Vorschriftswidrige Verbringung eines Pkw, der als Übersiedlungsgut im Zollgebiet verbleiben soll
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache Bf., vertreten durch V., hinsichtlich der Beschwerde vom gegen den Bescheid des Zollamtes ZA vom , Zl. 000, betreffend die Vorschreibung von Eingangsabgaben und Abgabenerhöhung für einen Pkw zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
I.) Verfahrensgang
Das Zollamt ZA teilte der Beschwerdeführerin (Bf.) mit Bescheid vom , Zahl: 000, eine seiner Ansicht nach gemäß Art. 203 Abs. 1 und Abs. 3 erster Anstrich Zollkodex (ZK) iVm § 2 Abs. 1 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) wegen Entziehens eines im Bescheid näher bezeichneten Beförderungsmittels aus der zollamtlichen Überwachung entstandene Eingangsabgabenschuld in Höhe von 7.709,99 Euro (davon 2.409,37 Euro an Zoll und 5.300,62 Euro an Einfuhrumsatzsteuer) mit und schrieb ihr eine Abgabenerhöhung im Ausmaß von 79,03 Euro zur Entrichtung vor.
Dagegen richtete sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom , in der im Wesentlichen vorgebracht wurde, dass im gegenständlichen Fall Art. 212a ZK anzuwenden sei und das Fahrzeug die Voraussetzungen für eine Eingangsabgaben-befreiung als Übersiedlungsgut erfülle.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom , Zl.: 001, wies das Zollamt die Beschwerde in der Folge als unbegründet ab.
Mit Schriftsatz vom beantragte die Bf. die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag).
Mit Vorlagebericht vom legte das Zollamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.
Im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht wurde den Parteien die Gelegenheit gegeben, sich zu den Sachverhaltsannahmen und zum Ergebnis der Beweisaufnahme zu äußern.
Das Zollamt brachte daraufhin in einer Stellungnahme u.a. sinngemäß vor, dass es sich bei der Abgabenvorschreibung auf die Entscheidung des Unabhängigen Finanz-senates vom , GZ. ZRV/0045-Z2L/10, bezogen habe. Demnach knüpfe der Tatbestand des Art. 558 ZK-DVO nicht an Absichten oder innere Tatsachen des Antragstellers an, sondern an objektive Voraussetzungen, die in der betreffenden Ware bzw. bei ihrer Verwendung tatsächlich im Zeitpunkt der Einreise in das Zollgebiet erfüllt sein müssten. Diese Bedingungen seien für den Vormerknehmer des Beförderungsmittels, den in Russland wohnenden Vater der Abgabenschuldnerin, im Zeitpunkt des Grenzübertritts über ein namentlich unbekanntes Grenzzollamt in Polen erfüllt und eine konkludente Willensäußerung zulässig gewesen.
Zur Beweislage, den verfahrensgegenständlichen PKW nicht wieder ausführen zu wollen, sei festzustellen, dass anlässlich der ersten Vernehmung der Bf. am durch das Zollamt lediglich angegeben worden sei, dass die Kennzeichen von ihrem Vater abmontiert und wieder nach Russland zurückgebracht worden seien. Ob die Absicht bereits im Zeitpunkt der Einreise in das Zollgebiet bestanden habe, dass der PKW endgültig in Österreich bleiben solle, gehe daraus nicht hervor.
Erst in der Stellungnahme vom führe die Bf. an, dass der Wagen nach Österreich kommen sollte, weil der Rubelkurs gesunken sei und Verkaufsversuche in Russland ergebnislos geblieben seien. Es könne jedoch nicht mehr festgestellt werden, ob die Absicht des endgültigen Verbleibes des Fahrzeugs im Zollgebiet bereits vor dem Grenzübertritt oder (auch nur unmittelbar) nachher bestanden habe. Seitens der bf. Partei sei bemerkt worden, dass das Fahrzeug eine Einzelgenehmigung durch die ** Landesregierung benötigt habe, um es in Österreich zuzulassen. Es wäre daher nach allgemeiner Lebenserfahrung plausibel, zuerst dieses Prozedere durchzuführen und erst dann zu entscheiden, das Fahrzeug endgültig in Österreich zu belassen. Wäre nämlich eine Typisierung und Zulassung in Österreich nicht möglich gewesen, hätte man den PKW jederzeit wieder zurückbringen können. Daraus ergebe sich, dass die subjektive Entscheidung des endgültigen Verbleibes des PKWs im Zollgebiet erst nach dem Grenzübertritt erfolgt sei.
