Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 19.07.2019, RV/7103485/2019

Abweisung eines Wiederaufnahmeantrages gemäß § 303 Abs. 1 lit.b BAO (BGBl. 14/2013) in der Geltung ab 1.1.2014

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. in der Beschwerdesache Bf., Adresse, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 8/16/17 vom betreffend Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO der Einkommensteuer 2004 zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Dem gegenständlichen Verfahren vorangegangener Verfahrenslauf:

Die Beschwerdeführerin (Bf.) war für den Zeitraum 2004 bis März 2006 einkommensteuerlich nicht erfasst. Auf Grund einer Mitteilung gemäß § 109a EStG 1988, die im Finanzamt am eingelangt war, wonach die Bf. im Jahr 2004 von der GmbH Österreich Provisionen in Höhe von € 15.166,38 erhalten hat, erließ das Finanzamt am einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004, in dem diese Einnahmen als Einkünfte aus selbständiger Arbeit zum Ansatz gebracht wurden und Einkommensteuer iHv € 2.306,84 festgesetzt wurde.

Strittig im folgenden Rechtsmittelverfahren war, ob die gegenständlichen Provisionszahlungen in Österreich oder Slovakei zu versteuern sind.

Das Verfahren wurde mit abschließender Berufungsentscheidung des Unabhängigen Finanzsenat vom , GZ.RV/2032-W/08 entschieden, dass die Provisionszahlungen in Österreich zu versteuern seien.

Am reichte daraufhin die Bf. eine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2004 ein, in der nunmehr von den oa. Betriebseinnahmen Betriebsausgaben in Höhe von € 13.028,69 abgezogen wurden, sodass die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in einer, vom Ergebnis für 2004 bereits (rechtskräftigen) abgeschlossenen Veranlagungs- und Rechtsmittelverfahren, abweichender Höhe von € 2.137,69 resultierten.

In einem Ergänzungsschreiben am brachte die Bf. einen Schriftsatz ein, und führte aus, da bei den versteuerten Provisionszahlungen vom Finanzamt keine Betriebsausgaben berücksichtigt worden seien, seien nunmehr die von ihr bekanntgegebenen Betriebsausgaben zu berücksichtigen und sei das Verfahren auf Grund der neuen Tatsachen wieder aufzunehmen.

Der Antrag wurde vom Finanzamt mit Bescheid als verspätet zurückgewiesen, da dieser nicht innerhalb der Frist von drei Monaten gemäß § 303 Abs.3 BAO nachweislich ab Kenntnis  von dem Wiederaufnahmegrund eingebracht worden war.

Die gegen diesen Zurückweisungsbescheid vom erhobene Berufung (Beschwerde) wies das Finanzamt am  mit Berufungsvorentscheidung ab.

Das Finanzamt legte den am eingebrachten Vorlageantrag - dem nach damaliger Rechtslage als Rechtmittelbehörde zuständigen - Unabhängigen Finanzsenat vor.

Gemäß Art 151 Abs. 52 Z 8 B-VG wurde mit der Unabhängige Senat aufgelöst. Die Zuständigkeit zur Weiterführung der mit Ablauf des bei dieser Behörde anhängigen Verfahren ging auf das Verwaltungsgericht über. Gemäß § 323 Abs. 38 BAO sind am anhängige Berufungen vom Bundesfinanzgericht als Beschwerden im Sinne des Art. 130 Abs.1 B-VG zu erledigen. Das Verfahren betreffend Anbringen wirken ab auch gegenüber dem Bundesfinanzgericht.

Am , BFG RV/7101826/2013 gab das BFG mit Erkenntnis der Beschwerde gemäß § 279 BAO Folge und hob den Bescheid vom auf.

Begründend wurde ausgeführt, da gemäß § 303 Abs. 1 BAO in der ab geltenden Fassung, vor dem Hintergrund durch das FVwGG 2012 geänderten Rechtslage - die nunmehr im gegenständlichen offenen Beschwerdeverfahren zur Anwendung gelangt - sich der Antrag auf Wiederaufnahme des Einkommensverfahren 2004 nunmehr als rechtzeitig eingebracht erweist und daher aus diesem Grunde der Zurückweisungsbescheid vom aufzuheben war.

