Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 25.11.2019, RV/7103128/2015

Kein Zufluss beim Gesellschafter-Geschäftsführer im Falle einer Zahlungsunfähigkeit der GmbH

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Peter Unger in der Beschwerdesache Bf, vertreten durch Writzmann & Partner Steuerberatungs GmbH, Wassergasse 22-26/1/IV, 2500 Baden, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt Baden Mödling vom , betreffend 1. Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer und Umsatzsteuer für die Jahre 2010 bis 2013, sowie 2. Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2010 bis 2013, zu Recht erkannt und beschlossen:

I. Der Beschwerde wird betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer und Umsatzsteuer für die Jahre 2010 bis 2013 Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden gemäß § 279 BAO aufgehoben.

II. Im Übrigen - sohin betreffend Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2010 bis 2013 - wird die Beschwerde als gegenstandslos erklärt. 

III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang:

Im Zuge einer die Einkommensteuer und Umsatzsteuer des gegenständlichen Beschwerdezeitraumes 2010 bis 2013 betreffenden abgabenbehördlichen Prüfung des Beschwerdeführers wurde ua folgendes festgestellt:

"Tz. 1 Erhöhung Erlöse aus selbständiger Arbeit
Der Abgabepflichtige hat im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit Leistungen für die Firma [X] GmbH ([StNr]) erbracht. Dafür hat er Ausgangsrechnungen an die Firma [X] GmbH gelegt. Bei der Firma [X] wurden diese als Aufwand (Fremdleistungen) verbucht. Da die Gewinnermittlung bei der GmbH nach § 5 EStG 1988 erfolgt stellen sie sofort Aufwand dar. Bei der Einzelfirma, die ihren Gewinn nach § 4 (3) EStG 1988 ermittelt, wurde nur jener Teil als Einnahme verbucht und versteuert der bereits an Herrn [Bf] bezahlt wurde. Der restliche Teil bleibt als offene Forderung des Herrn [Bf] an die [X] GmbH 'stehen' und zwar in beträchtlicher Höhe.
Der Abgabepflichtige ist Geschäftsführer der [X] GmbH und zu 91,42 % an der GmbH beteiligt.
Die Bp ist der Ansicht, dass es für den Zufluss beim Mehrheitsgesellschafter darauf ankommt, ob ein Betrag fällig und die Gesellschaft zahlungsfähig ist, da es der Gesellschafter sonst in der Hand hätte bei der Gesellschaft Gewinne zu kürzen, ohne selbst die entsprechende Versteuerung vorzunehmen. Aus den vorgelegten Buchhaltungskonten der [X] GmbH geht hervor, dass die Verbindlichkeiten der Gesellschaft überwiegend oder fast ausschließlich Verbindlichkeiten gegenüber dem Gesellschafter sind. Bankverbindlichkeiten bestehen nicht. Ein fremder Dritter hätte Maßnahmen zum Eintreiben der Forderungen unternommen.
Die bisher nicht bezahlten Honorarnoten sind daher beim Abgabepflichtigen in folgender Höhe als Einnahme zu erfassen:

Begründung: Gem § 19 Abs. 1 EStG 1988 sind Einnahmen in jenem Kalenderjahr bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Regelmäßig wiederkehrende Einnahmen, die dem Steuerpflichtigen kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, zugeflossen sind, gelten als in diesem Kalenderjahr bezogen. Die Vorschriften über die Gewinnermittlung bleiben unberührt. Zugeflossen ist eine Einnahme, sobald der Empfänger über sie 'rechtlich und wirtschaftlich' (; , 98/14/0056) bzw 'tatsächlich und rechtlich' ( 310175) verfügen kann.
Ein Betrag ist auch dann zugeflossen, wenn er dem Steuerpflichtigen bloß gutgeschrieben wurde, vorausgesetzt, dass er über den Betrag rechtlich und wirtschaftlich verfügen kann (). In diesem Sinne ist auch bei einem geschäftsführenden Gesellschafter eine durch die Kapitalgesellschaft auf dessen Verrechnungskonto verbuchte Gutschrift als Zufluss im Sinne des EStG anzusehen, ausgenommen jene Fälle, in denen Illiquidität der Gesellschaft gegeben ist. Ein Zufluss mit der Gutschrift erfolgt auch dann, wenn sie mit einer Gegenforderung verrechnet wird ().

