Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 18.04.2017, RV/2101348/2016

Familienbeihilfe: Kein Nachweis über Wohnsitz im Inland von rumänischem Staatsbürger

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. in der Beschwerdesache Bf., Adr1, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt, Grieskai 48, 8020 Graz, über die Beschwerde vom gegen den Abweisungsbescheid der belangten Behörde Finanzamt Graz-Stadt vom , betreffend Familienbeihilfe  für den Zeitraum Juni 2010 bis März 2014 für die Kinder A, geb. xx.xx.2005, und B. geb. yy.yy.2003, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird im Ausmaß der Beschwerdevorentscheidung vom  gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer (Bf.) hat am einen Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe für seine beiden Kinder A, geb. xx.xx.2005, und B, geb. yy.yy.2003, gestellt.

Mit Abweisungsbescheid vom wurde der Antrag für den Zeitraum Juni 2010 bis März 2014 unter Zitierung der §§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 FLAG 1967 iVm Art. 4 VO (EG) 883/2004 in der ab gültigen Fassung und § 9 NAG mit der Begründung abgewiesen, dass der Bf. im genannten Zeitraum nicht beschäftigt gewesen sei bzw. über keine Krankenversicherung verfügt habe.

In der dagegen vom steuerlichen Vertreter fristgerecht eingebrachten Beschwerde wurde ausgeführt, dass laut Versicherungsdatenauszug die Ehegattin des Bf. und Mutter beider Kinder ab geringfügig beschäftigt und nach § 19a ASVG selbstversichert gewesen sei. Der Bf. sei im Zeitraum 2010 bis 2015 temporär beschäftigt gewesen. Laut Versicherungsdatenauszug ist er im streitggst. Zeitraum vom 01.02. – gem. § 16 Abs. 1 ASVG selbstversichert und vom 30.09. – als Arbeiter beschäftigt gewesen. Der Bf. sei auf Grund des rechtmäßigen Aufenthalts der Ehegattin auch im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältig und in den Zeiten, in denen er selbst keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, mit seiner Ehegattin mitversichert..
Somit sei die gesamte Familie seit Aufnahme der Beschäftigung der Ehegattin des Bf. am rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.
Der Bf. stellte die Anträge das Verwaltungsgericht möge gem. § 274 BAO eine mündliche Verhandlung durchführen, gem. § 279 Abs. 1 BAO in der Sache selbst entscheiden und dem Begehren des Bf. folgend Familienbeihilfe für den gesamten antragsggst. Zeitraum zu erkennen, in eventu gemäß § 278 Abs. 1 BAO den bekämpften Bescheid aufheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückverweisen.

Auf Grund eines Vorhalteverfahrens des Finanzamtes teilte der steuerliche Vertreter des Bf. mit, dass der Bf. nicht in der Lage sei, Rechnungen und Zahlungsbelege vorzulegen, die einen Nachweis für die Bestreitung der Lebenshaltungskosten im Zeitraum von Juni 2010 bis März 2014 belegen könnten. Der Bf. lebe mit seiner Familie erst seit Juli 2015 in der derzeitigen Wohnung in der Adr.1. Zuvor habe er an der Adresse Adr2 gewohnt und habe damals Kosten in Höhe von 300 € an Miete und Betriebskosten und 60 € für Strom aufgewendet. Ein schriftlicher Mietvertrag sei über dieses Mietverhältnis nicht abgeschlossen worden.
In den Zeiten, in denen der Bf. und seine Ehegattin keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen seien, hätten sie ihren Lebensunterhalt vom Verkauf von Straßenzeitungen bestritten. Beide seien seit ihrer Einreise in Österreich Verkäufer der von der Caritas Diözese X herausgegebenen Straßenzeitung „Y“ Dadurch hätten der Bf. und seine Ehegattin monatlich etwa 300 € bis 400 € verdient. In den Monaten, in denen sie keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen seien, sei dies ihr einziges Einkommen gewesen. Vermögen bestehe keines.
In den Zeiträumen Juni 2010 bis und seien der Bf. und seine Ehegattin nicht sozialversichert gewesen.
Der Bf. und seine Ehegattin hätten bereits im Herbst 2010, somit nach der Einreise ins österreichische Bundesgebiet, beabsichtigt, ihre Tochter B zur Schule zu schicken, mangels eines freien Platzes in einer Schule, habe die Tochter erst im Februar 2011 die Volksschule besuchen können.

