Zurückweisung unzulässiger Vorlageanträge
Entscheidungstext
BESCHLUSS
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache Bf1 und Bf2 ("Bf1 u Mitges"), Bf-Adresse, vertreten durch stV, stV-Adresse, gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt Graz-Stadt vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO 2010, 2011, 2012 und 2013 sowie Nichtfeststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO 2010-2013 beschlossen:
Die Vorlageanträge werden - als unzulässig - zurückgewiesen.
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I.
Die aus den Ehegatten Bf1 (Bf1) und Bf2 (Bf2) bestehende atypisch stille Gesellschaft „Bf1 u Mitges“ erklärte gemeinschaftliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Diese Einkünfte wurden zunächst in Bescheiden gemäß § 188 BAO 2010, 2011, 2012 und 2013 vom , und festgestellt. Alle diese Bescheide ergingen an „[Bf1] u Mitges z.H. [steuerliche Vertreterin]“ und enthielten einen Hinweis gemäß § 101 Abs. 3 BAO.
II.
Nach einer Außenprüfung gelangte die belangte Behörde zur Ansicht, dass die o.a. atypisch stille Gesellschaft steuerlich nicht anzuerkennen sei und erließ die hier angefochtenen Bescheide vom (Wiederaufnahmsbescheide hinsichtlich Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für 2010, für 2011, für 2012 und für 2013; Nichtfeststellungsbescheid gemäß § 188 BAO für 2010-2013). Alle diese Bescheide ergingen an „[Bf1] u [Bf2] z.H. [steuerliche Vertreterin]“, wobei nur der Nichtfeststellungsbescheid gemäß § 188 BAO für 2010-2013 einen Hinweis gemäß § 101 Abs. 3 BAO enthielt.
III.
Dagegen richten sich die Beschwerden vom , in welchen ua. die Entscheidung durch den Senat und die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung beantragt wurde.
IV.
Die belangte Behörde sprach darüber mit abweisenden Beschwerdevorentscheidungen vom (betreffend die o.a. Wiederaufnahmsbescheide einerseits und den o.a. Nichtfeststellungsbescheid andererseits) ab. Diese Beschwerdevorentscheidungen ergingen an „[Bf1] u [Bf2] z.H. [steuerliche Vertreterin]“ und enthielten keinen Hinweis gemäß § 101 Abs. 3 BAO.
V.
Dagegen richten sich die Vorlageanträge vom .
VI.
Mit Vorlagebericht vom legte die belangte Behörde die Beschwerden zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht vor.
VII.
Mit BFG-Schreiben vom wurde der belangten Behörde das Fehlen eines Hinweises gemäß § 101 Abs. 3 BAO in den o.a. Wiederaufnahmsbescheiden und Beschwerdevorentscheidungen vorgehalten.
VIII.
Die belangte Behörde bestätigte im Antwortschreiben vom , dass sich in den o.a. Wiederaufnahmsbescheiden sowie in den o.a. Beschwerdevorentscheidungen kein Hinweis auf die Fiktion des § 101 Abs. 3 BAO bzw. § 101 Abs. 4 BAO finde. Als Folge der Nichtinanspruchnahme der Zustellfiktion des § 101 Abs. 3 (bzw. Abs. 4) BAO müssten Bescheide im (Nicht-)Feststellungsverfahren allen Beteiligten zugestellt werden. Vorliegend hätten sich die beiden Gesellschafter Bf1 und Bf2 aber eines Zustellungsbevollmächtigten gemäß § 9 ZustG bedient. Im § 9 Abs. 4 ZustG heiße es wie folgt: „Haben mehrere Parteien oder Beteiligte einen gemeinsamen Zustellungsbevollmächtigten, so gilt mit der Zustellung einer einzigen Ausfertigung des Dokumentes an ihn die Zustellung an alle Parteien oder Beteiligte als bewirkt. Hat eine Partei oder hat ein Beteiligter mehrere Zustellungsbevollmächtigte, so gilt die Zustellung als bewirkt, sobald sie an einen von ihnen vorgenommen worden ist“. Auch lasse sich aus § 101 Abs. 1 BAO e contrario ableiten, dass die Zustellfiktion nicht zur Anwendung gelangen muss, wenn ein gemeinsamer Zustellungsbevollmächtigter bekanntgegeben wurde (vgl. „und haben diese der Abgabenbehörde keinen gemeinsamen Zustellungsbevollmächtigten bekanntgegeben“). Die belangte Behörde gehe daher im vorliegenden Fall von einer rechtswirksamen Zustellung (zu Handen des gemeinsamen Zustellungsbevollmächtigten) aus.
