Keine Aussetzung der Entscheidung über die Beschwerde eines Haftungspflichtigen bis zur Beendigung des Revisionsverfahrens der Hauptschuldnerin.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache der Bf., vertreten durch MMag. M., über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Innsbruck vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Aussetzung der Entscheidung (§ 271 BAO) zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
1.1. Die Beschwerdeführerin (kurz: Bf.) ist Geschäftsführerin der K-GmbH.
Mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom ...2015, GZ. RV... wurde eine Beschwerde der K-GmbH gegen die amtswegige Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer 2002 bis 2004 sowie gegen die Umsatzsteuerbescheide 2002 bis 2005 und 1/2006 als unbegründet abgewiesen. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der K-GmbH ist beim Verwaltungsgerichtshof anhängig.
1.2. Mit Haftungsbescheid vom zog das Finanzamt die Bf. zur Vertreterhaftung gemäß § 9 BAO für Abgaben der K-GmbH heran, deren Festsetzung Gegenstand des erwähnten Beschwerdeverfahrens war (Umsatzsteuer 2003, 2004, 2005, 1/2006).
1.3. Die gegen diesen Haftungsbescheid erhobene Beschwerde vom , die beim Bundesfinanzgericht anhängig ist, war sowohl mit einem Antrag auf Aussetzung der Einhebung des Haftungsbetrages (§ 212a BAO) als auch mit einem Antrag auf Aussetzung der Entscheidung (§ 271 BAO) bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im oben angeführten Revisionsverfahren verbunden.
1.4. Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag auf Aussetzung der Entscheidung mit der zusammengefassten Begründung ab, dass dies lediglich zu einer (von der Bf. ohnehin gerügten) Verzögerung des Haftungsverfahrens führen würde.
1.5. In der dagegen erhobenen Beschwerde vom wurde eine unrichtige Ermessensübung des Finanzamtes bemängelt, weil dies im Hinblick auf die von der Hauptschuldnerin eingebrachte Revision und aufgrund der Akzessorietät der Haftung zur Folge habe, dass entgegen dem Normzweck des § 271 BAO „die gleiche Rechtsfrage nebeneinander in zwei Verfahren erörtert" werden müsse.
1.6. Mit Beschwerdevorentscheidung vom gab das Finanzamt der Beschwerde im Wesentlichen mit der Begründung keine Folge, dass aufgrund der Bindungswirkung der der Haftung zugrunde liegenden Abgabenbescheide im Haftungsverfahren nicht die Abgabenansprüche gegenüber der Hauptschuldnerin, sondern nur die rechtlichen Voraussetzungen für die Vertreterhaftung der Bf. zu prüfen seien.
1.7. Im Vorlageantrag vom wurde auf den Inhalt der Beschwerde verwiesen und ausgeführt, dass sämtliche Anträge aufrecht erhalten würden, weil die Bf. von der Richtigkeit der Argumentation des Finanzamtes nicht überzeugt sei.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
2.1. Die Bestimmung des § 271 BAO lautet wie folgt:
"(1) Ist wegen einer gleichen oder ähnlichen Rechtsfrage eine Beschwerde anhängig oder schwebt sonst vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde ein Verfahren, dessen Ausgang von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung über die Beschwerde ist, so kann die Entscheidung über diese unter Mitteilung der hiefür maßgebenden Gründe ausgesetzt werden, sofern nicht überwiegende Interessen der Partei (§ 78) entgegenstehen. Dies hat vor Vorlage der Beschwerde durch Bescheid der Abgabenbehörde, nach Vorlage der Beschwerde durch Beschluss des Verwaltungsgerichtes zu erfolgen.
(2) Nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens, das Anlass zur Aussetzung gemäß Abs. 1 gegeben hat, ist das ausgesetzte Beschwerdeverfahren von Amts wegen fortzusetzen.
(3) Von der Abgabenbehörde erlassene Aussetzungsbescheide verlieren ihre Wirksamkeit, sobald die Partei (§ 78) die Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens beantragt."
2.2. Unstrittig ist, dass § 271 BAO weder ein Antragsrecht vorsieht noch dem Abgabepflichtigen einen Rechtsanspruch auf Aussetzung der Entscheidung einräumt. Vielmehr liegt die Aussetzung im Ermessen der Behörde (vgl. Ritz, BAO5, § 271 Tz 17; ; ; , 0032 u. 0105).
2.3. Gemäß § 20 BAO müssen sich Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dabei ist dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen (vgl. ).
Die maßgeblichen Kriterien für die Übung des Ermessens ergeben sich primär aus der Ermessen einräumenden Bestimmung. Die für die Ermessensübung relevante Zielrichtung des § 271 liegt – der Bf. folgend – darin, die Behandlung der gleichen Rechtsfrage in verschiedenen Verfahren hintanzuhalten. Der Zweck dieser Bestimmung ist somit die Vermeidung von Parallelverfahren (vgl. Ritz, a.a.O. § 271, Tz 9), deren Durchführung unökonomisch und daher unzweckmäßig wäre. Auf der anderen Seite findet die Aussetzung in überwiegenden Parteiinteressen, die einem solchen Verfahrensschritt entgegenstehen, ihre Schranke.