Mit Schriftsatz vom zog die Bf. ihre Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie auf Entscheidung durch den Senat zurück.
II.) Sachverhalt
Dem Beschwerdeverfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beschwerdeführerin (Bf.), eine russische Staatsangehörige, verlegte anlässlich ihrer Eheschließung im September 2014 ihren gewöhnlichen Wohnsitz nach Österreich. Laut Zentralem Melderegister erfolgte die Hauptwohnsitzanmeldung am **.**.****.
Nach ihrer Übersiedlung versuchte sie zunächst, ihren in Russland verbliebenen Pkw dort zu verkaufen. Nach vergeblichen Verkaufsversuchen und aufgrund von Kursverlusten des Rubels beschloss die Bf. zu Beginn des Jahres 2015, das Fahrzeug nach Österreich zu übersiedeln.
Hinsichtlich Steuern, Gebühren und Eingangsabgaben informierte sich ihr Ehegatte, ein Steuerberater, bei einem Verkehrsjuristen des ÖAMTC, der ihn auf die ÖAMTC-Homepage verwies.
Ende Februar oder Anfang März 2015 verbrachten die Eltern der Bf. den Pkw sowie persönliche Gebrauchsgegenstände der Bf. über einen nicht näher bekannten polnischen Grenzübergang in das Zollgebiet der Europäischen Union.
Anlässlich ihrer Abreise nach Ende ihres Aufenthalts in Österreich nahmen sie die russischen Kennzeichen zum Zweck der Fahrzeugabmeldung wieder nach Russland mit. In der Folge wurden am Beförderungsmittel österreichische Probefahrtkennzeichen angebracht und der Pkw am dem Amt der ** Landesregierung zur Typisierung vorgeführt, wo am gleichen Tag an den Landeshauptmann von ** ein Ansuchen auf Ausnahmegenehmigung gem. § 34 KFG 1967 gestellt wurde. Am wurde schließlich eine Nova-Erklärung für das Kfz beim zuständigen Finanzamt eingebracht.
III.) Beweiswürdigung
Im Abgabenverfahren kommt gemäß § 166 BAO als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Die Abgabenbehörden haben unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO).
Es genügt im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 167 Abs. 2 BAO von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt (ständige Rechtsprechung des VwGH; vgl etwa , oder ; vgl. auch Ritz, BAO6, § 167, Rz. 8 ff und die dort wiedergegebene Rechtsprechung).
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten sowie aus den Angaben und Vorbringen der beschwerdeführenden Partei.
Die Annahme, dass der Pkw bereits beim Verbringen ins Zollgebiet - bei der Einreise - nicht zur Wiederausfuhr bestimmt war, weil er auf Dauer als Unionsware im Zollgebiet verbleiben sollte, findet ihre Stütze in der Eingabe der Bf. vom , in der die Bf. in Beantwortung eines zollbehördlichen Vorhalts (vom , Zl. 002) u.a. Folgendes angab:
„ Während mein Mann und ich uns mit der Frage beschäftigt haben, ob wir meinen PKW von Russland nach Österreich bringen, haben wir uns selbstverständlich auch mit der Frage (beschäftigt), welche Steuern, Gebühren und Eingangsabgaben die Verwendung in Österreich verursachen würde. Da es sich um ein in der Erhaltung relativ teures Fahrzeug handelt, war dies eine umso wichtigere Frage. Erst der vergebliche Verkaufsversuch und die Tatsache, dass der Rubelkurs in der Zeit seit unserer Hochzeit im September 2014 so stark gefallen war, hat uns letztendlich zur Entscheidung bewogen, das Auto doch nach Österreich zu holen. Mein Mann hat sich - als Mitglied beim ÖAMTC - während dieser Zeit auch beim dortigen Verkehrsjuristen informiert, welcher ihn auf die ÖAMTC-Homepage verwiesen hatte. Diese Abfrage hat mein Mann am , noch während der Zeit als wir auf einen Verkauf in Moskau hofften, getätigt. Als dann zu Beginn des Jahres 2015 mangels Verkaufserfolgs die Entscheidung gefallen ist, dass der Wagen nach Österreich kommen soll, hat mich mein Mann wiederum darauf aufmerksam gemacht, dass ich das Auto ein Jahr nicht verkaufen darf, um nicht in die Zoll- und Umsatzsteuerpflicht zu fallen. Die anderen Voraussetzungen für die Qualifikation als Übersiedlungsgut waren und sind ja immer erfüllt gewesen. Mein Mann hätte sonst einer Überführung nie zugestimmt. Der Antrag auf Grundlagenbescheid wurde jedoch trotzdem irgendwie vergessen."