Die belangte Behörde (Finanzamt) wird nun in weiterer Folge zu prüfen haben, ob für das Jahr 2004, für das ein fristgerechter Wiederaufnahmsantrag vorliegt, die darin geltend gemachten neuen Tatsachen (bisher nicht zum Ansatz gebrachten Betriebsausgaben) als tauglichen Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 303 Abs. 1 lit.b BAO zu beurteilen sind.

Gegenständlich zu entscheidendes  Verfahren:

Das Finanzamt wies nunmehr mit Bescheid vom , den Antrag gemäß § 303 Abs. 1 BAO betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2004, am , eingebracht, ab.

Begründend wurde ua. ausgeführt, dass Wiederaufnahmegründe nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen (und Beweismittel) sind, die später hervorkommen. Später entstandene Umstände oder Beweismittel (nova producta) sind keine Wiederaufnahmegründe.

Nach den bisherigen Vorbringen werde aber nicht ein bestimmtes Beweismittel als Wiederaufnahmegrund eingewandt, sondern der ebenfalls erstmalig nach Bescheiderlassung eingewandte vorgebliche Umstand, dass im Rahmen der Einkünfte -Ermittlung 2004 den erhaltenen Provisionen zuzuordenden Betriebsausgaben (i.h.v. € 13.028,69) gegenüberzustellen seien, wobei aus dem, der Eingabe vom beigefügten Schreiben vom eindeutig ersichtlich sei, zu welchem Zeitpunkt von den "neuen Tatsachen" Kenntnis erlangt wurde.

Eben dieses "sinngemäß übersetzte Schreiben der Fa. G. s.r.o." bringt aber die (mit diesem Schreiben) in Rechnung gestellten und gleichzeitig gegenverrechneten Beträge nicht in Zusammenhang mit allfälligen Provisionsflüssen oder sonstigen Sachverhalten unmittelbar im Kalenderjahr 2004, sondern mit einer nach deren Grundlage oder deren Erhebungszeitpunkt nicht konkretisierten "Rückzahlungsforderung der Provision 2004".

Wenn eben diese In-Rechnung-Stellung vom , die neue, eine Verfahrenswiederaufnahme begründende Tatsache bilden würde, könne dieser Umstand  jedoch nicht als neu hervorgekommene Tatsache gewertet werden.
Insofern sei auch kein tauglicher Wiederaufnahmegrund i.S. des § 303 Abs. 1 lit. b BAO eingewandt worden.

Weiters führte das Finanzamt aus, dass nach dem Inhalt der Eingabe vom und des Schreibens vom (samt "sinngemäßer" Übersetzung) sowohl die In-Rechnung-Stellung, als auch die Gegenverrechnung mit einer erhobenen Rückzahlungsforderung (Abfluss der Beträge) ebenso im Jahr 2011 erfolgten, wie die Kenntniserlangung von diesen Umständen.

Nach den Grundsätzen des § 19 EStG 1988 sind die genannten Beträge (selbst bei Annahme einer Abzugsfähigkeit) jedenfalls nicht für das Jahr 2004 abzusetzen.

Damit stehe aber selbst unter einer faktisch nicht gerechtfertigten Annahme des Vorliegens einer neu hervorgekommenen Tatsache fest, dass die im Jahr 2011 angelasteten Beträge den Vorgaben des § 19 EStG 1988 folgend nicht im Rahmen der Gewinnermittlung 2004 in Abzug zu bringen wären. Es wäre insofern die weitere Voraussetzung für einen Eintritt in den Ermessenbereich, dass nämlich durch den eingewandten Sachverhalt ein im Spruch anders lautender Bescheid herbeigeführt werden könnte, nicht erfüllt.
Ein tauglicher Wiederaufnahmegrund sei somit nicht vorgebracht worden, es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Abweisungsbescheid brachte die Bf. das Rechtsmittel der Beschwerde vom ein.

