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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.12.2017, RV/7101298/2016

Zuständigkeitswechsel iSd Art. 59 VO (EG) Nr. 987/2009 oder kurzfristige Unterbrechung der Erwerbstätigkeit?

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7101298/2016-RS1
Bei einer Ruhendmeldung des Gewerbes und einer nicht durchgehenden Pflichtversicherung nach dem GSVG ist nicht von einer kurzfristigen Unterbrechung der Tätigkeit, sondern von einer Beendigung der Erwerbstätigkeit in Österreich auszugehen. Dies hat zur Folge, dass bei Wiederaufnahme der Tätigkeit ein Zuständigkeitswechsel vorliegen kann und die Regelung des Art. 59 der VO (EG) Nr. 987/2009 anzuwenden ist.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache Bf. vertreten durch Reinhold Auer, Linzerstraße 55 Tür 3, 3003 Gablitz, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Waldviertel vom , betreffend Abweisung der Anträge vom und auf Ausgleichs-/Differenzzahlung für die Zeiträume November 2013 sowie Februar, April, Juni und Oktober 2014 zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf.) ist rumänische Staatsbürgerin. In ihren Anträgen auf Gewährung einer Ausgleichs-/Differenzzahlung für ihren 2005 geborenen Sohn gab sie als Datum der Einreise nach Österreich den und als Beruf "selbständige Personenbetreuerin" an. Nach ihren Angaben im Antrag für 2013 war sie ledig, alleinerziehend und wohnt mit ihrem Sohn gemeinsam in Rumänien. Im Antrag 2014 gab sie "verheiratet" an, eine Verzichtserklärung ihres Partners nach § 2a Abs. 2 FLAG 1967 liegt vor. Laut Angaben im Formular E 411 wurden für das Kind im Zeitraum bis rumänische Familienleistungen von 588 Lei bezogen.

Laut Versicherungsdatenauszug war sie wie folgt beschäftigt:

- gewerbl. selbständig Erwerbstätige
- gewerbl. selbständig Erwerbstätige
- gewerbl. selbständig Erwerbstätige
- gewerbl. selbständig Erwerbstätige
- gewerbl. selbständig Erwerbstätige
- gewerbl. selbständig Erwerbstätige
- gewerbl. selbständig Erwerbstätige

Im Akt sind weiters Ruhendmeldungen ab folgenden Zeiträumen ersichtlich:

, (vorangegangener Wiederbetrieb ab ), (vorangegangener Wiederbetrieb ab ), (vorangegangener Wiederbetrieb ab ), sodann Wiederbetriebsmeldung ab , Ruhendmeldung ab , sodann Wiederbetriebsmeldung ab , Ruhendmeldung ab .

Das Finanzamt gewährte eine Ausgleichs-/Differenzzahlung lediglich für die Monate Dezember 2013, August 2014 und November 2014, und wies den Antrag für die restlichen beantragten Monate (November 2013, Februar 2014, April 2014, Juni 2014, Oktober 2014) bescheidmäßig mit folgender Begründung ab:

"Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in der ab gültigen Fassung regelt, welcher Mitgliedstaat für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen vorrangig zur Gewährung der im jeweiligen Hoheitsgebiet vorgesehenen Familienleistungen verpflichtet ist.

Vorrangig muss grundsätzlich jener Mitgliedstaat die Familienleistungen gewähren, in dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.

Sind die Elternteile in verschiedenen Mitgliedstaaten erwerbstätig, trifft die vorrangige Verpflichtung zur Gewährung der Familienleistungen jenen Mitgliedsstaat, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen.

Sind die Familienleistungen im anderen Mitgliedsstaat höher, besteht dort gegebenenfalls ein Anspruch auf Gewährung des Unterschiedsbetrages (Artikel 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004).

Ändern sich zwischen den Mitgliedstaaten während eines Kalendermonats die Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen, hat der Mitgliedstaat, der die Familienleistungen zu Beginn dieses Monats gewährt hat, die Familienleistungen bis zum Ende dieses Monats auszuzahlen (Art. 59 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit).

In den Monaten November 2013, Februar 2014, April 2014, Juni 2014 und Oktober 2014 wurde eine Erwerbstätigkeit in Österreich erst nach dem Monatsersten aufgenommen. Damit war am Beginn dieser Monate Rumänien zur Zahlung der Familienleistungen zuständig."

Der dagegen gerichteten Beschwerde ist Folgendes zu entnehmen:

"Beantragt wird die Aufhebung des angefochtenen Abweisungsbescheides wegen (EU) Rechtswidrigkeit und bescheidmäßige Festsetzung über die Gewährung einer Ausgleichszahlung inkl. Kinderabsetzbetrag bzw. in eventu die Gewährung einer Differenzzahlung für die beantragten Monate November 2013, Februar 2014, April 2014, Juni 2014 und Oktober 2014 gemäß der Anträge vom und .

