Die Unterlassung der Darlegung der maßgeblichen Tatsachen oder Beweismittel in nach den §§ 201 und 202 BAO ergangenen Bescheiden ist im Rechtsmittelverfahren nicht mehr sanierbar
Rechtssätze
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Folgerechtssätze | |
RV/7103196/2013-RS1 | wie RV/6100866/2014-RS1 Der Gesetzgeber bezweckte mit der Neufassung des § 201 BAO durch das AbgRmRefG eine Harmonisierung der Rechtswirkungen von Selbstberechnungen und von Veranlagungsbescheiden. Wie in Ritz, BAO5, § 201 Tz 3, dargestellt, entspricht die erstmalige Festsetzung des § 201 Abs 2 Z 3 BAO bei Veranlagungsbescheiden der Wiederaufnahme nach § 303 BAO. Die angestrebte Harmonisierung ist jedoch nur dann in vollem Umfang zu erreichen, wenn nicht nur § 303 BAO an sich, sondern auch die dazu ergangene höchstgerichtliche Rechtsprechung auf § 201 Abs 2 Z 3 BAO uneingeschränkt angewendet wird. Somit ist auch im Anwendungsbereich des § 201 Abs 2 Z 3 BAO die Nichtdarlegung der maßgeblichen Tatsachen oder Beweismittel in der Bescheidbegründung im Rechtsmittelverfahren nicht mehr sanierbar. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Vorsitzende Dr. Anna Radschek und die weiteren Senatsmitglieder Mag. Anna Mechtler-Höger, KR Michael Fiala und Dr. Franz Kandlhofer im Beisein der Schriftführerin FOIin Andrea Newrkla in der Beschwerdesache Bf, [Adresse], vertreten durch Prof. Dr. Thomas Keppert, WT Wirtschaftsprüfung GmbH & Co KG, Theobaldgasse 19, 1060 Wien, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide der belangten Behörde FA Wien 12/13/14 Purkersdorf vom , betreffend Haftung für Lohnsteuer 01 bis 04/12, die Festsetzung des auf den Haftungsbetrag entfallenden Säumniszuschlages, die Festsetzung des Dienstgeberbeitrages zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag 01 bis 04/2012 in der Sitzung am nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Im Anschluss an eine Außenprüfung gemäß den §§ 147 ff BAO erließ die belangte Behörde u.a. einen Haftungsbescheid gemäß § 82 EStG 1988 betreffend Lohnsteuer für 01 - 04/2012 und einen Bescheid über die Festsetzung des auf den Haftungsbetrag entfallenden Säumniszuschlages sowie Bescheide über die Festsetzung des Dienstgeberbeitrages zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen (DB) und des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag (DZ) für 01 - 04/2012. Als Begründung wurde auf den Bericht vom verwiesen.
In diesem wurde nach Zitierung der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen die Heranziehung zur Haftung und die dieser zugrunde liegende Ermessensübung dargelegt. Die Sachverhaltsdarstellung beschränkte sich auf die Wendung "Abgleich lt. LKto" sowie auf die Darstellung von Differenzen an DB, DZ und L für die Monate 01 bis 04/2012 mit dem Vermerk SZ J oder N.
In der fristgerecht eingebrachten nunmehr als Beschwerde zu behandelnden Berufung beantragte die beschwerdeführende GmbH (Bf) die Aufhebung der angefochtenen Bescheide mit der Begründung, im März 2012 sei durch die damalige Gesellschafterin-Geschäftsführerin der Bf rückwirkend für das laufende Jahr die ungerechtfertigte Anhebung ihres Gehalts sowie des Gehalts einer weiteren Dienstnehmerin erfolgt. Des Weiteren seien überhöhte Bezüge des durch die damalige Geschäftsführerin eigenmächtig eingesetzten Prokuristen der Bf für die Monate März und April festgesetzt worden.
In weiterer Folge seien die sich aufgrund der durchgeführten Gehaltsänderungen ergebenden Abfuhrdifferenzen betreffend die Lohnabgaben des laufenden Jahres nachberechnet und der Unterschiedsbetrag dem Finanzamt gemeldet worden.