IX.
Mit BFG-Schreiben vom wurde der belangten Behörde vorgehalten, dass das Bundesfinanzgericht auf Grund des o.a. Antwortschreibens davon ausgehe, dass die o.a. Wiederaufnahmsbescheide und die o.a. Beschwerdevorentscheidungen - in welchen sich ausnahmslos kein Hinweis auf die Zustellfiktion des § 101 Abs. 3 bzw. 4 BAO finde - jeweils in einer einzigen schriftlichen Ausfertigung - z.H. [steuerliche Vertreterin] - zugestellt worden seien. Um eine dbzgl. Bestätigung werde ersucht.
X.
Dies wurde von Seiten der belangten Behörde telefonisch am bestätigt. Schriftlich bestätigte die belangte Behörde mit Schreiben vom die Zustellung "an den gemeinsamen Zustellungsbevollmächtigen [steuerliche Vertreterin] in jeweils einer einzigen Ausfertigung".
XI.
Das Bundesfinanzgericht teilte den Beschwerdeführern (Bf.) mit Schreiben vom mit, dass es von folgendem Sachverhalt ausgehe: „Die Bescheide vom betreffend WA/F 2010, 2011, 2012 und 2013 sowie die Beschwerdevorentscheidungen vom betreffend WA/F 2010-2013 und (N-)F 2010-2013 wurden jeweils in einer einzigen schriftlichen Ausfertigung - z.H. [steuerlicher Vertreter] - zugestellt. In den o.a. Bescheiden und Beschwerdevorentscheidungen findet sich kein Hinweis auf die Zustellfiktion des § 101 Abs. 3 (4) BAO“. Demnach wären die o.a. Bescheide und die o.a. Beschwerdevorentscheidungen nicht rechtswirksam ergangen und die Vorlageanträge vom als unzulässig zurückzuweisen.
XII.
Im Antwortschreiben vom 14 .01.2020 schloss sich die steuerliche Vertreterin den Ausführungen des Bundesfinanzgerichts im o.a. Schreiben an und teilte weiters mit, dass der Antrag auf Entscheidung durch den Senat und auf mündliche Verhandlung nicht mehr aufrechterhalten wird.
Über die Beschwerden wurde Folgendes erwogen:
1. Rechtliche Grundlagen
Gemäß § 97 Abs. 1 BAO werden Erledigungen dadurch wirksam, dass sie demjenigen bekanntgegeben werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Die Bekanntgabe erfolgt bei schriftlichen Erledigungen grundsätzlich durch Zustellung.
Gemäß § 98 Abs. 1 BAO (Überschrift: „Zustellungen“) sind Zustellungen, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, grundsätzlich nach dem Zustellgesetz vorzunehmen.
Gemäß § 101 Abs. 3 BAO sind schriftliche Ausfertigungen, die in einem Feststellungsverfahren an eine Personenvereinigung (Personengemeinschaft) ohne eigene Rechtspersönlichkeit gerichtet sind (§ 191 Abs. 1 lit. a und c), einer nach § 81 vertretungsbefugten Person zuzustellen. Mit der Zustellung einer einzigen Ausfertigung an diese Person gilt die Zustellung an alle Mitglieder der Personenvereinigung oder Personengemeinschaft als vollzogen, wenn auf diese Rechtsfolge in der Ausfertigung hingewiesen wird.
