Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 26.02.2019, RV/5101019/2017

Hauptwohnsitzbefreiung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Susanne Haim in der Beschwerdesache VN Nachname, Adresse, vertreten durch Rechtsanwälte, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt ABX vom , betreffend Einkommensteuer 2015 zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt

Mit Vorhalt vom wurde der Beschwerdeführer (Bf.) aufgefordert eine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2015 samt Berechnung der Bemessungsgrundlage für die Immobilienertragsteuer vorzulegen, da bezüglich des Verkaufs der Anteile an der Liegenschaft EZ 123 KG P - Wohnungseigentum an Top 5, TG 5 und PP3 (Kaufvertrag vom ) die Hauptwohnsitzbefreiung gemäß § 30 Abs 2 Z 1 lit b EStG 1988 nicht angewendet werden kann.

In der Vorhaltsbeantwortung vom  legte der Bf. bzw. dessen steuerlicher Vertreter dar, dass der Befreiungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 1 lit b EStG erfüllt sei.

Mit Einkommensteuerbescheid vom wurde mangels Vorliegens der Hauptwohnsitzbefreiung Immobilienertragsteuer vorgeschrieben. Begründet damit, dass die Hauptwohnsitzzeiten des Steuerpflichtigen vor dem Eigentumserwerb nur im Falle des Erwerbs durch Erbschaft oder Schenkung, bzw Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens oder der ehelichen Ersparnisse nach § 83 EheG, mitzählen. In allen anderen Fällen (zB Mietkauf) sind die Hauptwohnsitzzeiten vor der Anschaffung unbeachtlich. Mangels Abgabe einer Einkommensteuererklärung wurden die anteiligen Einkünfte nach § 30 EStG im Schätzungswege ermittelt.

Der Bf. erhob am , vertreten durch RA, Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2015 vom , und begründete diese wie folgt:

Der Bf. hat mit seiner Ehegattin, Frau VN2 Nachname, die Eigentumswohnung TOP 5, Adr.2, von bis einschließlich Juni 2015 gemietet und als Hauptwohnsitz bewohnt. Aus der beigelegten Meldebestätigung ist eine Hauptwohnsitzmeldung des Bf. vom - in der Str. 32/1, 1223 Ort, sowie eine Hauptwohnsitzmeldung in der Str. 32/5, 1223 Ort, ab ersichtlich. Aus der ebenfalls beigelegten Eidesstättigen Erklärung geht hervor, dass eine Ummeldung an die Adresse Str. 32/5, 1223 Ort, aus Nachlässigkeit erst am erfolgt ist, obwohl der Bf. seit an dieser Adresse seinen Hauptwohnsitz hatte.

Am erwarben die Eheleute die gegenständliche Wohnung aufgrund der im Mietvertrag vom eingeräumten Kaufoption. Mit Kaufvertrag vom , veräußerten der Bf. und seine Gattin die gegenständliche Wohnung wieder und gaben den Hauptwohnsitz dort auf.

Eine Selbstberechnung durch die damalige Rechtsvertretung unterblieb, da vom Vorliegen des Befreiungstatbestandes des § 30 Abs 2 Z 1 lit b EStG 1988 ausgegangen worden ist.

Laut dem eindeutigem Gesetzestext des § 30 Abs 2 Z 1 lit b EStG greife die Befreiung bereits dann, wenn die Immobilie dem Veräußerer innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Veräußerung mindestens fünf Jahre als Hauptwohnsitz gedient hat. Auf den Anschaffungszeitpunkt wird in diesem Zusammenhang (im Gegensatz zum Befreiungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 1 lit a EStG) ausdrücklich nicht abgestellt. Mangels Bezugnahme auf die Anschaffung der Immobilie sei es daher ausreichend, wenn der Veräußerer den Hauptwohnsitz zu einem Zeitpunkt begründet hat, zu dem er (noch) nicht zivilrechtlicher bzw. wirtschaftsrechtlicher Eigentümer war. In die Fünfjahresfrist sind somit auch Zeiten einzurechnen, in denen der Veräußerer die Wohnung als Mieter oder sonstiger Nutzungsberechtigter als Hauptwohnsitz nutzte. Durchgehende zivilrechtliche Eigentümerschaft ist nicht erforderlich.

