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Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 30.09.2019, RV/6100023/2011

Die Unterlassung der Darlegung der maßgeblichen Tatsachen oder Beweismittel in nach den §§ 201 und 202 BAO ergangenen Bescheiden ist im Rechtsmittelverfahren nicht mehr sanierbar.

Rechtssätze


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Folgerechtssätze
RV/6100023/2011-RS1
wie RV/6100866/2014-RS1
Der Gesetzgeber bezweckte mit der Neufassung des § 201 BAO durch das AbgRmRefG eine Harmonisierung der Rechtswirkungen von Selbstberechnungen und von Veranlagungsbescheiden. Wie in Ritz, BAO5, § 201 Tz 3, dargestellt, entspricht die erstmalige Festsetzung des § 201 Abs 2 Z 3 BAO bei Veranlagungsbescheiden der Wiederaufnahme nach § 303 BAO. Die angestrebte Harmonisierung ist jedoch nur dann in vollem Umfang zu erreichen, wenn nicht nur § 303 BAO an sich, sondern auch die dazu ergangene höchstgerichtliche Rechtsprechung auf § 201 Abs 2 Z 3 BAO uneingeschränkt angewendet wird. Somit ist auch im Anwendungsbereich des § 201 Abs 2 Z 3 BAO die Nichtdarlegung der maßgeblichen Tatsachen oder Beweismittel in der Bescheidbegründung im Rechtsmittelverfahren nicht mehr sanierbar.

Entscheidungstext

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Vorsitzenden D und die weiteren Senatsmitglieder M, O und U im Beisein der Schriftführerin L in der Beschwerdesache der P, Adresse, vom vertreten durch R, Adresse gegen die Bescheide des Finanzamtes Z vom , betreffend Haftungsbescheide Lohnsteuer für die Jahre 2008 und 2009 sowie die Bescheide betreffend Festsetzung des Dienstgeberbeitrages (DB) und die Bescheide betreffend Festsetzung des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2008 und 2009 in der Sitzung am zu Recht erkannt:

I.

Der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid betreffend Lohnsteuer für das Jahr 2008 wird gemäß § 279 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) stattgegeben.

II.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

III.

Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

IV.

De r Beschwerde gegen den Bescheid betreffend Festsetzung des Dienstgeberbeitrages (DB) für das Jahr 2008 wird gemäß § 279 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) stattgegeben.

V.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

VI.

Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

VII.

Der Beschwerde gegen den Bescheid betreffend Festsetzung des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrages (DZ) für das Jahr 2008 wird gemäß § 279 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) stattgegeben.

VIII.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

IX.

Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

X .

Der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid betreffend Lohnsteuer für das Jahr 2009 wird gemäß § 279 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) stattgegeben.

X I.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

XII.

Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

X III.

De r Beschwerde gegen den Bescheid betreffend Festsetzung des Dienstgeberbeitrages (DB) für das Jahr 2009 wird gemäß § 279 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) stattgegeben.

XI V.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

XV.

Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

XVI.

Der Beschwerde gegen den Bescheid betreffend Festsetzung des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrages (DZ) für das Jahr 2009 wird gemäß § 279 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) stattgegeben.

XVII.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

XVIII.

Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahren vor der Abgabenbehörde erster Instanz

Die Abgabenbehörde erster Instanz führte bei der Beschwerdeführerin im Jahr 2010 eine GPLA-Prüfung über die Jahre 2008 und 2009 durch.

Im August 2010 nahm die Abgabenbehörde erster Instanz in Anwendung des § 82 EStG 1988 die Beschwerdeführerin durch die Erlassung von Haftungsbescheiden für die Lohnsteuer und den Dienstgeberbeitrag (DB) der Jahre 2008 und 2009 in Anspruch.

