Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 05.12.2019, RV/3101279/2016

Ansässigkeit nach dem DBA-Schweiz; Verteilung der Besteuerungsrechte bei Lohneinkünften; Verjährung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. R in der Beschwerde-sache A, vertreten durch B, gegen

a)   die am ausgefertigten Bescheide der belangten Behörde Finanzamt C betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2010 bis 2013 und

b)   die am ausgefertigten Bescheide der belangten Behörde Finanzamt C betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2008 und 2009

zu Recht erkannt:

I.   Die am ausgefertigten Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Jahr 2010 bis 2013 und die am ausgefertigten Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2008 und 2009 werden gemäß § 279 Abs. 1 BAO aufgehoben.

II.  Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

I.     Verfahrensgang

1.     Die Abgabenbehörde hat mit am ausgefertigten Bescheiden die Einkommensteuer für das Jahr 2010 mit 4.754,00 €, für das Jahr 2011 mit 5.854,00 €, für das Jahr 2012 mit 5.543,00 € und für das Jahr 2013 mit 4.992,00 € festgesetzt. Dabei wurden in der Schweiz erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit des Beschwerdeführers aus der Beschäftigung bei der CH-AG in Lenzerheide besteuert und in der Schweiz einbehaltene Quellensteuer auf die österreichische Einkommensteuer angerechnet.

2.     Mit Schreiben der steuerlichen Vertretung vom erhob der Beschwerdeführer gegen die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2010 bis 2013 das Rechtsmittel der Beschwerde. Er habe in den Beschwerdejahren den Mittelpunkt der Lebensinteressen in der Schweiz gehabt, die Schweiz sei daher im Sinne des Doppelbesteuerungsabkommens Österreich-Schweiz als Ansässigkeitsstaat anzusehen. Eine Besteuerung in Österreich sei rechtswidrig.

3.     Die Abgabenbehörde hat mit am ausgefertigten Beschwerdevorentscheidungen die Beschwerde gegen die angefochtenen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2010 bis 2013 als unbegründet abgewiesen.

4.     Die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers beantragte mit Schreiben vom , die Beschwerde dem zuständigen Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorzulegen (§ 264 BAO). Beantragt wurde, dass die Entscheidung über die Beschwerde durch einen Senat erfolgt (§ 272 BAO).

5.     Die Abgabenbehörde hat die Beschwerde mit Bericht vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

6.     Mit am ausgefertigten Bescheiden hat die Abgabenbehörde die Einkommensteuer für das Jahr 2008 mit 4.830,45 € und die Einkommensteuer für das Jahr 2009 mit 4.297,11 € festgesetzt. Der Beschwerdeführer habe bereits in den Jahren 2008 und 2009 in der Schweiz Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen. Die Einkünfte wurden mangels Vorlage von Unterlagen auf Basis der für die Jahren 2010 bis 2013 bekanntgegebenen Einkünfte geschätzt. Die Abgabenbehörde rechtfertigt die Vorschreibung mit dem Argument der Hinterziehung der Abgaben, die Verjährungsfrist betrage gemäß § 207 Abs. 2 BAO zehn Jahre. Der Beschwerdeführer habe trotz zweimaliger Aufforderung keine Abgabenerklärungen eingereicht. Es sei in zwei Stellungnahmen nur darauf hingewiesen worden, Österreich sei nicht der Ansässigkeitsstaat und hätte daher kein Besteuerungsrecht. Damit sei zum Ausdruck gebracht worden, dass grundsätzlich steuerpflichtige Einkünfte vorlägen. Somit sei eine Verkürzung der Einkommensteuer in Österreich zumindest in Kauf genommen worden.