Anmeldebescheinigungen für EWR-Bürger gemäß Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz für den Bf., seine Ehegattin und die Tochter wurden am ausgestellt.
Laut Zentralem Melderegister ist der Sohn des Bf. A seit in Ort mit Hauptwohnsitz gemeldet.
Laut Schulbesuchsbestätigung vom besuchte die Tochter des Bf. B seit durchgehend die vier Klassen der Volksschule Ort.

In der Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Beschwerde für den Zeitraum Mai 2012 bis März 2014 teilweise stattgegeben (Abweisung für Juni 2010 bis April 2012). In der Begründung wurde ausgeführt:
„Am reiste Herr Bf. nach Osterreich ein. Wohnsitzmeldung ab in Österreich.
Herr Bf. hatte in Österreich in dieser Zeit keine Erwerbstätigkeit und war nicht sozialversichert.
Am reiste die Familie (Gattin und Kinder) aus Italien, wo die Familie zuvor lebte, nach Osterreich ein. Wohnsitzmeldung der Kindesmutter und der Kinder seit in Österreich.
In Italien wurde laut Angaben von Herrn Bf. keine Familienbeihilfe bezogen, da keine Beschäftigung ausgeübt wurde.
Die Gattin hatte zunächst keine Erwerbstätigkeit in Österreich und war nicht sozialversichert.
Erwerbstätigkeiten und Versicherung des Antragstellers Herr Bf. in Österreich laut Sozialversicherungsdatenauszug:
- Selbstversicherung § 16 ASVG Wartezeit
- keine Versicherung
- lt. Beschwerde Mitversicherter bei Selbstversicherung der Gattin
- Arbeiter 25 Firma1 GmbH
- lt. Beschwerde Mitversicherter bei Selbstversicherung der Gattin
- Arbeiter Firma2 GmbH
- Arbeiter Firma3 GmbH
Arbeiter Firma4 GmbH, Urlaubsabfindung
Erwerbstätigkeiten und Versicherung von Frau Ehegattin, SV: 1234567890, in Österreich laut Sozialversicherungsdatenauszug:
-18.05.204 Selbstvers. § 19a ASVG, Arbeiterin
- Geringfügig beschäftigte Arbeitnehmerin CD
- geringfügig beschäftigte Arbeitnehmerin EF
Am erhielten alle Familienmitglieder EU-Anmeldebescheinigungen.
Am beantragte Herr Bf. (Antragsteller) erstmals die Familienbeihilfe für seine beiden Kinder A, SVNR: xx.xx, und B, SVNR: yy.yy. Als Einreisedatum des Antragstellers war der genannt.
Bei den Daten der Gattin, Frau Ehegattin, SV: 1234567890, wurde angegeben:
Beruf: Haushilfe, beschäftigt seit und die Telefonnummer des (österreichischen) Dienstgebers.
Am Dienstort im Ausland: Romania = Rumänien, beschäftigt seit (kein Enddatum).
Den Anträgen beigelegt waren:
.- die Anmeldebescheinigungen für Herrn Herr Bf., von der Kindesmutter Frau Ehegattin, B und A jeweils vom ,
- die Schulbesuchsbestätigungen von B für einen Schulbesuch von bis der Volksschule Ort und von bis der Neuen Mittelschule Ort vom .
- Für A eine Bestätigung der VS Ort vorn über den Schulbesuch seit .
Der Antrag enthielt keine Angabe darüber, ab welchem Datum die Familienbeihilfe beantragt wird.
Die Familienbeihilfe wird in solchen Fällen immer ab Datum der Antragstellung gewährt. Da aber der Antragsteller ab als Arbeiter beschäftigt war, wurde die Familienbeihilfe schon ab April 2014 zuerkannt und nicht erst ab Dezember 2014 (Datum des Antrages).
Am erging ein Ergänzungsersuchen wie folgt:
Nachweis für welchen Zeitraum Anspruch auf eine gleichartige ausländische Leistung bestand bzw. Formular E411 f. Sie und Ihre Gattin vollständig ausgefüllt und von der rumänischen Behörde bestätigt.
Sie geben am Antrag auf Familienbeihilfe bekannt, dass Ihre Gattin seit Juni 2012 in Rumänien beschäftigt ist.
Legen Sie daher den Einkommensnachweis Ihrer Gattin (aus Rumänien) vor.
Einkommensnachweis v. Ihnen und Ihrer Gattin ab Februar 2015.
Am beantragte der Herr Bf. ergänzend zum ersten Antrag für die beiden Kinder die Familienbeihilfe ab Juni 2010. Im Ergänzungsantrag war beim Beschwerdeführer und bei der Gattin kein Dienstgeber mehr angegeben.
