Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 04.10.2019, RV/7104187/2018

Auch bei mitgliedsstaatsübergreifendem Sachverhalt vorrangiger Familienbeihilfenanspruch des haushaltsführenden Vaters

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. in der Beschwerdesache Bf., Wien, vertreten durch Dr. Sebastian Lenz, Rechtsanwalt, 1010 Wien Laurenzerberg 1, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 2/20/21/22 vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Ausgleichszahlung für die Kinder K. A., geb. xx und K. M., geb. xxx, ab Juni 2016 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)zulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (Bf.) Bf. stellte am den Antrag auf Gewährung einer Ausgleichszahlung für ihre beiden Kinder K. A., geb. xx und K. M., geb. xxx für den Zeitraum ab Juni 2016. 

Laut dem Antrag ist die Bf. slowakische Staatsbürgerin, wohnt in Wien und ist mit Dipl. Ing. A. K. verheiratet.

Ihr Gatte, Dipl.Ing.K, hat mit den beiden Kindern M. K., geb. xxx, und A. K., geb. xx, den gemeinsamen Familienwohnsitz in der Slowakei (Gemeinde J., Hausnummer 312).

Herr A. K. ist in der Slowakei beschäftigt und erhält slowakische Familienleistungen.

In Beantwortung der Ergänzungsersuchen des Finanzamtes vom und vom :

"Für die Überprüfung der Differenzzahlung wird folgendes benötigt:
Meldebestätigung der gesamten Familie
Bestätigung über den Bezug vom Kindergeld ab 1/2017
Schulbestätigung 2016/17 + 2017/2018 von M.
Fortsetzungsbestätigung/Inskriptionsbestätigung  2017/2018+
Studienerfolgsnachweis 2016/2017 von A.
Ausländische Unterlagen alle inklusive beglaubigter deutscher Übersetzung."

wurden ua. die Studienbestätigungen der Kinder, die Meldebestätigungen der Kinder und des Gatten der Bf., und die Bestätigung über den Bezug von Familienleistungen vorgelegt.
Nicht vorgelegt wurde ein Nachweis, dass auch die Bf. am Wohnsitz der Kinder wohnt.

Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom ab und führte begründend aus:

"Nach der geänderten Rechtsansicht zu den Bestimmungen der VO (EG) 883/2004, steht die Familienbeihilfe/AZ nicht mehr dem unterhaltsleistenden Elternteil zu, wenn das Kind bei einer anderen anspruchsberechtigten Person im gemeinsamen Haushalt lebt.
Da die Kinder lt. vorgelegten Unterlagen nur beim Kindesvater haushaltszugehörig sind, kann keine Familienbeihilfe/Ausgleichszahlung an sie ausbezahlt werden."

Gegen den Abweisungsbescheid brachte die Bf. Beschwerde ein und führte begründend aus, dass sie seit 15 Jahren in Österreich lebe und arbeite und dass die beiden Kinder A. und M. an den Wochenenden bei ihr lebten und sie diese mit Essen, Gewand udg. versorgen musste, somit das beantragte Geld in Wien wieder ausgegeben werde. Sie ersuche daher, dass der Antrag positiv bearbeitet werde.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung ab und führte wie folgt begründend aus:
"Sachverhalt:
Sie sind slowakische Staatsbürgerin und in Österreich beschäftigt und hier wohnhaft. Die beiden Kinder wohnen mit dem Kindesvater in der Slowakei. Es wurde Ihnen die Familienbeihilfe für den Zeitraum aberkannt, weil Sie mit den Kindern keinen gemeinsamen Wohnsitz haben.
In Ihrer Beschwerde erklären Sie, dass die Kinder am Wochenende bei Ihnen in Österreich sind und bitten um Überprüfung des Aktes.
Rechtliche Grundlagen:
Anspruch auf Familienbeihilfe hat nach § 2 Abs. 2 FLAG vorrangig die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten überwiegend für das Kind trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
Nach § 2 Abs. 5 FLAG 1967 gehört ein Kind zum Haushalt einer Person dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt.
Gemäß § 5 Abs. 3 FLAG 1967 besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten. In diesem Zusammenhang bestimmt jedoch § 53 Abs. 1 FLAG 1967, dass Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt sind. Hierbei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäschen Wirtschaftsraumes nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.
Gemäß Art. 67 der VO (EG) Nr. 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.
Gemäß Art. 60 der VO (EG) Nr. 987/2009 ist bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen.

