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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 07.05.2019, RV/7101420/2019

Unzulässigkeit des Nachschiebens der Begründung mittels zweiter Wiederaufnahme

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7101420/2019-RS1
Im Fall der Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund neu hervorgekommener Tatsachen oder Beweismittel hat der Wiederaufnahmebescheid zwingend und unmissverständlich begründend darzulegen, welche Tatsachen oder Beweismittel auf welche Weise neu hervorgekommen sind. Ein nicht entsprechend begründeter Wiederaufnahmebescheid ist nicht sanierbar (etwa im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung). Auch die Verfügung einer weiteren (zweiten) Wiederaufnahme, mit der die Wiederaufnahmegründe „nachgeschoben“ werden, umgeht die strengen Anforderungen an die Wiederaufnahme bzw das Rechtsschutzverständnis der Wiederaufnahmeregelungen und erweist sich daher als rechtswidrig.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter MMag. Gerald Erwin Ehgartner in der Beschwerdesache BF, über die Beschwerde vom gegen folgende Bescheide der belangten Behörde Finanzamt Wien 4/5/10

  • Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 2015 vom , sowie

  • Einkommensteuerbescheid 2015, erlassen am

zu Recht:

I. Der Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 2015 wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

II. Es wird der Beschluss gefasst:

Die Beschwerde gegen Einkommensteuerbescheid 2015 wird gemäß § 261 Abs 2 BAO iVm § 278 Abs 1 BAO als gegenstandslos erklärt. Das Verfahren wird eingestellt

III. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die vom Beschwerdeführer eingereichte Einkommensteuererklärung 2015 langte am bei der belangten Behörde ein. Am wurde der (erste) Einkommensteuerbescheid 2015 erlassen, der eine Abgabengutschrift von EUR -12.171,00 auswies.

Am erließ die belangte Behörde einen (ersten) Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 2015 sowie einen neuen Einkommensteuerbescheid 2015. Der Wiederaufnahmebescheid erhält keine begründenden Tatsachen oder Beweismittel angeführt. Im Wesentlichen findet sich bloß ausgeführt, dass in der Begründung des Sachbescheides näher ausgeführte Tatsachen neu hervorgekommen seien.

Mit dem ebenfalls am in Zusammenhang mit der Wiederaufnahme erlassenen Einkommensteuerbescheid 2015 wurde eine Abgabennachforderung von EUR 31.259,00 vorgeschrieben, die sich auf eine demnach unterlassene Vorauszahlung der Immobilienertragsteuer und eine nicht gleichteilig den Veräußerern zuzurechnende Immobilienertragsteuer begründet.

Die gegen den Wiederaufnahmebescheid erhobene Beschwerde wurde von der belangten Behörde mit Beschwerdevorentscheidung vom stattgebend erledigt, somit der Wiederaufnahmebescheid vom aufgehoben. Die stattgebende Beschwerdevorentscheidung wurde dem Beschwerdeführer nachweislich am zugestellt und von diesem in der Folge nicht angefochten.

Am erließ die belangte Behörde einen weiteren (zweiten) Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 2015, mit dem sie eine abermalige Wiederaufnahme des Verfahrens verfügte. Neben der Begründung der Ermessensausübung erfolgte die Ausführung, dass der belangten Behörde erst nach Erlassung des Erstbescheides bekannt geworden sei, dass der Beschwerdeführer Hälfte- und nicht Drittel-Eigentümer einer Liegenschaft gewesen sei, die Immobilienertragsteuer vom Erwerber übernommen und nicht auf das Abgabenkonto abgeführt worden sei, weshalb neue Tatsachen vorlägen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens erforderlich machen würden.

Mit dem gleichzeitig am neu erlassenen Einkommensteuerbescheid 2015 wurde wiederum eine Abgabennachforderung von EUR 31.259,00 festgesetzt (gleich wie im Einkommensteuerbescheid 2015 vom , der in Folge der Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides vom nicht mehr dem Rechtsbestand angehörte).

Mit Beschwerde vom wurden die beiden am erlassenen Bescheide angefochten.

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wies die belangte Behörde die Beschwerden gegen den Wiederaufnahmebescheid sowie gegen den Einkommensteuerbescheid 2015 (beide vom ) als unbegründet ab. Unter anderem findet sich betreffend die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid von der belangten Behörde wörtlich ausgeführt: „Der erste Wiederaufnahmebescheid war inhaltlich korrekt, er musste nur aufgehoben werden, weil die Wiederaufnahme nicht ausreichend begründet war. Dieser Fehler wurde mit dem nunmehr bekämpften Wiederaufnahmebescheid behoben.