Dem Einwand der Zollbehörde, es könne nicht mehr festgestellt werden, ob die Absicht des endgültigen Verbleibs des Fahrzeugs im Zollgebiet bereits vor dem Grenzübertritt oder (auch nur unmittelbar) nachher bestanden habe, steht die oben erwähnte Angabe der beschwerdeführenden Partei entgegen, dass die Entscheidung, das Fahrzeug nach Österreich zu holen, zu „ Beginn des Jahres 2015" gefallen ist, die Einreise in das Zollgebiet nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid aber erst „ in der ersten Märzhälfte 2015" erfolgte.
Das Zollamt führt auch ins Treffen, dass es nach allgemeiner Lebenserfahrung plausibel sei, zuerst das Prozedere der Typisierung durchzuführen und erst dann zu entscheiden, das Fahrzeug endgültig in Österreich zu belassen. Wäre nämlich eine Typisierung und Zulassung in Österreich nicht möglich gewesen, hätte man den PKW jederzeit wieder zurückbringen können.
Dem steht jedoch die Aussage der Bf. in ihrer Einvernahme vom (Niederschrift Zl. 0003) durch die Finanzstrafbehörde entgegen, wonach die russischen Kennzeichen vom Vater der Bf. abmontiert und wieder nach Russland gebracht wurden, die Bf. das Fahrzeug erst nach Abreise ihrer Eltern der Landesregierung zur Typisierung vorgeführt habe und die Typisierung bei der ersten Vorführung auch nicht „ durchgegangen" sei.
Die Angaben der Bf. in der Vorhaltsbeantwortung vom sind glaubwürdig, schlüssig und nachvollziehbar. Das Bundesfinanzgericht sieht es daher in freier Beweiswürdigung als erwiesen an, dass das in Rede stehende Fahrzeug bereits beim Verbringen ins Zollgebiet der Union dazu bestimmt war, als Übersiedlungsgut dauerhaft in Österreich zu verbleiben.
IV.) Rechtslage
Waren, die in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden, sind vom Verbringer gemäß Art. 38 Abs. 1 Buchstabe a) der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABL L 302 vom , (Zollkodex - ZK) unverzüglich und gegebenenfalls unter Benutzung des von den Zollbehörden bezeichneten Verkehrsweges nach Maßgabe der von diesen Behörden festgelegten Einzelheiten zu der von den Zollbehörden bezeichneten Zollstelle oder einem anderen von diesen Behörden bezeichneten oder zugelassenen Ort zu befördern und gemäß Art. 40 ZK von der Person zu gestellen, die die Waren beim Eingang in das Zollgebiet der Gemeinschaft dorthin verbracht hat oder gegebenenfalls die Verantwortung für eine Weiterbeförderung übernimmt.
Gemäß Art. 59 Abs. 1 ZK sind alle Waren, die in ein Zollverfahren übergeführt werden sollen, zu dem betreffenden Verfahren anzumelden.
Zollanmeldungen werden gemäß Art. 61 Buchstabe a) ZK schriftlich oder gemäß Art. 61 Buchstabe c) ZK mündlich oder durch eine Handlung abgegeben, mit der der Wareninhaber den Willen bekundet, die Waren in ein Zollverfahren überführen zu lassen, wenn diese Möglichkeit in nachdem Ausschussverfahren erlassenen Vorschriften vorgesehen ist.
Gemäß Art. 232 Abs. 1 Buchstabe b) der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zu Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 253 vom , (Zollkodex-Durchführungsverordnung - ZK-DVO) können Zollanmeldungen zur vorübergehenden Verwendung für die im Art. 556 bis 561 ZK-DVO genannten Beförderungsmittel durch Willensäußerung im Sinn des Art. 233 ZK-DVO abgegeben werden.