"Mit dem Urteil des Bundesfinanzgerichtes GZ.RV/7101826/2013 vom wurde mein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2004 zu Recht erkannt.
Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren bei Vorliegen eines Wiederaufnahmetatbestandes auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen dann wiederaufgenommen werden, wenn die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Aus dem „sinngemäß übersetzten Schreibens der Fa.G. s.r.o.“ besteht entgegen der Ansicht der Behörde, sehr wohl ein unmittelbarer und direkter Zusammenhang mit der Provision für 2004 im Betrag von € 15.166,38 als keine weiteren Umsätze in diesem Jahr vorlagen und daher auch nur jene Kosten, die für die Umsatzerlangung aus diesem Jahr gem. § 19 EStG 1988 in dieser Aufstellung vorhanden sind.
Dass in diesem Schreiben lediglich der Hinweis auf die Provision von 2004 ohne Summe vorhanden ist, bestätigt lediglich, dass meine Provisionsrückzahlungsforderung sich wie oben erwähnt auch nur auf diese Provision aus dem Jahre 2004 beziehen kann und somit zu dieser in dem vorgelegten Schreiben sehr wohl ein Kausalzusammenhang besteht.
Der, der Eingabe vom beigefügte Schriftsatz über die Verrechnung von „Anschaffungskosten, Reise- und Fahrtspesen und Sonstiger Kosten“ stellt sehr wohl ein neu hervorgekommenes Beweismittel dar und ist somit ein Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Einkommensteuer 2004. Die Behörde selbst hat in ihrem Bescheid festgestellt „wobei aus dem, der Eingabe vom beigefügten Schreiben vom eindeutig ersichtlich sei, zu welchem Zeitpunkt von den „neuen Tatsachen“ Kenntnis erlangt wurde. Die Kenntnis der neuen Tatsachen - Gegenverrechnung der dieser Provision zugeordneten Ausgaben, entgegen anderer Vereinbarungen - ergibt sich aus dem tatsächlichen Vorgang meiner Provisionsrückzahlungsforderung in der Gesamthöhe der Provision 2004 von € 15.166,38.
Die Kenntnis über die Verrechnung und Anlastung der dieser Provision zugrundeliegenden Kosten im Jahre 2004 hätten lediglich eine Rückzahlungsaufforderung in der Höhe des Differenzbetrages von € 2.137,69 bewirken können.
Aufgrund dieser Tatsachen sind die im Jahr 2011 angelasteten Beträge nach Vorgaben des § 19 EStG 1988 folgend im Rahmen der Gewinnermittlung 2004 in Abzug zu bringen.

Ich beantrage daher die Wiederaufnahme des Verfahrens und Erstellung eines Steuerbescheides für 2004."

Das Finanzamt wies mit der Beschwerdevorentscheidung vom die Bescheidbeschwerde vom  ab und führte nach Anführung der oa. Beschwerdegründen begründend aus:

"Gemäß § 303 Abs. 1 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren bei  Vorliegen eines Wiederaufnahmetatbestandes gemäß lit.a, b, oder c leg. cit. auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen dann wiederaufgenommen werden, wenn die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
§ 303 Abs.1 lit.b BAO normiert als Neuerungstatbestand bzw. Voraussetzung für eine Verfahrenswiederaufnahme, dass Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind.
Wiederaufnahmegründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen (und Beweismittel), die später hervorkommen. Später entstandene Umstände oder Beweismittel (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe. Das Hervorkommen neuer Tatsachen oder Beweismittel ist aus Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen. Auch die Bescheidbeschwerde wendet eine „Gegenverrechnung von der Provision zugeordneten Ausgaben - entgegen anderer Vereinbarungen", die nach allen bisherigen Ausführungen im Jahr 2011 erfolgte, als Wiederaufnahmegrund für 2004 ein.
Insofern wurden auch mit der eingangs angegebenen Bescheidbeschwerde Sachverhalte, die die beantragte Wiederaufnahme hinsichtlich des Einkommensteuerverfahrens 2004, bzw. eine dem angefochtenen Abweisungsbescheid anhaftende Rechtswidrigkeit begründen könnten, nicht vorgebracht.
Somit war spruchgemäß zu entscheiden."

