Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.03.2019, RV/7104578/2017

Anspruch auf Familienbeihilfe der in Österreich beschäftigten Kindesmutter, wenn das Kind im Haushalt der Großmutter in der Slowakei wohnt?

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. in der Beschwerdesache Bf., Adresse, vertreten durch Mag. Michael Walter Nierla, Annagasse 5 Stiege 2 DG, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Ausgleichszahlung für das Kind S. P., geb. xxx, ab Jänner 2014 zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe
 

Die Beschwerdeführerin (Bf.) ist slowakische Staatsbürgerin. Sie ist seit in Wien mit ihrem Hauptwohnsitz gemeldet und arbeitet in Österreich.

Mit Eingabe vom beantragte die Bf. eine Ausgleichszahlung  für ihren nicht haushaltszugehörigen Sohn P. S., wobei die Bf. begründend auf die belegmäßig dargelegte Erfüllung der überwiegenden Kostentragung  verweist.
Ihr Sohn habe seinen ständigen Wohnsitz laut Bestätigung des Meldeamtes in der Stadt X.  (Slowakei) in der Straße.
Er lebe im gemeinsamen Haushalt bei seiner Großmutter und besuche dort die Grundschule.

Mit Schreiben vom  ersuchte das Finanzamt die Bf. um Übermittlung von Zahlungsbelege über Unterhaltszahlungen für ihren Sohn ab 2014. Aus den in der weiteren Folge übermittelten Belegen ist  ersichtlich, dass sie monatlichen Unterhalt leistete und für Kleidung und Hobbys des Kindes aufkam.

Mit Bescheid vom wurde der Antrag der Bf. auf Gewährung der Ausgleichszahlung für den Sohn ab Jänner 2014 abgewiesen, da sie mit ihrem Sohn nicht im gemeinsamen Haushalt lebe und keine überwiegende Kostentragung vorliege.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vom   führte die Bf. ins Treffen, das zwischen ihr und ihrem Sohn ein gemeinsamer Haushalt bestehe, da ihr Sohn sie regelmäßig besuchen komme.
Sie verwies dabei auf einen Nachweis des Meldeamtes. Weiters wendete die Bf. ein, dass ihr Sohn nur deshalb in der Slowakei bei seiner Großmutter wohne, da er dort die Schule besuche. Zudem zahle die Bf. jeden Monat Unterhalt für ihren Sohn in Höhe von 170 Euro sowie seine Handyrechnung und seine Lebensversicherung. Die Bf. gab weiters an, dass ihr Sohn ein eigenes Bankkonto habe, auf welches sie ihm auch immer wieder  Geld überweise, wenn er es benötige. Ergänzend brachte die Bf. noch vor, dass sie auch den Beitrag sowie die Ausrüstung für den Eishockeyverein, dem ihr Sohn angehöre, zahle. 

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab:
"Gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört.
Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
Unter Haushalt ist eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zu verstehen, wobei es für die Frage nach der Haushaltszugehörigkeit eines Kindes unerheblich ist, wer den Haushalt führt, dem das Kind angehört.
Für die Beurteilung der Haushaltszugehörigkeit ist ausschließlich die Tatsache der Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft von Bedeutung, nicht dagegen das Erziehungsrecht ().

Im Sinne dieses Gesetzes sind Kinder einer Person deren Nachkommen, deren Wahlkinder und deren Nachkommen, deren Stiefkinder oder deren Pflegekinder (§§ 186 und 186 a des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches).

§ 53 FLAG 1967 lautet:
Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hiebei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.

Die Verordnung Nr. 883/2004 regelt, welcher Mitgliedstaat für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen vorrangig zur Gewährung der im jeweiligen Hoheitsgebiet vorgesehenen Familienleistungen verpflichtet ist.
Vorrangig muss grundsätzlich jener Mitgliedstaat die Familienleistungen gewähren, in dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.
Sind die Elternteile in verschiedenen Mitgliedstaaten erwerbstätig, trifft die vorrangige
Verpflichtung zur Gewährung der Familienleistungen jenen Mitgliedsstaat, in dessen
Gebiet die Familienangehörigen (Kinder) wohnen.
Sind die Familienleistungen im anderen Mitgliedsstaat höher, besteht dort gegebenenfalls
ein Anspruch auf Gewährung des Differenzbetrages (Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in
Verbindung mit DVO (EG) 987/2009.