Sind die Voraussetzungen u.a. des Art. 232 ZK-DVO erfüllt, so gelten gemäß Art. 234 Abs. 1 ZK-DVO die betreffenden Waren als im Sinn des Art. 63 des Zollkodex gestellt, die Zollanmeldung als angenommen und die Waren als überlassen, sobald die Willensäußerung im Sinn des Art. 233 erfolgt ist.
Ergibt sich bei einer Kontrolle, dass die Willensäußerung im Sinn des Art. 233 erfolgt ist, ohne dass die verbrachten Waren die Voraussetzungen u.a. des Art. 232 erfüllen, so gelten diese Waren gemäß Art. 234 Abs. 2 ZK-DVO als vorschriftswidrig verbracht.
Gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchstabe a) ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird.
Gemäß Art. 203 Abs. 1 ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.
Art. 1 Buchstabe a des mit Beschluss 93/329/EWG des Rates vom , ABl. L 130 vom , genehmigten, vom Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens (nunmehr Weltzollorganisation) ausgearbeiteten und am in Istanbul unterzeichneten Übereinkommens über die vorübergehende Verwendung (im
Folgenden: Istanbul-Übereinkommen) lautet:
„Artikel 1
Im Sinne dieses Übereinkommens bedeutet
a) vorübergehende Verwendung:
das Zollverfahren, nach dem bestimmte Waren (einschließlich Beförderungsmittel) unter Aussetzung der Eingangsabgaben und frei von Einfuhrverboten und Einfuhrbeschränkungen wirtschaftlicher Art für einen bestimmten Zweck in ein Zollgebiet verbracht werden dürfen, um innerhalb einer bestimmten Frist und, von der normalen Wertminderung der Ware infolge ihrer Verwendung abgesehen, in unverändertem Zustand wieder ausgeführt zu werden.“
Art. 137 ZK lautet:
„Artikel 137
Im Verfahren der vorübergehenden Verwendung können Nichtgemeinschaftswaren, die zur Wiederausfuhr bestimmt sind, ohne dass sie, abgesehen von der normalen Wertminderung aufgrund des von ihnen gemachten Gebrauchs, Veränderungen erfahren hätten, unter vollständiger oder teilweiser Befreiung von den Einfuhrabgaben, und ohne dass sie handelspolitischen Maßnahmen unterliegen, im Zollgebiet der Gemeinschaft verwendet werden.“
In welchen Fällen und unter welchen besonderen Voraussetzungen das Verfahren der vorübergehenden Verwendung unter vollständiger Befreiung von den Einfuhrabgaben in Anspruch genommen werden kann, wird gemäß Art. 141 ZK nach dem Ausschussverfahren festgelegt.
Gemäß Art. 558 Abs. 1 ZK-DVO wird die vorübergehende Verwendung mit vollständiger Befreiung von den Einfuhrabgaben u.a. für im Straßenverkehr eingesetzte Beförderungsmittel bewilligt, die
a) außerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft auf den Namen einer außerhalb dieses Gebiets ansässigen Person amtlich zugelassen sind und
b) von hier nicht interessierenden Fällen abgesehen von einer außerhalb des
Zollgebiets der Gemeinschaft ansässigen Person verwendet werden.
V.) Rechtliche Erwägungen
Nach den Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides sowie in der Begründung der Beschwerdevorentscheidung ging das Zollamt aufgrund der durchgeführten Ermittlungen davon aus, dass der gegenständliche PKW vom Vater der Bf. in der erste Märzhälfte 2015 anlässlich der Einreise aus Weißrussland über einen namentlich nicht bekannten polnischen Grenzübergang in die Europäische Union durch eine formlose Willensäußerung im Sinne des Art. 232 Abs. 1 Buchstabe b und Art. 233 ZK-DVO in das Verfahren der vorübergehenden Verwendung mit vollständiger Befreiung von den Einfuhrabgaben gemäß Art. 558 Abs. 1 ZK-DVO überführt worden sei. Bewilligungsinhaber des Zollverfahrens der vorübergehenden Verwendung sei demnach der Vater der Bf. gewesen.