Sachverhalt und Beschwerdebegründung:

Meine Klientin übte die Beschäftigung als selbständige Personenbetreuerin in den beantragten Zeiträumen wie folgt aus:

  • 09.11.-

  • 04.02. -

  • 04.04. - 30.04,2014

  • 03.06. -

  • 01.08. -

  • 15.10 -

In Vertretung meiner Klientin beantragte ich mit Antrag vom (für 11 + 12/2013) und mit Antrag vom (Ergänzung zu Erstantrag bzw. Antrag für 2014) die Ausgleichszahlung nach der Verordnung (EG) 883/2004 für Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für die Monate der Kalenderjahre 2013 + 2014 in denen sie in Österreich selbständig als selbständige Personenbetreuerin tätig war und zwar: November - Dezember 2013, Februar 2014, April 2014, Juni 2014, August 2014 sowie Oktober - November 2014. Mit (zugestellt am ) wurde vom Finanzamt eine Mitteilung über den Bezug der Ausgleichszahlung (kein Bescheid) ausgefertigt und damit mitgeteilt, dass ihr die Ausgleichszahlung für die Monate Dezember 2013, August 2014 und November 2014 gewährt wird, auf dieser Mitteilung - die keinen rechtsmittelfähigen Bescheid darstellt - war keine Begründung angeführt warum ihr für die weiteren beantragten Monate keine Ausgleichszahlung gewährt wurde, dazu möchte ich anmerken, dass das FA gem. § 13 FLAG verpflichtet gewesen wäre einen Bescheid zu erlassen weil dem Antrag meiner Klientin nicht vollinhaltlich stattgegeben wurde. Mit Schreiben vom habe ich um Ausfertigung eines Bescheides ersucht. Mit Bescheiddatum wurde ein Abweisungsbescheid erlassen, dieser Bescheid wurde am zugestellt.

Gegen den Bescheid vom habe ich in Vertretung für meine Klientin am per Telefax Beschwerde erhoben (Anm: Betrifft einen Parallelfall). Diese Beschwerde wurde mit Erkenntnis RV/7102530/2015 vom durch das Bundesfinanzgericht erledigt. Der angefochtene Bescheid wurde gemäß § 279 BAO ersatzlos aufgehoben. Die Aufhebung erfolgte zwar aus formellen Gründen weil der angefochtene Bescheid wegen Angabe eines falschen Antragsdatum (vom ) rechtswidrig war. Die Richterin … ging aber dennoch auch inhaltlich auf das Beschwerdebegehren ein und gab in dem Erkenntnis ihre Rechtsmeinung kund: Auf Seite 12 von 14 des Erkenntnisses steht - Zu der strittigen Frage ist auf das Erkenntnis , zu verweisen. Beginnt eine Beschäftigung in Österreich während des Monats und besteht gleichzeitig ein Anspruch auf eine ausländische Beihilfe, wie hier der Fall, ist dies diesem Erkenntnis zufolge ein Anwendungsfall des Art. 68 VO 883/2004 und keiner des Art. 59 VO 987/2009.

Dieses Erkenntnis bestätigt somit eindeutig meine Rechtsmeinung die ich in der Beschwerde vom vertreten habe.

Gemäß § 279 Abs. 3 BAO sind die Abgabenbehörden an die für das Erkenntnis maßgebliche,  dort dargelegte Rechtsanschauung gebunden.

Das Finanzamt beharrt aber in rechtswidriger Weise trotzdem auf ihrer falschen Rechtsanschauung (Art. 59 der VO Nr. 987/2009) und weist die Anträge mit der identen Begründung ab wie im aufgehobenen Bescheid vom 21, April 2015, es dürfte mE einfach der gleiche Textbaustein übernommen worden sein.

Welche Schlüsse soll man daraus ziehen? Entweder hat die Beamtin/der Beamte der Abgabenbehörde das BFG-Erkenntnis nicht zur Gänze gelesen oder sie/er ignoriert die Rechtsanschauung des BFG willkürlich trotz gesetzlicher Bindung (§ 279 Abs. 3 BAO). Für meine Klientin verzögert sich dadurch das Verfahren erheblich.

Aufgrund der Bestimmungen des Art. 68 der VO 884/2004 löst die Beschäftigung in Österreich generell einen Anspruch in Österreich aus.

Rn 232 zu § 53 FLAG-Kommentar (Czaszar/Lenneis/Wanke)

Bei nicht getrennt lebenden Eltern richtet sich der Anspruch wie folgt wenn nur ein Elternteil beschäftigt ist: Beschäftigungsland ist vorrangig verpflichtet.

Für den Fall, dass der Anspruch auf Ausgleichszahlung nicht besteht, müsste aber stattdessen gemäß der Verordnung für die strittigen Monate zumindest der Anspruch auf Differenzzahlung bestehen. Da die Differenzzahlung für jene Leistungen zur Anwendung kommt, die ein Mitgliedstaat erbringen muss, der nach der VO nur nachrangig zur Erbringung der Familienleistungen verpflichtet ist, dessen Familienleistungen jedoch höher sind als die des vorrangig verpflichteten Mitgliedstaats (siehe Rn 117ff zu § 53 des FLAG-Kommentars von Csaszar/Lenneis/Wanke).

Nach Art. 68 Abs. 2 der VO (EG) 883/2004 werden bei Zusammentreffen von Ansprüchen die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Abs. 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren.

BFG: RV/7102886/2013 vom

Der Anspruch auf Familienleistungen in Österreich ist gem. Art. 11 Abs. 3 lit. a der VO 883/2004 durch die Beschäftigung in Österreich als Beschäftigungsstaat begründet. Es kommt daher Art. 68 Buchstabe b zur Anwendung. Demnach ist Österreich als Beschäftigungsstaat vorrangig zuständig.