Ein Betrag ist auch dann zugeflossen, wenn er dem StPfl bloß gutgeschrieben wurde, vorausgesetzt, dass er über den Betrag rechtlich und wirtschaftlich verfügen kann (; s Rz 26 'Gutschriften'); die Verfügung kann auch durch ein 'Stehenlassen' erfolgen (s Rz 26). Ein Zufluss liegt weiters vor, wenn ein Betrag
einer im Voraus bestimmten Verwendung des Empfängers zugeführt wird. Schließlich genügt es, wenn die Verwirklichung des Anspruchs zumindest derart nahe gerückt und gesichert ist dass dies wirtschaftlich dem tatsächlichen Eingang der Leistung gleichgestellt werden kann (; , 'ausdehnende Auslegung'). Eigentumsübergang nach bürgerlichem Recht ist nicht erforderlich (; s auch EStR 4602), wohl aber eine tatsächliche Verfügungsmacht (eines in Geld ausdrückbaren Vorteils und nicht nur einer steuerlichen unerheblichen Chance; ). Da der Abgabepflichtige der Geschäftsführer der [X] GmbH und zu 91,42% an ihr beteiligt ist, ist diese wohl gegeben. Subjektive Kenntnis der Verfügungsmöglichkeit ist nicht erforderlich (). Die bisher nicht von der GmbH bezahlten Honorarnoten gelten somit als beim Abgabepflichtigen zugeflossen und werden von der Bp als Einnahmen erfasst (siehe Tabelle weiter unten).

Der Abgabepflichtige hat im Zuge der Betriebsprüfung mehrmals eingewendet, dass die [X] GmbH zahlungsunfähig sei und daher die Forderungen nicht bezahlen könne. Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner objektiv generell mangels bereiter Mittel nicht nur vorübergehend außerstande ist, fällige Geldschulden regelmäßig zu erfüllen. Für die Zahlungsfähigkeit ist es hingegen nicht von Bedeutung, ob die Gesellschaft über hinreichende liquide Mittel verfügt, wenn die Gesellschaft in der Lage war, sich derartige Mittel auf dem Kreditwege beschaffen zu können. Aus den vorgelegten Bilanzen geht hervor, dass die Verbindlichkeiten der Gesellschaft überwiegend oder fast
ausschließlich Verbindlichkeiten gegenüber dem Gesellschafter sind. Die Forderungen der anderen Fremdleister (der fremden Dritten) wurden fast zur Gänze bezahlt. Bankverbindlichkeiten bestehen nicht. Trotz zahlreicher Einwände des Abgabepflichtigen, die im Zuge der Betriebsprüfung vorgebracht wurden gilt die GmbH damit als zahlungsfähig.

Der Abgabepflichtige hat eine schriftliche Begründung vorgelegt für langfristig offene Forderungen von [Bf]-Unternehmensberatung an [X] GmbH. Zusammenfassend stellt sich das Ganze so dar: die Entwicklung des Marktes wurde falsch eingeschätzt, das Unternehmen wurde 2009 gegründet, die Aufbruchstimmung war damals groß auf dem Gebiet der Elektromobilität, 2012 ist der Markt dann eingebrochen,
Partner sind abgesprungen, Aufträge blieben aus etc. Daher verzichtet Herr Mag. [Bf] auf einen Teil seiner Forderungen, als Beitrag zur Erhaltung des Unternehmens usw.
Fakt ist, ein fremder Dritter hätte Maßnahmen zum Eintreiben der Forderungen unternommen, und die Geschäftsbeziehung mangels Geldfluss eingestellt.
Die Bp ist der Ansicht, dass die bisher nicht bezahlten Honorarnoten als Einnahme bei Herrn Mag. [Bf] zu erfassen sind, da der machthabende Gesellschafter und Geschäftsführer aus seiner gesellschaftlichen Stellung heraus nicht eine Zurückhaltung der Einnahmen vornehmen kann. Der in der Stellungnahme des Herrn Mag. [Bf]
dargestellten Zahlungsplan stellt einen lnsichvertrag zw. Gesellschafter-Geschäftsführer und Einzelunternehmer in Personenidentität dar. Eine Sicherheit betreffend der Einhaltung des Zahlungsplanes von Seiten der GmbH wurde nicht vorgelegt.