Der Ansicht des Finanzamtes, wonach die Frist für die Inanspruchnahme der Hauptwohnsitzbefreiung erst ab Abschluss des Wohnungseigentumsvertrages beginnt und nicht bereits ab Nutzung der Wohnung aufgrund des Mietvertrages, ist entgegenzuhalten, dass bei unentgeltlichen Erwerben (zB Schenkung oder Erbschaft) sowie beim Erwerb durch Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens oder er ehelichen Ersparnisse, eine entsprechende Anrechnung der Zeiten vor dem Eigentumserwerb erfolgt. Eine Differenzierung zwischen unentgeltlicher und entgeltlicher Anschaffung sei sachlich nicht gerechtfertigt, zumal § 30 Abs 2 Z 1 lit b EStG weder auf die Anschaffung abstelle noch irgendwelche Anschaffungsvorgänge ausschließe.

Aus der klaren Diktion des § 30 Abs 2 Z 1 ergebe sich zweifelsfrei, dass sich die Anknüpfung an den Begriff der Eigentumswohnung lediglich auf den Veräußerungszeitpunkt beziehe.

Da der Bf. die Eigentumswohnung als Veräußerer innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Veräußerung zumindest fünf Jahre hindurch als Hauptwohnsitz nutzte und die Aufgabe des Hauptwohnsitzes nach der Veräußerung erfolgte, sei im Hinblick auf die Veräußerung der gegenständlichen Eigentumswohnung der Befreiungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 1 lit b EStG erfüllt.

Der Bf. sehe sich durch die von der Finanzverwaltung vorgenommene Differenzierung zwischen unentgeltlichem Erwerb und entgeltlicher Anschaffung im Hinblick auf den Befreiungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 1 lit b EStG, die weder gesetzlich gedeckt noch sachlich gerechtfertigt ist, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit gemäß Art 7 B-VG und Art 2 StGG verletzt.

Die belangte Behörde habe die Bemessungsgrundlage zu hoch berechnet, woraus ein falscher Steuerbetrag resultierte. Da der Bf. lediglich Hälfteeigentümer der gegenständlichen Eigentumswohnung war, ergibt sich ein Steuerbetrag für Grundstücksveräußerungen von lediglich € 5.724,02 anstelle des von der Behörde festgesetzten Betrages von € 8.502,48.

Der Bf. beantragte die Abänderung des angefochtenen Bescheids dahingehend, dass für 2015 keine Immobilienertragsteuer festgesetzt wird, in eventu Aufhebung des angefochtenen Bescheids und Zurückverweisung an die belangte Behörde, in eventu Abänderung des angefochtenen Bescheids auf einen Steuerbetrag von € 5.724,02.

Miet- und Kaufoptionsvertrag (Auszug):

"V. Verwendungszweck
Der Mietgegenstand wird ausschließlich zu Wohnzwecken der mietenden Partei als
Hauptwohnsitz überlassen. Eine Änderung dieses Verwendungszweckes bedarf der
schriftlichen Zustimmung der vermietenden Partei.

VI. Instandhaltung; Veränderungen
(4) Bauliche Veränderungen oder sonstige Investitionen, insbesondere Ein- und
Umbauten oder Änderungen der Installationen bedürfen der vorherigen
schriftlichen Zustimmung der vermietenden Partei. ...

VII. Untervermietung, Weitergabe
Eine Untervermietung des Mietgegenstandes oder sonstige Gebrauchsüberlassung
an dritte Personen in welcher Rechtsform auch immer bedarf der schriftlichen
Zustimmung der vermietenden Partei. Weiters darf keine Übertragung von Rechten
und Pflichten aus diesem Vertrag ganz oder teilweise, in welcher Form auch immer,
ohne schriftliche Zustimmung der vermietenden Partei erfolgen.