Bezüglich Beschäftigungsverhältnissen, die nicht ein volles Monat dauern wird auf die Entscheidungen des und RV/0427-G/11 vom verwiesen.

UFS: RV/0427-G/11 vom

Artikel 68 Abs. 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr, 883/2004 des europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit [kurz VO (EG) Nr. 883/2004]. Dieser lautet: „Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen: (1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln: a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche."

Die gegen Österreich auf Grund der selbstständig ausgeübten Tätigkeit gerichteten Ansprüche gehen somit (allfälligen) durch den Wohnort gegen die Slowakei gerichteten Ansprüchen vor. In diesem Zusammenhang ist auch auf den Beschluss Nr. F 1 vom zur Auslegung des Artikels 68 der VO (EG) Nr. 883/2004 hinzuweisen, in welchem (unter anderem) ausgeführt wird, in welchen Fällen Ansprüche auf Familienleistungen als „durch eine selbständige Erwerbstätigkeit" erworben werden.

UFS: RV/1319-W/13 vom

Die zuständige Verwaltungskommission fasste zur Auslegung des Artikels 68 der VO (EG) Nr. 883/2004 den Beschluss Nr. Fl vom (2010/C 106/04). Dieser lautet: Für die Zwecke des Artikels 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gelten Ansprüche auf Familienleistungen insbesondere dann als "durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst", wenn sie erworben wurden

a) aufgrund einer tatsächlichen Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit oder auch
b) während Zeiten einer vorübergehenden Unterbrechung einer solchen Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit
i) wegen Krankheit, Mutterschaft, Arbeitsunfall, Berufskrankheit oder Arbeitslosigkeit, solange Arbeitsentgelt oder andere Leistungen als Renten in Zusammenhang mit diesen Versicherungsfällen zu zahlen sind, oder
ii) durch bezahlten Urlaub, Streik oder Aussperrung oder
iii) durch unbezahlten Urlaub zum Zweck der Kindererziehung, solange dieser Urlaub nach den einschlägigen Rechtsvorschriften einer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt ist.

Die Literatur und die Judikatur des BFG (vormals UFS) ergibt eindeutig, dass im Fall meiner Klientin der Anspruch wie beantragt besteht, der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben und die Leistungen für die beantragten Monate zu gewähren."

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit folgender Begründung ab:

"Mit Antrag vom (eingelangt am ) begehrte die Antragstellerin Ausgleichszahlung, in eventu Differenzzahlung für den Zeitraum 11/2013 bis 12/2013 und stellte am (eingelangt am ) einen weiteren Antrag für den Zeitraum 11/2013 bis 12/2014 für das Kind D.

Laut den vorgelegten Unterlagen befindet sich der Familienwohnsitz in Rumänien. Das Kind besucht die Schule in Rumänien, der Lebensgefährte der Antragstellerin ... übt in Rumänien keine berufliche Tätigkeit aus. Laut Formular E 411 hat dieser in der Zeit vom bis rumänische Familienleistungen iHv 588 Lei bezogen.

Laut Versicherungsdatenauszug war die Antragstellerin als Personenbetreuerin in den Jahren 2013 und 2014 in Österreich wie folgt beschäftigt:

- gewerbl. selbständig Erwerbstätige
- gewerbl. selbständig Erwerbstätige
- gewerbl. selbständig Erwerbstätige
- gewerbl. selbständig Erwerbstätige
- gewerbl. selbständig Erwerbstätige
- gewerbl. selbständig Erwerbstätige

Die Gewerbeberechtigung für Personenbetreuung war in der Zeit, in der keine Beschäftigung in Österreich ausgeübt wurde, ruhend gemeldet.

Der Anträge vom und auf Ausgleichszahlung wurden mit Bescheid vom für die Monate 11/2013, 02/2014, 04/2014, 06/2014 und 10/2014 abgewiesen. Am wurde Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid eingebracht.

Zur Beurteilung der Frage, ob bzw nach welchen Rechtsvorschriften Familienleistungen für ein Kind zu gewähren sind, ist neben dem innerstaatlichen Recht die Verordnung 883/2004 (des Europäischen Parlaments und Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit) bzw. die DVO 987/2009 (des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO 883/2004; gültig seit ) heranzuziehen. Die Verordnung regelt bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, welcher Staat vorrangig/nachrangig zur Zahlung der Familienleistungen zuständig ist. Die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für die Familienbeihilfe richtet sich grundsätzlich nach den Art. 11 bis 16 der Verordnung. Vorrangig ist jener Mitgliedsstaat zuständig, in dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.

Gemäß Artikel 59 der DVO hat im Fall eines Zuständigkeitswechsels während eines Kalendermonats der zu Beginn dieses Kalendermonats zuständige Staat seine Familienleistungen bis zum Monatsende zu erbringen. Der bisher zuständige Staat zahlt daher seine Leistungen bis zum Monatsende weiter. Es ist so vorzugehen, als ob die Zuständigkeit bis zum Ende des Monats andauert.