Würdigung:
Unionsrechtlich ist die Beihilfe entweder der den Unterhalt (überwiegend) leistenden Person oder der haushaltsführenden Person zu gewähren. Wer anspruchsberechtigt ist, ist nach nationalem Recht zu beurteilen. Entsprechend den nationalen Bestimmungen hat vorrangig jene Person Anspruch auf Familienbeihilfe für ein die Anspruchsvoraussetzungen erfüllendes Kind, zu dessen Haushalt das Kind gehört. Der Tatbestand der "überwiegenden Kostentragung" (§ 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG) ist als Anspruchsvoraussetzung subsidiär gegenüber dem Tatbestand der Haushaltszugehörigkeit (§ 2 Abs. 2 erster Satz FLAG). Jemand, der die Unterhaltskosten für ein Kind überwiegend trägt, ohne dass das Kind bei ihm haushaltszugehörig ist, hat nur dann (nachrangig) Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn das Kind bei keinem anderen Elternteil haushaltszugehörig ist.
Auf Grund der Aktenlage ergibt sich somit, dass Ihr Familienleistungsanspruch nach § 2 Abs. 2 Satz 1 FLAG 1967 i. V. m. Art. 67 VO 883/2004 und Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO 987/2009 durch den vorrangigen Familienleistungsanspruch dem in der Slowakei zusammen mit den Kindern im gemeinsamen Haushalt lebenden Kindesvater verdrängt wird (vgl. u.a. , Tomisolaw Trapkowski; ; ).
Da die Kinder überwiegend im gemeinsamen Haushalt mit dem Kindesvater leben, haben Sie keinen Anspruch auf Familienbeihilfe bzw. Ausgleichszahlung.
Ihre Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen."

Die rechtliche Vertretung der Bf. stellte den Antrag die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorzulegen und führte Folgendes aus:

"1. Mit Bescheid vom hat die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin vom auf Gewährung von Ausgleichszahlungen zur Familienbeihilfe für ihre Kinder A. K. und M. K. ab Juni 2016 abgelehnt.

Dagegen hat die Beschwerdeführerin am fristgerecht Beschwerde erhoben. Im Rahmen ihrer Beschwerdevorentscheidung vom hat die belangte Behörde die Beschwerde der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. In ihrer Begründung führt die Behörde zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführerin deshalb kein Anspruch auf Familienbeihilfe bzw Ausgleichszahlung zukommen würde, da die Kinder überwiegend im gemeinsamen Haushalt mit dem Kindesvater leben würden.
Die Behörde geht hier von einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung aus und haftet der Entscheidung sohin eine inhaltliche Rechtswidrigkeit an.

2. Zutreffend ist, dass die Kinder der Beschwerdeführerin in der Slowakei im gemeinsamen Haushalt mit dem Kindesvater leben und auch die Beschwerdeführerin slowakische Staatsbürgerin ist. Entgegen der Ansicht der Behörde wird dadurch der Anspruch der Beschwerdeführerin auf Ausgleichszahlungen zur Familienbeihilfe aber nicht zu Nichte gemacht:
§ 53 Abs. 1 FLAG 1967 normiert:

„Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hiebei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtiichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten" (Hervorhebung durch den Verfasser).

Als slowakische Staatsbürgerin ist die Beschwerdeführerin einer österreichischen Staatsbürgerin gleichgestellt.

§ 5 Abs. 4 FLAG 1967 normiert:

„Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, für die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe besteht. Die Gewährung einer Ausgleichszahlung (§ 4 Abs. 2) wird dadurch nicht ausgeschlossen" (Hervorhebung durch den Verfasser).

§ 4 Abs. 2 FLAG 1967 normiert:

„Österreichische Staatsbürger, die gemäß Abs. 1 oder gemäß § 5 Abs. 5 (gemeint nunmehr: Abs 4) vom Anspruch auf die Familienbeihilfe ausgeschlossen sind, erhalten eine Ausgleichszahlung, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person (§ 5 Abs. 5; gemeint nunmehr: Abs.4) Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach diesem Bundesgesetz ansonsten zu gewähren wäre"
(Bemerkungen und Hervorhebung durch den Verfasser).

