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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 24.05.2019, RV/2100040/2019

Vorwerfbarer Rechtsirrtum bei Unterlassung der Einholung von Erkundigungen bei der zuständigen Behörde, Unterbrechungshandlungen im Einhebungsverfahren gegen die GmbH wirken auch gegen den Haftenden

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter X. in der Beschwerdesache Bf., über die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid der belangten Behörde Finanzamt Graz-Stadt nach § 9 BAO vom zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abändert, dass die Beschwerdeführerin (Bf.) für die Lohnsteuer 2004 in Höhe von € 1.034,66 und die Lohnsteuer 2005 in Höhe von € 1.627,06 als Haftungspflichtige in Anspruch genommen wird.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Im angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin (Bf.) für Beträge an Lohnsteuer 2003 in Höhe von € 283,48; 2004 in Höhe von € 1.034,66 und 2005 in Höhe von € 1.627,06 als haftungspflichtige Geschäftsführerin der GmbH in Anspruch genommen. Die Abgaben resultieren aus einer Außenprüfung für lohnabhängige Abgaben vom . In der Sache führte er aus, die Bf. sei in der Zeit vom bis handelsrechtliche Geschäftsführerin der GmbH gewesen und somit Vertreterin im Sinne des § 9 iVm. § 80 BAO. Die Abgabenbescheide seien im Zuge des Haftungsverfahrens der Bf. zur Kenntnis gebracht worden. Der Unterlassung der Abfuhr der Lohnsteuer stelle eine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten dar. Die Ermessensentscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, bei einer vorzuwerfenden Pflichtverletzung würden allfällige Einzelinteressen verdrängt und daher sei die Vertreterhaftung im erforderlichen Ausmaß geltend zu machen.

In ihrer Beschwerde führte die Bf. aus, eine Inanspruchnahme als persönlich Haftende durch Haftungsbescheid sei nur dann zulässig, wenn die Einhebungsverjährung gegen die hauptschuldnerische GmbH noch nicht eingetreten ist. Mit der Einhebungsverjährung verjähre das Recht, eine bereits festgesetzte Abgabe einzuheben. Sie beginne mit Ablauf des Jahres, in dem die Abgabe fällig geworden ist und beträgt fünf Jahre. Die Abgabenbescheide laut GPLA vom wurden ihr mit Haftungsbescheid vom – also neun Jahre später zur Kenntnis gebracht. Sie sei zu keinem Zeitpunkt Geschäftsführerin der B. GmbH, (offensichtlich eine Nachfolgefirma der V. GmbH) gewesen. Daher sei es ihr auch nicht möglich gewesen, am Prüfungsverfahren in irgendeiner Form teilzunehmen.

Nach den ihr bekannten Streitpunkten im GPLA-Verfahren, gehe es um Umqualifzierungen der Fahrradboten, die bereits österreichweit zu Rechtsmittelverfahren seitens unterschiedlichster Unternehmungen geführt hätten und auch höchstgerichtliche Beschwerden anhängig seien, weshalb von einer Haftungsrelevanz abgabenrechtlicher Pflichtverletzungen nicht gesprochen werden könne. Diese strittige Rechtsauffassung der Einstufung von Fahrradboten habe sogar zur Insolvenz der GmbH geführt.

Weiters verweist sie auf die Verjährungsbestimmungen des § 238 Abs. 1 BAO, wonach das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe, verjähre. Für Abgaben des Jahres 2005 sei die Verjährung rechnerisch mit Ablauf des Jahres 2010 eingetreten, sofern keine Unterbrechungshandlungen gesetzt worden seien. Zu den Voraussetzungen einer wirksamen Unterbrechungshandlung im Sinne des § 238 Abs. 2 BAO zähle, dass sie nach außen in Erscheinung trete und den erkennbaren Zweck verfolge, den Anspruch gegen den Abgabenschuldner durchzusetzen. Die Zulässigkeit der Erlassung eines Haftungsbescheides sei ausschließlich daran zu messen, ob diese Einhebungsmaßnahme innerhalb der durch Amtshandlungen unterbrochenen Einhebungsfrist gesetzt worden seien.

Gleichzeitig habe auch der Verwaltungsgerichtshof betont, dass es zu den Obliegenheiten behördlicher Ermessensübung zähle, den jeweiligen Umständen des Einzelfalls in der gebotenen Weise Rechnung zu tragen und aus der Beurteilung der Rechtslage, zumal auch hinsichtlich des Elements der Zumutbarkeit der Heranzuziehung eines Haftungspflichtigen angesichts der lange verstrichenen Zeit, resultierende Unbilligkeit hintanzuhalten. Daher werde insbesondere im Hinblick der bereits lange verstrichenen Zeit, dem Rechtsmittel vollinhaltlich stattzugeben sein.