In der Begründung der Bescheide wurde auf den (Prüf) Bericht vom verwiesen. Dieser Prüfbericht enthielt neben der Darstellung der eingesehenen Unterlagen folgende „Feststellungen“:

„Aufwandsentschädigung, Sachverhaltsdarstellung“

„Kilometergeld mit 30.000km gem. § 26 EStG vom 1.1.8 – DN der LAG. Danach Ummeldung auf P – F, SV Nummer“

Berechnung L und DB sowie Zuschlag zum DB 2008

„Laut Buchhaltung, Sachverhaltsdarstellung“

„lt. Rechnungen – Ö, SV Nummer“

Berechnung L und DB sowie Zuschlag zum DB 2008

„Laut Buchhaltung, Sachverhaltsdarstellung“

„Entgeltsbezug gem. ELBA Kto. 04

I, SV Nummer“

Berechnung L und DB sowie Zuschlag zum DB 2009

„Laut Buchhaltung, Sachverhaltsdarstellung“

„lt. Rechnungen Hrn. GE an PLAG

Ö, SV Nummer“

Ausführungen dazu, welcher der verschiedenen in § 201 BAO genannten Gründe für die Erlassung der Bescheide gemäß § 201 BAO maßgebend war, bzw. welche für das Finanzamt seit der Selbstbemessung neu hervorgekommenen Umstände, die als Wiederaufnahmegrund geeignet sind und für die amtswegige Festsetzung gegenständlicher Selbstbemessungsabgaben ausschlaggebend waren und daher die Beschwerdeführerin zur Haftung herangezogen wurden, finden sich weder in den Bescheiden noch im Bericht.

Gegen die ergangenen Bescheide wurde von der Parteienvertreterin fristgerecht berufen und unter anderem ausgeführt, dass bei F die nachgewiesenen Kilometergelder in der Lohnverrechnung im angeführten Zeitraum bis abgerechnet worden seien und die abgerechneten Beträge die Kilometergrenze von 30.000km unterschreite. Ö sei im betreffenden Zeitraum als Berater für die Beschwerdeführerin tätig gewesen sei und habe unter anderem als Hauptansprechpartner für den Hauptauftraggeber fungiert. Er sei bei einer anderen Abgabenbehörde (Anführung der Steuer- und Finanznummer) steuerlich erfasst und für den betreffenden Zeitraum seien bereits rechtskräftige Veranlagungen vorgenommen worden. I sei Dienstnehmerin der Beschwerdeführerin. Da die Beschwerdeführerin auch deutsche Dienstnehmer beschäftige, die über keine eigene Bankverbindung verfügen würden, auf welche deren Bezüge zu überweisen gewesen wären, wurden diese aus „praktischen Erwägungen und aus Kostengründen“ auf ein österreichisches Bankkonto und zwar auf das I zuzurechnende Konto überwiesen.

Die Abgabenbehörde habe es zudem unterlassen, im Rahmen der Haftungsbescheide die Lohnsteuerbeträge je Dienstnehmer und je Monat aufzugliedern.

Es werde daher die Stattgabe der Berufung sowie eine mündliche Verhandlung vor dem Senat beantragt.

Die Berufung wurde durch Erlassung einer Berufungsvorentscheidung abgewiesen.

In der Begründung wurde unter anderem, dass die Aberkennung des steuerfrei an Herrn F bezahlten Kilometergeldes in den mangelnden Grundaufzeichnungen begründet sei. Es konnte kein vollständiges, chronologisch, lückenlos und nicht korrigierbares Fahrtenbuch, wie von der Rechtsprechung gefordert vorgelegt werden. Außerdem konnten keine Hotelrechnungen des Herrn F vorgelegt werden, welche zumindest seinen Auslandsaufenthalt bestätigen würden. Es sei daher auf Grund des geringen Gehaltes unter anderem durch die Auszahlung der Kilometergelder von verdeckt ausbezahlen Gehaltsbestandteilen auszugehen.

Zu Ö sei unter anderem ausgeführt, dass in den „besagten Zeiträumen“ jedenfalls eine organisatorische Eingliederung in den Unternehmensprozess der Beschwerdeführerin gegeben gewesen sei, wie dies durch die Erstellung von diversen Newsletter durch Ö für die Mitarbeiter der Beschwerdeführerin nachweisbar sei.