Aus den genannten Bestimmungen geht sohin eindeutig hervor, dass es dem Anspruch der Beschwerdeführerin auf Ausgleichzahlung nicht schadet, wenn die Kinder nicht im gemeinsamen Haushalt mit der Beschwerdeführerin leben und der Kindesvater in der Slowakei eine der Familienbeihilfe gleichartige Leistung bezieht.
Die von der Behörde im Rahmen ihres Abweisungsbescheids vom  geäußerte  „geänderte Rechtsansicht", wonach die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe nicht mehr zustehen würde, wenn das Kind bei einer anderen anspruchsberechtigten Person im gemeinsamen Haushalt lebt, geht nicht nur in keinster Weise aus dem Gesetz hervor, sondern würde diese Auslegung des Gesetzes den Anwendungsbereich der Ausgleichszahlungen nach § 4 Abs iVm § 5 Abs 4 FLAG nahezu zur Gänze aushöhlen.
Weiters ist es amtsbekannt, dass die in der Slowakei in Anlehnung an die österreichische Familienbeihilfe erbrachte Leistung wesentlich geringer als die österreichische Familienbeihilfe ist.
Da auch sämtliche anderen Voraussetzungen zum Bezug der Familienbeihilfe bzw Ausgleichzahlung vorliegen, gebührt der Beschwerdeführerin für ihre beiden Kinder A. K. und M. K. ab Juni 2016 jedenfalls weiterhin eine Ausgleichszahlung in der Differenz zwischen der österreichischen Familienbeihilfe und entsprechenden slowakischen Beihilfe."

Vom Vertreter der Bf. wurde beantragt, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorzulegen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und dem Antrag auf Gewährung von Ausgleichszahlungen stattzugeben.

Auf Grund eines weiteren Vorhaltes des Finanzamtes führte der Vertreter aus, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Bf. durchgehend in Wien sei. Sie habe sich seit dem Jahr 2004 bewusst in Wien dauerhaft niedergelassen, um ihrer beruflichen Tätigkeit nachzukommen. Sie stehe in einem dauerhaften Dienstverhältnis in Wien und habe sohin in Wien ihren faktischen und wirtschaftliche Mittelpunkt. In der Slowakei würde sich die Bf. schon seit dem Jahr 2004 lediglich dann aufhalten, wenn sie dort auf Besuch bei ihrem Ehegatten, Herrn Ing. K. ist, mit welchem die Kinder der Bf. in einem gemeinsamen Haushalt lebten.

Der Ladung zu der vom Bundesfinanzgericht angesetzten mündlichen Verhandlung folgte  die Bf. nicht.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Sachverhalt

Am  stellte die Bf. einen Antrag auf Familienleistungen ab Juni 2016 für die Kinder A. K., geb. xx und M. K., geb. xxx.

Laut dem Antrag ist die Bf. slowakische Staatsbürgerin, hat ihren Hauptwohnsitz in der Wien und ist mit dem Kindesvater verheiratet.

Ihr Gatte, Dipl.Ing.K, ist in der Slowakei beschäftigt und hat mit den beiden Kindern M. und A. den gemeinsamen Familienwohnsitz in der Slowakei (Gemeinde J., Hausnummer 312).

In Beantwortung der Ergänzungsersuchen des Finanzamtes vom und vom wurden Meldebestätigungen der Kinder und des Gatten, Studienbestätigungen der Kinder, und eine Bestätigung über Familienleistungen in der Slowakei vorgelegt.

Ein Nachweis, dass auch die Bf. am Wohnsitz der Kinder wohnhaft ist, wurde nicht vorgelegt.

Der Antrag vom wurde mit Bescheid vom abgewiesen, da die Bf. mit ihren Kindern nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebt.

In der am eingebrachten Beschwerde führt die Bf. aus, dass die Kinder an den Wochenenden bei ihr in Wien wohnten und sie die Kinder mit Essen, Gewand udgl. versorge.

Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom abgewiesen, da die Kinder mit dem Vater in der Slowakei einen gemeinsamen Wohnsitz haben, nicht jedoch mit der Bf..

Begründend wurde weiters ausgeführt:

"Gemäß Art. 67 der VO (EG) Nr. 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesen Mitgliedstaat wohnen würden. 
Gemäß Artikel 60 der VO (EG) Nr. 987/2009 ist bei Anwendung Artikel 67 und 68 der Grundverordnung die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates fallen und dort wohnen.
Entsprechend den nationalen Bestimmungen hat vorrangig jene Person Anspruch auf Familienbeihilfe für ein die Anspruchsvoraussetzungen erfüllenden Kind, zu dessen Haushalt das Kind gehört. Der Tatbestand der "überwiegenden Kostentragung" (§ 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG) ist als Anspruchsvoraussetzung subsidiär gegenüber dem Tatbestand der Haushaltszugehörigkeit. Jemand, der die Unterhaltskosten für ein Kind überwiegend trägt, ohne dass das Kind bei ihm haushaltszugehörig ist, hat nur dann (nachrangig) Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn das Kind bei keinem anderen Elternteil haushaltszugehörig ist.
Auf Grund der Aktenlage ergibt sich somit, dass ihr Familienbeihilfenanspruch nach § 2 Abs. 2 Satz 1 FLAG 1967 iVm Art 67 VO 883/2004 und Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO 987/2009 durch den vorrangigen Familienleistungsanspruch dem in der Slowakei zusammen mit den Kindern im gemeinsamen Haushalt lebenden Kindesvater verdrängt wird. (Entscheidung Trapkowski).
Da die Kinder überwiegend im gemeinsamen Haushalt mit dem Kindesvater leben, haben sie keinen Anspruch auf Familienbeihilfe bzw. Ausgleichszahlung."