Es gelte jedoch festzuhalten, dass die ehemalige Gesellschafterin-Geschäftsführerin zu der Anhebung der Bezüge nicht berechtigt gewesen sei und auch ihr selbst zum damaligen Zeitpunkt (wie auch zu keinem anderen Zeitpunkt) die dadurch bewirkten Bezüge zugestanden seien. In weiterer Folge werde das zu Unrecht zu viel ausbezahlte Gehalt von der ehemaligen Geschäftsführerin auf zivilrechtlichem Weg zurückgefordert.
Im Anschluss an diese Ausführungen wurden die nach Meinung der beschwerdeführenden Partei tatsächlich anzusetzenden Lohnabgaben dargestellt und ersucht, das sich aus der Korrektur der bisher verbuchten und bezahlten Lohnabgaben ergebende Guthaben auf diese anzurechnen.
Darüber hinaus wurde unter Zitierung der herrschenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bemängelt, dass die angefochtenen Bescheide keine Begründung enthielten.
Der Berufung wurde mit Berufungsvorentscheidung vom teilweise stattgegeben. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, im Zuge der Außenprüfung sei festgestellt worden, dass sich gegenüber den Lohnabgaben auf dem Betriebssummenblatt (abgerechnete/ausbezahlte Bezüge der Dienstnehmer 1-4/2012) Differenzen zu den gemeldeten Lohnabgaben auf dem Steuerkonto ergeben hätten. Da diese Bezüge in der Lohnverrechnung abgerechnet worden seien und kein Hinweis für eine eventuelle Nichtauszahlung existiert hätten, seien diese "Abfuhr- bzw. Abgleichsdifferenzen lt. Lkto" im Zuge der Prüfung vorgeschrieben worden. In der Niederschrift über die Schlussbesprechung, an der auch der steuerliche Vertreter der Bf teilgenommen habe, werde angeführt: "Die Lohnsteuer- und Kommunalsteuerprüfung wurde bis zur Konkurseröffnung () durchgeführt. Die Nachforderungen betreffen die tatsächlich ausbezahlten Löhne und Gehälter".
Den Ausführungen in der Berufung könne entnommen werden, dass die angeblich überhöhten Bezüge nicht nur über die Lohnverrechnung abgerechnet, sondern auch ausbezahlt worden seien. Sie seien daher in die Bemessungsgrundlage für den DB und DZ einzubeziehen, und die darauf entfallenden Lohnabgaben seien an das Finanzamt abzuführen.
Da in der Summe der festgestellten Abfuhrdifferenzen irrtümlich auch Lohnabgaben für die beim IAF beantragten, offensichtlich nicht ausbezahlten Bezüge enthalten seien, sei dies im Rahmen der Berufungsvorentscheidung zu berichtigen gewesen.
In ihrem fristgerecht eingebrachten Vorlageantrag entgegnete die Bf den Ausführungen in der Berufungsvorentscheidung mit folgender Darstellung des maßgeblichen Sachverhaltes:
Die ehemalige Geschäftsführerin der Bf, deren Vertretungsbefugnis am aufgrund Abberufung durch die Generalversammlung erloschen sei, habe Anfang März 2012 - rechtswidrig, nämlich ohne Einholung der Zustimmung der Generalversammlung - zwei Prokuristen Gesamtprokura erteilt.
Im Außenverhältnis habe die Erteilung einer Prokura durch die Geschäftsführerin zu erfolgen. Im Innenverhältnis bedürfe es für eine solche Entscheidung gemäß § 35 Abs 1 Z 4 GmbHG jedoch der Zustimmung aller Gesellschafter. Diese Zustimmung läge nicht vor, weshalb auch keine Prokura durch die Geschäftsführerin hätte erteilt werden dürfen.
