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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 19.07.2019, RV/7104869/2018

Steuerpflicht einer Arbeitskräfteentsendung?

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. R in der Beschwerdesache Bf, vertreten durch Ernst&Young StB u WP GmbH, Wagramer Straße 19, 1220 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes FA vom , betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2013 zu Recht erkannt: 

I. Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 279 BAO abgeändert. Der Gesamtbetrag der beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte beträgt 11.724,02 Euro. Die Einkommensteuer beträgt null Euro.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

Entscheidungsgründe

Nach Abgabe der Einkommensteuererklärung wurde die Beschwerdeführerin (Bf) mit Schreiben vom ersucht, darzulegen, wo ihr Mittelpunkt der Lebensinteressen und der ihrer Familie gelegen ist, eine Ansässigkeitsbescheinigung vorzulegen, ihre Tätigkeit zu beschreiben, Angaben zur Entsendung zu machen (durch wen, Weisungsbefugnis, auszahlende Stelle für Entgelt und Sozialversicherung) und zu ihrer Unterbringung.

Mit Antwortschreiben vom legt die Bf dar, sie sei vom russischen Arbeitgeber, einer dort ansässigen Bank, mit befristet bis zu einer Bank nach Wien entsandt worden und habe dort ihre Tätigkeit als "Senior Relationship Manager" ausgeübt. Von Jänner bis August 2013 sei sie in Russland in Karenz gewesen, wo auch ihr Lebensmittelpunkt liege und wo sie daher als ansässig gelte (Art 4 Z 2 lit a DBA Russland). Im Jahr 2013 habe sie in beiden Ländern einen Wohnsitz gehabt, in Österreich in einer Mietwohnung. Sämtliche Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit seien von der russischen Bank bezahlt und in Russland besteuert worden, auch die Sozialversicherung sei vom russischen Arbeitgeber getragen worden. Sie sei 2013 nicht mehr als 183 Tage in Österreich anwesend gewesen, weshalb die Bezüge zur Gänze Russland zuzurechnen seien.

Mit Bescheid vom und gesonderter Begründung vom selben Tag (zugestellt am ) wurden von 50.017,38 Euro 47.101,36 Euro der österreichischen Einkommensteuer unterzogen. Der Lohnaufwand sei von der österreichischen Bank getragen worden, damit seien alle in Österreich laut Aufstellung der Bf erbrachten Arbeitstage in Österreich steuerpflichtig (Verweis auf den wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriff, ). Die 183-Tage-Regel des Art 15 Abs 2 lit a DBA Russland greife nicht, denn zum Zeitpunkt der Kundmachung des Erlasses vom , BMF-010221/0362-VI/8/2014 zur Umsetzung des zitierten VwGH-Erkenntnisses sei das Verfahren nicht offen gewesen (Erklärung elektronisch am eingelangt), und es sei völlig intransparent, ob 183 Anwesenheitstage erreicht worden seien (31 Tage unbekannten Aufenthalts, unleserliche Reisepassauszüge, Tätigkeit 2014 in Österreich nicht bekannt).

In der Beschwerde vom bringt die Bf vor, das VwGH-Erkenntnis betreffe einen "Outbound"-Fall und sei auf den vorliegenden "Inbound"-Fall nicht übertragbar. Es folgen Ausführungen über die Anwendbarkeit des von der belangten Behörde zitierten Erlasses. Dieser sei nicht anwendbar, die Zuteilung des Besteuerungsrechtes richte sich nach dem Prinzip des rechtlichen Arbeitgebers. Darüber hinaus sei die 183-Tage-Grenze auch unter Hinzurechnung der 31 Tage unbekannten Aufenthaltes nicht überschritten worden. 2014 habe sie nicht mehr in Österreich gearbeitet, weil sie im April 2014 ihr zweites Kind in Russland geboren habe. Die Anwesenheitstage seien transparent, die Karenz sei in Russland verbracht worden. Es seien auch keine Familienleistungen in Österreich für das Kind der Bf bezogen worden. Da der Reisepass 2014 ausgetauscht worden sei, können keine besseren Auszüge vorgelegt werden.

