien weder ansässig noch je steuerlich erfasst gewesen. Mangels Kenntnis des für sie in Slowenien zuständigen Finanzamtes sei ihr die Beibringung der vom FA geforderten Bestätigung (Formular E9) auch für Slowenien unzumutbar. Für das FA wäre es leichter diese Bestätigung im Wege der Amtshilfe einzuholen.

Wiederholend verweist die Bf darauf, dass ihr Aufenthaltsland Österreich sei, wo sie auch von Beginn an eine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe.

Im Vorlagebericht an das BFG hält die Abgabenbehörde aufgrund des Ergebnisses des durchgeführten Ermittlungsverfahrens weiterhin am Vorliegen einer beschränkten Steuerpflicht der Bf fest, wobei angemerkt wird, dass es nicht Aufgabe des FA sein könne, im Zuge der Amtshilfe die nötigen Bestätigungen einzufordern.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

I. Auf Basis des durchgeführten Ermittlungsverfahrens (Auswertung der FA-Vorlageunterlagen und des BFG-Vorhalteverfahrens sowie von FA-, ZMR- und EKIS- Datenbankinhalten) legt das BFG der gegenständlichen Entscheidung folgenden als erwiesen erachteten Sachverhalt zugrunde:

Die Bf, eine lt. ZMR-Daten ledige deutsche Staatsbürgerin, war bis als Dienstnehmerin in einer Praxis für Physiotherapie und Osteopathie in München tätig.

Lt. Lohnzettel erhielt sie dort im Zeitraum 1.1.- einen Nettobezug von 13.520,08 €, wobei ein Kinderfreibetrag für ein Kind berücksichtigt wurde. Der Lohnzettel weist eine Wohnadresse der Bf in München aus, die nicht ident ist mit deren gegenüber dem FA angegebenen deutschen Wohnadresse in Bayern.

Ein Österreichbezug der Bf findet sich in den Verfahrensunterlagen ab August 2017.

Über eine meldebehördliche Adresse in Österreich verfügt die Bf erst seit 23.Sept. 2019.

Nach den abgabenbehördlichen Ermittlungen übt die - von Beginn an steuerlich vertretene - Bf seit am Standort in 9999 (Bezirksstadt), (Betriebsadresse) (auch 9999 (Ortsname), (Betriebsadresse)) auf selbständiger Basis eine Tätigkeit als Masseurin (Physiotherapeutin) aus (abgabenrechtlich Einkünfte aus Gewerbetrieb).

Über die örtlichen Verhältnisse am Betriebsstandort und die organisatorische Abwicklung der Geschäftsabläufe (Kundenbehandlung in den Betriebsräumlichkeiten oder im Rahmen von Hausbesuchen) ist nichts bekannt. Ebenso fehlen der Mietvertrag bzw. die Daten eines allenfalls mündlich vereinbarten Mietverhältnisses zu den Geschäftsräumlichkeiten.

Bekannt ist lediglich, dass die Bf eine Miete in Höhe 15% ihres Stundenlohnes (73,- €) zu bezahlen hat (Quelle: Niederschrift zur FA-Nachschau vom 15.Sept. 2017). Über den/die Vermieter(in), Beginn und Dauer des Mietverhältnisses, das Mietobjekt (Größe, Ausstattung) oder die Nebenkosten (Betriebs-, Heizungs-, Stromkosten) liegen keine Informationen vor. Ebenso ist ungeklärt, wie die laufende Bezahlung des Nutzungsentgelts abgewickelt wird (Akontierung/Endabrechnung, Zahlungsweg).

Über die Wohnsituation der Bf im Verfahrenszeitraum liegen keine belastbaren Erhebungsergebnisse vor.

Aufgrund der Art der beruflichen Tätigkeit der Bf steht für das BFG allerdings fest, dass die Bf im Verfahrenszeitraum über eine Wohngelegenheit verfügt haben muss, die ihr eine regelmäßige persönliche Betreuung ihrer Kunden ermöglichte. Die in den abgabenbehördlichen Vorlageunterlagen bzw. in der ESt-Erklärung 2017 angegebene Wohnadresse in Deutschland eignet sich dafür aufgrund der Entfernung nicht.

Über die Wohnsituation der Bf in (Inlandsort) (= ZMR-Adresse ab 9/2019) liegen zwar ebenfalls nur sehr unzureichende Ermittlungsergebnisse vor, doch erweist sich dies nur als entscheidungsrelevant, wenn eine Nutzung im Verfahrenszeitraum erwiesen wird.