Am wurde durch den Vertreter der Bf. der Vorlageantrag eingebracht und begründend ausgeführt, dass die slowakische Bf. einer österreichischen Staatsbürgerin gleichgestellt ist und den Bestimmungen §§ 4 und 5 FLAG 1967 folgend der Bf. für beide Kinder jedenfalls die Ausgleichszahlungen zustehen.

Der vom Finanzamt "aufgetragenen Äusserung" ist zu entnehmen, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Bf. durchgehend in Wien ist. Die Bf. hat sich seit dem Jahr 2004 bewusst in Wien dauerhaft niedergelassen, um ihrer beruflichen Tätigkeit nachzukommen und steht in einem dauerhaften Dienstverhältnis in Wien und hat sohin in Wien ihren faktischen und wirtschaftliche Mittelpunkt. In der Slowakei hält sich die Bf. schon seit dem Jahr 2004 lediglich dann auf,, wenn sie dort auf Besuch bei ihrem Ehegatten, Herrn Ing. K. ist, mit welchem die Kinder der Bf. in einem gemeinsamen Haushalt leben.

Beweiswürdigung

Die Feststellungen zum Sachverhalt ergeben sich aus den vorgelegten Akten und den Vorbringen des steuerlichen Vertreters.

Strittig ist, ob der in Österreich wohnenden Kindesmutter die Ausgleichszahlungen (Familienbeihilfe) für ihre beiden Kinder, die im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Vater in der Slowakei wohnen, zustehen.

Rechtslage und rechtliche Erwägungen

Gemäß Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt diese Verordnung für die Bf., den Kindesvater und deren gemeinsame Kinder, da diese slowakische Staatsbürger und damit Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union sind.

Die Kindesmutter unterliegt aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit in Österreich gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 den österreichischen Rechtsvorschriften, der Kindesvater unterliegt den slowakischen Rechtsvorschriften.

In diesem Fall werden nach den in Art. 68 der Verordnung normierten Prioritätsregeln die Familienleistungen primär nach den slowakischen Rechtsvorschriften gewährt; ein Unterschiedsbetrag in Höhe der darüber hinausgehenden Familienleistungen ist nach den sekundär anzuwendenden österreichischen Bestimmungen zu gewähren (Differenzzahlungen).

Ein Anspruch auf Differenzzahlungen ist im vorliegenden Fall grundsätzlich gegeben. Zu klären ist lediglich die Frage, ob dieser Anspruch dem Kindesvater oder der Kindesmutter zusteht.

Dazu bestimmt Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009:

"Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird."

Im , Tomislaw Trapkowski, hat der EuGH unter Hinweis auf die Familienbetrachtungsweise (Rn 36) mehrfach betont, dass die Frage, wem der Anspruch auf Differenzzahlungen zusteht, ausschließlich nach den innerstaatlichen (hier also österreichischen) Rechtsvorschriften zu prüfen ist (siehe insbesondere die Rn 38 ff dieser Entscheidung), was sich im Übrigen schon unmissverständlich aus dem klaren und unzweideutigen Wortlaut des Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 ergibt. Der EuGH stellte daher fest, dass der Anspruch auf Familienleistung auch einer Person zustehen kann, die nicht in dem Mitgliedsstaat wohnt, der für die Gewährung der Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind (Rn 41).

Das Unionsrecht selbst vermittelt somit keinen originären Anspruch auf nationale Familienleistungen. Es ist nach wie vor Sache der Mitgliedstaaten, wem sie unter welchen Voraussetzungen wie lange Familienleistungen zuerkennen. Das Unionsrecht verlangt allerdings im Allgemeinen, dass diese Zuerkennung diskriminierungsfrei erfolgen muss, und im Besonderen, dass die Familienangehörigen einer Person, die in den Anwendungsbereich der VO 883/2004 fällt, so zu behandeln sind, als hätten alle Familienangehörigen ihren Lebensmittelpunkt in dem Mitgliedstaat, der Familienleistungen gewähren soll (; ; ; ; ; ).