2.4. Gewiss trifft es zu, dass die Vertreterhaftung subsidiär und akzessorisch ist. Demnach darf eine Person nur dann als Haftende in Anspruch genommen werden, wenn der Hauptschuldner seiner Verbindlichkeit nicht nachkommt und diese Verbindlichkeit beim Hauptschuldner (hier: K-GmbH) uneinbringlich ist (Subsidiarität). Die Haftungsschuld ist weiters ihrem bloß sichernden Charakter zufolge in ihrem Bestand von der Existenz der Hauptschuld abhängig. Ist die Hauptschuld nicht (gültig) entstanden oder ist sie erloschen, ist auch eine Haftung für diese nicht denkbar. Ihre Geltendmachung wäre unzulässig, die Haftung somit rechtswidrig begründet. Aus dem Wesen dieser Akzessorietät ergibt sich auch, dass die Haftung – wie der Bf. weiters einzuräumen ist – für mehr nicht besteht und für mehr nicht begründet werden kann, als der Hauptschuldner leisten muss (vgl. ).
Allerdings folgt aus der Akzessorietät der Haftung gerade nicht, dass die im Abgabenfestsetzungsverfahren (bzw. im diesbezüglichen Revisionsverfahren) zu beurteilende Frage, ob die haftungsgegenständlichen Abgaben gegenüber der Hauptschuldnerin zu Recht festgesetzt wurden, auch im Haftungsverfahren von Bedeutung wäre. Die Geltendmachung der Haftung setzt zwar das Bestehen einer Abgabenschuld voraus, nicht jedoch, dass diese Schuld dem Abgabenschuldner gegenüber (rechtskräftig) geltend gemacht wurde. Abgabenrechtliche Haftungen haben nämlich keinen bescheidakzessorischen Charakter, was aus § 224 Abs. 1 BAO folgt, der die erstmalige Geltendmachung eines Abgabenanspruches anlässlich der Erlassung eines Haftungsbescheides bis zur Verjährung des Rechtes zur Festsetzung der Abgabe zulässt (vgl. ; ; ).
Feststellungen darüber, ob der einer Haftungsinanspruchnahme zugrunde liegende Abgabenanspruch besteht, bedarf es nur dann, wenn der Haftungsschuldner Einwendungen gegen den Abgabenanspruch erhebt. Im vorliegenden Beschwerdefall mag es indessen dahingestellt bleiben, ob die Bf. im Haftungsverfahren derartige Einwendungen erhoben hat. Ist nämlich – wie in der Beschwerdevorentscheidung zutreffend festgestellt wurde – dem Haftungsbescheid ein an den Abgabepflichtigen ergangener Abgabenbescheid vorangegangen, ist die Behörde daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an diesen Abgabenbescheid zu halten. Durch § 248 BAO ist dem Haftenden ein Rechtszug gegen den Abgabenbescheid eingeräumt. Nur wenn der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung kein Abgabenbescheid vorangegangen ist, gibt es eine solche Bindung nicht. Nur in einem solchen Fall ist die Frage, ob ein Abgabenanspruch gegeben ist, als Vorfrage im Haftungsverfahren von dem für die Entscheidung über die Haftung zuständigen Organ zu entscheiden (vgl. z. B. 20099/16/0260; ).
Da im Beschwerdefall der Haftungsinanspruchnahme der Bf. Abgabenfestsetzungen gegenüber der erstschuldnerischen GmbH (mit Umsatzsteuerbescheiden 2003, 2004, 2005 und 1/2006 vom ) vorangegangen sind, besteht im Haftungsverfahren eine Bindungswirkung im beschriebenen Sinn.
Aus der Sicht des §271 BAO ist es daher unerheblich, dass die K-GmbH gegen das eingangs angeführte Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben hat, weil die Frage, ob und in welcher Höhe ein Abgabenanspruch objektiv gegeben ist, im Haftungsverfahren nicht zu prüfen ist.
2.5. Für die von der Bf. begehrte Aussetzung der Entscheidung sprechen auch keine Billigkeitsgründe, weil sie in der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid auch einen Antrag auf Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO gestellt hat. Somit ist der Rechtsschutz der Bf. gewahrt, weil bis zur Erledigung dieses Antrages Einbringungsmaßnahmen betreffend die haftungsgegenständlichen Abgaben weder eingeleitet noch fortgesetzt werden dürfen (§ 230 Abs. 6 BAO), die Einbringung somit gehemmt ist. Im Fall der positiven Erledigung dieses Aussetzungsantrages besteht bis zur Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes über die Beschwerde im Haftungsverfahren ein Zahlungsaufschub (§ 212a Abs. 5 lit. b BAO).
2.6. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Standpunkt der Bf., das Finanzamt habe das Ermessen unrichtig ausgeübt, aus den dargelegten Gründen nicht berechtigt ist. Somit war die Beschwerde abzuweisen.
2.7. Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen waren.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 271 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 224 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 248 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 212a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 230 Abs. 6 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2016:RV.3101021.2016 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at