Ob und ggfs. wo sich im Verfahrenszeitraum eine Wohngelegenheit der Bf im Inland oder allenfalls im angrenzenden Ausland (Slowenien) befand, von der aus eine laufende Kundenbetreuung durch die Bf stattfand, kann vom BFG mangels entsprechender abgabenbehördlicher Ermittlungen nicht festgestellt werden. Ebenso blieb deshalb ungeklärt, ob einer allfälligen inländischen Wohngelegenheit die Qualität einer Wohnung im Sinne der abgabenrechtlichen Bestimmungen zukam.

Auch zum gewöhnlichen Aufenthalt der Bf im Verfahrenszeitraum können, wegen des Unterbleibens der nötigen Ermittlungen durch die vom BFG gemäß § 269 Abs. 2 BAO beauftragte Abgabenbehörde, keine Feststellungen getroffen werden.

II. Gemäß § 1 Abs. 2 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG) sind unbeschränkt steuerpflichtig „jene natürlichen Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf alle in- und ausländischen Einkünfte.“

Beschränkt steuerpflichtig sind jene natürlichen Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die beschränkte Steuerpflicht erstreckt sich nur auf die im § 98 aufgezählten Einkünfte (§ 1 Abs. 3 EStG 1988).

§ 1 Abs. 4 EStG 1988 lautet: „Auf Antrag werden auch Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union (….) als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 98 haben. Dies gilt nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90% der österreichischen Einkommensteuer unterliegen oder wenn die nicht der österreichischen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte nicht mehr als 11 000 Euro betragen. Inländische Einkünfte, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nur der Höhe nach beschränkt besteuert werden dürfen, gelten in diesem Zusammenhang als nicht der österreichischen Einkommensteuer unterliegend. Die Höhe der nicht der österreichischen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte ist durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Abgabenbehörde nachzuweisen. Der Antrag kann bis zum Eintritt der Rechtskraft des Bescheides gestellt werden.“

Der für die Anwendung der oa. Bestimmungen maßgebliche § 26 BAO definiert die Begriffe Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt wie folgt:

Abs. 1: „Einen Wohnsitz im Sinn der Abgabenvorschriften hat jemand dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.“

Abs. 2: „Den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn der Abgabenvorschriften hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt. Wenn Abgabenvorschriften die unbeschränkte Abgabepflicht an den gewöhnlichen Aufenthalt knüpfen, tritt diese jedoch stets dann ein, wenn der Aufenthalt im Inland länger als sechs Monate dauert. In diesem Fall erstreckt sich die Abgabepflicht auch auf die ersten sechs Monate.“….

§ 115 Abs. 1 BAO verpflichtet die Abgabenbehörden dazu, die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln.

Diese Verpflichtung der Behörde wird unter bestimmten Umständen, zu welchen insbesondere Sachverhalte mit Auslandsbezug gehören, durch eine erhöhte Mitwirkungspflicht der Abgabepflichtigen eingeschränkt.

Im Gegenzug normiert § 119 Abs. 1 BAO für die Abgabepflichtigen eine Verpflichtung zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Offenlegung aller für den Bestand und Umfang einer Abgabepflicht oder für die Erlangung abgabenrechtlicher Begünstigungen bedeutsamen Umstände nach Maßgabe der Abgabenvorschriften.

Auf Verlangen der Abgabenbehörde haben Abgabepflichtige in Erfüllung dieser Offenlegungspflicht zur Beseitigung von Zweifeln den Inhalt ihrer Anbringen zu erläutern und zu ergänzen sowie dessen Richtigkeit zu beweisen bzw. bei Unzumutbarkeit der Beweisführung zumindest glaubhaft zu machen (§ 138 Abs. 1 BAO).

Glaubhaftmachung hat den Nachweis der Wahrscheinlichkeit zum Gegenstand und unterliegt den Regeln der freien Beweiswürdigung. Als glaubhaft gemacht ist ein vermuteter Sachverhalt nur anzusehen, wenn die Umstände des Einzelfalles dafür sprechen, dass der vermutete Sachverhalt von allen anderen denkbaren Möglichkeiten die größte Wahrscheinlichkeit für sich hat (; ; ).