VIII. Kaufoption
(1) Die vermietende Partei räumt hiermit der mietenden Partei das alleinige Recht
ein, den in Punkt II. beschriebenen Mietgegenstand samt allem tatsächlichen und
rechtlichen Zubehör, das sind somit ..., zu erwerben.

(2) Bei Ausübung des Optionsrechtes für den Vertragsgegenstand gilt ein Kaufpreis
in der Höhe von € 206.861,28 (Euro zweihundertsechstausendachthundertenundsechzigkommaachtundzwanzig) als
vereinbart.

(8) Ausdrücklich wird vereinbart, dass die mietende Partei zur Ausübung des
gegenständlichen Optionsrechtes frühestens ab berechtigt ist. Das
Optionsrecht erlischt, wenn die mietende Partei ihr Recht sodann nicht binnen 3
Monaten, somit bis und 3 Monaten ausübt, ...

(10) Die Nichtausübung des Optionsrechtes durch die mietende Partei innerhalb
der vereinbarten Frist wird in Ergänzung des Punktes III. dieses Vertrages im
Sinne des § 30 Abs. (2) Z 13 Mietsrechtsgesetz als wichtiger und bedeutsamer
Umstand vereinbart, der die vermietenden Partei zur Kündigung des
Mietverhältnisses berechtigt."

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Beschwerde vom  hinsichtlich der Berechnung der Bemessungsgrundlage zur Immobilienertragsteuer stattgegeben. Betreffend Hauptwohnsitzbefreiung wird im Wesentlichen auf die Begründung zum Einkommensteuerbescheid 2015 vom verwiesen, wonach bei Mietkauf die Hauptwohnsitzzeiten vor der Anschaffung unbeachtlich sind.

Im Vorlageantrag vom  brachte der Bf., durch seine steuerliche Vertretung, folgendes vor:

Zur Rechtzeitigkeit: "Die Beschwerdevorentscheidung vom wurde - trotz ausgewiesener Vertretung durch die RA - der ehemaligen steuerlichen Vertretung des Beschwerdeführers am zugestellt. Der Vorlageantrag ist somit - auch vor dem Hintergrund, dass die Beschwerdevorentscheidung keine Rechtsmittelbelehrung enthält und die Rechtsmittelfrist gem. § 93 Abs. 4 BAO somit gar nicht zu laufen begonnen hat - jedenfalls rechtzeitig."

Die in der Beschwerdevorentscheidung angeführte Begründung sei unzureichend iSd § 93 Abs 3 lit a BAO, weil sie nicht erkennen lasse, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde bzw. aufgrund welcher konkreten Erwägungen die belangte Behörde zu ihrer Ansicht gelangte. Im Übrigen wird auf die Ausführungen in der Beschwerde verwiesen.

Die Beschwerde wurde am dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Beweiswürdigung

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in die vorliegenden Aktenteile. Es ergibt sich folgender entscheidungsrelevanter Sachverhalt:

Ab April 2010 haben die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte die beschwerdegegenständliche Wohnung (131/2725 Anteile, B-LNR 6 an der Liegenschaft EZ 123 KG 45637 P mit Wohnungseigentum an der Top 5 und B-LNR 24, an derselben Liegenschaft, mit welchen untrennbar Wohnungseigentum am PKW-Abstellplatz in der Tiefgarage TG 5 verbunden ist, und von 6/2725 Anteilen, B-LNR 40, an derselben Liegenschaft, mit welchen untrennbar Wohnungseigentum am PKW-Absteilplatz im Freien PP 3 verbunden ist) als Mieter bewohnt. Dies war der Hauptwohnsitz des Ehepaares.

Am haben die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte diese Wohnung zum Kaufpreis von € 221.884,98 erworben und dann am zum Preis von € 279.920,00 verkauft.

Dies ergibt sich aus dem unbestrittenen Vorbringen der Verfahrensparteien und dem vorgelegten Akteninhalt des Finanzamtes.

