Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 24.03.2020, RV/7100392/2017

Haftung gemäß § 12 BAO - Datenbankabfrage beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger als Unterbrechungshandlung gemäß § 238 Abs. 2 BAO. Teilweise Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheides, weil der Haftungspflichtigen keine Kenntnis vom Inhalt der dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Bescheide verschafft wurde

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat in der Beschwerdesache N.N., Adresse1, vertreten durch Mag. DI Markus Petrowsky, Rechtsanwalt, Rainergasse 4, 1040 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 4/5/10 vom betreffend Haftung gemäß § 12 BAO zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben und die Haftung auf einen Betrag von € 13.310,43 (statt bisher € 34.521,16), und zwar auf folgende Abgabenschuldigkeiten eingeschränkt:

Umsatzsteuer 01/2006 in Höhe von € 1.538,80
Umsatzsteuer 03/2006 in Höhe von € 908,89
Umsatzsteuer 04/2006 in Höhe von € 1.160,93
Umsatzsteuer 05/2006 in Höhe von € 1.265,41
Umsatzsteuer 06/2006 in Höhe von € 1.235,41
Umsatzsteuer 07/2006 in Höhe von € 509,90
Umsatzsteuer 08/2006 in Höhe von € 1.105,31
Umsatzsteuer 09/2006 in Höhe von € 202,71
Umsatzsteuer 10/2006 in Höhe von € 462,33
Umsatzsteuer 11/2006 in Höhe von € 383,86
Umsatzsteuer 12/2006 in Höhe von € 416,47
Umsatzsteuer 01/2007 in Höhe von € 1.203,91
Umsatzsteuer 02/2007 in Höhe von € 781,02
Umsatzsteuer 03/2007 in Höhe von € 276,30
Umsatzsteuer 05/2007 in Höhe von € 6,23
Umsatzsteuer 06/2007 in Höhe von € 1.852,95

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom wurde die nunmehrige Beschwerdeführerin N.N. (vormals L.N. - in der Folge kurz Bf. genannt) als Haftungspflichtige gemäß § 12 BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der Fa. X-KG, FN *****, im Ausmaß von € 34.521,16
in Anspruch genommen und aufgefordert, diesen Betrag innerhalb eines Monats ab Zustellung dieses Bescheides zu entrichten.
Die Haftung wurde hinsichtlich folgender aushaftender Abgabenschuldigkeiten geltend
gemacht:

Umsatzsteuer 2004  in Höhe von € 3.693,94
Säumniszuschlag 1 2005 in Höhe von € 165,58
Umsatzsteuer 01-11/2005 in Höhe von € 10,157,10
Säumniszuschlag 2 2005 in Höhe von € 82,79
Säumniszuschlag 1 2006 in Höhe von € 234,74
Umsatzsteuer 01/2006 in Höhe von € 1.538,80
Umsatzsteuer 03/2006 in Höhe von € 908,89
Verspätungszuschlag 01/2006 in Höhe von € 123,10
Säumniszuschlag 3 2005 in Höhe von € 82,79
Umsatzsteuer 04/2006 in Höhe von € 1.160.93
Umsatzsteuer 05/2006 in Höhe von € 1.265,41
Umsatzsteuer 06/2006 in Höhe von € 1.235,41
Umsatzsteuer 07/2006 in Höhe von € 509,90
Säumniszuschlag 2 2006 in Höhe von € 101,57
Umsatzsteuer 08/2006 in Höhe von € 1.105,31
Verspätungszuschlag 04/2006 in Höhe von € 92,87
Verspätungszuschlag 05/2006 in Höhe von € 101,23
Verspätungszuschlag 06/2006 in Höhe von € 98,83
Umsatzsteuer 09/2006 in Höhe von € 202,71
Umsatzsteuer 10/2006 in Höhe von € 462,33
Säumniszuschlag 3/2006 in Höhe von € 101,57
Umsatzsteuer 11/2006 in Höhe von € 383,86
Umsatzsteuer 12/2006 in Höhe von € 416,47
Umsatzsteuer 01/2007 in Höhe von € 1.203,91
Umsatzsteuer 02/2007 in Höhe von € 781,02
Umsatzsteuer 03/2007 in Höhe von € 276,30
Umsatzsteuer 05/2007 in Höhe von € 6,23
Umsatzsteuer 06/2007 in Höhe von € 1.852,95
Verspätungszuschlag 01/2007 in Höhe von € 96,31
Verspätungszuschlag 02/2007 in Höhe von € 62,48
Verspätungszuschlag 06/2007 in Höhe von € 92,65
Umsatzsteuer 2006 in Höhe von € 28,56
Lohnsteuer 2006 in Höhe von € 991,47
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag 2006 in Höhe von € 145,70
Dienstgeberbeitrag 2006 in Höhe von € 1.639,15
Dienstgeberbeitrag 2007 in Höhe von € 872,71
Lohnsteuer 2007 in Höhe von € 1.432,79
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag 2007 in Höhe von € 77,57
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag 2008 in Höhe von € 19,78
Lohnsteuer 2008 in Höhe von € 492,93
Dienstgeberbeitrag 2008 in Höhe von € 222,52