Zu I werde ausgeführt, dass die geringfügig Beschäftigten, welche ihr Gehalt über das Konto von I ausgezahlt bekommen haben, angeblich mehrmals im Monat in X Beförderungen durchgeführt hätten. Darüber hinaus erscheine es unglaubwürdig, dass sich Dienstnehmer mit der Überweisung ihres Bezuges auf ein fremdes und für sie unzugängliches Konto einverstanden erklären würden. Zudem hätte sich das Problem der fehlenden inländischen Bankverbindung durch eine Barauszahlung der ohnehin geringen Beträge lösen lassen. Da I zweifelsfrei die Verfügungsmacht über die auf ihr Konto überwiesenen Beträge gehabt habe, gäbe es keinen Grund diese Beträge nicht auch dem steuer- und SV-pflichtigen Gehalt zuzurechnen.

Gegen die abweisende Berufungsvorentscheidung wurde fristgerecht ein Vorlageantrag eingebracht und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat beantragt.

In der Begründung wurde im Wesentlichen auf die Ausführungen in Berufung verwiesen und zu F ausgeführt, dass dieser an den angegebenen Stellen genächtigt habe und außerdem reiche bei einer Dienstreise die Glaubhaftmachung einer Dienstreise aus. Zu Ö werde ausgeführt, dass dieser über eine UID- Nummer verfüge und nach den Informationen der Beschwerdeführer bei der SVA der gewerblichen Wirtschaft eine Versicherungserklärung nach § 2 ASVG abgegeben habe.

Zu I werde ausgeführt, dass ihr letztlich nur jene Beträge zugeflossen seien, welche sich aus der Lohnverrechnung ergeben würden. Beträge anderer Dienstnehmer habe sie an diese weitergeleitet.

Die Abgabenbehörde habe es zudem unterlassen, im Rahmen der Haftungsbescheide die Lohnsteuerbeträge je Dienstnehmer und je Monat aufzugliedern.

Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht

Mit Beschluss vom wurde das gegenständliche Verfahren – nach vorheriger Aufforderung zur Stellungnahme, ob überwiegende Interessen der Beschwerdeführer gegen eine Aussetzung des Verfahrens, wegen einer beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen gleichen Rechtssache entgegenstehen würden – , in Anwendung des § 271 Abs. 1 BAO bis zum Ausgang des beim Verwaltungsgerichtshof zur Zl. Ra 2014/15/0058 schwebenden Verfahrens bzw. bis zum Ausgang der mit Revisionen zu den Geschäftszahlen RV/6100782/2014 und RV/6100809/2014 des Bundesfinanzgerichtes, Außenstelle Salzburg eingebrachten Revisionen ausgesetzt.

Mit Schriftsatz vom wurde der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgezogen.

Über die Beschwerde wurde erwogen

Gemäß § 323 Abs. 37 BAO treten u.a. die §§ 243 bis 291, jeweils in der Fassung des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 14/2013, mit in Kraft und sind, soweit sie Beschwerden betreffen, auch auf alle an diesem Tag unerledigten Berufungen und Devolutionsanträge anzuwenden.

Gemäß § 323 Abs. 38 BAO sind die am bei dem unabhängigen Finanzsenat als Abgabenbehörde zweiter Instanz anhängigen Berufungen und Devolutionsanträge vom Bundesfinanzgericht als Beschwerden im Sinn des Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen. Solche Verfahren betreffende Anbringen wirken mit auch gegenüber dem Bundesfinanzgericht.

Die Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes für die Behandlung dieses Rechtsmittels (Beschwerde) ist somit gegeben.

A) Festgestellter Sachverhalt

Der vorhin dargestellte Verfahrensgang gibt auch den der Entscheidung zugrunde zu legen den Sachverhalt wieder. Er ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen im Berufungs-bzw. Beschwerdeverfahren und ist unstrittig.

B) Rechtslage

Gemäß § 201 Abs. 1 BAO … muss ... bei Abgaben, bei denen die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung durch den Abgabepflichtigen anordnen oder gestatten … nach Maßgabe des Abs. 3 … von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, der Abgabenbehörde keinen selbst berechneten Betrag bekannt gibt oder wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.

Angeordnete“ Selbstberechnungen sehen § 43 FLAG (Dienstgeberbeitrag), vor.