Rechtslage

§ 30 EStG 1988 lautet auszugsweise:

(1) Private Grundstücksveräußerungen sind Veräußerungsgeschäfte von Grundstücken, soweit sie keinem Betriebsvermögen angehören. Der Begriff des Grundstückes umfasst Grund und Boden, Gebäude und Rechte, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen (grundstücksgleiche Rechte). Bei unentgeltlich erworbenen Grundstücken ist auf den Anschaffungszeitpunkt des Rechtsvorgängers abzustellen. Bei Tauschvorgängen ist § 6 Z 14 sinngemäß anzuwenden.

(2) Von der Besteuerung ausgenommen sind die Einkünfte:

1. Aus der Veräußerung von Eigenheimen oder Eigentumswohnungen samt Grund und Boden (§ 18 Abs. 1 Z 3 lit. b), wenn sie dem Veräußerer

a) ab der Anschaffung oder Herstellung (Fertigstellung) bis zur Veräußerung für mindestens zwei Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient haben und der Hauptwohnsitz aufgegeben wird oder

b) innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Veräußerung mindestens fünf Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient haben und der Hauptwohnsitz aufgegeben wird.

Gemäß § 18 Abs 1 Z 3 lit b EStG 1988 ist ein Eigenheim ein Wohnhaus mit nicht mehr als zwei Wohnungen, wenn mindestens zwei Drittel der Gesamtnutzfläche des Gebäudes Wohnzwecken dienen. Das Eigenheim kann auch im Eigentum zweier oder mehrerer Personen stehen. Das Eigenheim kann auch ein Gebäude auf fremdem Grund und Boden sein. Eine Eigentumswohnung muss mindestens zu zwei Dritteln der Gesamtnutzfläche Wohnzwecken dienen.

Erwägungen

Im gegenständlichen Verfahren ist strittig, ob der Zeitraum, bevor der Bf. durch Ausübung der Kaufoption Eigentümer wurde, in dem der Bf. die Wohnung als Mieter nutzte und als Hauptwohnsitz gemeldet hatte, in die Frist zur Anwendung der Hauptwohnsitzbefreiung hinsichtlich privater Grundstücksverkäufe gemäß § 30 Abs 2 Z 1 lit b EStG 1988 einzurechnen ist oder nicht.

Mit der Frage, ob damit auch ein Hauptwohnsitz als Mieter bei späteren Erwerb und Verkauf einer Eigentumswohnung gemeint ist, der die Fünfjahresfrist nur bei Einrechnung der Mietzeit erreicht, hat sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis , Zl. Ra 2017/13/0005, ausdrücklich mit folgenden Worten auseinandergesetzt:

"In der Regierungsvorlage zum 1. Stabilitätsgesetz 2012, 1680 BlgNR 24. GP 7 f, wurde die Neugestaltung der ‘Hauptwohnsitzbefreiung’ wie folgt erläutert:

‘Einkünfte aus der Veräußerung von Grundstücken und anderen Rechten, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen, sollen grundsätzlich der Steuerpflicht unterliegen, wenn die Veräußerung nach dem stattfindet. (...) Von der Besteuerung ausgenommen sind wie bisher Eigenheime und Eigentumswohnungen samt Grund und Boden (§ 18 Abs. 1 Z 3 lit. b), die zwischen Anschaffung und Veräußerung durchgehend für mindestens zwei Jahre den Hauptwohnsitz des Veräußerers darstellen. Ergänzend soll aber die Veräußerung auch dann befreit sein, wenn das Objekt dem Veräußerer innerhalb der letzten 10 Jahre für mindestens 5 Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient hat. Diese Ergänzung ist insbesondere deshalb erforderlich, weil eine ununterbrochene Aufrechterhaltung des Hauptwohnsitzes bei einer unbegrenzten Steuerhängigkeit als unverhältnismäßige Anforderung für eine Steuerbefreiung erscheint. Daher soll die Hauptwohnsitzbefreiung auch dann greifen, wenn der Hauptwohnsitz zumindest für einen erheblichen Zeitraum vor der Veräußerung bestanden hat. Die Hauptwohnsitzbefreiung ist wie bisher vorrangig zur Herstellerbefreiung. Daher ist beispielsweise eine Vermietung innerhalb der letzten zehn Jahre nicht schädlich, wenn die Fünfjahresfrist für den Hauptwohnsitz erfüllt ist.