[…]"

Infolgedessen hat die belangte Behörde unter Verweis auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfungsergebnisse und der aufgenommenen Niederschrift über die Schlussbesprechung die hier angefochtenen Bescheide betreffend die Wiederaufnahme der Einkommensteuer- und Umsatzsteuerverfahren der Jahre 2010 bis 2013 samt den neuen Sachbescheiden betreffend Einkommensteuer und Umsatzsteuer der Jahre 2010 bis 2013 erlassen.

In seiner Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die vorgenommene Wiederaufnahme der Verfahren im Wesentlichen mit der Begründung, dass keine neuen Tatsachen durch die Außenprüfung hervorgekommen seien und es sich vielmehr lediglich um eine neue rechtliche Beurteilung durch die belangte Behörde handle. Dies vor allem deswegen, da in den Bilanzen der [X] GmbH alle Informationen enthalten gewesen seien, die nun im Prüfungsverfahren beim Beschwerdeführer als neu hervorgekommen beurteilt würden.

Gegen die neuen Sachbescheide führt der Beschwerdeführer in der Beschwerde mit umfassender näherer Begründung im Wesentlichen erneut aus, dass die [X] GmbH über den gesamten Beschwerdezeitraum zahlungsunfähig gewesen sei und deshalb nicht alle Forderungen des Beschwerdeführers aus Werkvertragshonoraren erfüllt hätten werden können. Man habe sich zwar um weitere Fremdfinanzierungen bemüht, doch seien diese Anfragen abgelehnt worden und seien auch keine verwertbaren Aktiva vorhanden gewesen. Das Unterbleiben von Feststellungen betreffend die Zahlungsunfähigkeit der [X] GmbH durch die belangte Behörde führe dazu, dass die entscheidungswesentliche wirtschaftliche Situation der GmbH in die Bescheiderlassungen keinen Eingang gefunden habe und daher die Bescheide mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belaste.

Die belangte Behörde wies die Beschwerde sowohl hinsichtlich der Wiederaufnahmebescheide als auch hinsichtlich der neuen Sachbescheide mit (gesonderten) Beschwerdevorentscheidungen als unbegründet ab.

Hinsichtlich der Wiederaufnahmebescheide begründete die belangte Behörde ihre Beschwerdeabweisung im Wesentlichen damit, dass es nach der ständigen Rechtsprechung darauf ankäme, ob der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen sei, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr erlassenen Entscheidung habe gelangen können. Im vorliegenden Sachverhalt habe die belangte Behörde erst im Zuge der Prüfung des Einzelunternehmens des Beschwerdeführers Kenntnis von der Leistungserbringung des Beschwerdeführers an die [X] GmbH, den damit im Zusammenhang gelegten Rechnungen sowie den weiteren Umständen rund um den nunmehr streitgegenständlichen Zufluss der Geschäftsführer-Werkvertragshonorare erlangt. Der Einwand des Beschwerdeführers, wonach diese Tatsachen der belangten Behörde möglicherweise aus den Bilanzen bzw anderen Unterlagen im Verfahren der [X] GmbH erkennbar gewesen seien, stünde somit der nunmehr erfolgten Wiederaufnahme beim Einzelunternehmen des Beschwerdeführers keineswegs entgegen.

Hinsichtlich der neuen Sachbescheide führte die belangte Behörde in ihrer abweisenden Beschwerdevorentscheidung zum seitens des Beschwerdeführers vorgebrachten Argument der Zahlungsunfähigkeit, wie bereits im Prüfungsbericht, die Rechtsprechung zum Zeitpunkt des Zuflusses bei Mehrheitsgesellschaftern und zum Begriff samt den Voraussetzungen einer, den Zufluss ausschließenden Zahlungsunfähigkeit an. Da aus den Bilanzen der [X] GmbH hervorgehe, dass die Forderungen gegenüber anderen Fremddienstleistern nahezu zur Gänze beglichen worden seien, sei zu schließen, dass eine Zahlungsunfähigkeit schon begrifflich nicht gegeben sei.

In seinem Vorlageantrag wiederholte der Beschwerdeführer zunächst seinen Rechtsstandpunkt bezüglich der Wiederaufnahme der Verfahren.