In ihrer Beschwerdevorentscheidung wies die belangte Behörde die Beschwerde ab und führte aus, die haftungsgegenständlichen Lohnsteuern seien im Zeitraum der bf. Geschäftsführertätigkeit fällig geworden. Maßgebend sei der gesetzliche Fälligkeitstag der betreffenden Abgaben, unabhängig davon, wann diese bescheidmäßig festgesetzt würden. Einwendungen gegen den Abgabenanspruch seien nicht im Haftungs-, sondern ausschließlich im Abgabenverfahren zu klären. Gemäß § 248 BAO könne der Haftungspflichtige im Zuge der Beschwerde gegen die Heranziehung zur Haftung innerhalb der für die Einbringung der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid offen stehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Beschwerde erheben.

Zur Einhebungverjährung verwies sie darauf, durch jede nach außen erkennbare Amtshandlung werde die Einhebungsverjährung unterbrochen. Diese Unterbrechungshandlungen wirkten nicht nur gegen den Primärschuldner, sondern auch gegen bereits in Anspruch genommene Haftungspflichtige. In der weiteren Folge sei die Verjährung auch durch die im Konkursverfahren vorgenommene Anmeldung unterbrochen worden. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens am habe der Beginn der Einhebungsverjährung von neuem begonnen.

Zur Ermessensübung führt die belangte Behörde das unberichtigte Aushaften von folgenden Abgaben der Primärschuldnerin ins Treffen:


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Abgabe
Zeitraum
Betrag in €
Dienstgeberbeitrag
2003
968,02
Dienstgeberbeitrag
2004
3.947,15
Dienstgeberbeitrag
2005
4.607,39
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
2003
98,93
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
2004
385,93
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
2005
430,07
 
 
10.437,39

Für diese Abgaben seien aus Zweckmäßigkeitsüberlegungen - angesichts der lange verstrichenen Zeit nach der Insolvenzaufhebung - keine Haftungsinanspruchnahmen erfolgt. Aus dem auf die Einbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck folge, die Geltendmachung der Haftung sei dann ermessenskonform, wenn die betreffenden Abgaben beim Primärschuldner uneinbringlich seien.

In ihrem rechtzeitig überreichten Vorlageantrag bemängelt die Bf. die Anführung der Zeitraumes ihrer Geschäftsführertätigkeit mit „“. Diese Begründung sei hinsichtlich des Zeitraumes unrichtig und damit ginge die Feststellung, die haftungsgegenständlichen Lohnsteuern wären alle im Zeitraum ihrer Geschäftsführertätigkeit fällig, ins Leere.

Bis zum Ergehen des Haftungsbescheides vom sei sie noch nie zur Haftung in Anspruch genommen worden, weshalb gegenüber ihrer Person keine nach außen hin erkennbare Amtshandlung gesetzt wurde, die als Unterbrechungshandlung wirken könnte. Laut Stoll, Kommentar zu § 238 BAO unterbrechen Einhebungsmaßnahmen, die gegen den Erstschuldner gesetzt wurden, nach der Geltendmachung der Haftung nicht auch die auf den Haftungspflichtigen ausgerichtete Einhebungsverjährung, die ab Haftungsinanspruchnahme gesondert und selbständig gegen den Haftenden läuft. Abschließend wurde nochmals auf die behördliche Ermessensübung hinsichtlich der Berücksichtigung der Zumutbarkeit der Heranziehung eines Haftungspflichtigen angesichts der lange verstrichenen Zeit ins Treffen geführt.

In ihrem Vorlagebericht merkt die belangte Behörde zum Verjährungseinwand der Bf. an, die Einhebung der Lohnsteuer 2003 sei verjährt. Für die Lohnabgaben 2004 und 2005 sei am eine Aussetzung der Einhebung bewilligt worden. Das Insolvenzverfahren über die Primärschuldnerin sei am eröffnet und am aufgehoben worden. Daher beginne die Einhebungsverjährung wieder von neuem zu laufen.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln die sie verwalten, entrichtet werden (§ 80 Abs. 1 BAO, letzter Satz).

Die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können (§ 9 Abs. 1 BAO).