Da der Hauptwohnsitz nicht unmittelbar vor der Veräußerung gegeben sein muss, besteht die Befreiung auch für jene Steuerpflichtige, die vor der Veräußerung den Hauptwohnsitz bereits aufgegeben haben. Daher ist zB im Zuge einer Scheidung auch jener Ehepartner begünstigt, der noch vor der Veräußerung des im Eigentum beider Ehepartner stehenden Eigenheimes, aus dem gemeinsamen Ehewohnsitz ausgezogen ist.

Entsprechend dem Sinn und Zweck der Hauptwohnsitzbefreiung, der darin besteht, dass der Veräußerungserlös ungeschmälert zur Schaffung eines neuen Hauptwohnsitzes zur Verfügung steht, soll klargestellt werden, dass die Steuerbefreiung nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn der Hauptwohnsitz in diesem Eigenheim oder dieser Eigentumswohnung auch tatsächlich aufgegeben wird.’

Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass das Geschäft die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 nicht und diejenigen der lit. b nur dann erfüllt, wenn auch Zeiten der Nutzung vor dem Kauf für die zumindest fünfjährige Nutzung der Wohnung als Hauptwohnsitz in den letzten zehn Jahren vor der Veräußerung herangezogen werden können. Streitpunkt des Verfahrens ist die Frage, ob letzteres zu bejahen ist, wie dies im Schrifttum - unter ausdrücklicher Ablehnung einer Einschränkung auf Fälle des unentgeltlichen Erwerbs - von Steckenbauer/Urtz in Urtz (Hrsg.), Die neue Immobiliensteuer, Update 20132, 2014, 88 ff, vertreten wird. Grundsätzlich gleichartige Aussagen von Hammerl/Mayr (RdW 2012, 168) und Perthold/Vaishor (in Perthold/Plott (Hrsg.), Stabilitätsgesetz 2012, 19) sind - ohne Abgrenzung gegenüber Fällen des entgeltlichen Erwerbs - jeweils mit Beispielen unentgeltlichen Erwerbs verbunden. Eine gleichartige Aussage findet sich zunächst auch bei Bodis/Hammerl in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG17, § 30 Tz 162 ff (Tz 162: ‘nach dem Gesetzeswortlaut’), die sich dann aber der gegenteiligen Meinung der Finanzverwaltung (EStR 2000, Rz 6642) und von Kanduth-Kristen (Jakom, EStG (jetzt:) 2017, § 30 Rz 32) anzuschließen scheinen (Tz 163).

Auch der Revisionswerber vertritt die Ansicht, § 30 Abs. 2 Z 1 lit. b EStG 1988 verlange weder zivilrechtliches noch wirtschaftliches Eigentum während der fünfjährigen Nutzung als Hauptwohnsitz. Er stützt dies vor allem auf den Wortlaut der Bestimmung, worin anders als in lit. a nicht auf eine Nutzung als Hauptwohnsitz ‘ab der Anschaffung’ (und auch nicht auf eine solche ‘nach’ der Anschaffung) Bezug genommen wird.

Das Gesetz spricht von Einkünften aus der Veräußerung von ‘Eigenheimen oder Eigentumswohnungen samt Grund und Boden’, verweist zu diesen Arten von Immobilien (vgl. Renner, RdW 2017, 522) auf § 18 Abs. 1 Z 3 lit. b EStG 1988 und sieht die Befreiung der Einkünfte von der Besteuerung für den Fall vor, dass ‘sie’ (die Eigenheime oder Eigentumswohnungen) dem Veräußerer innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Veräußerung mindestens fünf Jahre durchgehend ‘als Hauptwohnsitz gedient’ haben. Auf einen Rechtstitel (Eigentum) wird dabei nicht Bezug genommen.