Formular E401 (Familienstandsbescheinigung) am (mit Ort Adresse) von rumänischer Behörde bestätigt.
Mit Bescheid des Finanzamtes vom wurde die Familienbeihilfe für den Zeitraum Juni 2010 bis März 2014 für die Kinder B und A abgewiesen.
Begründend wurde der Bescheid wie folgt:
Gemäß § 3 Abs. 1 FamiIienlastenausgleichsgesetz (FLAG 1967) haben Personen, die nicht österreichische StaatsbürgerInnen sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBI. I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten.
Gemäß § 3 Absatz 1 und 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in Verbindung mit Artikel 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in der ab gültigen Fassung besteht für EU/EWR Staatsangehörige Anspruch auf Familienleistungen, wenn sie sich nach § 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) rechtmäßig in Österreich aufhalten und den Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich haben.
EU/EWR-Bürger, die nach Österreich eingereist sind und sich länger als drei Monate hier aufhalten, halten sich dann nach § 9 NAG rechtmäßig in Österreich auf, wenn sie über ausreichende Existenzmittel (ev. durch Ausübung einer un/selbständigen Beschäftigung) und über eine Krankenversicherung für sich und ihre Familienangehörigen verfügen.
Da Sie in den vorne angeführten Monaten nicht beschäftigt waren bzw. über keine Krankenversicherung verfügten, musste Ihr Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für den angeführten Zeitraum abgewiesen werden.
Zu A:
Für Kinder, die nicht österreichische StaatsbürgerInnen sind, besteht gemäß § 3 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtmäßig in Österreich aufhalten.
Zu B:
Für Kinder, die nicht österreichische StaatsbürgerInnen sind, besteht gemäß § 3 Abs. 2 . Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Gegen diesen Bescheid wurde am , eingelangt am , vom steuerlichen Vertreter des Herrn Bf. Beschwerde erhoben. Begründend wurde ausgeführt, dass nach § 9 NAG zur Dokumentation des Aufenthaltsrechtes eine Anmeldebescheinigung mit deklaratorischem Charakter auszustellen sei. Die Voraussetzungen bestünden aber bereits ex lege, wenn die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 NAG erfüllt seien.
Zum rechtmäßigen Aufenthalt der Gattin wird ausgeführt, dass diese ab geringfügig beschäftigt und zusätzlich selbstversichert gewesen sei.
Eine geringfügige Arbeit sei laut EuGH und VwGH-Judikatur genug um den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff zu erfüllen.
Zum rechtmäßigen Aufenthalt des Antragstellers wird ausgeführt, dass er in der Zeit von 2010 bis 2015 temporär in Österreich beschäftigt gewesen sei. Aufgrund seiner Erwerbstätigkeit und der der Gattin hielt er sich rechtmäßig in Österreich auf. In den Zeiten, in denen er nicht in Österreich beschäftigt war, sei er bei der Gattin mitversichert gewesen.
Es ergäbe sich daher, dass die Familie ab Aufnahme der Beschäftigung der Gattin (Anmerkung: somit ab ) rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig ist. Auch der Gatte und die Kinder hätten in dieser Zeit über einen Krankenversicherungsschutz verfügt. Jedenfalls stehe die Familienbeihilfe ab zu.
Am erging folgendes Ergänzungsersuchen des Finanzamtes:
Bitte Aufstellung der genauen Lebenshaltungskosten der Familie ab 06/2010-03/2014: Mietvertrag, Vorschreibung der Betriebskosten (Strom,...) Handy, Internet‚ Lebensmittel, Hygienebedarf, Bekleidung, Schulkosten und Angabe mit welchen Mitteln diese Kosten bestritten wurden.
Vorlage sämtlicher Rechnungen und Zahlungsbelege.
Nachweis der Krankenversicherung aller Familienmitglieder in den Zeiten: Juni 2010-- (keine Sozialversicherung von Bf. und Ehegattin in Ö.).Bei Einreise im Juni 2010‚ warum nur von 02-05/2011 u. dann erst ab in Österreich sozialversichert?