Zur Begründung wurde ausgeführt, gemäß § 12 BAO haften Gesellschafter von als solche Abgabepflichtigen und nach bürgerlichem Recht voll oder teilweise rechtsfähigen Personenvereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit persönlich für die Abgabenschulden der Personenvereinigung.

Komplementäre würden unmittelbar, primär, unbeschränkt, persönlich und solidarisch haften.

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Mit gegen diesen Haftungsbescheid eingebrachter Beschwerde vom  macht die Bf. Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend.

Der Bescheid werde zur Gänze aus nachstehenden Gründen angefochten:

"I. Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde:

Der Haftungsbescheid wurde laut vom Finanzamt übermittelten Unterlagen der
Beschwerdeführerin am durch Hinterlegung an der Anschrift Adresse2, zuzustellen versucht.

Eine rechtswirksame Zustellung lag aber nach Erinnerung der Beschwerdeführerin und
dem Informationsstand ihres Vertreters aus folgenden Gründen nicht vor:

1. Die Beschwerdeführerin hatte die Wohnung Adresse2 von Frau
A.B. als Vermieterin gemietet.

2. Wie bereits im Schuldenregulierungsverfahren dargelegt, konnte die
Beschwerdeführerin aber ab etwa 2006 ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlen,
weil ihr zum einen mehrere größere Schuldner ihrerseits nahezu gleichzeitig infolge eigener Insolvenz ausfielen, und zum anderen zugesagte Fördergelder erst nach
jahrelanger Verzögerung ausbezahlt worden waren und die Verzinsung der aufgenommenen Zwischenfinanzierungen deshalb nicht mehr bedient werden konnte.

So geriet die Beschwerdeführerin bereits ab 2007 auch mit ihren Mietzinszahlungen
in Verzug und wurde von der Vermieterin deshalb auf Zahlung und Räumung
geklagt.

Dies führte dazu, dass die Beschwerdeführerin schließlich auch die fragliche
Wohnung Adresse2 räumen musste, wobei sie es offenbar
übersehen hatte, sich rechtzeitig dort abzumelden.

Die Beschwerdeführerin war zu jener Zeit, nach ihrer Erinnerung spätestens ab April 2010 bei ihrem damaligen Lebensgefährten C.D. an dessen damaliger
Anschrift Adresse3 wohnhaft und aufhältig, durfte sich an
dieser Anschrift allerdings nicht anmelden, weil Hauptmieterin dieser Wohnung die
damalige Ehegattin von Herrn C.D. ist, welche mit der Anmeldung der
Beschwerdeführerin nicht einverstanden war.

Aus diesem Grunde hatte die Beschwerdeführerin offenbar auch übersehen, sich
rechtzeitig von ihrer früheren Wohnung an der genannten Anschrift in der
Adresse2 behördlich abzumelden.

Mangels tatsächlichen Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes an dieser Anschrift lag zur fraglichen Zeit aber dort keine gültige Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes vor, sodass die versuchte Zustellung an dieser Anschrift auch nicht rechtswirksam werden konnte.

Beweis: - Einvernahme der Beschwerdeführerin
Zeuge C.D., Adresse4
Zeugin A.B., Adresse5

3. Der fragliche Bescheid kam der Beschwerdeführerin auch sonst bis zum
niemals zu, bis zur Forderungsanmeldung des Finanzamtes in ihrem
Schuldenregulierungsverfahren am wusste sie auch niemals von dessen
Existenz. Erst über entsprechendes Ansuchen ihres nunmehrigen Vertreters wurde diesem am eine Ausfertigung dieses Bescheides zugestellt und damit die Beschwerdefrist in Lauf gesetzt. Die gegenständliche Beschwerde ist daher jedenfalls fristgerecht.