Gemäß § 101 Abs. 4 BAO sind schriftliche Ausfertigungen, die nach Beendigung einer Personenvereinigung (Personengemeinschaft) ohne eigene Rechtspersönlichkeit in einem Feststellungsverfahren (§ 188) an diejenigen ergehen, denen gemeinschaftliche Einkünfte zugeflossen sind (§ 191 Abs. 1 lit. c), einer nach § 81 vertretungsbefugten Person zuzustellen. Mit der Zustellung einer einzigen Ausfertigung an diese Person gilt die Zustellung an alle, denen der Bescheid gemeinschaftliche Einkünfte zurechnet, als vollzogen, wenn auf diese Rechtsfolge in der Ausfertigung hingewiesen wird.
Gemäß § 190 Abs. 1 BAO finden auf Feststellungen gemäß §§ 185 bis 188 die für die Festsetzung der Abgaben geltenden Vorschriften sinngemäß Anwendung. Die für die vorgenannten Feststellungen geltenden Vorschriften sind sinngemäß für Bescheide anzuwenden, mit denen ausgesprochen wird, dass solche Feststellungen zu unterbleiben haben.
Gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO ist die Bescheidbeschwerde mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder mit Beschluss (§ 278) zurückzuweisen, wenn sie nicht zulässig ist.
Gemäß § 264 Abs. 4 lit. e BAO ist § 260 Abs. 1 für Vorlageanträge sinngemäß anzuwenden.
Gemäß § 264 Abs. 5 BAO obliegt die Zurückweisung nicht zulässiger Vorlageanträge dem Verwaltungsgericht.
2. Sachverhalt
Folgender - entscheidungswesentlicher - Sachverhalt wird als erwiesen angenommen (vgl. angefochtene Bescheide; Beschwerdevorentscheidungen; BFG-Schreiben an die belangte Behörde; dbzgl. Antworten der belangten Behörde; BFG-Schreiben an die Bf.; Antwortschreiben der Bf .):
Die hier angefochtenen Bescheide vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO 2010, 2011, 2012 und 2013 sowie die Beschwerdevorentscheidungen vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO 2010-2013 einerseits und Nichtfeststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO 2010-2013 andererseits enthalten keinen Hinweis gemäß § 101 Abs. 3 (4) BAO.
Die o.a. Bescheide und die o.a. Beschwerdevorentscheidungen wurden jeweils in einer einzigen Ausfertigung - zu Handen [steuerliche Vertreterin] - zugestellt.
3. Rechtliche Würdigung
§ 101 Abs. 3 (4) BAO gilt nicht nur für die dort genannten Feststellungsbescheide, sondern auch für dbzgl. abändernde (aufhebende) Bescheide (zB Wiederaufnahmsbescheide gemäß § 303 BAO) (vgl. Ritz, BAO, 6. Aufl., § 101 Tz 10 und 12, mwN).
Ob eine Abgabenbehörde von der Zustellfiktion gemäß § 101 Abs. 3 bzw. 4 BAO Gebrauch macht, liegt im Ermessen. Die Behörde ist also nicht gezwungen, von der (der Vereinfachung der Zustellung dienenden) Zustellfiktion Gebrauch zu machen. Die Abgabenbehörde kann daher auch jedem Beteiligten eine Ausfertigung des Bescheides zustellen (vgl. Ritz, BAO, 6. Aufl., § 101 Tz 10, mwN).
Für Zustellungen unter Gebrauchnahme der o.a. Zustellfiktion gilt jedenfalls, dass das Fehlen des Rechtsfolgenhinweises dazu führt, dass die Feststellung (Nichtfeststellung) gemeinschaftlich erzielter Einkünfte insgesamt nicht wirksam werden kann, wobei die gänzliche Unwirksamkeit der Erledigung aus dem Gebot der Einheitlichkeit des Feststellungsverfahrens abgeleitet wird (vgl. Ritz, BAO, 6. Aufl., § 101 Tz 9, mwN).
Im vorliegenden Fall könnte der fehlende Rechtsfolgenhinweis (vgl. Punkt 2.) darauf schließen lassen, dass die belangte Behörde von der Zustellfiktion nicht Gebrauch machen und jedem der Beteiligten je eine Bescheidausfertigung zustellen wollte. - Nach den o.a. Sachverhaltsfeststellungen hat die belangte Behörde die o.a. Wiederaufnahmsbescheide und die o.a. Beschwerdevorentscheidungen tatsächlich aber nur jeweils in einer einzigen Ausfertigung - zu Handen [steuerliche Vertreterin] - zugestellt.