Die Bf. stellte am den Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde (Vorlageantrag) durch das Bundesfinanzgericht, führte wie in der Beschwerde aus und ergänzte wie folgt:

"Tatsachen sind sinnlich wahrnehmbare Vorgänge oder Zustände aus Gegenwart oder Vergangenheit. Tatsachen im Sinne der Rechtsprechung sind konkrete Zustände oder Vorgänge aus Gegenwart und Vergangenheit, die dem Beweis zugänglich sind.
ln der Beschwerdevorentscheidung wird u.a. begründet:
„Wiederaufnahmegründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existierende Tatsachen (und Beweismittel), die später hervorkommen.
Später entstandene Umstände oder Beweismittel sind keine Wiederaufnahmegründe.

Hier werden „Beweismittel“ sowohl als Wiederaufnahmegrund als auch "Beweismittel(nova producta)“als „KEIN Wideraufnahmegrund angeführt. Es handelt sich um
TATSACHEN.

Die Behörde beruft sich auf Umstände oder Beweismittel, die später entstanden sind und daher keine Wiederaufnahmegründe darstellen
Dies steht im Widerspruch zum § 303 Abs. 1 lit. b BAO.

Die Kenntnis der neuen Tatsachen - Gegenverrechnung der dieser Provision zugeordneten Ausgaben, entgegen anderer Vereinbarungen - ergibt sich aus dem tatsächlichen Vorgang meiner Provisionsrückzahlungsforderung in der Gesamthöhe der Provision 2004 von € 15.166,38.

Die Kenntnis über die Verrechnung und Anlastung der dieser Provision zugrundeliegenden Kosten im Jahre 2004 hätten lediglich eine Rückzahlungsaufforderung in der Höhe des Differenzbetrages von € 2.137,69 bewirken können.

Aufgrund dieser Tatsachen sind die im Jahr 2011 angelasteten Beträge nach Vorgaben des § 19 EStG 1988 folgend im Rahmen der Gewinnermittlung 2004 In Abzug zu bringen.

Ich beantrage daher die Aufhebung des Steuerbescheides 2004 und Erstellung eines neuen Steuerbescheides für 2004."

Das Finanzamt legte die Beschwerde dem BFG vor.

Über die Beschwerde wurde Folgendes erwogen:

Das Bundesfinanzgericht nimmt aufgrund der festgestellten Aktenlage den folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Die Provisionszahlungen an die Bf. in Höhe von € 15.166,38 im Jahr 2004 wurden dem Finanzamt mittels Kontrollmitteilung im Jahr 2006 gemäß § 109a EStG 1988 bekannt gegeben und im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit (rechtskräftig) veranlagt.

Die Höhe wurde von der Bf. nicht bestritten. Unstrittig ist auch, dass die Einkünfte-Ermittlung für das Kalenderjahr 2004 nach den Grundsätzen des § 4 Abs. 3 EStG von der Bf. angestrebt wurde.

Bestritten wurde in dem diesen Verfahren vorangegangenen Verfahren von der Bf., dass diese Provisionszahlungen in Österreich zu versteuern sind.

Der Unabhängige Senat entschied mit Berufungsentscheidung vom , GZ. RV/2032-W/08, dass die Einkünfte in Österreich zu veranlagen seien.

Die Bf. brachte daraufhin den Antrag auf Wiederaufnahme vom  mittels Einkommensteuererklärung für das Jahr 2004 ein, in der die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit, mit den im Jahr 2004 erhaltene Provisionen in Höhe von 15.166,38 abzüglich der der Bf. in Rechnung gestellter Kosten in Höhe von € 13.028,69, in Höhe von € 2.137,69 erklärt wurden.