Da die Antragstellerin in den Monaten 11/2013, 02/2014, 04/2014, 06/2014 und 10/2014 unbestritten die selbständige Erwerbstätigkeit erst nach dem Monatsersten in Österreich aufgenommen hat, war am Beginn dieser Monate Rumänien für die Zahlung der Familienleistungen zuständig. Zu diesen Zeitpunkten lag ein rein innerstaatlicher Sachverhalt vor, da kein Elternteil in einem anderen EU/EWR Staat selbständig oder unselbständig tätig war.

Ändern sich zwischen den Mitgliedstaaten während eines Kalendermonats die Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen, so setzt der Mitgliedstaat der Familienleistungen zu Beginn dieses Monats gewährt hat (Rumänien), die Zahlungen bis zum Ende des laufenden Monats fort. Erst ab Beginn des nächsten Monats übernimmt der andere betroffene Mitgliedstaat (Österreich) die Zahlung der Leistung.

Durch die Aufnahme einer Beschäftigung in Österreich durch die Antragstellerin am , , , und hat in diesen Monaten ein Zuständigkeitswechsel während des Monats stattgefunden."

Der dagegen gerichtete Vorlageantrag ist inhaltlich gleichlautend mit der Beschwerde und schließt wie folgt:

"Weiters vertritt das Finanzamt in der Beschwerdevorentscheidung vom stur weiter die rechtswidrige Meinung und geht überhaupt nicht auf den Inhalt meiner Beschwerde vom ein, sondern dürfte wiederum einfach nur Textbausteine übernommen haben.

Diese Vorgehensweise ist sehr zu kritisieren, da sich dadurch für meine Klientin das Verfahren wieder erheblich verzögert."

In weiterer Folge setzte das Bundesfinanzgericht das Verfahren gemäß § 271 BAO bis zur Beendigung des beim Verwaltungsgerichtshof zur GZ 2015/16/0088 anhängigen Verfahrens aus.

Nach Entscheidung durch den VwGH am richtete das BFG an die Bf. die Anfrage, ob die Beschwerde noch aufrecht erhalten werde.

Die Anfrage wurde wie folgt beantwortet:

"Sie haben unter Bezugnahme der Ausführungen des VwGH-Erkenntnisses Ra 2015/16/0088 vom den Schluss gezogen, dass der Art. 59 der VO 987/2009 anzuwenden sei und die Familienbeihilfe für meine Klientin erst ab dem Folgemonat zusteht und ersuchen um Mitteilung innerhalb eines Monats ob die Beschwerde vom aufrecht erhalten werden soll.

Ja, die Beschwerde bleibt aufrecht, da ich anderer Meinung bin und in Falle meiner Klientin keinen Zuständigkeitswechsel iSd VO 987/2009 sehe.

Österreich ist aufgrund der VO 883/2004 Art. 68 als Beschäftigungsland vorrangig zuständig. Ich habe in einem ähnlichen Fall auch einen anderen Klienten vertreten und verweise auf das BFG-Erkenntnis RV/7101975/2016 vom :

Unter Bedachtnahme auf die oben angeführten Art. 4, 11, 67 VO (EG) 883/2004 gelangt im Beschwerdefall die im Art. 68 Abs. Abs. 1 lit a leg. cit. dargelegte Prioritätsregel zur Anwendung: "Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangordnung: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

Demnach ist Österreich als Beschäftigungsstaat (vorrangig) zuständig. Da aber die in Rumänien als Wohnmitgliedstaat ausbezahlten Familienleistungen gemäß Art. 68 Abs. 2 der VO zu berücksichtigen sind, ist der Unterschiedsbetrag (Differenzzahlung) zu gewähren.

Art. 59 DVO gelangt im Beschwerdefall aus nachstehenden Gründen nicht zur Anwendung:

Der EuGH hat in Rs 0255/99, Humer Slg 2002, l-1205 Rz 50 entschieden, dass Familienleistungen schon von ihrer Natur her nicht als Ansprüche betrachtet werden können, die einem Einzelnen unabhängig von seiner familiären Situation zustehen. Dies bedeutet, dass es nicht darauf ankommt, ob es sich bei dem Leistungsberechtigten um einen Familienangehörigen des Arbeitnehmers oder den Arbeitnehmer selbst handelt. Die lndividualbetrachtung nur des Elternteils, der die Familienleistungen beanspruchen möchte, wird bei verheirateten oder in Lebensgemeinschaft lebenden Eltern abgelehnt (EuGH Rs C-543/03, Dodl und Oberhollenzer, Slg 2005, l-05049).

Art. 59 DVO gelangt nicht zur Anwendung, weil kein Zuständigkeitswechsel im November 2015 vorlag: Denn der die Familienleistung in Österreich auslösende Tatbestand der "Beschäftigung" iS Art. 68 Abs. 1 lit a VO ist prioritär gegenüber den die Familienleistungen in Rumänien auslösenden Tatbestand des "Wohnortes". Eine Zuständigkeitsänderung infolge Vorliegens zweier gleichrangiger Tatbestände liegt nicht vor.

Der Anspruch auf Familienleistungen in Österreich ist gemäß Art 11 Abs. 3 lit a der VO (EG) 883/2004 durch die (ausschließlich) selbständige Erwerbstätigkeit des Bf. in Österreich begründet. Es kommt daher Art. 68 lit b VO (EG) 883/2004 zur Anwendung, Österreich hat die Differenzzahlung für November 2015 zu leisten.