Bei Bedenken gegen die Richtigkeit von Angaben in der Abgabenerklärung hat die Abgabenbehörde die zur Erforschung des Sachverhaltes nötigen Ermittlungen vorzunehmen und erforderlichen Beweise aufzunehmen. Dazu kann sie den Abgabepflichtigen unter Bekanntgabe der Bedenken zur Aufklärung bestimmter Angaben auffordern. Vor beabsichtigten Abweichungen von der Abgabenerklärung sind dem Abgabepflichtigen die wesentlichen Punkte zur Äußerung mitzuteilen (§ 161 BAO).

Angaben der Abgabepflichtigen sind von der Abgabenbehörde auch zugunsten der Abgabepflichtigen zu prüfen und zu würdigen. ( § 115 Abs. 3 BAO) .

Ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht, hat die Abgabenbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen (§ 167 Abs. 2 BAO).

Zufolge § 2a BAO gelten die angeführten Verfahrensgrundsätze auch im finanzgerichtlichen Verfahren.

Eine Außerkraftsetzung der angeführten Verfahrensgrundsätze als Rechtsfolge einer Verletzung der abgabenrechtlichen Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen sieht die BAO nicht vor.

III. Vor dem Hintergrund der festgestellten Sach- und der dargestellten Rechtslage erweist sich das dem BFG zur Entscheidung vorgelegte Rechtmittel wegen des Unterbleibens wesentlicher Sachverhaltsermittlungen als nicht entscheidungsreif.

Das Vorliegen der unbeschränkten Steuerpflicht aufgrund eines inländischen Wohnsitzes setzt nach der VwGH-Rechtsprechung zu § 26 Abs. 1 BAO voraus, dass die Bf über Räumlichkeiten verfügte, die nach der Verkehrsauffassung ohne wesentliche Änderungen jederzeit zum Wohnen benutzt werden konnten, die sie im Sinne einer „Schlüsselgewalt“ zudem jederzeit ohne Zustimmung Dritter für eigene Wohnzwecke nutzen konnte und auch tatsächlich regelmäßig über eine längere Zeit dafür nutzte. Das bloße Überlassen eines (Gäste-)Zimmers zur vorübergehenden Nutzung begründet demnach keinen Wohnsitz (z.B. ; ; ; ).

Beim Merkmal des Wohnsitzes muss es sich weder um den einzigen Wohnsitz der Bf, noch um einen melderechtlichen Hauptwohnsitz oder überhaupt um einen polizeilich gemeldeten Wohnsitz handeln. Es müssen aber die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 BAO nach der tatsächlichen Gestaltung kumulativ erfüllt sein. Lagen diese Voraussetzungen vor, schadet es für die Begründung eines Wohnsitzes nicht, wenn sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Bf im Ausland befand (vgl. ; ; mwV).

Nur für den Fall, dass die Bf über keinen inländischen Wohnsitz iSd § 26 Abs. 1 BAO verfügte, kommt es für das Vorliegen der unbeschränkten Steuerpflicht darauf an, ob sich ihr (einziger) gewöhnlicher Aufenthalt ab August 2017 in Österreich befand (). Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine tägliche Rückkehr zum ausländischen Wohnsitz nach der Arbeitsausübung (nach Art eines Grenzgängers) keinen inländischen Aufenthalt begründet. Hält sich jemand jedoch während der Woche am Betriebsort im Inland auf und kehrt er nur am Wochenende zur Familie ins Ausland zurück, kann die betriebliche Bindung für den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland genügen (; ).

Da die inländische Tätigkeit der Bf als selbständige Masseurin nach dem Ergebnis des anhängigen Ermittlungsverfahrens auf Dauer angelegt war () und im Übrigen auch tatsächlich bereits deutlich länger als 6 Monate andauert, traten im Fall der Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts die Rechtsfolgen bereits rückwirkend mit ein (§ 26 Abs. 2 BAO), womit auch die in Deutschland erzielten nichtselbständigen Einkünfte der Bf – nach den Bestimmungen des DBA D/Ö – für die Veranlagung relevant waren.

Für das anhängige Verfahren kommt es somit entscheidend darauf an, ob die Bf im Verfahrenszeitraum über einen inländischen Wohnsitz verfügte oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hatte.