Beantragt wurde die Familienbeihilfe ab Juni 2010. Wenn die Kinder im Juni 2011 einreisten, warum besuchte die Tochter B geb. yy.yy.2003 — schulpflichtig in Österreich ab Schuljahr 2009/10 erst ab eine Schule in Ort?
Am langte das Beantwortungsschreiben des Beschwerdeführers beim Finanzamt ein. Rechnungen und Zahlungsbelege könnten für den Zeitraum von Juni 2010 bis März 2014 nicht beigebracht werden. Der Beschwerdeführer lebt erst seit Juli 2015 in der derzeitigen Wohnung in der Adr.1. Zuvor wohnte er in der Adresse Adr2 und wendete damals Kosen von € 300,- an Miete und € 60,- für Strom auf. Ein schriftlicher Mietvertrag wurde nicht abgeschlossen und kann daher auch nicht vorgelegt werden.
In den Zeiten in denen der Beschwerdeführer und seine Gattin nicht erwerbstätig waren, bestritten sie den Lebensunterhalt durch den Verkauf von Straßenzeitungen. Beide sind seit ihrer Einreise in Österreich Verkäufer der von der Caritas Diözese X herausgegebenen Straßenzeitung Y. Dadurch konnte der Beschwerdeführer und seine Gattin € 300 bis € 400 verdienen. In den Monaten, als sie keiner Erwerbstätigkeit nachgingen, war dies ihr einziges Einkommen. Vermögen besteht nicht.
Betreffend die Kranken- und Sozialversicherung wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer und seine Gattin in den im Vorhalteschreiben dargelegten Zeiträumen nicht sozialversichert waren.
Zum Schulbesuch der Tochter B wird ausgeführt, dass erst im Frühjahr 2011 ein freier Schulplatz vorhanden war.
Am langte eine Säumnisbeschwerde des Beschwerdeführers am Finanzamt ein.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 3 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG 1967) haben Personen, die nicht österreichische StaatsbürgerInnen sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten.
Gemäß § 3 Absatz 1 und 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in Verbindung mit Artikel 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in der ab gültigen Fassung besteht für EU/EWR Staatsangehörige Anspruch auf Familienleistungen, wenn sie sich nach § 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) rechtmäßig in Österreich aufhalten und den Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich haben.
§ 51 Abs. 1 NAG: Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen
2. umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder .....