Dieses Erkenntnis des BFG wurde ebenfalls vom Finanzamt mit einer außerordentlichen Revision angefochten und mit Beschluss des VwGH Ra 2017/16/0043 vom zurückgewiesen.

Folgenden Absatz (Rn 7) des Beschlusses möchte ich hiermit auch zitieren welcher meiner Meinung nach auch auf diesen Sachverhalt betreffend (Bf.) anwendbar ist:

7 Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 2012/16/0066, VwSlg 8755/F, aus der Normierung des Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 abgeleitet, dass der Mitgliedstaat der "gewöhnlichen" selbständigen Erwerbstätigkeit für die Gewährung der Familienleistungen auch dann zuständig bleibt, wenn für einen kurzen Zeitraum gar keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.

Da es sich immer nur um kurzfristige Unterbrechungen der selbständigen Tätigkeit in Österreich handelte, ist davon auszugehen, dass Österreich weiterhin zuständig bleibt und somit kein Zuständigkeitswechsel iSd VO 987/2009 vorliegt.

Ich ersuche Sie daher um Prüfung des Sachverhalts betreffend ... (Bf.) und um Berücksichtigung meiner Argumente, aufgrund der Aussage des VwGH-Beschlusses Ra 2017/16/0043 vom , dass Österreich aufgrund der „gewöhnlichen“ selbständigen Erwerbstätigkeit für die Gewährung der Familienleistungen auch weiter zuständig bleibt, wenn für einen kurzen Zeitraum gar keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Die Erwerbstätigkeit wurde zwischen den strittigen Monaten max. für 1,5 Monate unterbrochen."

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhaltsfeststellungen

Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt ist unstrittig; die Bf. war in den oben mehrfach angeführten Monaten als Personenbetreuerin selbständig tätig und hat in den dazwischen liegenden Monaten ihr Gewerbe ruhend gemeldet. Unwidersprochen ist auch geblieben, dass für den Sohn der Bf. in der Zeit vom bis rumänische Familienleistungen iHv 588 Lei bezogen wurden.

Strittig ist ausschließlich, ob jeweils ein Zuständigkeitswechsel iSd Art. 59 der VO (EG) Nr. 987/2009, oder bloß eine kurzfristige Unterbrechung der Erwerbstätigkeit vorliegt, und ob somit der Bf. für die Streitmonate eine Differenzzahlung zusteht.

2. Rechtliche Würdigung

2.1 Bindung nach § 279 Abs. 3 BAO

Was zunächst die von der Bf. mehrfach geäußerte Rechtsansicht betrifft, die Abgabenbehörden seien gemäß § 279 Abs. 3 BAO an die für das Erkenntnis maßgebliche, dort dargelegte Rechtsanschauung gebunden, so ist sie darauf hinzuweisen, dass die Bindung nur die "Sache" der konkreten Entscheidung betrifft (sh. Ritz, BAO6, § 279 Tz 27). Es besteht also keinerlei Rechtsgrundlage, eine Bindung auch an ein "fremdes" Verfahren, das einen anderen Beschwerdeführer betrifft, anzunehmen.

Hingewiesen sei weiters darauf, dass eine Bindung nach hA nur die Abgabenbehörden trifft (Ritz, BAO6, § 279 Tz 27), nicht aber das BFG.

2.2 Zuständigkeitswechsel iSd Art. 59 der VO (EG) Nr. 987/2009?

Dem Erkenntnis des , zu dem die Aussetzung nach § 271 BAO erfolgte, ist Folgendes zu entnehmen:

"1 Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag des slowakischen Mitbeteiligten auf Gewährung einer Differenzzahlung für seine drei in der Slowakei wohnhaften Kinder für den Monat Jänner 2014 ab. Der Mitbeteiligte sei laut Auskunft der Österreichischen Sozialversicherung erst ab Februar 2014 in Österreich beschäftigt gewesen.

2 In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Mitbeteiligte vor, seine slowakische Ehefrau habe ihre Beschäftigung in Österreich bereits am aufgenommen. In der Slowakei habe sie für den Zeitraum bis  für die drei Kinder eine Familienleistung iHv 70,56 EUR erhalten. Daher stehe ihm für den Monat Jänner 2014 ein Anspruch auf "Ausgleichszahlung" zu.

3 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde des Mitbeteiligten ab. Nach Art. 59 der VO Nr. 987/2009 bleibe für den Fall, dass sich während eines Kalendermonats die Zuständigkeit für die Auszahlung von Familienleistungen ändere, derjenige Mitgliedstaat zuständig, der zu Beginn des Kalendermonats zuständig gewesen sei.