Hinsichtlich der neuen Sachbescheide rügte der Beschwerdeführer, dass sich die belangte Behörde in ihrer Beschwerdevorentscheidung nicht mit den konkreten Vorbringen zum Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit auseinandergesetzt hat. So würde insbesondere aus dem der Beschwerde beigelegten Kreditvertrag hervorgehen, dass die [X] GmbH ohne persönliche Haftung durch den Beschwerdeführer nicht kreditwürdig gewesen sei. Zu der vorgeworfenen teilweisen Tilgung der Forderungen von dritten Fremddienstleistern verwies der Beschwerdeführer auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach das Zahlungsverhalten zwar ein Indiz für das Vorliegen einer Zahlungsfähigkeit sein könne, dass andererseits eine teilweise Tilgung von offenen fälligen Verbindlichkeiten nicht schon das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit ausschließen könne.

In ihrem Vorlagebericht wiederholte die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme nahezu ident ihre Ausführungen der Beschwerdevorentscheidungen und ging betreffend der vorgebachten Zahlungsunfähigkeit abermals nicht auf die (im Vorlageantrag dargestellten) Ausführungen des Beschwerdeführers sein.

Mit hg. Beschluss vom wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, die im Verfahren mehrmals erwähnten Kredit- bzw Finanzierungsabsagen belegmäßig glaubhaft zu machen.

Mit seinem Antwortschreiben legte der Beschwerdeführer dem Gericht mehrere Unterlagen vor und führte hierzu an:

"In der Beilage befindet sich die Abweisung des Förderansuchens an das aws vom [richtig: ] lt. Schreiben vom . Ein derartiges Schreiben erging sowohl an die [X] GmbH als auch an die [Bank], z.H. Hr. Mag. [Y].

Aufgrund der Ablehnung des Förderansuchens für die Ausfallsbürgschaftsübernahme durch das aws sah sich die [Bank] außerstande aufgrund der wirtschaftlichen Lage der [X] GmbH eine Kreditgewährung vorzunehmen. Dies bestätigt Herr Mag. [Y] lt. Schreiben vom , dass für die Kreditierung der [X] GmbH im Jahr 2012/2013 die Übernahme der Ausfallbürgschaft durch das aws Voraussetzung für eine Kreditgewährung gewesen ist. Mit diesem Schreiben bestätigt er auch, dass aufgrund der damaligen wirtschaftlichen Lage der [X] GmbH eine Kreditgewährung ohne Übernahme der Ausfallbürgschaft durch das aws nicht möglich war und daher abgelehnt wurde. Daraus ist ersichtlich, dass sowohl das aws als auch die [Bank] die Finanzierung bzw. Ausfallsbürgschaftsübernahme und somit Kreditierung unserer Mandantin [X] GmbH abgelehnt haben.

Im Jahr 2011 hat unsere Mandantin mit einem Beteiligungsangebot zur atypisch stillen Beteiligung ebenfalls versucht sogenannte atypisch stille Beteiligte als Geschäftspartner anzuwerben. Auch dieses Projekt war im Jahr 2011/2012 gescheitert. Deshalb wurde am das Förderansuchen an das aws zur Übernahme einer Ausfallsbürgschaft gestellt. Aus diesem Beteiligungsangebot atypisch stille Beteiligung (sh. Handout) konnte kein Investor als Beteiligter an der [X] GmbH gewonnen werden."

Nach Übermittlung der Unterlagen und Stellungnahme des Beschwerdeführers an die belangte Behörde gab diese in ihrer Replik zunächst die "zentrale Aussage in der Beschwerdevorentscheidung" zum Begriff und den Voraussetzungen des Vorliegens einer Zahlungsunfähigkeit wieder, wonach ua der Umstand, dass eine Partei über keine hinreichenden liquiden Mittel verfüge, dann nicht von Bedeutung sei, wenn eine Möglichkeit sich derartige Geldmittel auf dem Wege der Kreditaufnahme bei einer Bank zu beschaffen, bestanden habe.

Daran schließend führte die belangte Behörde aus:

"Die bloße Tatsache, dass eine Förderzusage nicht erfolge und dadurch eine Bank die Kreditgewährung (in unbekannter Höhe) nicht zusagte, kann alleine noch nicht über das Vorliegen der Liquidität der [X] GmbH bestimmen. Der Antrag auf Förderung betraf die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens (Elektro PKW) und es kann durch diese Nichtzusage der Förderung nicht auf eine generelle Kreditunwürdigkeit der [X] GmbH geschlossen werden."