II. Zur Berechtigung der Beschwerde:

1. Aus anwaltlicher Vorsicht wird zunächst eingewendet, dass auch die fraglichen
Abgabenrückstände, hinsichtlich welcher mit dem bekämpften Bescheid die Haftung
der Beschwerdeführerin ausgesprochen wurde, nicht rechtswirksam bzw.
rechtskräftig festgesetzt wurden.

Der Beschwerdeführerin ist zwar bekannt und in Erinnerung, dass aufgrund der geschilderten Umstände auch Abgabenrückstände der Primärschuldnerin
bestanden, keinesfalls können diese aber die verfahrensgegenständliche Höhe
erreicht haben.

Sollte dies ungeachtet nachstehender Ausführungen relevant sein, beantragt die Beschwerdeführerin zunächst die Zustellung der zugrundeliegenden Bescheide an die Primärschuldnerin zu Händen des gefertigten Rechtsanwaltes zwecks
Einbringung allfälliger Rechtsmittel dagegen.

2. Hauptsächlich aber wird Verjährung der fraglichen Abgaben gemäß § 238 BAO
eingewendet. Nach Absatz 1 dieser Bestimmung verjährt das Recht, eine fällige
Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, binnen fünf Jahren nach Ablauf
des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch
früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe.

Verfahrensgegenständlich sind Abgaben ab dem Jahr 2004. Der fragliche Haftungsbescheid ist mit datiert. Seit damals hat die Behörde offensichtlich keinerlei die Verjährung unterbrechende oder hemmende Maßnahmen oder sonstige Schritte gesetzt, und zwar bis zur genannten Forderungsanmeldung am . Zu diesem Zeitpunkt war die Abgabenvollstreckung allerdings bereits verjährt, sodass diese Verbindlichkeiten infolge Verjährung erloschen sind. (Obgleich das Schuldenregulierungsverfahren bereits Ende 2014 eingeleitet wurde, erfolgte die Forderungsanmeldung erst im Februar 2016, sohin nach Verjährung der gegenständlichen Abgaben.) Diese Untätigkeit der Behörde führte schließlich auch dazu, dass die Beschwerdeführerin erst durch die nunmehrige Forderungsanmeldung von dem gegenständlichen Haftungsbescheid Kenntnis erlangen konnte.

Aus all den angeführten Gründen stellt die Beschwerdeführerin daher höflichst die

ANTRÄGE,

1. den verfahrensgegenständlichen Haftungsbescheid vom ersatzlos
aufzuheben und die Verjährung des Rechts zur Einbringung der
verfahrensgegenständlichen offenen Abgaben festzustellen,

in eventu

2. den verfahrensgegenständlichen Haftungsbescheid vom aufzuheben und der Behörde die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen."

-----

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die Abgabenhörde die Beschwerde der Bf. vom als unbegründet ab.

Zur Begründung wurde ausgeführt, die Zustellung des oben angeführten Haftungsbescheides sei rechtswirksam erfolgt, weil dem Finanzamt Wien 4/5/10, zum Zeitpunkt der Zustellung, keine andere/weitere Adresse bekannt gewesen sei.

Bezugnehmend auf die Annahme der Verjährung wird ausgeführt, am sei beim damals zuständigen Finanzamt Wien 2/20 ein Ansuchen um Zahlungserleichterung eingebracht und mit Bescheid vom diesem Ansuchen stattgegeben worden.

Am habe eine Begehung an der Adresse Adresse2 stattgefunden. Die Bf. sei dort angetroffen worden. Im Zuge der Begehung sei der Bf. der damals vollstreckbarer Rückstand in Höhe von € 29.616,80 in Form eines Rückstandsausweises und eines Vollstreckungsauftrages zur Kenntnis gebracht worden.

Mit Datum sei die Androhung der Versteigerung ausgesprochen worden. Das Schreiben sei an die Firmenadresse Adresse2 gegangen.

Am sei der Haftungsbescheid erstellt und an die dem Finanzamt bekannte Wohnadresse der Bf. Adresse2, versendet worden. Das Schreiben sei mit dem Vermerk „zurück, nicht behoben" retour gekommen.