In weiterer Folge sei durch die Geschäftsführerin mit Vertrag vom (rückwirkend auf den ) mit dem rechtswidrig bestellten Prokuristen, Dr. A, ein Dienstvertrag abgeschlossen worden, in dem ein unvergleichbar hoher Bezug vereinbart worden sei, der im Voraus zu zahlen gewesen wäre. Der Vertrag habe überdies die Klausel enthalten, dass er bis (also auf fünf Jahre) als fix abgeschlossen gelte, sowie, dass die die Gesellschaft für die Dauer von 5 Jahren (einseitig) auf ihr Kündigungsrecht verzichte.
Da schon die Bestellung des Prokuristen nicht dem Willen der Mehrheit der Gesellschafter entsprochen habe, könne hier auch nicht die Rede davon sein, dass ein derartiger Dienstvertrag in Übereinstimmung mit der Gesellschaft durch die Geschäftsführerin abgeschlossen worden sei.
In weiterer Folge sei ein von den beiden Prokuristen unterschriebener Dienstvertrag mit
der Geschäftsführerin aufgesetzt worden, in dem die Anhebung ihres bisherigen Bezuges um fast das Zweifache ihres bisherigen Gehaltes erfolgt sei.
Der dargestellte Sachverhalt sei nach Meinung der Bf folgendermaßen zu beurteilen:
Gehe man davon aus, dass die Prokura nicht rechtswirksam zustande gekommen sei und dass dieser Umstand den Prokuristen auch aufgrund eines gewissen Naheverhältnisses zur Geschäftsführerin sowie zu einigen Gesellschaftern hätte bekannt sein müssen, könne nicht davon ausgegangen werden, dass dieses Dienstverhältnis rechtswirksam zustande gekommen sei. Der Prokurist Dr. A habe daher keine Bezüge im Sinne des § 25 Abs 1 Z 1 lit a und b EStG erhalten, da die beschriebene Konstellation eine Kollusion darstelle. Des weiteren sei auch die Erhöhung der Bezüge der Geschäftsführerin nicht rechtswirksam zustande gekommen, weil die Prokuristen keine Vertretungsmacht besessen hätten.
Sollte jedoch davon ausgegangen werden, dass Prokura rechtswirksam erteilt worden sei, so werde auf folgende Punkte hingewiesen:
Frau B sei als Geschäftsführerin der Gesellschaft gemäß § 25 Abs 1 GmbHG dazu verpflichtet, bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt einer ordentlichen Geschäftsfrau anzuwenden. In ihrer Funktion als Geschäftsführerin habe sie Einsicht in die Bücher der Gesellschaft gehabt und sei über die Ertragslage des Unternehmens informiert gewesen. Die für die Gesellschaft wirtschaftlich extrem belastenden Dienstverträge hätten zu einer für die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt nicht leistbaren Verpflichtung geführt. Diese Verträge würden eine Verschleuderung des Vermögens der Gesellschaft darstellen und stünden im krassen Widerspruch zu einer ordentlichen Führung der Geschäfte.
Aus einem Schriftverkehr zwischen dem Mehrheitsgesellschafter der Bf mit der Geschäftsführerin der Gesellschaft gehe hervor, dass ihr die wirtschaftliche Lage des Unternehmens und die Notwendigkeit, Einsparungen vorzunehmen bewusst und bekannt gewesen seien. Dieser Schriftverkehr stamme aus dem Zeitraum Ende Februar 2012. Der Abschluss des Vertrages mit dem Prokuristen bzw die eigene Gehaltserhöhung sei
Mitte März 2012 erfolgt.
Hinsichtlich des Dienstvertrages der Geschäftsführerin, abgeschlossen mit der Bf, ver-
treten durch die beiden - rechtswidrig bestellten - Prokuristen werde darauf hingewiesen, dass solche unredlichen, die Gesellschaft schädigenden Geschäfte nicht von der im Gesetz geregelten Vertretungsmacht der Prokuristen umfasst seien. Die institutionell gesicherte Vertretungsmacht solle nur den redlichen Geschäftsverkehr erleichtern und die redlich an ihm Beteiligten schützen, nicht aber unredliche Geschäfte ermöglichen. Erkenne der Geschäftspartner im einzelnen Fall, dass der Vertreter zum Nachteil des von ihm Vertretenen und damit pflichtwidrig handle, dann verdiene nicht er, sondern der Vertretene Schutz. Das gelte insbesondere dann, wenn der Vertreter und der Dritte absichtlich zusammengewirkt hätten, um den Vertretenen zu schädigen, also bei Kollusion.