Zu den Familienangehörigen zählt Art. 1 Abs. 1 Buchstabe i Nummer 1 Unterbuchstabe
i VO 883/2004 jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen
gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird.
„Wohnort“ ist der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person (Art. 1 Abs. 1 Buchstabe j V0 883/2004).

Art. 60 (1) DVO 987/2009 lautet:
Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird.
Im Urteil vom , EuGH C-378/14 (Tomisław Trapkowski) hat der Gerichtshof der Europäischen Union dazu folgende Rechtsansicht vertreten:
Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Fiktion dazu führen kann, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind, was von dem vorlegenden Gericht zu prüfen ist.
Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung Nr. 987/2009 ist dahin auszulegen, dass danach nicht verlangt wird, dass der Anspruch auf Familienleistungen, die für ein Kind gewährt werden, dem Elternteil des Kindes, der in dem für die Gewährung dieser Leistungen zuständigen Mitgliedstaat wohnt, deshalb zuerkannt werden muss, weil der andere Elternteil, der in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, keinen Antrag auf Familienleistungen gestellt hat.

Am haben Sie für Ihren, in der Slowakei bei der Großmutter lebenden Sohn einen Antrag auf Familienbeihilfe ab dem Jahr 2014 bis laufend gestellt.
Die Abweisung dieses Antrages erfolgte, da weder eine Haushaltszugehörigkeit noch eine überwiegende Kostentragung gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 vorlag.
Sowohl in Ihrem Antragsformular als auch in Ihrer Beschwerdeschrift wurde darauf hingewiesen, dass ihr Sohn bei der Großmutter in der Slowakei lebt. Außerdem erfolgte die Vorlage einer Bestätigung der Großmutter, in welcher diese den Erhalt von Unterhaltsleistungen für das bei ihr lebende  Enkelkind ab 2012 bestätigte. Zusätzlich liegen slowakische Schulzeugnisse bzw. Schulbesuchsbestätigungen von P. für die Schuljahre 2013/14 bis 2016/17 vor. Gemäß einer Entscheidung des Amtes für Arbeit, soziale Angelegenheiten und Familie Z. vom wurde die Auszahlung der slowakischen Familienbeihilfe eingestellt, da Sie bei dieser Behörde angegeben haben, dass „ das Kind S. P., geboren am xxx, das durch Gericht zur Erziehung am der Mutter anvertraut wurde mit der Mutter nicht zusammen lebt.  Die berechtigte Person hat mitgeteilt, dass sich um das Kind seine Großmutter B. N. in der Slowakischen Republik an der Adresse X., C. kümmert.
Aufgrund dieser Unterlagen ist davon auszugehen, dass sich P. im Abweisungszeitraum im Haushalt der Großmutter aufgehalten hat.
Lt. der (obigen) Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union obliegt es der zuständigen nationalen Behörde, zu bestimmen, welche Personen nach nationalem Recht Anspruch auf Familienbeihilfe haben.
Gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 haben jene Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind zu deren Haushalt das Kind gehört. Nach § 2 Abs. 3 FLAG 1967 gehören auch Großeltern zu diesem Personenkreis.
Da das Kind P. bereits dem Haushalt der Großmutter zugehörig ist, kann eine Prüfung der überwiegenden Unterhaltskostentragung im Sinne des zweiten Satzes des § 2 Abs. 2 FLAG 1967 unterbleiben.
Ihre Beschwerde muss daher als unbegründet abgewiesen werden."

Am stellte der Vertreter der Bf. den Antrag die Beschwerde vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen

Sachverhaltsfeststellungen:

Die Bf. Bf. ist die Mutter des am xxx geborenen S. P., beide sind slowakische  Staatsbürger.
Laut Bestätigung des Gemeindeamtes X. vom hat der Sohn P. seinen Wohnsitz in der Slowakei. Er wohnt im Haushalt seiner Großmutter.
Laut Meldezettel ist die Bf. seit Oktober 2009 in Österreich mit Hauptwohnsitz gemeldet.
Die Bf. brachte im Jahr 2012 ihr zweites Kind- A.- zur Welt, mit welchem sie in Österreich im gemeinsamen Haushalt lebt und auch Familienbeihilfe bezieht. 
Die Bf. war zuletzt im Jahr 2012 als Angestellte beschäftigt, und bezog in der zweiten Jahreshälfte Wochengeld aufgrund der Geburt ihrer Tochter.
Ab dem Jahr 2014 erhielt sie fast durchgehend bis ins Jahr 2017 Leistungen vom Arbeitsmarktservice.  
Laut übermittelten Schreiben des Bezirksgerichtes in Z.  wird bestätigt, dass die Ehe zwischen der Bf. und dem Kindesvater J. S. mit dem Urteil (AZ ******) vom geschieden wurde und die Fürsorge für das gemeinsame Kind der Bf. zugesprochen wurde.
Laut vorliegenden Schulbesuchsbestätigungen besuchte P. S. im Beschwerdezeitraum die Schule in der Slowakei.
Slowakische Familienleistungen für P. S. wurden von der Bf. bis zum iHv. monatlich 23,50 Euro bezogen.
Mit Schreiben des Amtes für Arbeit, soziale Angelegenheiten und Familie in Z. wurde der Bf. der Anspruch auf die Familienleistung entzogen, da sie nicht mit ihrem Sohn im gemeinsamen Haushalt lebe.
Die Bf. bezahlte laut Bestätigung der Großmutter vom monatlich 170 € als Unterhalt für ihren Sohnes.
Weiters kaufte die Bf. ihrem Sohn Kleidung, zahlte die Handykosten, die Prämie für eine Lebensversicherung und trug die Unkosten für den Eishockeyverein.

Wie unter zu zeigen ist, spielt jedoch für die Entscheidung über die Beschwerde keine Rolle, in welcher Höhe die Bf. ihrem Kind Unterhalt geleistet hat.

Beweiswürdigung

Strittig ist, ob die Bf. ab 1.2014 Anspruch auf Ausgleichzahlungen für ihren in der Slowakei bei der Großmutter wohnenden Sohn hat.

Rechtsgrundlagen

Rechtlich ist dieser Sachverhalt unter Berücksichtigung von Unionsrecht und innerstaatlichem Recht wie folgt zu würdigen:

Gemäß Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt diese Verordnung für die Bf. und deren Kind, da diese slowakische Staatsbürger und damit Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union sind. Da aber weiters auch die Mutter der Bf. - wie unten noch näher ausgeführt wird - als Familienangehörige iSd obigen Bestimmungen anzusehen ist, gilt die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auch für sie.

Der Kindesmutter unterliegt aufgrund ihrer nichtselbständigen Erwerbstätigkeit in Österreich gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 den österreichischen Rechtsvorschriften, ihre Mutter (Großmutter von P.) unterliegt den slowakischen Rechtsvorschriften.

In diesem Fall werden nach den in Art. 68 der Verordnung normierten Prioritätsregeln die Familienleistungen primär nach den slowakischen Rechtsvorschriften gewährt; ein Unterschiedsbetrag in Höhe der darüber hinausgehenden Familienleistungen ist nach den sekundär anzuwendenden österreichischen Bestimmungen zu gewähren (Differenzzahlungen).

Ein Anspruch auf Differenzzahlungen ist im vorliegenden Fall grundsätzlich gegeben. Zu klären ist lediglich die Frage, ob dieser Anspruch der Kindesmutter zusteht.

Dazu bestimmt Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009:

"Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird."

Das Finanzamt verweist im bekämpften Bescheid und in der Beschwerdevorentscheidung unter Hinweis auf das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7101771/2015 zur Recht auf das , Tomislaw Trapkowski, in dem dieser unter Hinweis auf die Familienbetrachtungsweise (Rn 36) mehrfach betont, dass die Frage, wem der Anspruch auf Differenzzahlungen zusteht, ausschließlich nach den innerstaatlichen (hier also österreichischen) Rechtsvorschriften zu prüfen ist (siehe insbesondere die Rn 38 ff dieser Entscheidung), was sich im Übrigen schon unmissverständlich aus dem klaren und unzweideutigen Wortlaut des Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 ergibt. Der EuGH stellte daher fest, dass der Anspruch auf Familienleistung auch einer Person zustehen kann, die nicht in dem Mitgliedsstaat wohnt, der für die Gewährung der Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind (Rn 41).