Daher halten sich EU/EWR-Bürger, die nach Österreich eingereist sind und sich länger als drei Monate hier aufhalten, dann nach § 9 NAG rechtmäßig in Österreich auf, wenn sie über ausreichende Existenzmittel (ev. durch Ausübung einer un/selbständigen Beschäftigung) und über eine Krankenversicherung für sich und ihre Familienangehörigen verfügen.
Im vorliegenden Fall lag im Zeitraum Juni 2010 bis November 2014 keine EU-Anmeldebescheinigung für die Familienmitglieder vor. Die Anmeldebescheinigungen wurden - wie schon erwähnt - mit Dezember 2014 ausgestellt.
Bei neuzugezogenen Personen (bis rund 5 Jahre nach Einreise) ist der rechtmäßige Aufenthalt, bei nicht Vorliegen einer Anmeldebescheinigung und nicht Vorliegen einer beruflichen Tätigkeit im Inland im Sinne der Verordnung 883/2004 im Hinblick auf das Vorliegen des Mittelpunktes der Lebensinteressen im Inland zu prüfen.    
Um diesen festzustellen, wurde vom Finanzamt gemäß § 51 NAG die Existenz einer umfassenden Krankenversicherung für alle Familienmitglieder und ausreichender Existenzmittel in dem Zeitraum ab in der Antragstellung genanntem Datum (Juni 2010) bis zur Gewährung der Familienbeihilfe im April 2014 ermittelt.
bis :
In dieser Zeit war nur der Beschwerdeführer in Österreich und verfügte über keine Erwerbstätigkeit und keine Sozialversicherung in Österreich.
Die Gattin und die Kinder waren in dieser Zeit noch nicht nach Österreich eingereist, sondern lebten in Italien. Sie waren in Österreich nicht sozialversichert.
Da mangels EU-Anmeldebescheinigung, Sozialversicherung in Österreich und Existenzmittel, der Lebensmittelpunkt zu dieser Zeit noch nicht in Österreich lag, war die Familienbeihilfe für diesen Zeitraum abzuweisen.
bis :
Die ganze Familie lebte laut Melderegister in Österreich. Die Eltern waren nicht erwerbstätig und die Kinder besuchten keine Schule in Österreich. Die ganze Familie war in Österreich nicht sozialversichert.
Da mangels EU-Anmeldebescheinigung, Sozialversicherung in Österreich und Existenzmittel, der Lebensmittelpunkt zu dieser Zeit nicht in Österreich lag, war die Familienbeihilfe für diesen Zeitraum abzuweisen.
bis :
Selbstversicherung des Beschwerdeführers nach § 16 Abs. 1 ASVG, Wartezeit.
Keine umfassende Sozialversicherung der Gattin und der Kinder in Österreich.
Da mangels EU-Anmeldebescheinigung, umfassender Krankenversicherung aller Familienmitglieder und Existenzmittel, der Lebensmittelpunkt zu dieser Zeit nicht in Österreich lag, war die Familienbeihilfe für diesen Zeitraum abzuweisen.
bis :
Keine Erwerbstätigkeit der Eltern, keine Sozialversicherung von Beschwerdeführer, Gattin und Kindern in Österreich.
Da mangels EU-Anmeldebescheinigung, umfassender Krankenversicherung aller Familienmitglieder und Existenzmittel, der Lebensmittelpunkt zu dieser Zeit nicht in Österreich lag, war die Familienbeihilfe für diesen Zeitraum abzuweisen.
bis :
Ehegattin, die Gattin des Beschwerdeführers war ab selbstversichert nach § 19a ASVG als Arbeiterin und geringfügig beschäftigt in Österreich.
Der Beschwerdeführer war laut Beschwerde in den Zeiten, in denen er nicht in Österreich beschäftigt war, bei der Gattin mitversichert.
Der Beschwerdeführer war in Österreich beschäftigt von bis und ab .
Aufgrund des Bestehens der Erwerbstätigkeit und der Sozialversicherung beider Elternteile in Österreich ab wird das Vorliegen des Lebensmittelpunktes in Österreich ab diesem Zeitpunkt bejaht.
Entsprechend den obigen Ausführungen war die Familienbeihilfe von 06/2010 bis 04/2012 abzuweisen und war die Familienbeihilfe ab 05/2012 bis 03/2014 zuzuerkennen.