In einem Schriftsatz zu der nachgereichten Einkommensteuererklärung 2004 wurde in einer "sinngemäßen Übersetzung des Schreibens der G. s.r.o.an Bf. vom " ausgeführt:

"Sehr geehrte Frau M., aufgrund der Rückzahlungsforderung der Provision für 2004 stellen wir Ihnen die an Sie bezahlten Spesen für 2004 wie folgt in Rechnung: Anschaffungskosten € 150,- Reise- und Fahrtspesen inkl. KM-Geld € 11.479,74 Sonstige Kosten € 1.398,95 gesamt € 13.028,69. Diesen Betrag werden wir ihrer Forderung gegenverrechnen. Mit freundlichen grüßen J.."

Das Finanzamt wies den Antrag mit der Begründung zurück, dass  der Antrag verspätet - nach mehr als 3 Monaten - gestellt worden ist.

Mit Erkenntnis , hob das Bundesfinanzgericht den Bescheid vor dem Hintergrund der mittlerweilen geänderten Rechtslage (BGBl I 2013/2014) auf und führt weiters aus, dass die belangte Behörde nun in weiterer Folge zu prüfen habe, ob für das Jahr 2004, die darin geltend gemachten Tatsachen (bisher nicht in Ansatz gebrachte Betriebsausgaben) als tauglicher Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO zu beurteilen sind.

Das Finanzamt wies den nunmehr wieder offenen Antrag auf Wiederaufnahme mit Bescheid vom , mit der Begründung ab, dass keine neuen Tatsachen vorgebracht worden sind, da Wiederaufnahmegründe nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen (und Beweismittel) sind, die später hervorkommen. Später entstandene Umstände oder Beweismittel (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe.

Strittig ist im gegenständlichen Verfahren, ob die von der Bf. im Jahr 2011 geltend gemachten Zahlungen ein Wiederaufnahmsgrund gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2004 sind.

Rechtslage und rechtliche Erwägungen:

§ 303 Abs. 1 BAO: Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

(2) Der Wiederaufnahms­antrag hat zu enthalten:
a) die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird;
b) die Bezeichnung der Umstände (Abs 1), auf die der Antrag gestützt wird.

(3) Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, durch Verordnung die für die Ermessensübung bedeutsamem Umstände zu bestimmen.
[BGBl I 2013/14]

Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (zB ; , 95/14/0094); also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (zB ; , 95/14/0094; , 2006/13/0107; , 2010/15/0064).

Tatsachen sind nicht nur sinnlich wahrnehmbare Umstände, sondern auch innere Vorgänge, soweit sie rational feststellbar sind (Ansichten, Absichten oder Gesinnungen wie zB die Zahlungswilligkeit, ).
(Ritz, BAO6, § 303 Tz 21)

Wiederaufnahmsgründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheid­erlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe (zB ; , 96/15/0221).

Das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln ist nach hA aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen (zB ; , 2006/13/0019; , 2007/15/0045; , 2007/13/0157; , 2009/15/0016; , 2011/15/0106; aM Schobesberger, ÖStZ 1988, 310; Wiedermann, Wiederaufnahme, 99 ff; vgl hiezu auch Stoll, BAO, 2935 ff).
(Ritz, BAO6, § 303 Tz 30ff)

Im gegenständlichen Verfahren beantragte die Bf. die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Einkommensteuer 2004. 

Der Neuerungstatbestand (§ 303 Abs 1 lit b idF FV wGG 2012) fordert, dass (entscheidungsrelevante) Tatsachen oder Beweismittel im (abgeschlossenen) Verfahren neu hervorkommen. Gemeint ist, in jenem Verfahren, das bereits durch Bescheid abgeschlossen ist.

Nach bisheriger Judikatur (zu § 303 Abs 4 aF) ist das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu sehen (vgl zB ).

Weder der neue Wortlaut des § 303 noch die Gesetzesmaterialien zum FVwGG 2012 deuten darauf hin, dass diese Rechtslage geändert werden sollte.