Das Unionsrecht selbst vermittelt somit keinen originären Anspruch auf nationale Familienleistungen. Es ist nach wie vor Sache der Mitgliedstaaten, wem sie unter welchen Voraussetzungen wie lange Familienleistungen zuerkennen. Das Unionsrecht verlangt allerdings im Allgemeinen, dass diese Zuerkennung diskriminierungsfrei erfolgen muss, und im Besonderen, dass die Familienangehörigen einer Person, die in den Anwendungsbereich der VO 883/2004 fällt, so zu behandeln sind, als hätten alle Familienangehörigen ihren Lebensmittelpunkt in dem Mitgliedstaat, der Familienleistungen gewähren soll (; ; ; ; ; ).

Die nach Art. 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO 987/2009 vorzunehmende Fiktion bewirkt, dass die Wohnsituation auf Grundlage der im Streitzeitraum im anderen EU-Mitgliedstaat gegebenen Verhältnisse (fiktiv) ins Inland übertragen wird. Diese Fiktion besagt aber nur, dass zu unterstellen ist, dass alle Familienangehörigen im zuständigen Mitgliedstaat wohnen. Ob etwa ein gemeinsamer Haushalt besteht, ist dagegen sachverhaltsbezogen festzustellen (; ; ; ;  ; ).

Wer von den unionsrechtlich grundsätzlich als anspruchsberechtigte Personen anzusehenden Familienangehörigen tatsächlich primär oder sekundär oder gar keinen Anspruch auf österreichische Familienleistungen hat, ist daher nach nationalem Recht zu beurteilen (; ; ; ).

Nach Art. I, Buchstabe i, Nummer 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 bezeichnet der Ausdruck "Familienangehöriger" "jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltszugehöriger bezeichnet wird."

Innerstaatlich gilt folgendes:

Gemäß § 2 Abs. 3 FLAG 1967  "sind Kinder einer Person
a) deren Nachkommen,
b) deren Wahlkinder und deren Nachkommen,
c) deren Stiefkinder,
d) deren Pflegekinder (§§ 186 und 186a des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches)."

Aus dem bereits oben zitierten , Tomislaw Trapkowski, geht hervor, dass auch die Frage, welche Personen als Familienangehörige iSd Art. I, Buchstabe i, Nummer 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, anzusehen sind, nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen ist. Dies ergibt sich aus den Rz 29-31 dieses Urteils:

"29 Wie jedoch das vorlegende Gericht darlegt, steht der Anspruch auf Familienleistungen für ein Kind nach deutschem Recht den mit dem Kind im ersten Grad verwandten Eltern zu, gleich ob sie verheiratet sind oder nicht.

30 Auf dieser Grundlage meint das vorlegende Gericht, das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Kind und seine Mutter seien, was den Anspruch auf Familienleistungen betreffe, als Familienangehörige von Herrn Trapkowski im Sinne des deutschen Rechts anzusehen.

31 Es ist indessen nicht Sache des Gerichtshofs, eine solche Feststellung, die auf das nationale Recht in der Auslegung durch das nationale Gericht gestützt ist, in Frage zu stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil Slanina, C-363/08, EU:C:2009:732, Rn. 27)."

Da somit der Kindesbegriff des § 2 Abs. 3 FLAG 1967 auch die Großeltern umfasst (lit. a: "deren Nachkommen"), ist im Beschwerdefall die Großmutter als Familienangehörige zu betrachten.

Gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) hat die Person Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Zum Haushalt einer Person gehört ein Kind gemäß § 2 Abs. 5 FLAG 1967 dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft Voraussetzung für die Haushaltszugehörigkeit eines Kindes, wobei es unmaßgeblich ist, wer die Mittel für die Führung des Haushaltes zur Verfügung stellt. Wohl kommt es darauf an, dass über diese Mittel im Rahmen einer einheitlichen Wirtschaftsführung verfügt wird. Die Bedürfnisse des Kindes müssen daher in dieser einheitlichen Wirtschaftsführung entsprechend Berücksichtigung finden.

Der Sohn der Bf. gehörte im Antragszeitraum jedenfalls nicht ihrem Haushalt an.

§ 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 stellt hinsichtlich des Familienbeihilfenanspruchs primär auf die Haushaltszugehörigkeit mit einem Kind ab und nur subsidiär (§ 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG 1967) darauf, welche Person die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt.