Die Bf. war laut Firmenbuch vom bis als Geschäftsführerin der V. GmbH eingetragen. In der weiteren Folge wurde nach dem Ausscheiden der Bf. der Sitz der GmbH von der R.- Straße in die N-Gasse verlegt, und am wurde die V. GmbH in die B. GmbH umbenannt. An der Identität der Gesellschaft als solche hat sich nichts geändert, auch wenn es Veränderungen der Gesellschafter gegeben hat. Aus dem in der Beschwerdevorentscheidung ersichtlichen Schreibfehler „“ statt „“ lassen sich keine relevanten Schlussfolgerungen ableiten, da dieser so offensichtlich war, zumal die Bf. ja nicht für die Vergangenheit „September 2006 bis März 2006“ tätig sein konnte.

Zum Grunde und zur Höhe der haftungsgegenständlichen Abgaben:

Vorweg ist festzuhalten, die primärschuldnerische GmbH hatte Berufungen gegen die Lohnsteuerhaftungsbescheide vom erhoben, die jedoch nach Löschung der GmbH am wegen Vermögenslosigkeit nicht erledigt wurden. Die strittigen Lohnabgaben wurden mit Bescheid vom antragsgemäß nach § 212a BAO ausgesetzt. In einem sozialversicherungsrechtlichen Parallelverfahren hat der Verwaltungsgerichtshof die Sozialversicherungspflicht der als Werklöhne ausgezahlten Bezüge bestätigt. Inhaltlich verweist die Bf. darauf, sie treffe an der Umqualifizierung der Auftragnehmer kein Verschulden, weil österreichweit entsprechende Beschwerden bei den Gerichtshöfen anhängig seien. Dem kann sich das Bundesfinanzgericht in der Weise nicht anschließen.

Gleichwohl ist es aber unter dem Aspekt des dem Geschäftsführer vorzuwerfenden Verschuldens an der Verletzung der Vertreterpflichten beachtlich, wenn er aufgrund eines Rechtsirrtums die Entrichtung der Abgaben unterlassen hat und ihm ausnahmsweise ein solcher Rechtsirrtum nicht vorzuwerfen wäre (; ). Auch ein Rechtsirrtum bzw. das Handeln auf Grund einer vertretbaren Rechtsansicht kann die Annahme eines Verschuldens ausschließen (). Gesetzesunkenntnis oder irrtümlich objektiv fehlerhafte Rechtsauffassungen sind nur dann entschuldbar und nicht als Fahrlässigkeit zuzurechnen, wenn die objektiv gebotene, der Sache nach pflichtgemäße, nach den subjektiven Verhältnissen zumutbare „Sorgfalt“ nicht außer Acht gelassen wurde (/‚0024).

Jemand, der es unterlässt, geeignete Erkundigungen über die Rechtslage anzustellen, kann sich nicht erfolgreich auf entschuldigenden Rechtsirrtum stützen (). Das Risiko des Rechtsirrtums trägt der, der es verabsäumt, sich an geeigneter Stelle zu erkundigen (). Gerade bei unterschiedlichen Rechtsstandpunkten ist es Aufgabe des Geschäftsführers, sich bei der zuständigen Abgabenbehörde über die Abgabepflicht zu erkundigen (). Dass sich die Bf. bei der zuständigen Behörde über deren Rechtsansicht zu ihrem gesetzten Sachverhalt erkundigt hat, wurde nicht einmal behauptet. Vielmehr hat die Bf. als verantwortliche Geschäftsleiterin die Sachverhaltsbeurteilung eigenständig vorgenommen und die entsprechenden Lohnabgaben nicht abgeführt bzw. entrichtet. Nach ihrem Ausscheiden als Geschäftsführerin () ist es am zu entsprechenden Vorschreibungen von Lohnabgaben durch die belangte Behörde gekommen. Die weiteren Vorschreibungen der Sozialversicherung hatten letztendlich zur Insolvenz der GmbH geführt.

Richtig ist, dass die Bf. in diesen Beschwerdeverfahren, zumal sie als Geschäftsführerin bereits ausgeschieden war, nicht teilnehmen konnte. Wenn Abgaben gegenüber dem Primärschuldner bescheidmäßig festgesetzt sind und kann der zur Haftung Herangezogene sohin gemäß § 248 BAO gegen den Bescheid betreffend den Abgabenanspruch Beschwerde erheben, können im Verfahren über die Geltendmachung der Haftung Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgaben nicht mit Erfolg erhoben werden ( 2012/1 6/0049, , 2001/14/0109). Die Bf. hat von ihrem Recht, gegen die (an die GmbH ergangenen) Lohnsteuerhaftungsbescheide vom Beschwerden zu erheben, keinen Gebrauch gemacht. Als schuldhaft im Sinne des § 9 BAO gilt jede Form des Verschuldens, somit auch leichte.