4 Der Mitbeteiligte beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

5 Im Rahmen der Beantwortung eines Vorhalts des Bundesfinanzgerichts gab der Mitbeteiligte bekannt, dass er vom bis zum in der Slowakei als arbeitslos gemeldet gewesen sei.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge. Diesem stehe ein, von seiner Ehefrau abgeleiteter, Anspruch auf Differenzzahlung für den Monat Jänner 2014 zu. Die Ehefrau des Mitbeteiligten sei vor ihrer Beschäftigung in Österreich in der Slowakei Studentin und nicht erwerbstätig gewesen. Die Slowakei habe ihr für den gesamten Monat Jänner 2014 eine Familienleistung ausbezahlt. Da nach § 53 FLAG EU-Bürger gleich wie österreichische Staatsbürger zu behandeln seien, sei die Ehefrau auch nach innerstaatlichem Recht für den gesamten Monat Jänner 2014 anspruchsberechtigt. Es liege somit kein Fall der Änderung der Zuständigkeit nach Art. 59 der VO Nr. 987/2009 vor, sondern ein Fall der Konkurrenz. Würden Leistungen in verschiedenen Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen gewährt, stünden an erster Stelle die durch eine Beschäftigung ausgelösten Ansprüche. Ziel der unionsrechtlichen Regelungen sei es, immer dem höchsten Anspruch zum Durchbruch zu verhelfen. Da die österreichische Familienbeihilfe über jener der Slowakei liege, sei Österreich zur Leistung einer Differenzzahlung für den Monat Jänner 2014 verpflichtet.

7 Die Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht zulässig, weil es sich nicht um eine Rechtsfrage handle, die einer Klärung durch den Verwaltungsgerichtshof bedürfe.

8 Gegen dieses Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts richtet sich die Amtsrevision des Finanzamts, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, strittig sei die Anwendung des Art. 59 der VO Nr. 987/2009. Entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts liege kein Fall der Konkurrenz vor, sondern eine Änderung der Zuständigkeit nach Art. 59 der VO Nr. 987/2009, sodass kein Anspruch auf Differenzzahlung bestehe.

9 Der (unvertretene) Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Die Revision ist zulässig und begründet.

11 Art. 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rats vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl.EU Nr. L 166 vom in der durch ABl.EU Nr. L 200 vom berichtigten Fassung (im Folgenden: VO Nr. 883/2004), lautet:

"Artikel 68

Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen

(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge:

an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) (...);

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

(3) (...)"

12 Art. 59 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl.EU Nr. L 284 vom (im Folgenden: VO Nr. 987/2009), lautet:

"Artikel 59

Regelungen für den Fall, in dem sich die anzuwendenden Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen ändern

(1) Ändern sich zwischen den Mitgliedstaaten während eines Kalendermonats die Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen, so setzt der Träger, der die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gezahlt hat, nach denen die Leistungen zu Beginn dieses Monats gewährt wurden, unabhängig von den in den Rechtsvorschriften dieser Mitgliedstaaten für die Gewährung von Familienleistungen vorgesehenen Zahlungsfristen die Zahlungen bis zum Ende des laufenden Monats fort.

(2) Er unterrichtet den Träger des anderen betroffenen Mitgliedstaats oder die anderen betroffenen Mitgliedstaaten von dem Zeitpunkt, zu dem er die Zahlung dieser Familienleistungen einstellt. Ab diesem Zeitpunkt übernehmen der andere betroffene Mitgliedstaat oder die anderen betroffenen Mitgliedstaaten die Zahlung der Leistungen."

13 In der Amtsrevision wird nicht bestritten, dass dem Mitbeteiligten grundsätzlich ein, von seiner Ehefrau abgeleiteter, Anspruch auf Familienbeihilfe zustehen könnte. Strittig ist nur, ob dem Mitbeteiligten aufgrund der Beschäftigung seiner Ehefrau in Österreich ab dem bereits für den Monat Jänner 2014 ein Anspruch auf Familienbeihilfe in Österreich in Form einer Differenzzahlung zusteht.

14 Für die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend, ob durch die Aufnahme der Beschäftigung mit durch die Ehefrau des Mitbeteiligten ein Zuständigkeitswechsel zwischen der Slowakei und Österreich hinsichtlich der Gewährung von Familienleistungen stattgefunden hat. In einem solchen Fall wäre nach Art. 59 Abs. 1 der VO Nr. 987/2009 die Slowakei verpflichtet, die Familienleistungen bis zum Ende des Monats fortzusetzen. Österreich wäre nach Art. 59 Abs. 2 der VO Nr. 987/2009 erst ab dem Zeitpunkt der Einstellung der Familienleistungen durch die Slowakei zur Erbringung dieser Leistungen verpflichtet.

15 Eine Änderung der Zuständigkeit im Sinne des Art. 59 der VO Nr. 987/2009 wäre im konkreten Fall gegeben, wenn durch die Aufnahme der Berufstätigkeit der Ehegattin mit Österreich nach den Prioritätsregeln des Art. 68 der VO Nr. 883/2004 primär für die Gewährung der Familienleistungen zuständig werden würde.

16 Nach Art. 68 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 883/2004 gehen die durch eine Beschäftigung ausgelösten Ansprüche den durch den Wohnort ausgelösten Ansprüchen vor. Werden Leistungen in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten aufgrund der Beschäftigung gewährt, haben nach Art. 68 Abs. 1 Buchst. b der VO Nr. 883/2004 die Ansprüche gegen den Mitgliedstaat Vorrang, an dem sich auch der Wohnort der Kinder befindet.