Die Geschäftsführerin könne insofern nicht als redliche Geschäftspartnerin angesehen werden, da sie einerseits von dem im Innenverhältnis bestehenden Vollmachtsmangel der Prokuristen hätte wissen müssen und ihr andererseits eine Schädigungsabsicht insoweit unterstellt werden könne, als ihr die Ertragslage des Unternehmens bekannt gewesen sei. Selbiges gelte für die Prokuristen.
Gehe man dennoch davon aus, dass es sich bei den abgeschlossenen Dienstverträgen um gültige Rechtsgeschäfte handle, so werde unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des GZ 99/15/0154, auf Folgendes verwiesen:
In beiden Fällen handle es sich bei den gewährten Bezügen zwar um Vorteile aus einem Dienstverhältnis, jedoch um solche, die sich der Arbeitnehmer ohne Willensübereinstimmung mit dem Arbeitgeber angeeignet habe. Vorteile, die sich der Arbeitnehmer gegen den Willen des Arbeitgebers verschaffe, unterlägen aber nicht dem Steuerabzug, sondern seien im Veranlagungswege zu erfassen. Wenn der Dienstnehmer eine ihm durch das Dienstverhältnis gebotene Gelegenheit nutze, um sich zu bereichern, und solcherart Vorteile erziele, lägen zwar Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit vor, Schuldnerin der Lohnsteuer sei aber nicht die Gesellschaft, sondern es habe der Dienstnehmer im Veranlagungswege die dafür zu berechnende Steuer an das Finanzamt abzuführen. Auch in seinem Erkenntnis vom , GZ 92/13/0274, habe der
VwGH betont, dass es sich bei solcherart gegen den Willen des Arbeitgebers erlangten Vorteilen aus dem Dienstverhältnis nicht um lohnsteuer- und dienstgeberbeitragspflichtige Vorteile handle. Vielmehr habe eine Erfassung dieser Bezüge beim Arbeitnehmer im Veranlagungswege zu erfolgen. Komme es dann zu einer Rückzahlung, so könne der Arbeitnehmer diese im Zeitpunkt der Rückzahlung im Veranlagungswege als Werbungskosten berücksichtigen.
Es handle sich somit in jedem Fall nicht um lohnsteuer- und dienstgeberbeitragspflichtige
Bezüge. Dasselbe gelte auch für den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag.
Die Berufung vom werde somit vollinhaltlich aufrechterhalten. Es werde auch noch darauf hingewiesen, dass die Malversationen der ehemaligen Geschäftsführung bei der Staatsanwaltschaft Wien angezeigt worden seien.
Nach Erhalt der Ladung zur mündlichen Senatsverhandlung am verwies der steuerliche Vertreter der Bf darauf, dass derzeit zwei Zivilverfahren gegen die unrechtmäßig angestellten Prokuristen beim Arbeits- und Sozialgericht anhängig sei, wobei ein Verfahren bereits abgeschlossen sei und auf die Zustellung des Urteils gewartet werde, das andere Verfahren werde am fortgesetzt.
Da in den gegenständlichen Fällen der Bestand von Dienstverhältnissen und die Höhe der Bezüge aufgrund von Malversationen strittig seien, stelle sich die Frage, ob es nicht zweckmäßig wäre, die anberaumte Verhandlung vor dem BFG bis zum Vorliegen von rechtskräftigen Urteilen durch das Arbeits- und Sozialgericht zu vertagen.
Dem steuerlichen Vertreter wurde telefonisch mitgeteilt, dass der Termin aufrecht bleibe.
In der mündlichen Verhandlung wurde vom steuerlichen Vertreter der Bf nochmals auf die ungeheuerlichen Malversationen der ehemaligen Geschäftsführerin im Zusammenwirken mit dem Prokuristen hingewiesen. Die Gehälter seien über Verrechnungskonten ausbezahlt worden.