In der abweisenden Beschwerdevorentscheidung vom führt die belangte Behörde aus, vom Dienstgeber sei im Jahr 2014 ein Lohnzettel abgegeben worden, aus dem sich schließen lasse, dass er den wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriff anwende. Erst die steuerliche Vertretung bringe im Jahr 2015 die 183-Tage-Regel vor, obwohl die VwGH-Judikatur bereits im Jahr 2013 bekannt gewesen sei.

Im Vorlageantrag vom bringt die Bf vor, die russische Bank sei im Jahr 2013 ihr Dienstgeber gewesen, in Österreich sei eine freiwillige Lohnverrechnung (shadow payroll, LStR 2002 Rz 927) geführt worden. Mangels Kenntnis des österreichischen Steuerrechts habe der russische Dienstgeber keine Stellung zur Anwendbarkeit des wirtschaftlichen Arbeitgebers genommen. Für die Lohnverrechnung in Österreich seien unterjährig keine Kalenderaufzeichnungen der Bf vorgelegen, weshalb 2013 Lohnsteuer in voller Höhe einbehalten worden sei.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Die Bf wurde von ihrem russischen Arbeitgeber von bis nach Österreich entsendet, wobei sie nach der Geburt ihres Kindes im September 2012 bis in Karenz war, die sie vom fast gesamten Juni abgesehen in Russland verbrachte. In den verbleibenden vier Monaten hielt sie sich dreieinhalb Monate in Österreich auf. In Österreich hatte sie im gesamten Jahr 2013 eine Mietwohnung zur Verfügung.

Laut Entsendungsvertrag arbeitete die Bf zu 60 % im Interesse der österreichischen Bank und zu 40 % im Interesse des Entsenders. Das Gehalt wurde weiterhin vom Entsender geleistet, ebenso die Wohnkosten von ihm ersetzt. Die Dienstaufsicht und das Weisungsrecht nahm die österreichische Bank wahr, die auch Aufwendungen für Dienstreisen in ihrem Interesse trugt und die Bf an ihrem "Performance Management System" teilhaben ließ. Die Bf unterlag mangels Abkommens sowohl der österreichischen als auch der Russischen Sozialversicherung. Die Entlohnung erfolgte von der entsendenden russischen Bank, die auch die Lohnzettel übermittelte. Der letztgültige übermittelte Lohnzettel laut Abgabeninformationssystem weist steuerpflichtige Einkünfte im Ausmaß von 2.916,02 Euro aus.

Diese Feststellungen ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Die Angaben der Bf über ihre Aufenthaltsdauer in Österreich, die im Jahr 2013 183 Tage nicht überschritten hat, sind plausibel. Es erscheint nur lebensnah, als karenzierte Mutter beim Neugeborenen und ihrer Familie in Russland zu sein, zumal die Bf angesichts der anstehenden zweiten Geburt Anfang 2014 ihren Aufenthalt in Österreich endgültig beendet hat (Abmeldung im ZMR mit ). Den von der russischen Bank übermittelten Lohnzetteln, die zunächst die vollen von ihr geleisteten Zahlungen beinhalteten, wird für das Bestehen einer Steuerpflicht keine Bedeutung beigemessen, weil diesbezüglich der Verantwortung der Bf im Vorlageantrag gefolgt wird. Darüber hinaus lag es laut Entsendungsvereinbarung in der Verantwortung der Bf, in Zusammenarbeit mit einer steuerlichen Vertretung für die korrekte Abwicklung ihrer steuerlichen Verhältnisse zu sorgen.

Die Bf hatte sowohl in Russland als auch in Österreich im Jahr 2013 einen Wohnsitz (§ 26 Abs 1 BAO). Es bestand somit grundsätzlich unbeschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs 2 EStG). Das DBA Russland (BGBl III 2003/10) sieht Russland als Ansässigkeitsstaat der Bf an (Art 4 Z 2 lit a DBA Russland), weil durch die persönliche familiäre Bindung in Russland und die bloß temporäre Entsendung nach Österreich die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland bestehen.