Mit Vorlageantrag vom beantragte der Beschwerdeführer, die Beschwerden gegen den Wiederaufnahmebescheid und den Einkommensteuerbescheid 2015, beide vom , dem Bundesfinanzgericht vorzulegen.

Mit Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom wurde der belangten Behörde unter anderem die vorläufige, nicht verbindliche rechtliche Beurteilung des Bundesfinanzgerichtes mitgeteilt – im Wesentlichen, dass die Verfügung einer zweiten Wiederaufnahme, mit der die Wiederaufnahmegründe „nachgeschoben“ wurden, als nicht zulässig erachtet werde. Die belangte Behörde wurde vom Bundesfinanzgericht zur Abgabe einer diesbezüglichen Stellungnahme aufgefordert.

Mit Schreiben vom teilte die belangte Behörde dem Bundesfinanzgericht im Wesentlichen mit, dass kein Einwand gegen die von Seiten des Bundesfinanzgerichtes vorläufig geäußerte, noch nicht verbindliche rechtliche Beurteilung erhoben werden könne. Es sei demnach nicht nachvollziehbar, warum zunächst eine Beschwerdevorentscheidung stattgebend erledigt und danach eine neue Wiederaufnahme verfügt wurde.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen

1. Feststellungen

Die belangte Behörde erließ am einen Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 2015. In der Bescheidbegründung fanden sich keine neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel angeführt.

Die gegen den Wiederaufnahmebescheid erhobene Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom stattgebend erledigt, somit der Wiederaufnahmebescheid vom von der belangten Behörde aufgehoben. Die stattgebende Beschwerdevorentscheidung wurde dem Beschwerdeführer nachweislich am zugestellt und von diesem in der Folge nicht angefochten.

Am erließ die belangte Behörde einen weiteren (zweiten) Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 2015, mit dem sie eine abermalige Wiederaufnahme des Verfahrens verfügte. Anders als im ersten Wiederaufnahmebescheid, wurden im zweiten Bescheid vom die der Wiederaufnahme zugrundeliegenden, neu hervorgekommenen Tatsachen angeführt.

Festzustellen ist, dass es sich bei den am angeführten Tatsachen (Wiederaufnahmegründe) um dieselben Tatsachen (Gründe) handelt, auf denen bereits die verfügte Wiederaufnahme vom basierte, bloß fanden sich die Gründe im damaligen Wiederaufnahmebescheid nicht angeführt.

2. Beweiswürdigung

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem obigen Verfahrensgang und aus den dem Gericht vorliegenden Dokumenten und können als unstrittig betrachtet werden.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1 Zu Spruchpunkt I. (Beschwerdestattgabe)

Die gegenständliche Beschwerde richtet sich gegen den Wiederaufnahmebescheid zur Einkommensteuer 2015 sowie gegen den Sachbescheid Einkommensteuer 2015, beide vom . Es ist in einem derartigen Fall zunächst über die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid zu entscheiden (vgl etwa ).

Gemäß § 303 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren unter anderem von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn (unter anderem) gemäß litera b Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach § 93 Abs 3 lit a BAO haben Bescheide, unter anderem dann, wenn sie von Amts wegen erlassen werden, eine Begründung zu enthalten; dies aus dem Grund, da sie für den Abgabepflichtigen nachvollziehbar und kontrollierbar sein sollen. Der Denkprozess, der in der behördlichen Erledigung seinen Niederschlag findet, soll sowohl für die Partei als auch für die Rechtsmittelinstanz nachvollziehbar sein (vgl etwa ). Zentrales Element der Begründung ist die Anführung des Sachverhaltes, den die Behörde als erwiesen annimmt (vgl ).

Für Wiederaufnahmebescheide bedeutet dies, dass sie dementsprechend zwingend und unmissverständlich begründend darzulegen haben, welche Tatsachen oder Beweismittel auf welche Weise neu hervorgekommen sind. Gerade im Fall einer Wiederaufnahme des Verfahrens ist diesbezüglich von einem sehr strengen Maßstab auszugehen. Der im Bescheid festgelegte Tatsachenkomplex bildet die „Sache“, dh den Gegenstand, des Wiederaufnahmeverfahrens.