Die Amtsvertreterin gab an , bei dem Unternehmen der Bf habe es sich um ein Familienunternehmen gehandelt, wobei es offenbar zu Zerwürfnissen gekommen sein müsse.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Nach Einsichtnahme in die von der belangten Behörde vorgelegten Bescheide und den Bericht über die Außenprüfung wird folgender Sachverhalt festgestellt:
Die Begründung des angefochtenen Haftungsbescheides und der Bescheide betreffend DB und DZ beschränkt sich - wie bereits der Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens entnommen werden kann - auf den Vermerk "Abgleich lt. LKto" und - soweit im gegenständlichen Fall maßgeblich - auf die Darstellung von Differenzen an DB, DZ und L für die Monate 01 bis 04/2012 mit dem Vermerk SZ J oder N.
Diesen Bescheiden kann daher weder entnommen werden, welcher der in § 201 BAO genannten Gründe für die Erlassung von Festsetzungsbescheiden gemäß den §§ 201 und 202 BAO maßgebend war, noch, welche für das Finanzamt seit der Selbstbemessung neu hervorgekommenen Umstände, die als Wiederaufnahmegrund geeignet sind, für die amtswegige Festsetzung gegenständlicher Selbstbemessungsabgaben sowie für die Erlassung des Haftungsbescheides ausschlaggebend waren.
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den angefochtenen Bescheiden und dem Bericht vom , auf welchen diese als Begründung hinweisen. Da die genannten Bescheide keinen Hinweis auf die Niederschrift über die Schlussbesprechung enthalten, können die darin allenfalls enthaltenen Feststellungen nicht als Begründung für die bekämpften Bescheide herangezogen werden.
Rechtliche Würdigung:
Vorbemerkung:
Gemäß § 323 Abs 38 erster und zweiter Satz BAO sind die am bei dem unabhängigen Finanzsenat als Abgabenbehörde zweiter Instanz anhängigen Berufungen und Devolutionsanträge vom Bundesfinanzgericht als Beschwerden im Sinn des Art 130 Abs 1 B-VG zu erledigen. Solche Verfahren betreffende Anbringen wirken mit auch gegenüber dem Bundesfinanzgericht.
1.) Betreffend Haftungsbescheid für Lohnsteuer sowie Festsetzung von DB und DZ für Jänner bis April 2012:
§ 201 BAO lautet:
"(1) Ordnen die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen an oder gestatten sie dies, so kann nach Maßgabe des Abs. 2 und muss nach Maßgabe des Abs. 3 auf Antrag des Abgabepflichtigen oder von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst berechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gibt oder wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.
(2) Die Festsetzung kann erfolgen,
1. von Amts wegen innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages,
2. wenn der Antrag auf Festsetzung spätestens ein Jahr ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages eingebracht ist,
3. wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden,
(Anm.: Z 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 20/2009)
5. wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 293b oder des § 295a die Voraussetzungen für eine Abänderung vorliegen würden.
(3) Die Festsetzung hat zu erfolgen,
1. wenn der Antrag auf Festsetzung binnen einer Frist von einem Monat ab Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages eingebracht ist,
(Anm.: Z 2 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 70/2013)
3. wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 295 die Voraussetzungen für eine Änderung vorliegen würden.
(4) Innerhalb derselben Abgabenart kann die Festsetzung mehrerer Abgaben desselben Kalenderjahres (Wirtschaftsjahres) in einem Bescheid zusammengefasst erfolgen."
Gemäß § 202 Abs 1 BAO gelten die §§ 201 und 201a BAO sinngemäß, wenn nach den Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe einem abgabenrechtlich Haftungspflichtigen obliegt. Hiebei sind Nachforderungen mittels Haftungsbescheides (§ 224 Abs. 1 BAO) geltend zu machen.
Gemäß § 224 Abs 1 BAO werden die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.
Die Bestimmungen des Einkommensteuerrechtes über die Geltendmachung der Haftung für Steuerabzugsbeträge bleiben gemäß § 224 Abs 2 BAO unberührt.