Mit Eingabe vom wurden vom Beschwerdeführer die Anträge auf mündliche Verhandlung und auf Senatszuständigkeit zurückgezogen.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Das Bundesfinanzgericht stellt auf Basis des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest:

Der belangten Behörde war in den wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt nicht so vollständig bekannt, dass sie schon in diesen Verfahren zu den nunmehr erlassenen Entscheidungen gelangen konnte.

Die Kenntnis der näheren Umstände der Leistungsbeziehung zwischen dem Beschwerdeführer und der [X] GmbH stellt den einzigen Grund für die (nach Verfügung der Wiederaufnahme der Verfahren erfolgte) Erlassung anderslautender Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2010 bis 2013 dar.

Der Beschwerdeführer ist Geschäftsführer der [X] GmbH und zu 91,42% an dieser Gesellschaft beteiligt.

Im Beschwerdezeitraum 2010 bis 2013 wurden die vom Beschwerdeführer der [X] GmbH in Rechnung gestellten Werkvertragshonorare nur teilweise tatsächlich ausbezahlt und die Differenz der tatsächlich ausbezahlten Beträge gegenüber den in Rechnung gestellten Beträgen als (offene) Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen im Rechnungswesen der [X] GmbH dargestellt.

Die [X] GmbH war im Beschwerdezeitraum zahlungsunfähig.

2. Beweiswürdigung

Das Bekanntwerden der Leistungserbringung des Beschwerdeführers an die [X] GmbH, der damit in Zusammenhang gelegten Rechnungen sowie der näheren Umstände des streitgegenständlichen Zuflusses der Geschäftsführerhonorare an den Beschwerdeführer wurde der belangten Behörde - bezogen auf die Einkommensteuer- und Umsatzsteuerverfahren des Beschwerdeführers - erst im Zuge der, im Verwaltungsgeschehen wiedergegebenen abgabenbehördlichen Prüfung des (Einzelunternehmens des) Beschwerdeführers bekannt.

Dass die Erlassung der angefochtenen neuen Sachbescheide (auch) aus anderen Gründen, als den im Prüfungsbericht dargestellten Wiederaufnahmegründen erfolgte, wurde auch von der belangten Behörde im Verfahren nicht behauptet.

Die Eigenschaft als Geschäftsführer und das konkrete Beteiligungsausmaß ist dem aktenkundigen Firmenbuchauszug entnommen.

Die Tatsache, dass nicht alle in Rechnung gestellten Honorare des Beschwerdeführers auch tatsächlich von der [X] GmbH ausbezahlt wurden, entspricht den aktenkundigen Feststellungen der Außenprüfung und wird im Verfahren auch vom Beschwerdeführer nicht bestritten.

Das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit der [X] GmbH wurde im Verfahren vom Beschwerdeführer überzeugend glaubhaft gemacht. Konkret lässt sich diese insbesondere durch die erkennbare Unmöglichkeit, den im Beschwerdezeitraum unstrittig vorhandenen Mangel an Zahlungsmittel - dass die [X] GmbH genügend Mittel gehabt hätte, um alle offenen Verbindlichkeiten, somit einschließlich jener gegenüber dem Beschwerdeführer vollständig zu begleichen, wird auch von der belangten Behörde nicht behauptet -  durch eine alsbaldige Mittelbeschaffung in Form einer kurzfristig möglichen Verwertung vorhandener Aktiva oder der Aufnahme eines Überbrückungskredites zu beheben, belegen (vgl zur diesbezüglichen Maßgeblichkeit zB ; ; ; ).

Das Fehlen von kurzfristig verwertbaren Aktiva (in ausreichendem Umfang) ergibt sich dabei aus den aktenkundigen Jahresabschlüssen der [X] GmbH, in denen entweder ein Sachanlagevermögen gänzlich fehlt (vgl Wirtschaftsjahr 2009/2010), oder die (einen wertmäßigen Bruchteil der vorhandenen Verbindlichkeiten darstellenden) Aktiva im wesentlichen Umfang durch Lizenzen oder Betriebs- und Geschäftsausstattung gebildet werden (vgl Wirtschaftsjahre 2010/2011, 2011/2012 und 2012/2013). Dass ausreichende verwertbare Aktiva zur Begleichung der offenen Verbindlichkeiten im Beschwerdezeitraum vorliegen würden, wurde im Übrigen auch von der belangten Behörde im Verfahren nicht behauptet.