Die nach Art. 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO 987/2009 vorzunehmende Fiktion bewirkt, dass die Wohnsituation auf Grundlage der im Streitzeitraum im anderen EU-Mitgliedstaat gegebenen Verhältnisse (fiktiv) ins Inland übertragen wird. Diese Fiktion besagt aber nur, dass zu unterstellen ist, dass alle Familienangehörigen im zuständigen Mitgliedstaat wohnen. Ob etwa ein gemeinsamer Haushalt besteht, ist dagegen sachverhaltsbezogen festzustellen (; ; ; ;  ; ).

Wer von den unionsrechtlich grundsätzlich als anspruchsberechtigte Personen anzusehenden Familienangehörigen tatsächlich primär oder sekundär oder gar keinen Anspruch auf österreichische Familienleistungen hat, ist daher nach nationalem Recht zu beurteilen (; ; ; ).

Gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein (im Abs. 1 genanntes) Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

§ 2a FLAG 1967 lautet:

"(1) Gehört ein Kind zum gemeinsamen Haushalt der Eltern, so geht der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vor. Bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, daß die Mutter den Haushalt überwiegend führt.

(2) In den Fällen des Abs. 1 kann der Elternteil, der einen vorrangigen Anspruch hat, zugunsten des anderen Elternteiles verzichten. Der Verzicht kann auch rückwirkend abgegeben werden, allerdings nur für Zeiträume, für die die Familienbeihilfe noch nicht bezogen wurde. Der Verzicht kann widerrufen werden."

§ 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 stellt hinsichtlich des Familienbeihilfenanspruchs primär auf die Haushaltszugehörigkeit mit einem Kind ab und nur subsidiär (§ 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG 1967) darauf, welche Person die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt.

Sollte die Bf. daher im Streitzeitraum keinen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegattin geführt haben, steht einem Anspruch auf Familienbeihilfe der Umstand entgegen, dass primären Anspruch auf Familienbeihilfe die Person hat, zu deren Haushalt das Kind gehört, hier also dem Kindesvater.

Der vorrangige Anspruch auf Familienleistungen steht somit bei dem gegebenen Sachverhalt dem Kindesvater zu.
Der im Verwaltungsverfahren erörterten Frage der überwiegenden Kostentragung durch die Bf. kommt keine Entscheidungsrelevanz zu.

Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zuletzt ) ist durch die dargestellte Rechtsprechung des EuGH überholt. Die Ansicht des VwGH, dass eine überwiegende Kostentragung eines in Österreich erwerbstätigen Unionsbürgers, die bei bestehender Haushaltszugehörigkeit der Kinder zum anderen Elternteil nach dem anzuwendenden innerstaatlichem Recht keine Entscheidungsrelevanz hat, hier doch Voraussetzung für einen Differenzzahlungsanspruch sein soll, findet weder im Unionsrecht noch im innerstaatlichen Recht Deckung. Diese Rechtsansicht führte im Ergebnis regelmäßig zu einer Diskriminierung von Unionsbürgern (der haushaltsführenden Kindesmutter) gegenüber inländischen Staatsbürgern.

Im gegenständlichen Fall ist dabei weiters zu beachten, dass gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 3 VO 987/2009 das österreichische Finanzamt den von der Mutter gestellten Antrag auf Ausgleichszahlung/Differenzzahlung, wenn und soweit diesem ein Anspruch des haushaltsführenden Vaters vorgeht, zugunsten des Anspruchs des Vaters auf österreichische Familienleistungen zu berücksichtigen hat (sh. BFH , III R 68/13 und ; ; ).

Ungeachtet des Umstandes, dass der Antrag der Bf. im Beschwerdefall als Antrag der Kindesvaters gilt, konnte dennoch die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden, da Partei dieses Verfahrens iSd § 78 BAO nur die Bf. ist und sich daher die Wirkung dieses Erkenntnisses nur auf sie erstreckt (aA ; , wo mit Feststellungsbescheid nach § 92 BAO vorgegangen wurde).

Die Beschwerde war abzuweisen.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da das Erkenntnis von der – wenn auch durch die zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes überholten – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig (vgl. ).

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 2 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 5 Abs. 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 53 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 5 Abs. 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 4 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2a Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 11 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 68 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 60 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
§ 2 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.7104187.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at