7.     Mit Schreiben der steuerlichen Vertretung vom wurde gegen die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2008 und 2009 ebenfalls das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Wie in den Jahren 2010 bis 2013 habe der Beschwerdeführer auch in den Jahren 2008 und 2009 den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in der Schweiz gehabt. Außerdem sei die Abgabenbehörde wegen bereits eingetretener Verjährung nicht berechtigt, die Einkommensteuer für die Jahre 2008 und 2009 festzusetzen. Die verlängerte Verjährungsfrist von zehn Jahren dürfe nicht angewendet werde, weil keine Steuerhinterziehung vorliege. Zwei nicht nach den Vorstellungen der Behörde beantwortete Ergänzungsersuchen aus dem Jahr 2018 erfüllten keinesfalls den Tatbestand der Steuerhinterziehung für die Jahre 2008 und 2009. Für den Fall, dass der Beschwerde nicht im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung vollinhaltlich entsprochen werde, wurde die Entscheidung durch einen Senat des Bundesverwaltungsgerichtes und die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Angeregt wurde, das Verfahren über die Einkommensteuer 2008 und 2009 mit dem bereits beim Bundesfinanzgericht anhängigen Verfahren betreffend Einkommensteuer 2010 bis 2013 zu verbinden.

8.     Die Abgabenbehörde hat mit am ausgefertigten Beschwerdevorentscheidungen die Beschwerde gegen die angefochtenen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2008 und 2009 als unbegründet abgewiesen.

9.     Die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers beantragte mit Schreiben vom , die Beschwerde dem zuständigen Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorzulegen (§ 264 BAO). Beantragt wurde, dass die Entscheidung über die Beschwerde durch einen Senat erfolgt (§ 272 BAO) und dass eine mündliche Verhandlung über die Beschwerde abgehalten wird (§ 274 BAO).

10.   Die Abgabenbehörde hat die Beschwerde mit Bericht vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

11.   Der steuerliche Vertreter hat in der Verhandlung zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am niederschriftlich zu Protokoll gegeben, dass auf die Entscheidung durch den gesamten Senat und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet wird.

II.    Sachverhalt

Folgender Sachverhalt ist nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts entscheidungswesentlich und erwiesen:

1.     Der Beschwerdeführer ist im Zentralen Melderegister mit Hauptwohnsitz unter der Adresse*1 gemeldet. Er ist nach dem Familienstand ledig.

2.     Der Beschwerdeführer war in der Schweiz insgesamt von 1996 bis inklusive 2013 als Saisonnier tätig. Er hatte immer eine Kurzaufenthaltsbewilligung mit der Bezeichnung "Bewilligung L". Mit dieser Bewilligung wurde man nach der Saison abgemeldet und mit Beginn der nächsten Saison wieder angemeldet.

3.     Der Beschwerdeführer hat seit 1996 durchgehend im Sommer und im Winter gearbeitet. Die Saison hat in der Regel vier bis viereinhalb Monate gedauert. Die Wintersaison begann generell im Dezember und dauerte bis April. Die Sommersaison dauerte von Mitte Juni bis Anfang/Mitte Oktober. Grundsätzlich hatte er eine 5-Tage-Woche, zwei Tage waren frei. Er hat den Arbeitgeber immer wieder gewechselt.

4.     Von 2007 bis 2013 war der Beschwerdeführer in der Sommer- und Wintersaison nur bei der CH-AG in Lenzerheide beschäftigt.

5.     Im Beschwerdezeitraum wohnte der Beschwerdeführer am Arbeitsort in der Schweiz an der Adresse*2. Die Wohnung stand im Eigentum des Arbeitgebers, der Beschwerdeführer bezahlte eine Miete von CHF 400,00, die ihm vom Arbeitslohn abgezogen wurde. Die Wohnung wurde von ihm 12 Monate im Jahr gemietet. Die Miete für die Monate zwischen den Saisonen hat der Arbeitgeber am Ende des Jahres vom Lohn abgezogen. Die Mietwohnung hatte ca. 50 bis 60 m2 und ist vom Beschwerdeführer eingerichtet worden. Sie bestand aus einem Vorraum im Eingangsbereich, einer Küche, einem Schlafzimmer und einem großen Balkon.

