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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.10.2015, RV/7105477/2014

Türkischer Staatsangehöriger - Geltung des ARB 3/80

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache Bf, über die Beschwerde gegen den Bescheid des Finanzamt Wien 2/20/21/22 vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe (Zeitraum 07/2009 - 05/2013) zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung aufgehoben.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist türkischer Staats­angehöriger. Er beantragte beim Finanzamt am mit Formular Beih 1 die Zuerkennung der Familienbeihilfe für seinen Sohn S (geboren am xx .6.2009 in Wien, türkischer Staats­angehöriger) ab Juli 2009.

Der Bf. legte dem Finanzamt neben Geburts­urkunde und Melde­zettel eine Bestätigung des Amtes der Wiener Landes­regierung (MA 35) über die am erfolgte Antrag­stellung auf Erteilung eines Aufenthalts­titels, den Aufenthalts­titel "Rot-Weiß-Rot Karte plus" (gültig vom bis für den Sohn) sowie den Aufenthalts­titel "Dauer­aufenthalt EG" (gültig ab für den Bf.) vor.

Das Finanzamt ersuchte den Bf. in zwei Ergänzungs­ersuchen um Vorlage der Aufenthalts­titel des Sohnes, der Kindes­mutter und des Bf. für den Zeitraum Juli 2009 bis Mai 2013.

Am wurden die Aufenthalts­titel des Bf. und der Kindes­mutter für den betreffenden Zeitraum vorgelegt.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag auf Familienbeihilfe für den Zeitraum Juli 2009 bis Mai 2013 mangels Vorliegens eines Aufenthalts­titels für S ab. Gleichzeitig wurde die Familienbeihilfe ab Juni 2013 gewährt.

Gegen den Bescheid vom erhob der Bf. Berufung (nunmehr: Beschwerde), welche vom Finanzamt nach nochmaligem Ersuchen um Vorlage eines Aufenthalts­titels für S mit Beschwerde­vorentscheidung vom abgewiesen wurde.

Gegen die Beschwerde­vorentscheidung brachte der Bf. einen Vorlageantrag ein.

Das Finanzamt legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor und führte im Vorlage­bericht in seiner Stellung­nahme zur Beschwerde Folgendes aus:

Nach dem Versicherungs­daten­auszug sei der Bf. im Beschwerde­zeitraum in Österreich laufend nichtselbständig tätig gewesen. Anlässlich einer persönlichen Vorsprache der Familie am habe anhand der Reise­pässe festgestellt werden können, dass sich die Familie ständig in Österreich aufgehalten habe. Da der Bf. in Österreich laufend nichtselbständig tätig gewesen sei, komme Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80, betreffend die Gleich­stellung türkischer Staats­angehöriger mit österreichischen Staats­angehörigen, zur Anwendung. Der Beschwerde wäre daher statt­zu­geben.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Gemäß § 3 Abs. 1 FLAG 1967 haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Gemäß § 3 Abs. 2 FLAG 1967 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Der Verwaltungsgerichtshof führt in seinem Erkenntnis vom , 2009/16/0179, Folgendes aus:

Art. 39 des Protokolls vom zum Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der (damaligen) Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom (im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom , ABlEG 1964, Nr. 217) lautet:

"Art. 39 (1) Der Assoziationsrat erlässt vor dem Ende des ersten Jahres nach Inkrafttreten dieses Protokolls Bestimmungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit, die von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu- oder abwandern, sowie für deren in der Gemeinschaft wohnende Familien.

(2) Diese Bestimmungen müssen ...

(3) Die genannten Bestimmungen müssen die Zahlung der Familienzulagen für den Fall sicherstellen, dass die Familie des Arbeitnehmers in der Gemeinschaft wohnhaft ist.

..."

Gestützt auf Art. 39 des Protokolls erließ der durch das Abkommen geschaffene Assoziationsrat am den Beschluss Nr. 3/80 (im Folgenden: ARB 3/80). Nach Art. 1 ARB 3/80 hat für die Anwendung dieses Beschlusses der Ausdruck Familienbeihilfen die Bedeutung, wie er in Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates definiert ist. Weiters bezeichnet der Ausdruck "Arbeitnehmer" u.a. jede Person, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist.

Der ARB 3/80 gilt nach seinem Art. 2 für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, und die türkische Staatsangehörige sind, und für die Familienangehörigen dieser Arbeitnehmer, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen.

Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 lautet:

"Art. 3 Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die dieser Beschluss gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staats, soweit dieser Beschluss nichts anderes bestimmt."

Art. 4 Abs. 1 ARB 3/80 lautet:

"(1) Dieser Beschluss gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

...

h) Familienleistungen."

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , 2009/16/0179 (mwN), weiters ausführt, kommt Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 unmittelbare Wirkung in den Mitglied­staaten zu; er ist somit unmittelbar anwendbar. Für den persönlichen Anwendungs­bereich des ARB 3/80 ist es ohne Belang, ob der türkische Staatsangehörige als Wanderarbeitnehmer nach Österreich eingereist ist oder aus anderen Gründen. Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 verdrängt insoweit § 3 Abs. 1 und 2 FLAG 1967 und stellt die dort genannten Personen österreichischen Staatsbürgern gleich (vgl. auch ).

Da der Bf. türkischer Staats­angehöriger ist und im Streitzeitraum in Österreich aufgrund seiner nichtselbständigen Beschäftigung in der Sozialversicherung zumindest gegen ein Risiko pflichtversichert war, ist ARB 3/80 anwendbar.

Der Beschwerde war daher Folge zu geben.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Recht­sprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor, da die gegenständliche Rechts­frage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, von der die Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes nicht abweicht, bereits geklärt ist.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2015:RV.7105477.2014

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at