(Ritz, BAO6, § 201 Tz. 4)

Die in Beschwerde gezogenen Bescheide unterliegen somit dem Regime der §§ 201 ff BAO.

Gemäß § 201 Abs. 2 Z. 3 BAO kann zB die Festsetzung erfolgen, wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden.

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein Verfahren wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und … die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Dabei ist maßgebend, ob der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können (zB ; , 2006/15/0006; , 2009/15/0135; , 2011/15/0157). (Ritz, BAO6, § 303 Tz. 24)

Gemäß § 43 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) gelten für den Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen die Bestimmungen über den Steuerabzug vom Arbeitslohn sinngemäß.

Der Dienstgeberbeitrag ist somit vom Arbeitgeber selbst zu berechnen und abzuführen (Selbstberechnungsabgabe).

Im Beschwerdefall ist die Nacherhebung der Dienstgeberbeiträge für die Jahre 2007 bis 2009 strittig.

Nach ständiger Rechtsprechung des Unabhängigen Finanzsenates (UFS) und des Bundesfinanzgerichts hat das Finanzamt bei der Festsetzung einer Abgabe nach § 201 BAO jene Sachverhaltselemente zu benennen und den sechs Fallgruppen des § 201 Abs. 2 und 3 BAO zuzuordnen, welche die erstmalige Festsetzung der Abgabe rechtfertigen. Dies kann weder im Verfahren vor der Abgabenbehörde erster Instanz, wie im gegenständlichen Verfahren durch Erlassung einer Berufungsvorentscheidung noch im Rechtsmittelverfahren bzw. im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden (siehe Ritz BAO6, § 307 Rz 3 und dort angeführte Rechtsprechung sowie vgl. und die dort wiedergegebene Judikatur des UFS des BFG und des Verwaltungsgerichtshofes).

Da die belangte Behörde diese Zuordnung nicht vorgenommen hat, sind bereits aus diesem Grund die angefochtenen Bescheide ersatzlos zu beheben.

Hinzu kommt, dass der der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) in seinem Erkenntnis vom , Ra 2014/15/0058, u.a. Folgendes feststellte:

„17 Die Festsetzung gemäß § 201 BAO kann demnach dann, wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung im Sinne des Abs. 1 der Bestimmung als "nicht richtig" erweist, gemäß Abs. 2 Z 3 erfolgen, "wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden". Die Vorschrift hat insoweit den Zweck, einen "Gleichklang mit der bei einem durch Bescheid abgeschlossenen Verfahren geltenden Rechtslage" herbeizuführen (vgl. nochmals , sowie vom , unter Hinweis auf den Bericht des Finanzausschusses zum Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz, BGBl. I Nr. 97/2002, 1128 BlgNR 21. GP 9).

18 Die sprachlichen Anpassungen durch das FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, und das VwG-AnpG-BMF, BGBl. I Nr. 70/2013, sollten dabei ausweislich der Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der "Neuregelung des Wiederaufnahmsrechts in der BAO" Rechnung tragen (vgl. zum FVwGG 2012 2007 BlgNR 24. GP 16 sowie zum VwG-AnpG-BMF 2196 BlgNR 24. GP 8). Damit wurde der schon vom Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz betonte "Gleichklang mit der bei einem durch Bescheid abgeschlossenen Verfahren geltenden Rechtslage" weiter verfolgt.

19 Aus diesem vom Gesetzgeber statuierten Gleichklang ergibt sich - wie das Bundesfinanzgericht richtig erkannt hat - auch eine Übertragbarkeit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Wiederaufnahme auf Festsetzungen gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO.

20 Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Die Wendung "im abgeschlossenen Verfahren" beruht erkennbar auf einem Redaktionsversehen. Zweck der Wiederaufnahme wegen Neuerungen ist - wie schon nach der Regelung vor dem FVwGG 2012 - die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen (Ritz, BAO5 § 303 Tz 24). Gemeint sind also Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl. ).