Am sei eine Mahnung zum Haftungsbescheid vom ausgesprochen worden.

Am sei ein Versicherungsdatenauszug abgefragt worden.

Das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, verjähre binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden sei, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe.

Die Verjährung fälliger Abgaben werde durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung (beispielsweise durch Mahnung, durch Vollstreckungsmaßnahmen, durch Bewilligung einer Zahlungserleichterung oder durch Erlassung eines Haftungsbescheides) unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten sei, beginne die Verjährungsfrist neu zu laufen.

Anhand der Beilagen (diese dienten nur als Beweismittel) werde der Nachweis erbracht, dass zu keinem Zeitpunkt Verjährung eingetreten sei.

Beigelegt wurden der Beschwerdevorentscheidung:
- Ansuchen um Zahlungserleichterung vom ;
- Bescheid über Bewilligung der Zahlungserleichterung vom ;
- Androhung der Versteigerung vom ;
- SV-Abfrage vom

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Mit Schriftsatz vom beantragte die Bf. die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht, und zwar aus nachstehenden Gründen:

"1. Die erstinstanzliche Behörde geht offenbar von einer rechtswirksamen Zustellung des bekämpften Bescheides aus, weil ihr „zum Zeitpunkt der Zustellung keine andere/weitere Adresse bekannt" war.

Die Unkenntnis der Behörde begründet aber keine wirksame Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes, sodass dadurch definitiv keine Rechtwirksamkeit der seinerzeitigen Zustellung bewirkt wird.

2. Die Beschwerdeführerin hat nie bestritten, dass ihr gewisse Abgabenrückstände bekannt waren. Aus dem nunmehr übermittelten Bescheid vom ergeben sich zum damaligen Zeitpunkt Abgabenrückstände von insgesamt € 2.284,21.

" Laut gleichfalls übermittelter Androhung der Versteigerung vom 30.01,2009 sollen daraus bis dahin Abgabenrückstände von € 30.104,07 geworden sein.

Dies kann nicht rechtmäßig sein, zumal die Beschwerdeführerin in den Jahren dazwischen infolge Niedergangs ihres Unternehmens keine relevanten Einkünfte mehr erzielte, sich auch keine Steuerberatung zwecks ordnungsgemäßer Abgabe der Abgabenerklärungen mehr leisten konnte und zahlreiche Bescheide der Finanzverwaltung niemals bzw niemals rechtswirksam zugestellt wurden.

Der in der Beschwerde dazu (Seite 4 Punkt II. 1.) gestellte Antrag auf Zustellung der entsprechenden Primärbescheide ist weiterhin unerledigt aufrecht.

3. Die erstinstanzliche Behörde vermeint, die Einholung eines Versicherungsdatenauszuges am hätte die Verjährung der fraglichen Abgaben unterbrochen. Tatsächlich aber ist die Einholung eines Versicherungsdatenauszuges noch keinerlei nach außen erkennbare Amtshandlung zur Durchsetzung des Anspruches im Sinne des § 238 Abs 2 BAO (sondern bestenfalls eine Vorbereitungshandlung dazu) und konnte daher die Verjährung keineswegs unterbrechen.

Der Verjährungseinwand bleibt daher ausdrücklich aufrecht."

Über die Beschwerde  wurde erwogen:

Gemäß § 12 BAO haften die Gesellschafter von als solche abgabepflichtigen und nach bürgerlichem Recht voll oder teilweise rechtsfähigen Personenvereinigungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit persönlich für die Abgabenschulden der Personenvereinigung. Der Umfang ihrer Haftung richtet sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.

Laut Firmenbuch war die Bf. im Zeitraum bis zu deren Löschung im Firmenbuch wegen Vermögenslosigkeit am unbeschränkt haftende Gesellschafterin (Komplementärin) der Fa. X-KG, FN *****. Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom , Zl. *******, wurde der Konkurs über das Vermögen dieser Personengesellschaft mangels Vermögens abgewiesen.

Die Bf. haftet somit gemäß § 12 BAO iVm § 128 UGB unbeschränkt für die Steuerschulden dieser Personengesellschaft.