Daraufhin stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag) mit der ergänzenden Begründung, dass der Bf. laut Versicherungsdatenauszug im Zeitraum bis über eine Selbstversicherung nach § 16 Abs. 1 ASVG verfügt habe. Ab bis habe der Bf. eine selbständige Erwerbstätigkeit im Reinigungsgewerbe ausgeübt, währenddessen er laut beigelegter Bestätigung der SVA vom über die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft sozialversichert gewesen sei. Seine Ehegattin und seine Kinder seien auf Grund ihrer Familienangehörigeneigenschaft mitversichert gewesen. Danach habe der Bf. seine selbständige Erwerbstätigkeit beenden müssen. Versicherungsschutz habe erst wieder mit Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch die Ehegattin des Bf. am bestanden. Auch in der Zwischenzeit habe die gesamte Familie allerdings ihren Lebensmittelpunkt weiterhin in Österreich gehabt; dieser Umstand werde schon durch den Schulbesuch der älteren Tochter B des Bf. in dieser Zeit unter Beweis gestellt. Den Familienunterhalt hätten der Bf. und seine Ehegattin durch den Verkauf von Straßenzeitungen bestritten. Auch bei dieser Tätigkeit handle es sich um eine Erwerbstätigkeit iSd in der Beschwerde angeführten Rechtsprechung, sodass dem Bf. ein Anspruch auf Gewährung von Familienbeihilfe jedenfalls ab zukomme. Es wird aber auch beantragt, der Beschwerde für den Zeitraum von Juni 2010 bis April 2012 stattzugeben.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht am wird vom Finanzamt ergänzend ausgeführt, dass in Art. 1 lit. b der Verordnung 883/2004 die Definition der selbständigen Erwerbstätigkeit enthalten sei und verweist weiter auf die Durchführungsrichtlinien zum FLAG, Pkt.4.2., wonach eine tatsächliche Ausübung einer Tätigkeit erforderlich sei. Laut Steuerakt des Finanzamtes seien im strittigen Zeitraum keine Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erklärt worden. Der steuerliche Vertreter des Bf. führte dazu aus, dass im strittigen Zeitraum Versicherungszeiten erworben und Beiträge in die Sozialversicherung zur Gänze einbezahlt worden seien. Der Umstand allein, dass durch die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit, insbesondere zu Beginn, noch kein Einkommen oder ein Gewinn zu erzielen gewesen sei, ändere nichts am Vorliegen des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen sei dadurch jedenfalls als im Bundesgebiet begründet anzusehen.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 idgF haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Gemäß § 2 Abs. 8 FLAG 1967 haben Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

§ 3 Abs. 1 und 2 FLAG 1967 lautet:
(1) Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, oder nach § 54 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl.I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012, rechtmäßig in Österreich aufhalten.
(2) Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 NAG oder nach § 54 AsylG 2005 rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Gemäß § 26 BAO hat einen Wohnsitz im Sinn der Abgabenvorschriften jemand dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 NAG wird zur Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate auf Antrag eine “Anmeldebescheinigung“ (§ 53) für EWR-Bürger, die sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten, ausgestellt.

§ 53 Abs. 1 NAG sieht vor, dass EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen haben. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

Unionsbürger und ihre Familienangehörigen mit einem gültigen Personalausweis oder Reisepass sind zum Aufenthalt in Österreich bis zu drei Monaten berechtigt, ohne dass es dazu weiterer Voraussetzungen bedarf. Dies ergibt sich aus Artikel 6 der Richtlinie 2004/38/EG (“Freizügigkeitsrichtlinie“).

Was den Aufenthalt für mehr als drei Monate anlangt, ordnet § 51 NAG, der in Umsetzung des Artikels 7 der genannten Richtlinie ergangen ist, in seinem Absatz 1 Folgendes an (Wiedergabe erfolgt auszugsweise):
Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3. […]

Zufolge des § 52 Abs. 1 Z 2 NAG sind auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird.

Gemäß § 53 Abs. 1 FLAG 1967 sind Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt.

Im hier zu beurteilenden Fall wurde vom Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung die Familienbeihilfe für die beiden Kinder des Bf. ab Mai 2012 gewährt, sodass lediglich der Zeitraum Juni 2010 bis April 2012 strittig ist.

Die polizeiliche Meldung der Familie des Bf. (Ehegattin und Kinder) erfolgte am in Österreich. Lt. Versicherungsdatenauszug bestand für den Bf. erstmals Versicherungsschutz im Bundesgebiet vom 01.02. bis , in Form einer Selbstversicherung nach § 16 Abs. 1 ASVG (Wartezeit), und lt. vorgelegter Bestätigung der SVA vom war der Bf. vom 01.06 bis nach GSVG versichert. Von 01.01. bis bestand kein Versicherungsschutz für den Bf. und seine Familie. Die Tochter des Bf. besuchte lt. Schulbesuchsbestätigung ab durchgehend die Volksschule. Lt. der Datenbank des Finanzamtes wurde der Bf. im Kalenderjahr 2011 nicht veranlagt, es wurden keine Einkünfte aus gewerblicher oder selbständiger Tätigkeit erklärt. Im übrigen strittigen Zeitraum hatte der Bf. und seine Ehegattin nach seinen Angaben einen Verdienst von 300 € bis 400 € monatlich durch den Verkauf von Straßenzeitungen. Zu den Lebenshaltungskosten der Familie des Bf. wurde weder eine Aufstellung noch Nachweise erbracht, es wurde lediglich angegeben, dass kein schriftlicher Mietvertrag abgeschlossen worden sei, die Miete incl. Betriebskosten 300 € und die Kosten für den Strom 60 € monatlich betragen hätten.