21 Mit dem FVwGG 2012 erfolgte eine Harmonisierung der Wiederaufnahme von Amts wegen mit jener auf Antrag (vgl. auch diesbezüglich die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 2007 BlgNR 24. GP 22). Nicht geändert wurde aber insbesondere, dass der Wiederaufnahmeantrag u.a. die Bezeichnung der Umstände, auf die der Antrag gestützt wird, zu enthalten hat (§ 303a lit. b BAO idF vor FVwGG 2012; § 303 Abs. 2 lit. b BAO idF FVwGG 2012).

22 Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betreffende Partei, bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die für die Entscheidung über die Wiederaufnahme zuständige Behörde (vgl. ).

23 Ein Antrag auf Wiederaufnahme hat sohin - bei Geltendmachung neu hervorgekommener Tatsachen - insbesondere die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel "neu hervorgekommen sind". Damit setzt aber diese Bestimmung voraus, dass diese Tatsachen im Zeitpunkt der Antragstellung bereits bekannt geworden sind. Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 2 lit. b BAO ist somit abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist. Gleiches gilt spiegelbildlich für die Wiederaufnahme von Amts wegen, bei der die - für die Behörde - neu hervorgekommenen Tatsachen im Wiederaufnahmebescheid anzuführen sind.

24 Gemäß § 279 Abs. 2 BAO hat das Bundesfinanzgericht außer in hier nicht interessierenden Fällen des Abs. 1 immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Bei einer Beschwerde gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist die Sache, über welche das Bundesfinanzgericht gemäß § 279 Abs. 2 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltsmomente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Unter Sache ist in diesem Zusammenhang die Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Abgabenbehörde erster Instanz gebildet hatte. Die Identität der Sache, über die abgesprochen wurde, wird durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde (vgl. mit weiteren Hinweisen ).

25 Aufgabe des Bundesfinanzgerichts bei Entscheidungen über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch ein Finanzamt ist es daher, zu prüfen, ob dieses Verfahren aus den vom Finanzamt gebrauchten Gründen wieder aufgenommen werden durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss das Bundesfinanzgericht den vor ihm bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben (vgl. nochmals ).

26 Entscheidend ist im Revisionsfall einer amtswegigen (Neu)Festsetzung nach § 201 Abs. 2 Z 3 BAO somit, ob und gegebenenfalls welche für das Finanzamt seit der Selbstbemessung neu hervorgekommenen Umstände seitens des Finanzamts dargetan wurden, die als Wiederaufnahmegrund geeignet sind.

28 Mit Bescheid vom hat das Finanzamt die Forschungsprämie 2006 sodann mit einem niedrigeren Betrag festgesetzt. Dabei hat das Finanzamt seinen (Neu)Festsetzungsbescheid gemäß § 201 BAO mit einem Verweis auf die Niederschrift über die Schlussbesprechung anlässlich der Außenprüfung vom begründet. Dass ein solcher Verweis grundsätzlich zulässig ist, entspricht ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. , sowie vom , 2012/15/0172).

29 Das Finanzamt hat vor diesem Hintergrund zu Recht darauf hingewiesen, dass das Bundesfinanzgericht seiner amtlichen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen ist und keine näheren Feststellungen zur Frage eines vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmetatbestands und sodann diesbezüglicher Wiederaufnahmegründe getroffen hat.“

Da nach § 201 Abs 2 Z 3 BAO die Festsetzung der selbst zu berechnenden Abgabe nur zulässig ist, wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO die Voraussetzungen einer Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen, gab das Bundesfinanzgericht im angesprochenen Fall der Berufung/Beschwerde Folge und hob die Kürzung der Forschungsprämie auf. Das Finanzamt habe nämlich nicht dargelegt, welcher Wiederaufnahmetatbestand und welche Wiederaufnahmegründe seinem Bescheid zugrunde lägen.

Aufgrund der Amtsrevision hob der VwGH nunmehr mit dem angeführten Erkenntnis vom , Ra 2014/15/0058, diese Entscheidung auf. Das Bundesfinanzgericht hatte seine Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung verletzt. Der VwGH betonte, das Finanzamt habe in der Begründung seines nach § 201 BAO erlassenen Bescheides auf die Niederschrift zur Schlussbesprechung verwiesen. Das Bundesfinanzgericht hätte daher prüfen müssen, ob sich aus diesem Verweis ergibt, ob das Finanzamt tatsächlich einen Wiederaufnahmetatbestand herangezogen hat bzw. welcher Wiederaufnahmetatbestand es gewesen ist, und ob für das Finanzamt Tatsachen neu hervorgekommen sind bzw. welche konkreten (neu hervorgekommenen) Tatsachen dies gewesen sind und ob solche neu hervorgekommenen Umstände „seitens des Finanzamtes dargetan wurden" (Zorn in RdW 2016, 857).