6.     An dem vom Beschwerdeführer in Österreich gemeldeten Wohnsitz in Osttirol (oben Punkt 1.) befindet sich der geschlossene Hof "D", der in den Beschwerdejahren im Alleineigentum seines Vaters stand. Es handelt sich um einen alten Hof, der im Jahr 1897 gebaut wurde. Das Bauernhaus ist ein Mehrfamilienhaus, in dem bis zu fünf Generationen unter einem Dach gelebt haben, derzeit sind es noch vier Generationen. Der Beschwerdeführer war dort alle ein bis zwei Monate vier bis fünf Tage auf Besuch bei den Eltern, ebenso in der Zeit zwischen den Saisonen. Er bekam dann immer von der Mutter ein Zimmer zugewiesen, einmal ein größeres, einmal ein kleineres, manchmal auch ein Kellerzimmer. Ausgestattet waren die Zimmer in der Regel mit Bett, Fernseher, Tisch und Schrank. Die Toilette war in der Regel auf dem Gang. Der Beschwerdeführer hatte am Bauernhof keine Möglichkeiten, seine persönlichen Sachen unterzubringen. Ihm stand dort kein dauerhaftes Zimmer zur Verfügung, all seine persönlichen Gegenstände befanden sich in der Wohnung am Arbeitsort in der Schweiz.

7.     Der Beschwerdeführer hatte im Beschwerdezeitraum dauerhaft bei der Firma E-AG in Bern (Schweiz) einen Handy- und Internetvertrag. Die Haushaltsversicherung für die Wohnung in der Schweiz hatte er bei der F-Versicherung in Chur (Schweiz) auch durchgehend im gesamten Beschwerdezeitraum jeweils über 12 Monate im Jahr. Der Arbeitslohn wurde ihm auf ein Konto bei G-Bank, einer Schweizer Bank, überwiesen.

8.     Abgesehen von den Besuchen der Familien im Elternhaus (oben Punkt 6.) hatte der Beschwerdeführer sein gesamtes soziales Umfeld nicht in Österreich, sondern in der Schweiz, vor allem am Arbeitsort in Lenzerheide und in Zürich. In der Schweiz, nicht aber in Österreich, lebte er in partnerschaftlichen Beziehungen.

III.  Beweiswürdigung

Die Sachlage ist nach der Aktenlage erwiesen. Zu den Wohnverhältnissen in der Schweiz und in Österreich hat der Beschwerdeführer in der Verhandlung zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am dem Bundesfinanzgericht in Anwesenheit von Vertretern der belangten Behörde glaubwürdig Auskunft erteilt und diese mit Unterlagen (Fotos) belegt. Die wirtschaftlichen Beziehungen zur Schweiz sind aktenkundig und mit den widerspruchsfreien Ausführungen des Beschwerdeführers in der angeführten Verhandlung bestätigt. Dort hat er auch zu seinem sozialen Umfeld in der Schweiz ausführlich Stellung bezogen. Seine Aussagen, die der Beschwerdeführer durch Vorlage einer umfangreichen Fotodokumentation untermauerte, sind für das Bundesfinanzgericht authentisch, glaubhaft und überzeugend. Die Vertreter der Amtspartei haben dazu keine Zweifel angemerkt.

IV.   Rechtliche Beurteilung

1.     Verjährung

1.1.   Gemäß § 207 Abs. 2 BAO beträgt die Verjährungsfrist bei den Verbrauchsteuern, bei den festen Stempelgebühren nach dem II. Abschnitt des Gebührengesetzes 1957, weiters bei den Gebühren gemäß § 17a des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 und § 24a des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 drei Jahre, bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre.

1.2.  Die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, setzt eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare bescheidmäßige Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus. Die maßgebenden Hinterziehungskriterien der Straftatbestände sind von der Abgabenbehörde nachzuweisen. Dabei ist vor Allem in Rechnung zu stellen, dass eine Abgabenhinterziehung nicht schon bei einer objektiven Abgabenverkürzung vorliegt, sondern Vorsatz erfordert, und eine Abgabenhinterziehung somit erst als erwiesen gelten kann, wenn - in nachprüfbarer Weise - auch der Vorsatz feststeht. Vorsätzliches Handeln beruht zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen, wobei sich die diesbezüglichen Schlussfolgerungen als Ausfluss der freien Beweiswürdigung erweisen ().

1.3.  Ob eine Abgabe hinterzogen ist, ist eine Vorfrage. Ein rechtskräftiger Schuldausspruch im Strafverfahren ist für die Annahme der zehn Jahre betragenden Verjährungsfrist nicht erforderlich. Die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, setzt eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare bescheidmäßige Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus. Die maßgebenden Hinterziehungskriterien des Straftatbestandes sind von der Abgabenbehörde nachzuweisen. Die Beurteilung der Vorfrage hat in der Bescheidbegründung zu erfolgen. Aus der Begründung muss sich somit ergeben, aufgrund welcher Ermittlungsergebnisse sowie auf Grund welcher Überlegungen zur Beweiswürdigung und zur rechtlichen Beurteilung die Annahme der Hinterziehung gerechtfertigt ist ().