Die Beantwortung dieser primär auf der Sachverhaltsebene zu lösenden Fragestellung ist auf Basis des bisherigen Verfahrensergebnisses nicht möglich, da wesentlichen Aspekten zur Beurteilung der entscheidungsrelevanten Merkmale nicht oder nur unzureichend bzw. in nicht nachprüfbarer Weise nachgegangenen wurde. Entsprechend fehlen b elastbare Beweismittel sowohl für einen inländischen als auch für einen slowenischen Wohnsitz, aber auch zum gewöhnlichen Aufenthalt der Bf im Verfahrenszeitraum.

Tatsächlich finden sich etwa zum Themenbereich „Slowenien-Bezug“ der Bf neben dem Hinweis im Vorlagebericht (wonach „die Kinder“ bei ihrem Vater im Nachbarland leben), ausschließlich von Behördenorganen verfasste Dokumente, in welchen ein Wohnsitz der Bf bei ihrer Familie („Gatte“, „Kinder“) ohne erkennbare Überprüfung des Wahrheitsgehalts unterstellt wird (Vorlageunterlagen, Oz 8, 9 und 12).

Da weiterführende Unterlagen fehlen, geht das BFG von bloßen Vermutungen des FA aus. Diese erscheinen durch das weitere Verfahrensergebnis jedoch nicht erhärtet, zumal keine Erhebungen über einen Wohnsitz der Bf in Slowenien durchgeführt wurden.

Nachdem allein die Divergenz betreffend den Familienstand der Bf (lt. ZMR ledig) bzw. die Zahl ihrer Kinder (lt. dt. Lohnzettel Kinderfreibetrag für ein Kind) Klärungsbedarf aufwirft, erscheint die Glaubwürdigkeit der angeführten Vermutungen insgesamt in Frage gestellt. Daran ändern auch die Bezug habenden Ausführungen im Vorlagebericht nichts, die sich ebenfalls auf keine Nachweise stützen.

Zudem ist zu bedenken, dass ein Wohnsitz der Bf im Slowenien deren unbeschränkte Steuerpflicht in Österreich nicht per se ausschloss, solange sie zugleich über einen Wohnsitz in Österreich verfügte oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte. Auch dazu unterblieben für den Verfahrenszeitraum allerdings - trotz finanzgerichtlichen Auftrages an die Abgabenbehörde (§ 269 Abs. 2 BAO) - zielführende Ermittlungen.

Festzuhalten ist, dass nach dem Gesamtbild des Verfahrensergebnisses vom FA weder die beruflichen noch die verfahrensrelevanten privaten Lebensumstände der Bf in einer Form erhoben wurden, die sich als tragfähige Grundlage für eine Sachverhaltsfeststellung im anhängigen Verfahren eignen.

Zunächst erwecken die zur steuerlichen Ersterfassung der Bf vorgelegten Unterlagen (= OZ 6-8) den Eindruck, dass im Rahmen der Nachschau anlässlich der Betriebsneugründung („Antrittsbesuch“) weder eine Betriebsbesichtigung erfolgte, noch ein persönlicher Kontakt mit der Bf zustande kam (entsprechende Feststellungen in der Niederschrift vom 15.Sept. 2017 fehlen, Unterfertigung der Niederschrift durch die steuerliche Vertretung der Bf).

Im Zuge des abgabenbehördlichen Rechtsmittelverfahrens wurde zwar mehrmals erfolglos sowohl schriftlich als auch telefonisch mit der Bf bzw. deren steuerlicher Vertretung Kontakt aufgenommen, um die Beibringung der von den zuständigen Abgabenbehörden in Deutschland und Slowenien bestätigten Formulare E9 sowie die Bekanntgabe ihrer slowenischen Wohnadresse zu erwirken.

An weiteren Ermittlungsmaßnahmen der Abgabenbehörde über „die (in- und/oder ausländischen) Wohn-/ Aufenthalts- und Lebensverhältnisse der Bf im Zeitraum August ‑– Dez. 2017“ ist aber - trotz expliziten finanzgerichtlichen Auftrages zur Nachreichung belastbarer Unterlagen/Beweismittel – lediglich eine Vorladung der Bf zu einer persönlichen Befragung im FA am dokumentiert, der die Bf allerdings mit Hinweis auf einen Auslandsaufenthalt an diesem Tag (Familienfeier in Deutschland) nicht nachkam.

Den Vertagungsantrag ihrer steuerlichen Vertretung vom erachtete das FA „in Zeiten von Corona“ als „nicht sinnvoll“.