Rechtzeitigkeit der Beschwerde

Die Bf. wendet zunächst ein, ihre Meldeadresse Adresse2, sei zum Zeitpunkt des Versuches der Zustellung durch Hinterlegung des gegenständlichen Haftungsbescheides am keine Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes mehr gewesen. Eine rechtswirksame Zustellung sei zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgt. Sie sei ab 2007 mit ihren Mietzinszahlungen in Verzug geraten und von der Vermieterin deshalb auf Zahlung und Räumung geklagt worden, weshalb sie die Wohnung Adresse2, räumen habe müssen, wobei sie es offenbar übersehen habe, sich rechtzeitig dort abzumelden. Zum Zeitpunkt der fraglichen Zustellung, spätestens ab April 2010 sei sie bei ihrem damaligen Lebensgefährten C.D. an dessen damaliger Anschrift Adresse3 wohnhaft und aufhältig gewesen, habe sich aber an dieser Anschrift allerdings nicht anmelden dürfen, weil Hauptmieterin dieser Wohnung die damalige Ehegattin von Herrn C.D. gewesen sei, welche einer Anmeldung der Beschwerdeführerin nicht zugestimmt habe. 

Im Rahmen einer ausführlichen schriftlichen Zeugenaussage hat der ehemalige Lebensgefährte der Bf., C.D., dem Bundesfinanzgericht unter Wahrheitspflicht die Auskunft erteilt, dass die Bf. spätestens ab Februar 2010 bei ihm in der Wohnung Adresse3 eingezogen ist und im angefragten Zeitraum April 2010 und auch in den Folgejahren regelmäßig bei ihm gewohnt hat. Auch hat er inhaltlich insgesamt das diesbezügliche die Beschwerdevorbringen hinsichtlich dauerhafter Ortsabwesenheit von der Meldeadresse der Bf. bestätigt.

Das Bundesfinanzgericht folgt daher dem Beschwerdevorbringen, dass eine wirksame Zustellung des zugrunde liegenden Haftungsbescheides erstmalig am erfolgt ist. Davon ist offensichtlich auch die Abgabenbehörde bei Erlassung der abweisenden (und nicht zurückweisenden) Beschwerdevorentscheidung ausgegangen, im Rahmen der sie inhaltlich auf das Beschwerdevorbringen eingegangen ist.

Die Beschwerde der Bf. war daher als rechtzeitig anzusehen.

Einwand der Verjährung

Gemäß § 238 Abs. 1 BAO verjährt das Recht eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe. § 209a gilt sinngemäß.
(2) Die Verjährung fälliger Abgaben wird durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung, wie durch Mahnung, durch Vollstreckungsmaßnahmen, durch Bewilligung einer Zahlungserleichterung oder durch Erlassung eines Haftungsbescheides unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen.

Die Erlassung eines Haftungsbescheides gemäß § 12 BAO stellt eine Maßnahme der Abgabeneinbringung dar, die der Einbringungsverjährung gemäß § 238 BAO unterliegt.

Zum Einwand der Verjährung kann die Bf. auf die unbedenklichen Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung vom verwiesen werden.

Bei den in § 238 Abs. 2 BAO angeführten Unterbrechungshandlungen handelt es sich lediglich um eine demonstrative Aufzählung. Die Verjährungsfrist wird - dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung zufolge - durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen ().

Wenn die Bf. dazu im Vorlageantrag vermeint, die Einholung eines Versicherungsdatenauszuges am stelle keine Unterbrechungshandlung im Sinne des Anspruches im Sinne des § 238 Abs 2 BAO (sondern bestenfalls eine Vorbereitungshandlung dazu) dar, so ist ihr dazu die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entgegen zu halten. 

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , 95/08/0263, ausdrücklich festgestellt, dass auch einer Abfrage in der Datenbank des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger verjährungsunterbrechende Wirkung zukommt, wenn diese auf solche Weise im Akt dokumentiert ist, dass daraus verlässlich entnommen werden kann, wann sie durchgeführt wurde. Dies trifft auf die gegenständliche Abfrage des Finanzamtes vom zu, deren datierter Ausdruck aktenkundig ist.

Mit dieser Amtshandlung wurde die Verjährungsfrist neuerlich unterbrochen und der Ablauf der Verjährungsfrist bis zum verlängert.