Das Zollamt nahm zudem an, dass die erstmalige vorschriftswidrige Verwendung des gegenständlichen Beförderungsmittels durch die Bf. mit Anbringen der österreichischen Probefahrtkennzeichen und der anschließenden Fahrt am von Ort1 nach Ort2 erfolgt sei, wodurch das Fahrzeug der zollamtlichen Überwachung entzogen worden sei.
Demnach sei nach Ansicht der Behörde am der abgabenrechtliche Tatbestand des Art. 203 Abs. 1 ZK Verbindung mit § 2 Abs. 1 ZollR-DG verwirklicht worden und die Bf. sei gemäß Art. 203 Abs. 3, 1. Anstrich ZK Zollschuldnerin geworden, da sie das gegenständliche Beförderungsmittel der zollamtlichen Überwachung entzogen habe.
Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ) eine vorübergehende Verwendung nur zulässig ist, wenn die Waren (beim Verbringen ins Zollgebiet, bei der Einreise) zur Wiederausfuhr bestimmt sind (Art. 137 ZK; vgl. auch in der englischen Fassung „goods intended for re-export ...“ oder in der französischen Fassung: „marchandises non communautaires destinées à être réexportées ...“).
Insbesondere Art. 558 ZK-DVO ermöglicht die Überführung eines Transportmittels in das Zollverfahren der vorübergehenden Verwendung iSd. Art. 137 ZK durch Abgabe einer konkludenten Zollanmeldung, weil hier von Anfang an klar ist, dass es nicht auf Dauer als Unionsware im Zollgebiet verbleiben soll, sondern lediglich zu Beförderungszwecken dient. In diesem Fall ist das Beförderungsmittel gem. Art. 232 Abs. 2 ZK-DVO als zur Wiederausfuhr nach Beendigung der vorübergehenden Verwendung durch eine Willensäußerung iSd. Art. 233 ZK-DVO angemeldet anzusehen (FG München, , 14 K 1929/08; BFH , VII R 38/09).
Im Beschwerdefall war das Fahrzeug nach der vorliegenden Sach- und Beweislage bereits beim Verbringen ins Zollgebiet der Union dazu bestimmt, dauerhaft in Österreich zu verbleiben, sohin nicht unverändert wieder ausgeführt zu werden.
Damit war jedoch der Vater der Bf. nicht berechtigt, den in Rede stehenden Pkw im Verfahren der vorübergehenden Verwendung zum Wohnsitz der Bf. zu befördern und dazu gemäß Art. 232 Abs. 1 Buchstabe b) ZK-DVO eine Zollanmeldung durch andere Form der Willensäußerung im Sinn des Art. 233 ZK-DVO abzugeben.
Ergibt sich bei einer Kontrolle, dass der in Rede stehende Pkw in das Zollgebiet verbracht und dabei eine Willensäußerung im Sinne des Art. 233 ZK-DVO abgeben wurde, ohne dass die Voraussetzungen dafür erfüllt waren, und wurde das Fahrzeug somit nicht in das Zollverfahren der vorübergehenden Verwendung übergeführt, dann ist bereits mit der Verbringung in das Zollgebiet (hier: anlässlich der Einreise über einen nicht näher bekannten polnischen Grenzübergang) eine Zollschuld nach Art. 202 Abs. 1 ZK in Verbindung mit Art. 234 Abs. 2 ZK-DVO entstanden.
Für die Einfuhrumsatzsteuer gelten gemäß § 2 Abs. 1 ZollR-DG und § 26 Abs. 1 UStG 1994 die Rechtsvorschriften für Zölle sinngemäß. Demnach ist mit dem Entstehen der Zollschuld gemäß Art. 202 ZK für das in Rede stehende Fahrzeug auch die Einfuhrumsatzsteuer entstanden.
Der maßgebliche Zeitpunkt für die Zollschuldentstehung ist der Zeitpunkt des vorschriftswidrigen Verbringens (Art. 202 Abs. 2 ZK).
Bei der Fiktion des vorschriftswidrigen Verbringens gemäß Art. 234 Abs. 2 ZK-DVO ist der Zeitpunkt der Abgabe der Willensäußerung gemäß Art. 233 Abs. 1 ZK-DVO entscheidend; das Verhalten, das als sonstige Form der Willensäußerung in Art. 233 ZK-DVO vorgesehen ist (Witte, Zollkodex6, Art. 202 Rz 31).