Zur Verjährungseinrede:

Wie bereits ausgeführt wurden die haftungsgegenständlichen Abgaben (Lohnsteuer 2003, 2004 und 2005) mit Bescheid vom gegenüber der GmbH vorgeschrieben.

Das Recht eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, verjährt binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe ( § 238 Abs. 1 BAO).

Gemäß § 4 Abs. 2 lit. a Z 3 BAO entsteht der Abgabenanspruch für Steuerabzugsbeträge im Zeitpunkt des Zufließens der steuerabzugspflichtigen Einkünfte.

Gemäß § 208 Abs. 1 lit. a BAO beginnt die Verjährung in den Fällen des § 207 Abs. 2 BAO, der für alle übrigen Abgaben eine fünfjährige Verjährungsfrist vorsieht, mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist.

Der Abgabenanspruch hinsichtlich der Lohnsteuer 2003 entsteht spätestens am . Folglich beginnt die abgabenrechtliche Bemessungsverjährung am und endet am . Folglich war dieser Zeitraum bereits als verjährt anzusehen.

Die Verjährung fälliger Abgaben wird durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung wie durch Mahnung, durch Vollstreckungsmaßnahmen, durch Bewilligung einer Zahlungserleichterung oder durch Erlassung eines Haftungsbescheides unterbrochen.

Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen (§ 238 Abs. 2 BAO).
Die im bürgerlichen Recht geltenden Grundsätze über den gesonderten Ablauf von Verjährungsfristen gegen jeden einzelnen von mehreren Gesamtschuldnern gelten für das öffentlich-rechtliche Steuerschuldverhältnis nicht.
Amtshandlungen nach § 238 Abs. 2 BAO unterbrechen die Verjährung des in § 238 Abs. 1 BAO genannten Rechtes gegenüber jedem, der als Zahlungspflichtiger in Betracht kommt, ohne dass es rechtlich von Bedeutung wäre, gegen wen sich die Amtshandlungen gerichtet hatten ().

Unterbrechungshandlungen im Sinne des § 238 Abs. 2 BAO wirken daher anspruchsbezogen und somit nicht nur gegenüber dem Primärschuldner‚ sondern auch gegenüber einem allfällig Haftungspflichtigen ().

Nach außen erkennbare Amtshandlungen sind zB.: Mahnung, Vollstreckungsmaßnahmen, Bewilligung einer Zahlungserleichterung oder Erlassung eines Bescheides gemäß § 201 BAO und § 202 BAO ().

Die von der Bf. unter Berufung auf Stoll, BAO-Kommentar zu § 238 rekurrierte Rechtsmeinung, wonach Einhebungsmaßnahmen, die gegen den Erstschuldner gesetzt werden, nach der Geltendmachung der Haftung nicht auch die auf den Haftungspflichtigen ausgerichtete Einhebungsverjährung wirken, die ab Haftungsinanspruchnahme gesondert und selbständig gegen den Haftungspflichtigen läuft, kann nicht hinreichend nachvollzogen werden, zumal sich die lediglich allgemein zitierte Kommentarstelle auf die Seiten 2456-2468 beziehen kann und derartige Ausführungen sachverhaltsbezogen nicht aufgefunden werden konnten. Stoll erwähnt in seinem Kommentar unterschiedlichste Sachverhalte wie bspw. auf Seite 2462, 1. Absatz, aaO: „Werden Einhebungsschritte gegenüber dem Haftenden gesetzt, so bewirken diese auf die Einhebung und Einbringung gerichteten Behördenschritte nur eine Unterbrechung der Einhebungsverjährung dem Haftenden gegenüber, nicht auch eine Unterbrechung der Einhebungsverjährung dem Hauptschuldner gegenüber. Sie vermögen auch nicht ungeachtet der durch § 238 Abs. 1 letzter Halbsatz, hergestellten inneren Verbindung zwischen Bemessungs- und Einhebungsverjährung die Bemessungsverjährung (dem Hauptschuldner) zu berühren. Umgekehrt unterbrechen Einhebungsmaßnahmen, die gegen den Erstschuldner gesetzt werden, nach der Geltendmachung der Haftung nicht auch die auf den Haftungspflichtigen ausgerichtete Einhebungsverjährung, die ab Haftungsinanspruchnahme gesondert und selbständig gegen den Haftenden läuft.“

Abgesehen davon entfernt sich das bf. Vorbringen sehr vom vorliegenden Sachverhalt, indem in pauschalierender und allgemeiner Betrachtungsweise unter unkonkreter Zitierung auf einen umfangreichen Kommentar verwiesen wird. Die oa. wörtlich zitierte Kommentarstelle bezieht sich auf einen eher untypischen – hier nicht vorliegenden - Sachverhalt nämlich, dass zuerst der Haftungspflichtige durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen wird und erst in der weiteren Folge der Hauptschuldner.