Davon ausgehend ist - im Hinblick auf die hier strittige Veräußerung einer Eigentumswohnung - auf den im Gesetz klar nicht gegenteilig geregelten Fall des ausreichend langen Dienens einer zunächst nur angemieteten Eigentumswohnung als Hauptwohnsitz hinzuweisen. Wird die Wohnung schließlich erworben und in der Folge unter Aufgabe oder nach Aufgabe des Hauptwohnsitzes veräußert, so steht dem Veräußerer nach dem Wortlaut des Gesetzes die Befreiung zu. Der in den Erläuterungen umschriebene ‘Sinn und Zweck’ der Befreiung mag darauf hindeuten, dass ihm die Befreiung bei Erwerb der Wohnung erst nach Aufgabe des Hauptwohnsitzes und ohne Zusammenhang damit nicht entspräche, doch braucht auf die hypothetische Beurteilung eines solchen - wohl nicht häufigen - Falles im Sinne einer teleologischen Reduktion hier nicht eingegangen zu werden. Der Revisionswerber hatte die Wohnung erworben, die ihm lange Zeit hindurch und auch noch im Zeitpunkt des Erwerbs als Hauptwohnsitz diente. Dass ihm der Erlös aus ihrem Verkauf für die Schaffung eines neuen Hauptwohnsitzes ungeschmälert zur Verfügung stehen sollte, scheint im ‘Sinn und Zweck’ der Befreiung Deckung zu finden.

 Fraglich kann nur sein, ob das Gegenteil gelten soll, weil im vorliegenden Fall die Wohnung zwar im Sinne des Einleitungssatzes des § 30 Abs. 2 Z 1 EStG 1988 bei ihrer Veräußerung eine (vertraglich bereits als solche vereinbarte) ‘Eigentumswohnung’ war, dies aber nicht auch auf den gesamten Zeitraum ihres mindestens fünfjährigen Dienens als Hauptwohnsitz zutraf. Dass der Mieter einer fremden Eigentumswohnung, die er schließlich erwirbt, in dieser Hinsicht besser gestellt sein sollte als der Mieter einer Wohnung, die er im Zuge der Begründung von Wohnungseigentum erwirbt, wäre unter dem Gesichtspunkt des in den Erläuterungen umschriebenen Gesetzeszwecks schwer zu rechtfertigen. In beiden Fällen macht der Mieter von einer Gelegenheit Gebrauch, Eigentum an der ihm als Hauptwohnsitz dienenden Wohnung zu erwerben, und in beiden Fällen ist die wirtschaftliche Lage beim Verkauf im Zusammenhang mit der Aufgabe des Hauptwohnsitzes gleich. Die nach dem Wortlaut (‘sie’) offene Auslegungsfrage, ob zur Identität der für mindestens fünf Jahre als Hauptwohnsitz dienenden Wohnung auch deren rechtliche Eigenschaft als Eigentumswohnung zählt, ist aus diesem Grund zu verneinen. Auch die Formulierung in den Erläuterungen (‘das Objekt’) spricht nicht gegen diese Auslegung.

Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die systematische Stellung der Befreiungsbestimmung im Tatbestand über private Grundstücksveräußerungen deute darauf hin, dass es um die Nutzung des eigenen Vermögensgegenstandes als Hauptwohnsitz gehe. Steuerlich erfasst wird die Realisierung einer Werterhöhung eines Wirtschaftsgutes im Privatvermögen des Steuerpflichtigen (vgl. im Zusammenhang mit der Spekulationsfrist nach damaliger Rechtslage etwa , VwSlg 7649/F). Die Befreiung von der Besteuerung knüpft im hier auszulegenden Tatbestand aber an eine Voraussetzung an, die weder dem Wortlaut noch dem Sinn (der Finanzierung eines neuen Hauptwohnsitzes) nach darauf abstellt, dass die Wohnung dem Steuerpflichtigen nicht nur als Hauptwohnsitz diente, sondern auch die ganze Zeit hindurch in seinem Eigentum stand.