Im Falle zeitlich nacheinander gelagerter Handlungen im Rahmen einer Einfuhr kommt es auf den zeitlich ersten zollschuldrechtlich relevanten Vorgang an. Ist eine Zollschuld einmal entstanden, sind nachfolgende Handlungen oder Unterlassungen zollschuldrechtlich unerheblich (Witte, Zollkodex6, Vor Art. 201 Rz 33).
Im Ergebnis hat somit das Zollamt zu Unrecht angenommen, dass die Bf. erst der vorschriftswidrigen Verbringung nachfolgend am das in Rede stehende Fahrzeug der zollamtlichen Überwachung entzogen habe und erst dadurch die Eingangsabgabenschuld gemäß Art. 203 ZK entstanden sei.
Gemäß § 279 Abs. 1 BAO ist das Verwaltungsgericht berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Berufung als unbegründet abzuweisen.
Die Änderungsbefugnis des Verwaltungsgerichts darf jedoch nicht zu einer Entscheidung führen, die nicht „ Sache" (also Gegenstand des Verfahrens) vor der Abgabenbehörde war (vgl. die bei Ritz, BAO6, § 279 Tz 10 ff, angeführte hg. Rechtsprechung). „ Sache" ist in diesem Zusammenhang die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des angefochtenen Bescheides der Abgabenbehörde bildete.
Dem Bundesfinanzgericht ist es somit ganz allgemein untersagt, in Abänderung des Spruches des angefochtenen Bescheides erstmals ein anderes sachverhaltsmäßiges Verhalten einer Person anzunehmen. So ist die Festsetzung einer Abgabe auf Grund erstmaliger Annahme eines anderen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht unzulässig (; ;).
Demgemäß erübrigt sich auch eine Prüfung durch das Bundesfinanzgericht, ob die Bf. allenfalls als Zollschuldnerin nach Art. 202 Abs. 3 zweiter oder dritter Anstrich ZK in Betracht kommt, weil es unzulässig ist, ein rechtliches Ergebnis auf einen anderen Sachverhaltskomplex zu stützen als auf denjenigen, der Gegenstand des angefochtenen Bescheides war (vgl. ).
Demzufolge konnte auch eine Prüfung, ob im Beschwerdefall die Voraussetzungen des Art. 212a ZK vorliegen, entfallen.
Aus den dargelegten Erwägungen war daher spruchgemäß zu entscheiden.
VI.) Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das Revisionsmodell soll sich nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP, 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt (siehe etwa ).
Das vorliegende Erkenntnis beruht im Wesentlichen auf der Beweiswürdigung, dass der in Rede stehende Pkw bereits beim Verbringen ins Zollgebiet nicht zur Wiederausfuhr bestimmt war, weil er auf Dauer als Übersiedlungsgut im Zollgebiet verbleiben sollte.
Das Bundesfinanzgericht konnte sich zudem bei den erheblichen Rechtsfragen auf die in den rechtlichen Erwägungen wiedergegebene Rechtsprechung des Verwaltungs-gerichtshofes stützen, sodass der Revisionsausschluss zum Tragen kommen musste.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Zoll |
betroffene Normen | § 166 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 167 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 279 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 Art. 38 Abs. 1 Buchstabe a ZK, VO 2913/92, ABl. Nr. L 302 vom S. 1 Art. 59 Abs. 1 ZK, VO 2913/92, ABl. Nr. L 302 vom S. 1 Art. 61 Buchstabe c ZK, VO 2913/92, ABl. Nr. L 302 vom S. 1 Art. 137 ZK, VO 2913/92, ABl. Nr. L 302 vom S. 1 Art. 202 Abs. 1 Buchstabe a ZK, VO 2913/92, ABl. Nr. L 302 vom S. 1 Art. 203 Abs. 1 ZK, VO 2913/92, ABl. Nr. L 302 vom S. 1 Art. 232 Abs. 1 Buchstabe b ZK-DVO, VO 2454/93, ABl. Nr. L 253 vom S. 1 Art. 234 ZK-DVO, VO 2454/93, ABl. Nr. L 253 vom S. 1 Art. 558 Abs. 1 ZK-DVO, VO 2454/93, ABl. Nr. L 253 vom S. 1 |
Verweise | BFH , VII R 38/09 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2019:RV.5200072.2015 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
AAAAC-20653