Nach Fischerlehner (Abgaben­verfahren 2, § 303 Anm 6; aM Ehrke/Rabel in Ritz-FS, 29 ff; Ritz, ÖStZ 2014, 437; Rzeszut, SWK 2014, 1273; oV, RWP 2015, 25; vgl zu dieser Frage auch Papst, ÖStZ 2015, 345) bilden Umstände, die der Partei (§ 78) bekannt waren, keinen tauglichen Wiederaufnahmsgrund für eine Wiederaufnahme auf Antrag der Partei.

Die Wendung "im abgeschlossenen Verfahren" beruht erkennbar auf einem Redaktionsversehen. Zweck der Wiederaufnahme wegen Neuerungen - ist - wie schon nach der Regelung vor dem FVwGG 2012 - die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen (Ritz, BAO 5, § 303 Tz 24). Gemeint sind also Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung  "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl. Ritz, aaO Tz30)

Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als erwiesen angesehen und daher als solche herangezogen werden sollen, bestimmt bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betreffende Partei, bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die für Entscheidung über die die Wiederaufnahme zuständige Behörde (vgl. das Erkenntnis vom , 90/14/0262). VwGH  Ro 2014/15/0035, vom

Der VwGH hat sich im Erkenntnis  = AnwBl 1/2017 (mit Anm Sutter), erstmals dieser Frage zur Wiederaufnahmsbestimmung nach dem FVwGG widmen können und ist dabei der Ansicht vom allein maßgeblichen Kenntnisstand der Behörde nicht gefolgt. Im Erk verweist er darauf, dass ein Wiederaufnahmsantrag auch nach dem FVwGG unverändert ua die Bezeichnung der Umstände, auf die der Antrag gestützt wird, zu enthalten hat (§ 303a lit b idF vor FVwGG; § 303 Abs 2 lit b BAO § 303 BAO - bis ...§ 303 BAO - bis § 303 BAO - bis § 303 BAO - bis 14.07.1999idF FVwGG). Ein Antrag auf Wiederaufnahme hat sohin – bei Geltendmachung neu hervorgekommener Tatsachen – insb die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel „neu hervorgekommen sind“. Damit setzt aber diese Bestimmung voraus, dass diese Tatsachen im Zeitpunkt der Antragstellung bereits bekannt geworden sind. Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs 1 lit b iVm Abs 2 lit b ist somit abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist. Gleiches gilt spiegelbildlich für die Wiederaufnahme von Amts wegen, bei der die – für die Behörde – neu hervorgekommenen Tatsachen im Wiederaufnahmebescheid anzuführen sind.

Der Wiederaufnahme wohnt somit konzeptiv eine Antragsteller-Perspektive inne, zumal auch der Antragsteller bestimmt, welche gesetzlichen Wiederaufnahmsgründe durch welchen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen werden und daher Sache des Wiederaufnahmsverfahrens sind. Nur wenn die neue Tatsache für den Antragsteller neu hervorgekommen ist und ihm somit zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht bekannt war, kann sie von ihm zum Gegenstand eines Wiederaufnahmsverfahrens gemacht werden. Andernfalls wäre sie von ihm im Abgabenverfahren bereits geltend zu machen gewesen. Ein „Zurückhalten“ von Informationen ermöglicht somit bspw keine spätere Wiederaufnahme. Das Rechtsinstitut der Wiederaufnahme auf Antrag dient nämlich nicht der Verlängerung von Abgabenverfahren und der Aushöhlung der Rechtskraft, sondern soll ausschließlich die Berücksichtigung von Tatsachen ermöglichen, deren Geltendmachung im Abgabenverfahren mangels Kenntnis nicht möglich war. Ob diese mangelnde Kenntnis verschuldet war, ist hingegen seit dem FVwGG für eine Wiederaufnahme auf Antrag nicht mehr relevant.
(BAO Ellinger/Sutter/Urtz, § 303 Tz 17)

Weitere Voraussetzung einer erfolgreichen Wiederaufnahme ist, dass die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens auch einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Für das Verfahrensergebnis unwesentliche Tatsachen führen daher nicht zur Wiederaufnahmen.