Die mangelnde Kreditwürdigkeit der [X] GmbH ergibt sich aus den vom Gericht abverlangten und vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismitteln betreffend die Versagung der Kreditgewährung durch eine Bank aufgrund der fehlenden Förderungswürdigkeit durch das aws sowie die erfolglos versuchte alternative Außenfinanzierung durch Begebung einer stillen Beteiligung. Hinzu kommt, dass nach den aktenkundigen Jahresabschlüssen der [X] GmbH die Gesellschaft in den Wirtschaftsjahren 2010/2011, 2011/2012 und 2012/2013 ein massiv ansteigendes negatives Eigenkapital auswies (von -125.864,12 € im WJ 2010/2011 auf -320.081,80 € im Wj 2012/2013), was nach der allgemeinen menschlichen Lebenserfahrung nicht zu einer Verbesserung der (generellen) Kreditwürdigkeit beiträgt. Die Auseinandersetzung der belangte Behörde mit den Behauptungen und Belegen des Beschwerdeführers betreffend Zahlungsunfähigkeit der [X] GmbH erschöpft sich im Wesentlichen in einem Verweis auf das Zahlungsverhalten der [X] GmbH. Hierzu ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach ein tatsächliches Zahlungsverhalten zwar ein Indiz auf das Vorliegen einer Zahlungsfähigkeit sein kann, andererseits jedoch die Tilgung eines Teiles von offenen (fälligen) Verbindlichkeiten noch nicht bewirkt, dass das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit damit ausgeschlossen werden kann (), weshalb dieses Vorbringen nicht geeignet ist, die vorgelegten Beweismittel des Beschwerdeführers als unglaubhaft erscheinen zu lassen.

Vor diesem Hintergrund durfte das Bundesfinanzgericht die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs. 2 BAO als erwiesen annehmen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Aufhebung der Bescheide betreffend Wiederaufnahme der Verfahren Umsatzsteuer und Einkommensteuer der Jahre 2010 bis 2013)

Gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen zulässig, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Tatsachen iSd § 303 BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften (zB ).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zB ; ; ) ist das Neuhervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können.

Es ist daher der belangten Behörde zu folgen, dass eine allfällige Kenntnis der maßgeblichen Umstände der Leistungsbeziehung zwischen Beschwerdeführer und [X] GmbH aus den Abgabenverfahren der [X] GmbH, entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers einer Beurteilung als neu hervorgekommene Tatsachen in den Abgabenverfahren des Beschwerdeführers nicht entgegensteht.

Die verfügten Wiederaufnahmen der Verfahren erweisen sich jedoch aus anderen Gründen als rechtswidrig.

Grundvoraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO ist, neben dem Vorliegen entsprechender Wiederaufnahmegründe in Form von neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel, die Eignung eben dieser Umstände, allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeizuführen (vgl hierzu bereits Stoll, BAO-Kommentar, 2917 f, mwN; und zB ).

Dem hier gegenständlichen Wiederaufnahmegrund der (Kenntnis der näheren Umstände der) Leistungsbeziehung zwischen Beschwerdeführer und [X] GmbH kommt eine solche erforderliche Eignung, einen anders lautenden Bescheid herbeizuführen, allerdings aus folgenden Gründen nicht zu:

Nach der ständigen Rechtsprechung gelten Bezüge und geldwerte Vorteile gemäß § 19 Abs 1 EStG dann als zugeflossen, wenn ein Steuerpflichtiger über diese rechtlich und wirtschaftlich verfügen kann (vgl zB , mwN).

Ein Zufluss liegt somit jedenfalls zu jenem Zeitpunkt vor, zu dem Bargeld oder geldwerte Vorteile übergeben werden oder die tatsächliche Gutschrift am Bankkonto (vgl ) oder – ausgenommen es liegt Zahlungsunfähigkeit des Gläubigers vor – am Verrechnungskonto (vgl ) des Zahlungsempfängers erfolgt.

Ein Zufluss liegt aber auch dann vor, wenn der Gläubiger verfügt, dass die Auszahlung des Geldbetrages auf seinen Wunsch hin verschoben wird, obwohl der Schuldner zahlungswillig und zahlungsfähig ist. Der Zufluss ist damit bereits im Zeitpunkt der Verfügung erfolgt (vgl zB ).