Transformiert man nun entsprechend den Regelungen des Art 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO 987/2009 die im Ausland bestehende Wohnsituation fiktiv ins Inland, und beurteilt die Frage, ob ein gemeinsamer Haushalt vorliegt, aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse, so ergibt sich, dass die Mutter der Bf. mit deren Kind bei einheitlicher Haushaltsführung eine Wohnung teilt (sh. § 2 Abs. 5 FLAG 1967). Das Kind gehört daher zu ihrem Haushalt.

Der vorrangige Anspruch der Familienleistungen steht somit bei dem gegebenen Sachverhalt der Mutter der Bf. zu, solange die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach in der Person der Bf. erfüllt ist. Der im Verwaltungsverfahren erörterten Frage der überwiegenden Kostentragung durch die Bf. kommt keine Entscheidungsrelevanz zu.

Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zuletzt ) ist durch die dargestellte Rechtsprechung des EuGH überholt. Die Ansicht des VwGH, dass eine überwiegende Kostentragung eines in Österreich erwerbstätigen Unionsbürgers, die bei bestehender Haushaltszugehörigkeit der Kinder zum anderen Elternteil (bzw. zu einer anderen Person, gegenüber der Kindeseigenschaft gegeben ist) nach dem anzuwendenden innerstaatlichem Recht keine Entscheidungsrelevanz hat, hier doch Voraussetzung für einen Differenzzahlungsanspruch sein soll, findet weder im Unionsrecht noch im innerstaatlichen Recht Deckung. Diese Rechtsansicht führte im Ergebnis regelmäßig zu einer Diskriminierung von Unionsbürgern (der haushaltsführenden Mutter der Bf.) gegenüber inländischen Staatsbürgern.

In diesem Zusammenhang sei nochmals auf das , Tomislaw Trapkowski, verwiesen, in dessen Randziffer 38 der Gerichtshof ausführt:

"Aus Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 in Verbindung mit Art. 60 Abs. 1 der Verordnung Nr. 987/2009 ergibt sich zum einen, dass eine Person Anspruch auf Familienleistungen auch für Familienangehörige erheben kann, die in einem anderen als dem für ihre Gewährung zuständigen Mitgliedstaat wohnen, und zum anderen, dass die Möglichkeit, Familienleistungen zu beantragen, nicht nur den Personen zuerkannt ist, die in dem zu ihrer Gewährung verpflichteten Mitgliedstaat wohnen, sondern auch allen „beteiligten Personen", die berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben, zu denen die Eltern des Kindes gehören, für das die Leistungen beantragt werden."

Familienleistungen können daher auch von allen „beteiligten Personen", die berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben, beantragt werden, wozu nach innerstaatlichem Recht auch die Großmutter, bei der das Kind wohnt, gehört, und die nach innerstaatlichem Recht primären Anspruch auf Familienbeihilfe hat.

Somit wird gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 3 VO 987/2009 das österreichische Finanzamt den von der Kindesmutter gestellten Antrag auf Ausgleichszahlung/Differenzzahlung, wenn und soweit diesem ein Anspruch der haushaltsführenden Großmutter vorgeht, zugunsten des Anspruchs der Großmutter auf österreichische Familienleistungen zu berücksichtigen haben, da diese - wiederum nach innerstaatlichem Recht - iSd Art. 60 Abs. 1 dritter Satz der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 als Elternteil behandelt wird (sh. BFH , III R 68/13 "Zu den 'beteiligten Personen' gehören daher die nach dem nationalen Recht Anspruchsberechtigten").

Ungeachtet des Umstandes, dass der Antrag der Bf. im Beschwerdefall als Antrag der Großmutter gilt, konnte dennoch die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden, da Partei dieses Verfahrens iSd § 78 BAO nur die Bf. ist und sich daher die Wirkung dieses Erkenntnisses nur auf sie erstreckt (aA ; , wo mit Feststellungsbescheid nach § 92 BAO vorgegangen wurde).

Der Antrag der Bf. war daher abzuweisen.

Zulässigkeit der Revision  

Eine Revision ist nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn ein Erkenntnis von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da das Erkenntnis von der - wenn auch durch die zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes überholten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig ().

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 2 Abs. 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 53 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 60 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
Art. 2 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 11 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 60 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.7104578.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at