Im gegenständlichen Verfahren wurden von der Bf. erst nachdem vom Unabhängigen Finanzsenat mit Berufungsentscheidung entschieden worden war, dass die Provisionseinkünfte betreffend das Jahr 2004 in Österreich zu versteuern sind, mittels Schreiben vom bekannt gegeben, dass die an sie im Jahr 2004 bezahlte Kosten von der provisionsauszahlenden Firma gegenverrechnet werden, diese daher als Betriebsausgaben im Jahr 2004 abzugsfähig sind.

Dem vorstehend angeführten § 303 Abs. 1 lit. b BAO folgend kann ein Verfahren auf Antrag der Partei wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind.

Die "Kosten" waren laut Schreiben vom   im Jahr 2004 an die Bf. bezahlt worden und wurden im Jahr 2011 (7 Jahre nach 2004) der Bf. in Rechnung gestellt und mit Forderungen gegenverrechnet.

Der in § 303 Abs. 1 lit.b BAO geforderte Wiederaufnahmetatbestand, Vorliegen von nova reperta, war somit nicht gegeben. 

Das Verfahren betreffend die Einkommensteuer für das Jahr 2004 war daher aus diesem Grund nicht wiederaufzunehmen.

Weiters wird vom Bundesfinanzgericht angemerkt, dass die von der Bf. angeführte Gewinnermittlungsart gemäß § 4 Abs. 3 EStG eine Zuordnung von Betriebseinnahmen und -Ausgaben nach den Grundsätzen des § 19 EStG bedingt. Demnach sind Ausgaben für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind.

Gemäß § 19 Abs. 1 EStG 1988 Einnahmen sind in jenem Kalenderjahr bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind.....

Gemäß § 19 Abs. 2 EStG 1988 sind Ausgaben für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind....

Aus dem "sinngemäß übersetzten Schreiben der Fa. G. s.r.o." vom :
"Sehr geehrte Frau M., aufgrund der Rückzahlungsforderung der Provision für 2004 stellen wir Ihnen die an Sie bezahlten Spesen für 2004 wie folgt in Rechnung: Anschaffungskosten € 150,- Reise- und Fahrtspesen inkl. KM-Geld € 11.479,74 Sonstige Kosten € 1.398,95 gesamt € 13.028,69. Diesen Betrag werden wir ihrer Forderung gegenverrechnen. Mit freundlichen Grüßen J.." ist zwar ein Zusammenhang der Provisionen 2004 mit den der Bf. in Rechnung gestellter Kosten erkennbar, allerdings wird nicht ausgeführt, mit welcher Forderung die Kosten gegenverrechnet werden.

Die Bf. führt weiters in dem Vorlageantrag aus, dass die Kosten dem Jahr 2004 zuzurechnen seien, obwohl sie ihr erst im Jahr 2011 angelastetet worden sind. Die Beträge seien nach Vorgabe des § 19 EStG 1988 folgend im Rahmen der Gewinnermittlung 2004 in Abzug zu bringen.

Wenn die Kosten allerdings erst im Jahr 2011 (7 Jahre später) von der Firma der Bf. in Rechnung gestellt und die Bf. mit den Kosten belastet wurde, diese somit erst im Jahr 2011 abgeflossen sind, sind dem § 19 EStG folgend - diese Betriebsausgaben im Jahr 2004 nicht abzugsfähig.
Ausgaben sind im dem Kalenderjahr abzugsfähig, in dem sie geleistet werden.

Die Kosten können daher auch diesem Grund nicht im Jahr 2004 von den bezahlten Provisionen als Betriebsausgaben abgezogen werden.

Auch aus diesem Grund war das Verfahren nicht wieder aufzunehmen, da auch kein im Spruch anders lautender Bescheid ergangen wäre.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Beschwerdefall wurden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art 133 Abs. 4 B-VG grundsätzlich Bedeutung zukäme. Das Bundesfinanzgericht orientiert sich bei den zu lösenden Rechtsfragen an der einheitlichen höchstgerichtlichen Judikatur. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 19 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.7103485.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at