In der weiteren Folge bemerkt Stoll, Seite 2462 Abs. 4 wörtlich: „Erfolgt zunächst (was der Regelfall ist) die Abgabenfestsetzung gegenüber dem Hauptschuldner, so darf dies nur innerhalb der Bemessungsverjährung erfolgen. Die an die Festsetzung (und damit an die Fälligkeit) anschließende Einhebungsverjährung wird durch Einhebungsschritte dem Hauptschuldner gegenüber unterbrochen. Innerhalb dieser (durch allfällige Einhebungsmaßnahmen dem Hauptschuldner gegenüber verlängerten) Einhebungsverjährung können Haftende mit Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Diese Maßnahme ist nicht eine Abgabenfestsetzung, sondern eine Maßnahme der Einhebung. Dem Haftenden gegenüber wird die Abgabe diesfalls nicht „festgesetzt“ (§ 198), sondern er wird lediglich zur Zahlung einer bereits festgesetzten und fälligen (wenn auch von ihm anfechtbaren, § 248) Abgabenschuld herangezogen (etwa 89/16/9-11). Gemäß § 224 Abs. 1 ist dem nunmehrigen Haftungsschuldner eine Zahlungsfrist von einem Monat eingeräumt (die Fälligkeit für den Hauptschuldner wird hiedurch nicht berührt. Da in dieser Fallgruppe die Geltendmachung des Abgabenanspruches anläßlich der Erlassung des Haftungsbescheides nicht „erstmalig“ erfolgt, kommt § 224 Abs. 3 nicht zur Anwendung (die der Bemessungsverjährung entsprechende Frist bedeutet somit keine Beschränkung für die Geltendmachung der Haftung. Ist die Haftung einmal geltend gemacht, so wirken Einhebungs- und Einbringungsschritte gegenüber dem Haftungspflichtigen auf die Einhebungsverjährung diesem gegenüber fristunterbrechend (nicht auch auf die verselbständigt zu denkende Einhebungsverjährung gegenüber dem Hauptschuldner; beispielsweise u. , 18/65). Andererseits bedeutet dies, daß nach Heranziehung des Haftenden gegenüber dem Hauptschuldner gesetzte Einhebungsschritte nur diesem gegenüber verjährungsfristunterbrechende Wirkung haben (vgl. ).“

M.a.W. ausgedrückt, führt die Bf. Sachverhalte unter Bezugnahme auf eine Literaturstelle des Fachschrifttums ins Treffen, die gegenständlich gar nicht zu beurteilen sind. Für eine grundsätzliche Abstandnahme von der Haftung - mit Ausnahme der Lohnsteuer für das Jahr 2003 - können auch bei Verwendung des oa. Kommentarwerkes keine von belangten Behörde abweichenden Rechtsauffassungen aufgefunden werden.

Eine Lex specialis gegenüber § 238 BAO stellt der § 9 Abs. 1 IO dar (zu § 9 Abs. 1 KO sowie § 9 Abs. 1 IO, ):
Nach der gegenüber § 238 BAO spezielleren Bestimmung des § 9 Abs. 1 lO wird durch die Anmeldung im lnsolvenzverfahren die Verjährung der angemeldeten Forderung unterbrochen. Die Verjährung der Forderung gegen den Schuldner beginnt von neuem mit dem Ablauf des Tages, an dem der Beschluss über die Aufhebung des Konkursverfahrens rechtskräftig geworden ist (zu § 9 Abs. 1 AO vgl. ), zu laufen.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund hat bereits die belangte Behörde die Verjährung der Lohnsteuer 2003 anerkannt, weshalb sich darüber weitere Ausführungen erübrigen, weshalb der angefochtene Bescheid in diesem Punkt abzuändern war.