Für seine gegenteilige Ansicht verweist das Bundesfinanzgericht - ohne Erwähnung eines bestimmten Erkenntnisses - auf die ‘Rechtsprechung zum § 18 EStG 1988, wonach eine Eigentumswohnung erst bei einem wirtschaftlichen Eigentum an der Wohnung vorliegt’. In einer gleichartigen Entscheidung vom , RV/5100561/2017, auf die auch die schon erwähnte Entscheidung vom verweist, legt das Bundesfinanzgericht zum Begriff einer ‘Eigentumswohnung’ im Sinne des § 18 Abs. 1 Z 3 lit b EStG 1988 dar, ‘nach der Judikatur’ liege eine solche nur vor, wenn das ‘Gebäude’ im Eigentum oder Miteigentum des Errichters ‘bzw Erwerbers’ stehe. Verwiesen wird dort auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 94/15/0213.

Dieses Erkenntnis und das darin zitierte frühere Erkenntnis vom , 94/14/0107, betrafen Ausgaben zur Errichtung von ‘Eigenheimen’ und nicht von Eigentumswohnungen und nahmen auch nicht Bezug auf ‘Erwerber’. Zielführend ist eine Anknüpfung daran aber schon deshalb nicht, weil das Vorliegen einer Eigentumswohnung als Gegenstand der Veräußerung im vorliegenden Fall - anders als im Fall des Erkenntnisses vom , Ra 2017/13/0002 - nicht strittig ist und Aussagen darüber, wann Beträge im Sinne des § 18 Abs. 1 Z 3 lit b EStG 1988 bei Berücksichtigung des Zwecks dieser Bestimmung ‘zur Errichtung von Eigenheimen oder Eigentumswohnungen verausgabt’ wurden, kein Ergebnis der hier zu lösenden Auslegungsfrage vorzeichnen.

Was schließlich das Verhältnis zu § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 anlangt, so ist auf die dort (wie in der geltenden Fassung des § 18 Abs. 1 Z 3 lit. b EStG 1988 im Zusammenhang mit dem Hauptwohnsitz) vorgesehene wesentlich kürzere Frist von nur zwei Jahren zu verweisen. Ein in diesem Zusammenhang normiertes Erfordernis (vorherige ‘Anschaffung’) ohne Grundlage im Wortlaut auch auf den zweiten Befreiungstatbestand anzuwenden, ist zur Vermeidung eines Wertungswiderspruches somit nicht erforderlich.

Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben."

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt im zitierten Erkenntnis daher die Ansicht, dass es für das Anwenden der Befreiung im § 30 Abs. 2 Z 1 lit. b EStG 1988 ausreicht, wenn die Eigentumswohnung oder das Eigenheim innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Veräußerung für mindestens fünf Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient hat, egal ob die gesamte Fünfjahresfrist als Eigentümer oder Mieter oder sonstwie Nutzungsberechtigter absolviert wurde.

Wendet man diese Rechtsansicht auf den Fall des Beschwerdeführers an, so zeigt sich, dass er die beschwerdegegenständliche Eigentumswohnung vom April 2010 bis zum Verkauf () als Hauptwohnsitz genutzt und diesen danach am dort aufgegeben hat, womit sie die Voraussetzungen des oben zitierten § 30 Abs. 2 Z 1 lit. b EStG 1988 erfüllt und dem Beschwerdebegehren spruchgemäß stattzugeben war.

Der Beschwerdeführer hat im Jahr 2015 keine Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 1-7 EStG 1988 erzielt. Aufgrund der Hauptwohnsitzbefreiung des § 30 Abs. 2 Z 1 lit. b EStG 1988  trifft ihn auch nicht die Steuererklärungspflicht des § 42 Abs. 1 Z 5 EStG 1988. Er hat keine Einkommensteuererklärung 2015 abgegeben und auch keinen Antrag gemäß § 41 Abs. 2 EStG 1988 auf Arbeitnehmerveranlagung 2015 gestellt.

Hätte daher bei richtiger rechtlicher Beurteilung gar keinen Einkommensteuerbescheid 2015 ergehen dürfen, war der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2015 datiert vom ersatzlos aufzuheben.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine solche Rechtsfrage liegt im gegenständlichen Fall nicht vor, da vom VwGH die gegenständliche Rechtsfrage geklärt ist.

Linz, am

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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.5101019.2017

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