1.4.     Den am (nach Ablauf der allgemeinen Verjährungsfrist von fünf Jahren) ausgefertigten Bescheiden der belangten Behörde Finanzamt C betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2008 und 2009 fehlen eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare Feststellungen über die Abgabenhinterziehung. Die Vertreter der belangten Behörde haben im Rahmen der Verhandlung zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am ausgesagt, dass sie ihre Argumentation nicht weiter aufrechthalten, der Beschwerdeführer habe in den Jahren 2008 und 2009 mit Wissen und Wollen eine Abgabenverkürzung vorgenommen. Die Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2008 und 2009 war demnach berechtigt, sie waren gemäß § 279 Abs. 1 BAO aufzuheben.

2.     Besteuerungsrecht nach dem DBA-Schweiz

2.1.  Gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz (Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, BGBl. Nr. 64/1975) dürfen Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, sei denn, dass die Arbeit in dem anderen Vertragstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden.

2.2.  Bezieht eine in einem Vertragstaat ansässige Person Einkünfte oder hat sie Vermögen und dürfen diese Einkünfte oder dieses Vermögen nach diesem Abkommen in dem anderen Vertragstaat besteuert werden, so nimmt der erstgenannte Staat, vorbehaltlich der nachfolgenden Absätze, diese Einkünfte oder dieses Vermögen von der Besteuerung aus; dieser Staat darf aber bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen oder das übrige Vermögen dieser Person den Steuersatz anwenden, der anzuwenden wäre, wenn die betreffenden Einkünfte oder das betreffende Vermögen nicht von der Besteuerung ausgenommen wären (Art. 23 Abs. 1 DBA-Schweiz).

2.3.  Ungeachtet des Art. 23 Abs. 1 DBA-Schweiz darf Österreich Einkünfte im Sinne des Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz besteuern. Bezieht eine in Österreich ansässige Person unter Art. 15 fallende Einkünfte, die nach diesem Abkommen in der Schweiz und in Österreich besteuert werden dürfen, so rechnet Österreich auf die vom Einkommen dieser Person zu erhebende Steuer den Betrag an, der der in der Schweiz gezahlten Steuer entspricht; der anzurechnende Betrag darf jedoch den Teil der vor der Anrechnung ermittelten Steuer nicht übersteigen, der auf die aus der Schweiz bezogenen Einkünfte entfällt (Art. 23 Abs. 2 DBA-Schweiz).

2.4.  Gemäß Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz bedeutet im Sinne des Doppelbesteuerungsabkommens der Ausdruck “eine in einem Vertragstaat ansässige Person” eine Person, die nach dem in diesem Staat geltenden Recht dort unbeschränkt steuerpflichtig ist. Ist nach Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz eine natürliche Person in beiden Vertragstaaten ansässig, so gilt sie gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA-Schweiz gilt als in dem Vertragstaat ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt. Verfügt sie in beiden Vertragstaaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als in dem Vertragstaat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen).

2.5.  Für die Beurteilung der Frage, an welchem Ort (in welchem Staat) der Steuerpflichtige die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat, ist auf das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt. Wirtschaftlichen Beziehungen kommt dabei in der Regel eine geringere Bedeutung zu als persönlichen Beziehungen. Unter letzteren sind all jene zu verstehen, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbinden, an dem er einen Wohnsitz innehat. Von Bedeutung sind dabei familiäre Bindungen sowie Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art und andere Betätigungen zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen, aber auch Verbindungen zu Sachgesamtheiten, wie Privatsammlungen, und die Mitgliedschaft in Vereinen und andere soziale Engagements. Wirtschaftliche Bindungen gehen vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten und von Vermögensgegenständen in Form von Einnahmequellen aus. Der Mittelpunkt ist durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln. Entscheidend ist letztlich, welcher Vertragsstaat für die Person der bedeutungsvollere ist (; ; ).