Gemäß § 82 erster Satz BAO haftet der Arbeitgeber dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der vom Arbeitslohn einzubehaltenden Lohnsteuer.
Nach ständiger Rechtsprechung des Unabhängigen Finanzsenates (UFS) und des Bundesfinanzgerichts hat das Finanzamt bei der Festsetzung einer Abgabe nach § 201 BAO jene Sachverhaltselemente zu benennen und den sechs Fallgruppen des § 201 Abs 2 und 3 BAO zuzuordnen, welche die erstmalige Festsetzung der Abgabe rechtfertigen. Dies kann im Rechtsmittelverfahren bzw im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden (vgl und die dort wiedergegebene Judikatur des UFS des BFG und des Verwaltungsgerichtshofes).
In der Begründung eines Haftungsbescheides sind unter anderem die Voraussetzungen für die Haftungsinanspruchnahme darzulegen. Dies erfordert laut Ritz, BAO5, § 202 Tz 6, im Fall der sinngemäßen Anwendung des § 201 Abs 2 Z 3 BAO beim Neuerungstatbestand die Darlegung, welche Tatsachen oder Beweismittel für die Abgabenbehörde neu hervorgekommen sind.
In Anbetracht der in § 201 BAO getroffenen Regelungen hätte das Finanzamt im Sinne der oben dargelegten ständigen Rechtsprechung des UFS und des BFG § 201 Abs 1 BAO in Verbindung mit § 201 Abs 2 Z 1 und Z 3 BAO als Rechtsgrundlagen für die Abgabenfestsetzung nennen müssen. Als Rechtsgrundlage kommt nur § 201 Abs 2 Z 3 zweiter Halbsatz BAO infrage, zumal selbstberechnete Beträge bekanntgegeben wurden, die sich nach Ansicht der Behörde als nicht richtig erwiesen haben. Die letztgenannte Bestimmung verweist auf § 303 BAO und normiert darin, dass eine Festsetzung nach dieser Norm nur erfolgen kann, wenn die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen. Das Finanzamt nennt aber in den angefochtenen Bescheiden keinen Wiederaufnahmegrund. Einzig infrage kommender Wiederaufnahmegrund könnte nach Auffassung des BFG nur der so genannte Neuerungstatbestand im Sinne des § 303 Abs 1 lit b BAO sein.
Die Festsetzung gemäß § 201 BAO kann demnach dann, wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung im Sinne des Abs. 1 der Bestimmung als "nicht richtig" erweist, gemäß Abs. 2 Z 3 erfolgen, "wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden". Die Vorschrift hat insoweit den Zweck, einen "Gleichklang mit der bei einem durch Bescheid abgeschlossenen Verfahren geltenden Rechtslage" herbeizuführen (vgl. , unter Hinweis auf den Bericht des Finanzausschusses zum Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz, BGBl. I Nr. 97/2002, 1128 BlgNR 21. GP 9).
Die sprachlichen Anpassungen durch das FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, und das VwG-AnpG-BMF, BGBl. I Nr. 70/2013, sollten dabei ausweislich der Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der "Neuregelung des Wiederaufnahmsrechts in der BAO" Rechnung tragen (vgl. zum FVwGG 2012 2007 BlgNR 24. GP 16 sowie zum VwG-AnpG-BMF 2196 BlgNR 24. GP 8). Damit wurde der schon vom Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz betonte "Gleichklang mit der bei einem durch Bescheid abgeschlossenen Verfahren geltenden Rechtslage" weiter verfolgt ().
Aus diesem vom Gesetzgeber statuierten Gleichklang ergibt sich auch eine Übertragbarkeit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Wiederaufnahme auf Festsetzungen gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO.
Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Die Wendung "im abgeschlossenen Verfahren" beruht erkennbar auf einem Redaktionsversehen. Zweck der Wiederaufnahme wegen Neuerungen ist - wie schon nach der Regelung vor dem FVwGG 2012 - die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen (Ritz, BAO5 § 303 Tz 24). Gemeint sind also Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl. sowie ).
Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betreffende Partei, bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die für die Entscheidung über die Wiederaufnahme zuständige Behörde. Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 2 lit. b BAO ist somit abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist. Gleiches gilt spiegelbildlich für die Wiederaufnahme von Amts wegen, bei der die - für die Behörde - neu hervorgekommenen Tatsachen im Wiederaufnahmebescheid anzuführen sind.
Gemäß § 279 Abs. 2 BAO hat das Bundesfinanzgericht außer in hier nicht interessierenden Fällen des Abs. 1 immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Bei einer Beschwerde gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist die Sache, über welche das Bundesfinanzgericht gemäß § 279 Abs. 2 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltsmomente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Unter Sache ist in diesem Zusammenhang die Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Abgabenbehörde erster Instanz gebildet hatte. Die Identität der Sache, über die abgesprochen wurde, wird durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde (vgl. nochmals und die dort zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).
Aufgabe des Bundesfinanzgerichts bei Entscheidungen über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch ein Finanzamt ist es daher, zu prüfen, ob dieses Verfahren aus den vom Finanzamt gebrauchten Gründen wieder aufgenommen werden durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss das Bundesfinanzgericht den vor ihm bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben (vgl. nochmals und die dort zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).
Entscheidend ist daher im Fall einer amtswegigen Festsetzung nach § 201 Abs 2 Z 3 BAO, ob und gegebenenfalls welche für das Finanzamt seit der Selbstbemessung neu hervorgekommenen Umstände seitens des Finanzamts dargetan wurden, die als Wiederaufnahmegrund geeignet sind (vgl. nochmals ).
Geht aber - wie im gegenständlichen Fall - aus den bekämpften Bescheiden nicht hervor, auf welche Wiederaufnahmegründe das Finanzamt die Festsetzung nach § 201 BAO sowie die Erlassung eines Haftungsbescheides nach § 202 iVm § 201 BAO gestützt hat, so muss das Bundesfinanzgericht diese Bescheide ersatzlos beheben.
2.) Betreffend Festsetzung des auf den Haftungsbetrag für Lohnsteuer entfallenden Säumniszuschlages:
Gemäß § 217 Abs 1 BAO sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen Säumniszuschläge zu entrichten, wenn eine Abgabe nicht spätestens am Fälligkeitstag entrichtet wurde.
Gemäß § 217 Abs 2 BAO beträgt der erste Säumniszuschlag 2% des nicht zeitgerecht entrichteten Abgabenbetrages.
Im Fall der nachträglichen Herabsetzung der Abgabenschuld hat gemäß § 217 Abs 8 BAO auf Antrag des Abgabepflichtigen die Berechnung der Säumniszuschläge unter rückwirkender Berücksichtigung des Herabsetzungsbetrages zu erfolgen.
Sind Säumniszuschläge gegenüber einem Haftungspflichtigen verwirkt, so liegt ihm gegenüber eine Herabsetzung im Sinne des § 217 Abs 8 BAO auch dann vor, wenn der Umfang der Inanspruchnahme durch Abänderung des Haftungsbescheides gemindert wird. Dies gilt auch für den Fall der ersatzlosen Aufhebung des Haftungsbescheides (Ritz, BAO5, § 217 Tz 52).
Im Hinblick auf die ersatzlose Aufhebung des Haftungsbescheides für Lohnsteuer für 01 bis 04/2012 ist daher auch der Bescheid über die Festsetzung des auf den Haftungsbetrag entfallenden Säumniszuschlages ersatzlos aufzuheben.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da über die im gegenständlichen Fall zu beurteilende Rechtsfrage, ob im Anwendungsbereich des § 201 Abs 2 Z 3 BAO die Nichtdarlegung des Wiederaufnahmegrundes im angefochtenen Bescheid zu dessen Aufhebung durch das Bundesfinanzgericht führen muss, im Sinne der oben dargestellten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entschieden wurde, war die Unzulässigkeit der Revision auszusprechen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 201 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 202 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 217 Abs. 8 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2017:RV.7103196.2013 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at