Im vorliegenden Beschwerdefall hat das Finanzamt in der Begründung seiner nach § 201 BAO erlassenen Bescheide vom auf den Bericht gemäß § 150 BAO über das Ergebnis der Außenprüfung vom verwiesen.

Daher ist nach dem zitierten Erkenntnis des , auch im Beschwerdefall zu prüfen, ob sich aus diesem Verweis ergibt, ob das Finanzamt tatsächlich einen Wiederaufnahmetatbestand herangezogen hat bzw. welcher Wiederaufnahmetatbestand es gewesen ist, und ob für das Finanzamt Tatsachen neu hervorgekommen sind bzw. welche konkreten (neu hervorgekommenen) Tatsachen dies gewesen sind und ob solche neu hervorgekommenen Umstände „seitens des Finanzamtes dargetan wurden".

Während im Fall, des Erkenntnisses vom , Ra 2014/15/0058, zugrunde lag, dass das Finanzamt in seinem Festsetzungsbescheid auf die Niederschrift über die Schlussbesprechung verwies, in der die Gründe für die Festsetzung der Forschungsprämie gemäß § 201 BAO (offenbar hinreichend) angeführt gewesen sind, ist im hier gegenständlichen Prüfbericht vom als Text lediglich

„Aufwandsentschädigung, Sachverhaltsdarstellung“

„Kilometergeld mit 30.000km gem. § 26 EStG vom 1.1.8 – DN der LAG. Danach Ummeldung auf P – F, SV Nummer“

„Laut Buchhaltung, Sachverhaltsdarstellung“

„lt. Rechnungen – Ö, SV Nummer“

„Laut Buchhaltung, Sachverhaltsdarstellung“

„Entgeltsbezug gem. ELBA Kto. 04

I, SV Nummer“

„Laut Buchhaltung, Sachverhaltsdarstellung“

„lt. Rechnungen Hrn. GE an PLAG

Ö, SV Nummer“

angeführt.

Beschrieben wird damit keine (neue) Tatsache, sondern eine Vorgangsweise der Abgabenbehörde erster Instanz aus der nicht erkennbar ist, auf welchen Sachverhalt sich dies bezieht.

Insofern unterscheidet sich die Verfahrenssituation des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens von jener, die im Fall des Erkenntnisses vom , Ra 2014/15/0058, zu beurteilen war.

Geht aber – wie im gegenständlichen Fall – weder aus den bekämpften Bescheiden noch aus den Bericht der Prüfung hervor, auf welche Wiederaufnahmegründe das Finanzamt die Festsetzung nach § 201 BAO gestützt hat, so muss das Bundesfinanzgericht diese Bescheide ersatzlos beheben ().

Nachdem die Vertreterin der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurücknahm, war keine mündliche Verhandlung vor dem Senat durchzuführen.

C) Erwägungen

Die angefochtenen Haftungsbescheide betreffend Lohnsteuer für die Jahre 2008 und 2009 sowie die Bescheide betreffend Festsetzung des Dienstgeberbeitrages (DB) und den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DB) für die Jahre 2008 und 2009 waren daher ersatzlos aufzuheben.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da über die im gegenständlichen Fall zu beurteilende Rechtsfrage, ob im Anwendungsbereich des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO die Nichtdarlegung des Wiederaufnahmegrundes im angefochtenen Bescheid zu dessen Aufhebung durch das Bundesfinanzgericht führen muss, im Sinne der oben dargestellten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entschieden wurde, war die Unzulässigkeit der Revision auszusprechen.

Salzburg-Aigen, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 201 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 201 Abs. 2 Z 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Selbstbemessungsabgaben
Wiederaufnahme
Verweise




ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.6100023.2011

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at