Nicht eingetreten ist jedoch die Einhebungsverjährung der Lohnsteuern 2004 und 2005, weil durch Erlassung der Lohnsteuerhaftungsbescheide an die GmbH vom die fünfjährige Verjährungsfrist unterbrochen wurde. ln weiterer Folge wurde die (neubegonnene) Verjährungsfrist innerhalb von fünf Jahren durch die Konkurseröffnung und Anmeldung beim Konkursgericht durch die belangte Behörde wiederum unterbrochen. Der angefochtene Haftungsbescheid ist innerhalb von fünf Jahren nach Ablauf des Tages, an dem der Beschluss über die Aufhebung des Konkursverfahrens rechtskräftig geworden ist, also innerhalb der (nochmals neu begonnenen) Einhebungsverjährungsfrist ergangen. Die Einhebungsverjährung stand somit einem Haftungsausspruch für 2004 und 2005 nicht entgegen.

Die Meinung der Bf., die Verjährungsfrist nach § 9 IO werde nur gegenüber der Gesellschaft, nicht aber gegenüber den Geschäftsführern unterbrochen, teilt das Bundesfinanzgericht im Hinblick auf die Erkenntnisse ( [verst. Senat], 27.09.9012, 2009/16/0181) nicht.

Ermessen

Die Bf. verweist sowohl in Beschwerde als auch im Vorlageantrag auf das von der Abgabenbehörde zu übende Ermessen und zu beachtende Unbilligkeitsgründe wie die lange verstrichene Zeit, die eine Prüfung der Zumutbarkeit der Heranziehung zur Haftung nach sich ziehe.

Nach Lehre und Rechtsprechung ist die Heranziehung zur Haftung in das Ermessen der Abgabenbehörde gestellt, wobei die Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist. Dem Gesetzesbegriff „Billigkeit“ ist dabei die Bedeutung „berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff „Zweckmäßigkeit“ die Bedeutung „öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben“ beizumessen. Von einer ermessenswidrigen Inanspruchnahme wird vor allem dann gesprochen, wenn die Abgabenschuld vom Hauptschuldner ohne Gefährdung und ohne Schwierigkeiten rasch eingebracht werden kann.

Die Geltendmachung der Haftung stellt die letzte Möglichkeit zur Durchsetzung des Abgabenanspruches dar. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel dann ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist. Der öffentliche Auftrag zur Ergreifung aller Mittel, vollstreckbare Abgaben einzubringen, überwiegt bei der dem Bf. vorzuwerfenden Pflichtverletzung allfällige Billigkeitsgründe, die für eine Abstandnahme von der Heranziehung zur Haftung sprechen würden.

Im Übrigen ist eine Einbringlichmachung bei der Primärschuldnerin unzweifelhaft nicht gegeben, weshalb nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschuld beim Haftenden von der Abgabenbehörde bei ihren Zweckmäßigkeitsüberlegungen vernachlässigt werden kann ().

Die Heranziehung des Bf. zur Haftung erweist sich nicht als unzweckmäßig, weil das Legalitätsprinzip die Heranziehung zur Haftung bei Verschulden des Vertreters an der Uneinbringlichkeit der Abgaben grundsätzlich gebietet und eine allfällige derzeitige Uneinbringlichkeit bei der Bf. es (auch im Hinblick auf ihr Lebensalter und der beruflichen Tätigkeit) nicht ausschließt, dass künftig neu hervorkommendes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen können (vgl. ).

Was die von der Bf. aufgezeigten Billigkeitsgründe wie z.B. die lange verstrichene Zeit, Abgabenanspruch 2004, Festsetzung gegenüber der GmbH 2009, Insolvenzverfahren 2013-2014, Einhebungsmaßnahme durch Erlassung des angefochtenen Bescheides anlangt, ist auszuführen, dass die belangte Behörde dem richtigerweise die Abstandnahme von der Geltendmachung der Haftung für offene Dienstgeberbeiträge und Zuschlägen von Dienstgeberbeiträgen für 2004 und 2005 in Höhe von € 9.370,54 entgegenhält. Damit hat die Abgabenbehörde bereits vor Erlassung des angefochtenen Bescheides Ermessen im Sinne der Billigkeit ausreichend geübt. Abgesehen davon bleibt noch zu berücksichtigen, dass die Bf. maßgeblich zur abgaben- und sozialrechtlichen Gestion der Abwicklung der Arbeitsverträge auf Werkvertragsbasis (Geschäftsmodell) beigetragen hat, die von den Nachfolgegeschäftsführern weitergeführt wurde und somit zu einem erheblichen Abgabenausfall geführt hat.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 80 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 238 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 238 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.2100040.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at