Infolge der Abstandnahme von der Parteienbefragung blieb, abgesehen von der Klärung des Familienstandes der Bf und der Zahl ihrer Kinder (oder etwa auch des Beschwerdehinweises auf ein vorläufiges Beibehalten des deutschen Wohnsitzes „aus Eigentumsgründen“) insbesondere auch offen, wie die berufliche Tätigkeit der Bf im Verfahrenszeitraum organisiert war und wo bzw. unter welchen Umständen sie in dieser Zeit wohnte bzw. sich tatsächlich aufhielt.

Zugleich wurden weder ein Augenschein zur Feststellung der örtlichen Verhältnisse am Betriebsort in (Bezirksstadt) nachgeholt (an dem sich lt. Aktenvermerk zur telefonischen Auskunft der steuerlichen Vertretung vom (Vorlageunterlagen, OZ 17) im Verfahrenszeitraum (?) zugleich der inländische Wohnort der Bf befunden haben soll), noch Erhebungen bei Nachbarn im Umfeld des Betriebsstandortes.

Auch dem Mietverhältnis zu den Betriebsräumlichkeiten oder dem dortigen Stromverbrauch in der fraglichen Zeit ging das FA nicht nach.

Ebenso nahm es Abstand von einer Überprüfung der Buchhaltungsunterlagen der Bf zur Feststellung und Befragung ihres Kundenstocks (lt. Niederschrift vom 15.Sept. 2017 keine Bargeschäfte), der angefallenen Fahrtkosten (lt. EKIS 2017 keine inländ. Kfz-Zulassung für die Bf) oder den Örtlichkeiten betreffend die Betriebsmitteleinkäufe der Bf.

Nicht zuletzt unterließ das FA auch Ermittlungen beim Telefonanbieter/Netzbetreiber der Bf zur Feststellung ihres (Auslands-) Telefonverhaltens (Telefonrechnungen mit verrechneten Auslandstarifen).

Aus derartigen Überprüfungen waren auch Aufschlüsse über Beginn und Häufigkeit allfälliger Nächtigungen der Bf an der „Schlafstelle“ in (Inlandsort) zu erwarten (ggfs. ergänzt durch weitere Ermittlungsmaßnahmen, etwa formelle Zeugenbefragungen der beiden Unterkunftgeber oder Ortsaugenschein), um die Relevanz des dbzgl. Vorbringens (Eingabe der steuerlichen Vertretung vom ) für das anhängige Verfahren zu klären.

Bei der stattdessen vorgenommenen telefonischen Befragung eines ortskundigen Gemeindebediensteten durch das FA kamen zwar Zweifel auf, ob der nunmehrige meldebehördliche Hauptwohnsitz der Bf (aktuell?) überhaupt bewohnt (bewohnbar?) sei, ergänzende FA-Ermittlungen zur Abklärungen unterblieben allerdings.

Alle genannten Erhebungsmaßnahmen sind vor Ort durchführbar und für die Abgabenbehörde zweifellos nicht nur zumutbar, sondern im Rahmen ihrer Verpflichtung zur materiellen Wahrheitsfindung (§ 115 BAO) auch insoweit geboten, als sie für eine ordnungsgemäße Sachverhaltsfeststellung zur Beantwortung der an das BFG herangetragenen Frage erforderlich sind.

Im fortgesetzten abgabenbehördlichen Verfahren wird für beide Verfahrensparteien Gelegenheit sein, die für die Feststellung eines inländischen Wohnsitzes der Bf bzw. deren gewöhnlichen Aufenthalts in Österreich im Verfahrenszeitraum maßgebliche Sachlage im Wege der angeführten bzw. ggfs. auch anderer zweckmäßiger Ermittlungen zu klären und durch geeignete Beweismittel zu erhärten, wobei den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Verfahrensökonomie Rechnung zu tragen und das Parteiengehör zu beachten sein wird.

Die Frage nach ergänzenden Ermittlungen im Ausland im Wege der Amtshilfe wird sich aus verfahrensökonomischen Gründen erst stellen, wenn unter Ausschöpfung der inländischen Ermittlungsmöglichkeiten kein belastbares Gesamtbild für die Beurteilung der beschränkten oder unbeschränkten Steuerpflicht der Bf im Verfahrenszeitraum zu gewinnen ist.

Insofern bleibt festzuhalten, dass erst in diesem Verfahrensstadium die erhöhte Mitwirkungspflicht der Bf wegen Auslandsbezugs (§ 115 BAO) zum Tragen kommt.