17 Nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts waren die Kinder des Mitbeteiligten im Monat Jänner 2014 in der Slowakei wohnhaft. Die Ehefrau des Mitbeteiligten war vor der Aufnahme ihrer Beschäftigung in Österreich Studentin und nicht erwerbstätig. Beruht der Anspruch der Ehefrau des Mitbeteiligten für den Monat Jänner 2014 in der Slowakei darauf, dass sie und ihre Kinder ihren Wohnsitz in der Slowakei hatten, liegt mit der Aufnahme der Beschäftigung in Österreich mit ein Zuständigkeitswechsel vor. Ab diesem Zeitpunkt wäre primär Österreich für die Familienleistungen zuständig. Hier würde die spezielle Regelung des Art. 59 der VO Nr. 987/2009 greifen, sodass erst ab Februar 2014 ein Anspruch auf Familienbeihilfe in Österreich bestehen könnte.

18 Etwas anderes würde jedoch gelten, wenn der Mitbeteiligte aufgrund seiner Arbeitslosigkeit im Monat Jänner 2014 in der Slowakei Arbeitslosengeld bezogen hätte. In diesem Fall wäre die Arbeitslosigkeit einer Beschäftigung gleichzuhalten (vgl. den Beschluss Nr. F1 der Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vom zur Auslegung des Artikels 68 der VO Nr. Nr. 883/2004, 2010/C 106/04, ABl.EU C 106/11, vom ). Da nach Art. 68 Abs. 1 Buchst. b der VO Nr. 883/2004 bei einer Beschäftigung in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten primär der Mitgliedstaat für die Gewährung der Familienleistungen zuständig ist, in dem die Kinder wohnhaft sind, wäre durch die Aufnahme einer Beschäftigung der Ehefrau des Mitbeteiligten mit noch keine Änderung der Zuständigkeit im Sinne des Art. 59 der VO Nr. 987/2009 erfolgt. Vielmehr wäre im Monat Jänner 2014 weiterhin die Slowakei primär für die Gewährung der Familienleistungen zuständig gewesen. Jedoch bestünde durch die Aufnahme der Beschäftigung durch die Ehefrau des Mitbeteiligten nach Art. 68 Abs. 2 der VO Nr. 883/2004 für den Monat Jänner 2014 auch in Österreich ein Anspruch auf Familienbeihilfe im Umfang der Differenzzahlung.

19 Da das Bundesfinanzgericht dies verkannt und keine Feststellungen zum Bezug von Arbeitslosengeld durch den Mitbeteiligten für den Monat Jänner 2014 getroffen hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben."

2.2.

Der Sohn der Bf. war in diesem Monat in Rumänien wohnhaft. Der Anspruch der Bf. für November 2013 in Rumänien beruhte darauf, dass sie und ihr Kind ihren Wohnsitz in Rumänien hatten. Daher liegt mit der Aufnahme der Beschäftigung in Österreich mit ein Zuständigkeitswechsel vor. Ab diesem Zeitpunkt ist primär Österreich für die Familienleistungen zuständig. Hier greift die spezielle Regelung des Art. 59 der VO Nr. 987/2009 , sodass erst ab Dezember 2013 ein Anspruch auf Familienbeihilfe in Österreich besteht.

2.2.2 Februar, April, Juni und Oktober 2014

Bezüglich dieser Zeiträume weist der steuerliche Vertreter der Bf. auf den , hin, der wiederum auf das Erkenntnis des , Bezug nimmt.

Der Gerichtshof führt hier aus:

„Eine selbständige Tätigkeit im hier maßgeblichen Sinn wird nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur dann ausgeübt, wenn nach der Verkehrsauffassung und nach außen hin ersichtliche Handlungen gesetzt werden (im Beschwerdefall: eine zu betreuende Person gepflegt wird), sondern auch dann, wenn eine allenfalls sogar nach außen hin nicht unmittelbar erkennbare Tätigkeit im engen Zusammenhang mit diesen Handlungen entfaltet wird (so übt etwa ein Künstler oder ein Vortragender nicht nur während der Auftritte oder der Vorträge eine selbständige Tätigkeit aus, sondern auch im Zeitraum zwischen solchen Auftritten oder Vorträgen etwa im Zusammenhang mit der Vorbereitung dazu). Auch unterbricht die Zeit eines Erholungsurlaubes bei einer unselbständigen Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei aufrechtem Dienstverhältnis die Zeit der Beschäftigung genauso wenig, wie bei einer selbständigen Erwerbstätigkeit eine derartige Unterbrechung der zur Erwerbstätigkeit gesetzten Handlungen noch keine Unterbrechung der Ausübung der Erwerbstätigkeit darstellt.

Daher läge schon bei dem von der Mitbeteiligten im Vorlageantrag behaupteten Sachverhalt, sie habe, nachdem sie ihren "Kunden Ende Juli 2010 verloren" habe (der im Jahr 1916 geborene A.M. offenbar in Anstaltspflege oder verstorben war), sich um eine anschließend zu betreuende Person ("Pflegestelle") bemüht und diese mit gefunden, eine durchgehende Ausübung einer selbständigen Tätigkeit vor.“

In den nächsten Absätzen führt der VwGH weiter aus:

„Darüber hinaus sieht der Verwaltungsgerichtshof die Mitbeteiligte im Zeitraum zwischen der Beendigung (dem "Verlust") einer Pflegestelle und dem Beginn einer neuerlichen pflegerischen Tätigkeit rund zweieinhalb Monate danach, ohne dass von der Mitbeteiligten in Österreich oder in einem anderen Staat eine andere Erwerbstätigkeit entfaltet wird und ohne dass das angemeldete Gewerbe als ruhend gemeldet wird, die Mitbeteiligte sohin durchgängig nach dem GSVG pflichtversichert blieb, in einer der Ausübung der selbständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellten Situation im Sinne des Art. 1 Buchstabe b) der Verordnung Nr. 883/2004. Deshalb unterlag die Mitbeteiligte im Streitzeitraum nach Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 883/2004 den österreichischen Rechtsvorschriften.