Vorliegende Begründungsmängel können im Abgabenverfahren zwar prinzipiell saniert werden, dies gilt jedoch (unter anderem) dann nicht, wenn ein Wiederaufnahmebescheid keine (ausreichende) Begründung enthält. Ein nicht entsprechend begründeter Wiederaufnahmebescheid ist nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes somit nicht sanierbar, die fehlende Angabe der Wiederaufnahmegründe konkret auch nicht in einer Beschwerdevorentscheidung nachholbar (vgl etwa ). Dies folgt unter anderem daraus, dass im Beschwerdeverfahren über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids zu entscheiden ist und nicht über jene der Beschwerdevorentscheidung.

Entsprechend der getroffenen Ausführungen musste die belangte Behörde die Beschwerde gegen den (ersten) Wiederaufnahmebescheid vom - aufgrund mangelhafter Begründung desselben - stattgebend erledigen und den Bescheid aufheben.

Mit Bescheid vom verfügte die belangte Behörde gegenständlich eine weitere (zweite) Wiederaufnahme:

Grundsätzlich kann eine abermalige Wiederaufnahme hinsichtlich einer Sache (zB Einkommensteuer 2015) zulässig sein. Dies jedoch nur dann, wenn die neuerliche Wiederaufnahme aus einem anderen, nämlich einem neuen Grund verfügt wird (vgl etwa ). Eine wiederholte Wiederaufnahme muss sich also auf andere Tatsachen oder Beweismittel beziehen, die erst nach Verfügung der ersten Wiederaufnahme neu hervorgekommen sind.

Derartige Tatsachen oder Beweismittel, die eine zweite Wiederaufnahme rechtfertigen hätten können, hätten im gegenständlichen Fall der belangten Behörde am noch nicht bekannt gewesen sein dürfen. Beschwerdegegenständlich bezog sich die zweite verfügte Wiederaufnahme (vom ) jedoch eben nicht auf seit der ersten verfügten Wiederaufnahme neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel, sondern auf dieselben Tatsachen oder Beweismittel, auf denen bereits die erste verfügte Wiederaufnahme beruhte bzw beruhen sollte (was aus dem Spruch des im Zuge der ersten Wiederaufnahme erlassenen Einkommensteuerbescheides abgeleitet werden kann). Da der belangten Behörde die relevanten Tatsachen oder Beweismittel somit bereits vor der Erlassung des ersten Wiederaufnahmebescheides vom bekannt waren, konnten diese Tatsachen oder Beweismittel keine weitere Wiederaufnahme begründen.

Letztendlich wurden von der belangten Behörde im Zuge einer zweiten verfügten Wiederaufnahme die Gründe für die ursprüngliche (erste) Wiederaufnahme nachgeschoben, da sich der erste Wiederaufnahmebescheid als unzureichend begründet herausstellte. Ein derartiges „Nachschieben“ der Wiederaufnahmegründe umgeht jedoch klar die strengen Anforderungen an die Wiederaufnahme (konkret die oben dargestellte Unzulässigkeit der Sanierung von Begründungsmängeln) und führt zur Rechtswidrigkeit der gegenständlich zweit-verfügten Wiederaufnahme.

Die stattgebende und nicht angefochtene Beschwerdevorentscheidung betreffend die erste Wiederaufnahme erwuchs in Rechtskraft und steht - bei der gegenständlich vorliegenden selben Sache - einer neuen, sich auf denselben Tatsachenkomplex beziehenden Wiederaufnahme entgegen (vgl ). Jede andere rechtliche Beurteilung würde jeglichem Rechtsschutzverständnis der Wiederaufnahmeregelungen den Boden entziehen.

3.2 Zu Spruchpunkt II. (Gegenstandsloserklärung der Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2015, erlassen am )

Aufgrund der Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides scheidet der am erlassene Einkommensteuerbescheid 2015 aus dem Rechtsbestand aus.

Die Beschwerde gegen diesen Bescheid ist gemäß § 261 Abs 2 BAO iVm § 278 Abs 1 BAO als gegenstandslos zu erklären.

3.3 Zu Spruchpunkt III. (Unzulässigkeit der Revision)

  Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall entsprach die Lösung der Rechtsfrage der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl ; , 97/13/0131; , 2002/14/0104).

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 93 Abs. 3 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
Zitiert/besprochen in
Ehgartner in BFGjournal 2019, 224
Schuster in SWK 22/2019, 945
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.7101420.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at