2.6.  Unbeschränkt steuerpflichtig sind nach § 1 Abs. 2 EStG 1988 jene natürlichen Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.

2.7.  Gemäß § 26 Abs. 1 BAO hat jemand einen Wohnsitz im Sinn der Abgabenvorschriften dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, da er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Voraussetzung für das Vorhandensein eines Wohnsitzes ist das „Innehaben“ einer Wohnung (; ). „Innehaben“ einer Wohnung ist die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit, über die Wohnung zu verfügen, insbesondere sie für den Wohnbedarf jederzeit benützen zu können (). Durch die bloße Überlassung eines Zimmers zur vorübergehenden Nutzung wird nicht die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit begründet, über eine Wohnung zu verfügen ().

2.8.  Strittig ist im gegenständlichen Fall, ob der Beschwerdeführer in den Jahren 2010 bis 2013 im Sinne Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz und Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA-Schweiz in Österreich oder in der Schweiz ansässig war. Davon hängt die Frage ab, ob Österreich ein Besteuerungsrecht an den Lohneinkünften hat, die der Beschwerdeführer von seinem Arbeitgeber in der Schweiz bezog. Auf Basis der erwiesenen Sachlage (oben Punkt II. und III.) kommt das Bundesfinanzgericht zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 2010 bis 2013 nicht in Österreich, sondern in der Schweiz ansässig war. Der Beschwerdeführer arbeitete von 1997 bis 2013 durchgehend als Saisonnier in der Schweiz. Er ist ledig, hat keine Kinder und war nur in der Zeit zwischen den Saisonen sowie alle ein bis zwei Monate für einzelne Tage zu Besuch bei seiner Familie (Eltern, Großeltern, Geschwister) in Österreich. Am Bauernhof seines Vaters besaß er dauerhaft kein Zimmer. In der Schweiz hingegen stand ihm ganzjährig eine vom Arbeitgeber gemietete und von ihm selbst eingerichtete Wohnung zur Verfügung. Sein Arbeitsplatz befand sich in der Schweiz, ebenso seine sonstigen wirtschaftlichen Beziehungen (Bankverbindung, Versicherung, Handy/Internet) und, abgesehen von seiner Familie, sein gesamtes soziales Umfeld. Mit Partnern in Beziehungen hat er ausschließlich in der Schweiz gelebt. Gesamthaft betrachtet steht für das Bundesfinanzgericht zweifelsfrei fest, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Beschwerdeführers in der Schweiz befand. Die Tatsache, dass er unterjährig seine Familie im Elternhaus regelmäßig besuchte und auch die Zeit zwischen den Winter- und Sommersaisonen dort verbrachte, sich in Österreich somit bis zu 4 Monaten im Jahr aufhielt, steht dem nicht entgegen. Demzufolge war der Beschwerdeführer in den Jahren 2010 bis 2013 im Sinne Art. 4 DBA-Schweiz nicht in Österreich ansässig, sodass gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz die Lohneinkünfte nur in der Schweiz besteuert werden dürfen . Die Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2010 bis 2013 erweist sich somit als berechtigt, sie waren gemäß § 279 Abs. 1 BAO aufzuheben. Auf die Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich überhaupt unbeschränkt steuerpflichtig war (ihm wurden im Elternhaus nur für Besuchszwecke wechselhaft Zimmer zugewiesen), muss nicht weiter eingegangen werden.

V.     Zulässigkeit einer Revision

Nach Art 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes die Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt vor Allem dann vor, wenn das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine solche Frage stellte sich im Beschwerdefall nicht. Es war auf Sachverhaltsebene zu klären, an welchem Ort der Beschwerdeführer ansässig war. Rechtsfragen dazu, zur Verteilung der Besteuerungsrechte nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz sowie zur Verjährung sind durch die zitierte Judikatur ausreichend geklärt. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist demzufolge nicht zulässig. Zur außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof siehe nachstehende Rechtsbelehrung.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975
Art. 15 Abs. 1 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975
Art. 23 Abs. 1 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975
Art. 23 Abs. 2 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975
Art. 4 Abs. 1 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975
Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975
§ 1 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 26 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
Zitiert/besprochen in
Oberrader in BFGjournal 2020, 151
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.3101279.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at