Wenn sich die belangte Behörde dabei auf § 9 Abs. 4 ZustG beruft, so ist ihr entgegenzuhalten, dass gemäß § 98 Abs. 1 BAO (unter der Überschrift „Zustellungen“) das Zustellgesetz nur gilt, soweit in der BAO nicht anderes bestimmt ist. Sonderregelungen der BAO (wie zB § 101 Abs. 3 und 4 BAO) haben also Vorrang (vgl. Ritz, BAO, 6. Aufl., § 98 Tz 1, mwN). Die Zustellregelungen gemäß § 101 Abs. 3 und 4 BAO für Erledigungen in Feststellungsverfahren verdrängen somit § 9 Abs. 4 ZustG erster Satz, wobei die Verdrängung darin liegt, dass gemäß § 101 Abs. 3 und 4 BAO die Zustellwirkung (Zustellfiktion) an alle Beteiligten den Hinweis auf diese Rechtsfolge verlangt. Dies wird übrigens auch in der Verwaltungspraxis so gesehen (vgl. Zustellungsleitfaden Punkt 5.8.).
Der fehlende Rechtsfolgenhinweis lässt aber auch nicht den Rechtsschluss zu, dass in diesem Fall mit der Zustellung einer einzigen Ausfertigung an einen gemeinsamen Zustellungsbevollmächtigten (Vertreter gemäß § 81 BAO) die Zustellung an alle Beteiligten nach § 9 Abs. 4 ZustG erster Satz bewirkt wäre, weil dies auf eine Umgehung der spezielleren BAO-Regelung hinauslaufen würde.
Auch wenn die Beteiligten Bf1 und Bf2 als Einzelpersonen in ihren (eigenen) Steuerverfahren jeweils die [steuerliche Vertreterin] zustellungsbevollmächtigt haben, kann dies nicht zur Anwendbarkeit des § 9 Abs. 4 BAO erster Satz führen.
Schließlich kann aber auch aus dem Hinweis der belangten Behörde auf § 101 Abs. 1 BAO für den Behördenstandpunkt nichts gewonnen werden, bezieht sich diese Bestimmung doch gerade nicht auf Bescheide in Feststellungsverfahren gemäß § 188 BAO.
Das Bundesfinanzgericht geht daher davon aus, dass im vorliegenden Fall keine wirksamen Wiederaufnahmsbescheide und keine wirksamen Beschwerdevorentscheidungen ergangen sind.
Nach § 260 Abs. 1 lit. a BAO ist eine Bescheidbeschwerde gegen einen mangels ordnungsgemäßer Zustellung rechtlich nicht existent gewordenen Bescheid als nicht zulässig zurückzuweisen.
Nach § 260 Abs. 2 BAO darf eine Bescheidbeschwerde nicht deshalb als unzulässig zurückgewiesen werden, weil sie vor Beginn der Beschwerdefrist eingebracht wurde.
Gemäß § 264 Abs. 4 lit. e BAO ist die Bestimmung des § 260 Abs. 1 für Vorlageanträge sinngemäß anzuwenden. Dies gilt jedoch nicht für § 260 Abs. 2 BAO.
Im Ergebnis setzt ein Vorlageantrag daher unabdingbar eine Beschwerdevorentscheidung voraus ().
Ein vor Wirksamkeit der Beschwerdevorentscheidung eingebrachter Vorlageantrag ist ohne rechtliche Wirkung (vgl. Ritz, BAO, 6. Aufl., § 260 Tz 27, mwN) und somit als unzulässig zurückzuweisen (vgl. , mwN; Ritz, BAO, 6. Aufl., § 264 Tz 17, mwN).
Somit war auch im vorliegenden Fall mit Zurückweisung der Vorlageanträge vorzugehen.
4. Zulässigkeit einer Revision
Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da sie nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung (insbes. Abweichen der Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, Fehlen einer solchen Rechtsprechung, uneinheitliche Beantwortung der zu lösenden Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) zukommt.
Es war daher wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 101 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 101 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 260 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 264 Abs. 4 lit. e BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 264 Abs. 5 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.2100868.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at