Eine grundsätzliche Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme ausländischer Abgabenbehörden durch das FA im Wege der Amtshilfe ist für das BFG im anhängigen Verfahren nicht zu erkennen.

Im Zusammenhang mit der Anwendung des § 1 Abs. 4 EStG 1988 ist schließlich zu berücksichtigen, dass bei Vorliegen einer unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 EStG 1988 das Optionsrecht nach § 1 Abs 4 EStG 1988 entfällt, da als eine Tatbestandsvoraussetzung der zuletzt genannten Bestimmung, bei Steuerpflichtigen im betreffenden Veranlagungszeitraum weder das Merkmal eines inländischen Wohnsitzes noch des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland erfüllt sein darf (vgl. -I06).

Nur zur Anwendung der Bestimmung des § 1 Abs. 4 EStG 1988, somit nur bei festgestellter beschränkter Steuerpflicht der Bf und mindestens 90%iger Einkommenserzielung aus der in Österreich ausgeübten Tätigkeit als selbständige Masseurin (§ 98 EStG 1988), bedarf es im Übrigen der Beibringung einer Bestätigung durch die ausländische(n) Steuerbehörde(n) mittels Formular E 9.

IV. Gem. § 278 Abs. 1 BAO kann das BFG die Beschwerde mit Beschluss durch Aufhebung der angefochtenen Bescheide und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1 BAO) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anderslautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung unterbleiben hätte können.

Wie vorstehend detailliert dargestellt wurde, blieben im erstinstanzlichen Verfahren die wesentlichen Sachverhaltsfragen ungeklärt, von deren Feststellung es abhängt, ob ein anderslautender Bescheid zu erlassen gewesen wären.

Die Durchführung der zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen umfangreichen Ermittlungen durch das BFG ist im anhängigen Verfahren weder im Interesse der Raschheit gelegen, noch mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden, da das BFG zur Beachtung des Parteiengehörs (115 Abs. 2 BAO) sämtliche Ermittlungsergebnisse der jeweils anderen Verfahrenspartei schriftlich zur Stellungnahme bzw. Gegenäußerung zur Kenntnis zu bringen hat. Im Übrigen müsste das BFG, das über keinen Erhebungsapparat verfügt, die ausstehenden Erhebungsschritte in Hinblick auf den Umfang der nachzuholenden Erhebungen ohnehin neuerlich gemäß § 269 Abs. 2 BAO durch die Abgabenbehörde durchführen lassen.

Nicht zuletzt kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, dass eine erstmalige Ermittlung weiter Bereiche des entscheidungsrelevanten Sachverhalts durch das BFG zu einer Verlagerung wesentlicher Verfahrensabschnitte an die Kontrollinstanz führt und damit die Gefahr einer Einschränkung jenes Rechtsschutzes birgt, welcher der Installierung des BFG als Rechtsmitteleinrichtung zu Grunde liegt (vgl. Ritz, BAO6, Kommentar, Tz. 5 zu§ 278 BAO).

Durch die Aufhebung der angefochtenen Bescheide tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieser Bescheide befunden hat (§ 278 Abs. 3 BAO).

Für das weitere abgabenbehördliche Verfahren ist auf die Bestimmung des § 209a Abs. 5 BAO zu verweisen.

Die Verpflichtung der Abgabenbehörde zur Durchführung der erforderlichen ergänzenden Ermittlungen ergibt sich aus § 282 BAO.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die gegenständliche Aufhebung des angefochtenen Bescheides (samt dazu ergangener BVE) und Zurückverweisung an die Abgabenbehörde erfolgt wegen unzureichender Ermittlungsgrundlagen auf Sachverhaltsebene und nicht aufgrund strittiger Rechtsfragen.

Die Zulässigkeit einer Bescheidaufhebung und Zurückverweisung an die Abgabenbehörde zur ergänzenden Durchführung umfangreicher, entscheidungswesentlicher Sachverhaltserhebungen wurde vom VwGH u.a. in der Entscheidung vom , 2002/20/0315 bestätigt. Die gegenständliche Entscheidung wirft dazu keine ungeklärten Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 1 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 1 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 1 Abs. 4 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 115 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 119 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 138 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 115 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 167 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 26 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 269 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 98 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 278 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 278 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 209a Abs. 5 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 26 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 115 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 261 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.2100044.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at