Dazu ist auch auf die Berufungsentscheidung des Unabhängigen Finanzsenat vom , RV/3513-W/12, zu verweisen, mit welcher ausgesprochen wurde, dass Datenbankabfragen - unter anderem auch eine Abfrage bei Hauptverband der Sozialversicherungsträger - verjährungsunterbrechend wirken, wenn sie im Akt ausreichend dokumentiert sind. Die Behandlung der dagegen eingebrachten VwGH-Beschwerde zur Zl. 2013/16/0131 wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom abgelehnt.

Der gegenständliche Haftungsbescheid ist an die Bf. am wirksam innerhalb der Verjährungsfrist zugestellt worden, sodass der diesbezügliche Einwand unzutreffend ist.

Nichtzustellung der dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Bescheide

Gemäß § 248 BAO kann der nach Abgabenvorschriften Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung (Haftungsbescheid, § 224 Abs. 1) innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerde einbringen. Beantragt der Haftungspflichtige die Mitteilung des ihm noch nicht zur Kenntnis gebrachten Abgabenanspruches, so gilt § 245 Abs. 2, 4 und 5 sinngemäß.

Aus § 248 ergibt sich, dass der zur Haftung Herangezogene jedenfalls den gegen ihn geltend gemachten Abgaben­anspruch dem Grunde und der Höhe nach bekämpfen können muss ( , 81/14/0118).

Aus dem dem Haftungs­pflichtigen eingeräumten Beschwerde­recht ergibt sich allerdings, dass ihm anlässlich der Erlassung des Haftungs­bescheides von der Behörde über den haftungsgegenständlichen Abgaben­anspruch Kenntnis zu verschaffen ist ( ), und zwar vor allem über Grund und Höhe des feststehenden Abgaben­anspruches (vgl zB ; , 2000/16/0227; , 2011/16/0188). Eine solche Bekanntmachung hat durch Zusendung einer Ausfertigung (Ablichtung) des maßgeblichen Bescheides über den Abgaben­anspruch, allenfalls durch Mitteilung des Bescheidinhaltes zu erfolgen . Das Unterbleiben einer solchen Bekanntmachung macht den Haftungs­bescheid rechtswidrig ( ).

Wird der zur Haftung Herangezogene nicht rechtzeitig darüber aufgeklärt, dass die Abgaben schon bescheidmäßig fest­gesetzt worden sind, so liegt infolge unvollständiger Information ein Mangel des Verfahrens vor, der im Verfahren über das Rechtsmittel gegen den Haftungs­bescheid nicht sanierbar ist (zB ; , 2013/16/0165).

Sowohl mit der Beschwerde als auch im Vorlageantrag hat die Bf. die Zustellung der dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Bescheide beantragt. Aus der Aktenlage ist eine Zustellung dieser Bescheide nicht ersichtlich und auch im Vorlagebericht der Abgabenbehörde an das Bundesfinanzgericht wird eine solche nicht behauptet. Dies obwohl im Vorlageantrag seitens der Bf. ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass der Antrag auf Zustellung der entsprechenden Primärbescheide weiterhin unerledigt aufrecht ist. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der Bf. über den Inhalt der dem gegenständlichen Haftungsbescheid zugrundeliegenden Abgabenbescheide keine Kenntnis verschafft wurde.

Die Haftungsinanspruchnahme der Bf. erweist sich daher hinsichtlich folgender bescheidmäßig festgesetzter Abgaben und Nebengebühren als rechtswidrig:

Umsatzsteuer 2004  in Höhe von € 3.693,94
Säumniszuschlag 1 2005 in Höhe von € 165,58
Umsatzsteuer 01-11/2005 in Höhe von € 10.157,10
Säumniszuschlag 2 2005 in Höhe von € 82,79
Säumniszuschlag 1 2006 in Höhe von € 234,74
Verspätungszuschlag 01/2006 in Höhe von € 123,10
Säumniszuschlag 3 2005 in Höhe von € 82,79
Säumniszuschlag 2 2006 in Höhe von € 101,57
Verspätungszuschlag 04/2006 in Höhe von € 92,87
Verspätungszuschlag 05/2006 in Höhe von € 101,23
Verspätungszuschlag 06/2006 in Höhe von € 98,83
Säumniszuschlag 3/2006 in Höhe von € 101,57
Verspätungszuschlag 01/2007 in Höhe von € 96,31
Verspätungszuschlag 02/2007 in Höhe von € 62,48
Verspätungszuschlag 06/2007 in Höhe von € 92,65
Umsatzsteuer 2006 in Höhe von € 28,56
Lohnsteuer 2006 in Höhe von € 991,47
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag 2006 in Höhe von € 145,70
Dienstgeberbeitrag 2006 in Höhe von € 1.639,15
Dienstgeberbeitrag 2007 in Höhe von € 872,71
Lohnsteuer 2007 in Höhe von € 1.432,79
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag 2007 in Höhe von € 77,57
Zuschlag/Dienstgeberbeitrag 2008 in Höhe von € 19,78
Lohnsteuer 2008 in Höhe von € 492,93
Dienstgeberbeitrag 2008 in Höhe von € 222,52
(gesamt € 21.210,73)