Mit Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung durch die Ehegattin des Bf. und deren Selbstversicherung nach § 19 ASVG ab erwarb der Bf. den Anspruch für die Familienbeihilfe für seine beiden Kinder. Die Anmeldebescheinigungen für EWR-Bürger gemäß NAG wurden erst am ausgestellt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes genügt es, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt (zB ; ; ; , vgl. auch Ritz, BAO Kommentar5, § 167 Rz 8).

Im hier zu beurteilenden Fall wurde vom Bf. kein Nachweis darüber erbracht, dass er und seine Ehegattin im strittigen Zeitraum in Österreich einen Wohnsitz hatten. Ohne Vorlage eines Mietvertrages oder eines sonstigen Beweises und Zahlungsnachweisen über Lebenshaltungskosten ist es nicht möglich zu beurteilen, ob der Bf. und seine Familie eine Wohnung iSd Abgabenvorschriften und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes innehatten. Die polizeiliche Anmeldung ist nicht entscheidend (, , ), diese hat nur Indizwirkung. Dasselbe gilt für den Schulbesuch der Tochter, die Schulbesuchsbestätigung ist kein geeigneter Nachweis für das Vorliegen eines Wohnsitzes des Bf. im Inland. Der Schulbesuch der Tochter gilt im Familienbeihilfenverfahren lediglich als anspruchsvermittelnd, nicht aber als anspruchsbegründend.

Die Lebenshaltungskosten einer Familie umfassen nicht nur Miete, Betriebskosten und Strom, sondern auch Nahrung, Kleidung und sonstige Dinge des täglichen Lebens, zu denen beispielsweise auch Schulmaterialien der Kinder gehören. Diese Kosten liegen offensichtlich über dem Verdienst für den Verkauf der Straßenzeitung. Somit kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Bf. und seiner Ehegattin im strittigen Zeitraum in Österreich war.

Deshalb erübrigt sich eine Prüfung, ob sich der Bf. und seine Familie im strittigen Zeitraum rechtmäßig nach Unionsrecht in Österreich aufgehalten haben. Jedenfalls haben sie ihren Aufenthalt nicht nach § 53 Abs. 1 NAG innerhalb von vier Monaten nach dem angegebenen Einreisedatum bei der Behörde angezeigt, d ie Anmeldebescheinigungen für EWR-Bürger gemäß NAG wurden erst am ausgestellt. Die zeitweisen Anmeldungen bei den Sozialversicherungen (GKK und GSVG) erbringen ebenfalls keinen Nachweis dafür, dass der Bf. im Inland einen Wohnsitz innehatte. Darüber hinaus vertritt das Bundesfinanzgericht die Meinung, dass die Tätigkeit „Verkauf von Straßenzeitung im Rahmen eines Sozialprojektes“ nicht unter den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff zu subsumieren ist.

Dem Eventualantrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Abgabenbehörde I. Instanz die neuerliche Bescheiderlassung aufzutragen, konnte nicht entsprochen werden, da keine Ermittlungen unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können (§ 278 Abs. 1 BAO).

Da die Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe für den Zeitraum Juni 2010 bis April 2012 aus den oben dargelegten Gründen nicht vorliegen, wird der Beschwerde wie in der Beschwerdevorentscheidung vom teilweise stattgegeben.

Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da im Beschwerdefall kein Rechtsproblem strittig ist, sondern der als erwiesen anzunehmende Sachverhalt in freier Beweiswürdigung festgestellt wurde, ist gegen dieses Erkenntnis eine (ordentliche) Revision nicht zulässig.

Graz, am

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