Zu Fällen (wie dem hier vorliegenden), in denen der Abgabepflichtige gleichzeitig Mehrheitsgesellschafter jener GmbH ist, die sein Schuldner ist, hat der VwGH in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass der Zufluss grundsätzlich mit der Fälligkeit der Forderung anzunehmen ist, vorausgesetzt, dass die GmbH nicht zahlungsunfähig ist. Diese Sicht gebietet der beherrschende Einfluss eines Mehrheitsgesellschafters einer GmbH (vgl zB ; ; , mwN).

Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner objektiv generell mangels bereiter Mittel nicht nur vorübergehend außerstande ist, fällige Geldschulden regelmäßig zu erfüllen (vgl ). Sie ist gegeben, wenn der Schuldner mangels flüssiger Mittel dauernd unfähig ist, binnen angemessener Frist alle seine fälligen Schulden zur Gänze oder zumindest im wesentlichen zu begleichen. Zahlungsunfähigkeit setzt ein dauerndes Nichtzahlenkönnen voraus, während eine bloße Zahlungsstockung im allgemeinen dann anzunehmen ist, wenn lediglich vorübergehend und kurzzeitig ein Mangel an Zahlungsmitteln besteht, der durch alsbaldige Mittelbeschaffung (wie etwa durch kurzfristig mögliche Verwertung vorhandener Aktiva oder Aufnahme eines Überbrückungskredites) wieder behebbar ist (vgl ; ; ; ).

Da aufgrund der obigen Sachverhaltsfeststellungen samt Beweiswürdigung im vorliegenden Fall von einer Zahlungsunfähigkeit der [X] GmbH im Beschwerdezeitraum auszugehen und daher nach der obigen Rechtsprechung ein steuerrechtlicher Zufluss von tatsächlich nicht ausbezahlten Werkvertragshonoraren an den Beschwerdeführer nicht rechtsmöglich ist, kann den von der belangten Behörde für eine Wiederaufnahme der Verfahren herangezogenen Gründen, die Eignung, einen anderslautenden Bescheid herbeizuführen nicht zukommen.

Da somit jedoch eine der Grundvoraussetzungen für eine Wiederaufnahme der Verfahren nach § 303 Abs 1 lit b BAO nicht vorliegt, erweisen sich die hier angefochtenen Wiederaufnahmebescheide als rechtswidrig und waren daher aufzuheben.

Durch die Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide erwachsen die ursprünglichen Umsatz- und Einkommensteuerbescheide wieder in Rechtskraft.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Gegenstandsloserklärung der Beschwerde gegen die Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 2010 bis 2013)

§ 261 Abs 2 BAO lautet:

"Wird einer Bescheidbeschwerde gegen einen gemäß § 299 Abs. 1 oder § 300 Abs. 1 aufhebenden Bescheid oder gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid (§ 307 Abs. 1) entsprochen, so ist eine gegen den den aufgehobenen Bescheid ersetzenden Bescheid (§ 299 Abs. 2 bzw. § 300 Abs. 3) oder eine gegen die Sachentscheidung (§ 307 Abs. 1) gerichtete Bescheidbeschwerde mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder mit Beschluss (§ 278) als gegenstandslos zu erklären."

Aufgrund der im Spruchpunkt I. dieses Erkenntnisses ausgesprochenen Aufhebung der die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügenden Bescheide, war die Beschwerde gegen die neuen Sachentscheidungen (hier: Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 2010 bis 2013) als gegenstandslos zu erklären (vgl Ritz, BAO6 § 261 Tz 4).

3.3. Zu Spruchpunkt III. (Unzulässigkeit der Revision)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gegen eine Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage anhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da im vorliegenden Fall entscheidungswesentlich die in freier Beweiswürdigung vorgenommene Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes war (Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit), liegen hinsichtlich des Spruchpunktes I. die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung nach Art 133 Abs 4 B-VG nicht vor (vgl ).

Da sich die Rechtsfolge der Gegenstandsloserklärung einer Beschwerde gegen die neue Sachentscheidung im Falle der Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügendenden Bescheides unmittelbar aus § 261 Abs 2 BAO ergibt, liegt auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. im konkreten Fall keine Rechtsfrage vor, der gemäß Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Es war daher gemäß § 25a Abs. 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

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