Wurde die Haftung für Selbst­bemessungsabgaben - wie die gegenständlichen Umsatzsteuervorauszahlungen - in Anspruch genommen, aber kein Bescheid über den Abgaben­anspruch erlassen, so kann in der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungs­bescheid die Höhe des Abgaben­anspruches angefochten werden(vgl zB ; , 98/14/0142; , 2006/13/0156; , 2009/16/0309). 

Derartige Einwendungen gegen die Höhe der haftungsgegenständlichen Umsatzsteuervorauszahlungen hat die Bf. nicht vorgebracht, sodass sich die Haftungsinanspruchnahme für folgende von der Bf. selbst gemeldete Umsatzsteuervorauszahlungen als rechtmäßig erweist:               

Umsatzsteuer 01/2006 in Höhe von € 1.538,80
Umsatzsteuer 03/2006 in Höhe von € 908,89
Umsatzsteuer 04/2006 in Höhe von € 1.160,93
Umsatzsteuer 05/2006 in Höhe von € 1.265,41
Umsatzsteuer 06/2006 in Höhe von € 1.235,41
Umsatzsteuer 07/2006 in Höhe von € 509,90
Umsatzsteuer 08/2006 in Höhe von € 1.105,31
Umsatzsteuer 09/2006 in Höhe von € 202,71
Umsatzsteuer 10/2006 in Höhe von € 462,33
Umsatzsteuer 11/2006 in Höhe von € 383,86
Umsatzsteuer 12/2006 in Höhe von € 416,47
Umsatzsteuer 01/2007 in Höhe von € 1.203,91
Umsatzsteuer 02/2007 in Höhe von € 781,02
Umsatzsteuer 03/2007 in Höhe von € 276,30
Umsatzsteuer 05/2007 in Höhe von € 6,23
Umsatzsteuer 06/2007 in Höhe von € 1.852,95
(gesamt: € 13.310,43)

Ermessen

Gemäß § 20 BAO müssen sich Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.

Nach Lehre und Rechtsprechung ist die Heranziehung zur Haftung in das Ermessen der Abgabenbehörde gestellt, wobei die Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen. Von einer rechtswidrigen Inanspruchnahme wird vor allem dann gesprochen werden können, wenn die Abgabenschuld vom Hauptschuldner ohne Gefährdung und ohne Schwierigkeiten rasch eingebracht werden kann. Eine Vermögenslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit des Haftungspflichtigen steht in keinem Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung (; ).

Im gegenständliche Fall ist - nach Konkursabweisung mangels Vermögens der Fa. X-KG mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom , Zl. ******* - die Haftungsinanspruchnahme der Bf. die einzige Möglichkeit die Einbringung der Abgabenschuld, sodass bei Erlassung des Haftungsbescheides dem öffentlichen Interesse an der Abgabeneinbringung zu Recht der Vorzug gegeben wurde gegenüber - von der Bf. ohnehin nicht geltend gemachten - Billigkeitserwägungen.

Es war daher spruchgemäß  zu entscheiden.

Zulässigkeit einer ordentlichen Revision

Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn das Erkenntnis von vorhandener Rechtsprechung des VwGH abweicht, diese uneinheitlich ist oder fehlt.

Das gegenständliche Erkenntnis weicht nicht von der zitierten ständigen Rechtsprechung des VwGH nicht ab und hatte auch die Klärung der Rechtzeitigkeit der Beschwerde und der Haftungsvoraussetzungen im Einzelfall und keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zum Gegenstand.

Da die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht erfüllt sind, ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Wien, am

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Steuer
betroffene Normen
§ 12 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 238 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 248 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7100392.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at