Grundsätzlich sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Österreich (Tätigkeitsstaat) zu besteuern, wenn die Arbeit hier ausgeübt wird (Art 15 Abs 1 DBA Russland). Das Besteuerungsrecht steht allerdings Russland zu, wenn der Arbeitnehmer sich innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten nicht länger als 183 Tage in Österreich aufhält, die Vergütungen von einem Arbeitgeber oder für einen Arbeitgeber gezahlt werden, der nicht in Österreich ansässig ist und die Vergütungen nicht von einer Betriebstätte oder einer festen Einrichtung getragen werden, die der Arbeitgeber in Österreich hat (Art 15 Abs 2 DBA Russland).

Durch diese Einschränkung soll sichergestellt werden, dass der Tätigkeitsstaat sein Recht zur Besteuerung auch bei einer unter 183 Tage dauernden Tätigkeit behält, wenn die gezahlte Vergütung den Gewinn eines seiner Steuerhoheit unterliegenden Unternehmens geschmälert hat. Entscheidend ist demnach, dass die Vergütung vom nicht im Tätigkeitsstaat ansässigen Arbeitgeber getragen und nicht bloß an den Arbeitnehmer ausbezahlt wird ().

Arbeitgeber im Sinne des Abkommensrechts kann nicht nur der zivilrechtliche Arbeitgeber, sondern auch eine andere natürliche oder juristische Person sein, die die Vergütungen für die ihr geleistete nichtselbständige Tätigkeit wirtschaftlich trägt (BFH , I R 46/03, BStBl. 2005 II S. 547).

Aus den im Verwaltungsverfahren abverlangten und vorgelegten Unterlagen geht hervor, dass der Entsender der Bf das Entgelt zahlte. Dass trotz dieser Vereinbarung der Lohnaufwand von der inländischen Bank getragen worden wäre, ist nicht ersichtlich. Auch bestand keine Betriebsstätte oder feste örtliche Einrichtung der russischen Bank in Österreich. Da sich die Bf im Jahr 2013 von Jänner bis Mai, im Juli und August in Russland aufgehalten hat und Anfang 2014 ihren österreichischen Wohnsitz nach Russland zurückkehrend aufgegeben hat, ist auch die 183-Tage-Frist nicht überschritten.

Nach der Rechtsprechung des VwGH bedingt der abkommensautonome (vgl zB mwN) wirtschaftliche Arbeitgeberbegriff vor allem das Tragen des Lohnaufwandes. Dieser lag aber vereinbarungsgemäß und tatsächlich - vom Kostenersatz für bestimmte Reisetätigkeiten abgesehen - gänzlich beim russischen Entsender. Damit bestand nach dem DBA Russland für die Republik Österreich kein Besteuerungsrecht.

Mangels relevanter inländischer Einkünfte bestand für die Bf in Österreich keine Steuerpflicht, denn die laut letztgültigem Lohnzettel angegebenen Einkünfte von 2.916,02 Euro führen nach Abzug von Werbungskosten- und Sonderausgabenpauschale zu einer Bemessungsgrundlage von 11.724,02 Euro (§ 33 Abs 1 iVm § 102 Abs 2 Z 2 und Abs 3 EStG). Die nach dem Tarif errechnete Steuer von 264,27 Euro wird nach Abzug von Arbeitnehmer- und Verkehrsabsetzbetrag (§ 33 Abs 5 iVm § 102 Abs 3 EStG) zu einer negativen Einkommensteuer. Eine Steuergutschrift hat jedoch zu unterbleiben (§ 33 Abs 8 3. Satz EStG). Daher war spruchgemäß zu entscheiden.

Soweit sich die Parteien auf Erlässe und Richtlinien des BMF beziehen, sei angemerkt, dass ihnen kein normativer Charakter zukommt. Deshalb und weil durch die inner- und zwischenstaatlichen Normen iVm der Rechtsprechung die Rechtslage hinreichend klar ist, bedarf es keiner weiteren Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Vorbringen.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 15 DBA RUS (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Russische Föderation (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 10/2003
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.7104869.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at