Auch nach der Bestimmung des Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004, unterliegt eine Person, die "gewöhnlich" in einem Mitgliedstaat eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats weiterhin, obwohl sie eine ähnliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausübt. Aus dem Wort "gewöhnlich" ist zu schließen, dass nicht nur bei gleichzeitiger Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit in zwei Mitgliedstaaten sondern auch im zeitlich gestaffelten Ausüben einer selbständigen Erwerbstätigkeit zuerst im einen und dann im anderen Mitgliedstaat, der Mitgliedstaat der "gewöhnlichen" Erwerbstätigkeit zuständig bleibt.

Davon geht offenkundig auch Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 987/2009 aus, wenn in dieser Bestimmung gefordert wird, dass die Person den für die Ausübung der Tätigkeit erforderlichen Anforderungen weiterhin genügen muss, um die Tätigkeit bei ihrer Rückkehr fortsetzen zu können.

Umso mehr muss der Mitgliedstaat der "gewöhnlichen" selbständigen Erwerbstätigkeit zuständig bleiben, wenn nicht in einem anderen Mitgliedstaat eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, sondern für einen kurzen Zeitraum gar keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, sohin eine kurzfristige Unterbrechung der eigentlichen Erwerbstätigkeit vorliegt. Im Beschwerdefall sind diese Voraussetzungen angesichts eines Zeitraumes von etwa zweieinhalb Monaten und des Umstandes, dass das angemeldete Gewerbe nicht als ruhend gemeldet war und die Mitbeteiligte durchgängig nach dem GSVG pflichtversichert blieb, erfüllt."

Allerdings unterscheidet sich der Beschwerdefall in einem wesentlichen Punkt vom Sachverhalt, der dem obigen VwGH-Erkenntnis zugrunde liegt; die Bf. hat nämlich in den Zeiträumen, in denen sie ihre selbständige Tätigkeit nicht ausgeübt hat, ihr Gewerbe jeweils ruhend gemeldet und war damit auch nicht in Österreich pflichtversichert.

Der VwGH postuliert aber in obigem Erkenntnis, dass eine einer der Ausübung der selbständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation nur dann vorliegt, wenn das Gewerbe nicht ruhend gemeldet ist.

Einige Absätze später definiert der Gerichtshof, unter welchen Voraussetzungen eine kurzfristige Unterbrechung der eigentlichen Erwerbstätigkeit vorliegt: "Im Beschwerdefall sind diese Voraussetzungen angesichts eines Zeitraumes von etwa zweieinhalb Monaten und des Umstandes, dass das angemeldete Gewerbe nicht als ruhend gemeldet war und die Mitbeteiligte durchgängig nach dem GSVG pflichtversichert blieb, erfüllt."

Auch das Beispiel des VwGH, wonach zB ein Künstler oder ein Vortragender nicht nur während der Auftritte oder der Vorträge eine selbständige Tätigkeit ausübt, sondern auch im Zeitraum zwischen solchen Auftritten oder Vorträgen etwa im Zusammenhang mit der Vorbereitung dazu, setzt erkennbar voraus, dass keine Ruhendmeldung erfolgte und eine Pflichtversicherung vorliegt. Gleiches gilt für die Zeiten des Urlaubs.

Hieraus ist abzuleiten, dass bei einer Ruhendmeldung des Gewerbes und einer nicht durchgehenden Pflichtversicherung nach dem GSVG nicht von einer kurzfristigen Unterbrechung der Tätigkeit, sondern von einer Beendigung der Erwerbstätigkeit in Österreich auszugehen ist. Dies hat dann zur Folge, dass bei Wiederaufnahme der Tätigkeit ein Zuständigkeitswechsel vorliegt und die Regelung des Art. 59 der VO (EG) Nr. 987/2009 anzuwenden ist, da auch in den obigen Monaten die rumänischen Ansprüche durch den Wohnsitz ausgelöst wurden.

Dadurch wird der scheinbare Widerspruch zwischen den beiden Erkenntnissen , und , aufgelöst; nur dann, wenn das Gewerbe nicht ruhend gemeldet wurde und eine durchgehende Pflichtversicherung vorliegt, sind kurzfristige Unterbrechungen der eigentlichen Erwerbstätigkeit nicht familienbeihilfenschädlich.

3. Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor, da das Bundesfinanzgericht den Aussagen des Erkenntnisses des , gefolgt ist, dem auch nicht - wie oben gezeigt wurde - das Erkenntnis , und der , widersprechen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 59 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
§ 279 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Art. 68 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Verweise


ECLI
ECLI:AT:BFG:2017:RV.7101298.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at