Türkischer Staatsangehöriger - Geltung des ARB 3/80
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache Bf, über die Beschwerde gegen den Bescheid des Finanzamt Wien 2/20/21/22 vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe (Zeitraum 07/2009 - 05/2013) zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung aufgehoben.
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.
Entscheidungsgründe
Der Beschwerdeführer (Bf.) ist türkischer Staatsangehöriger. Er beantragte beim Finanzamt am mit Formular Beih 1 die Zuerkennung der Familienbeihilfe für seinen Sohn S (geboren am xx .6.2009 in Wien, türkischer Staatsangehöriger) ab Juli 2009.
Der Bf. legte dem Finanzamt neben Geburtsurkunde und Meldezettel eine Bestätigung des Amtes der Wiener Landesregierung (MA 35) über die am erfolgte Antragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, den Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot Karte plus" (gültig vom bis für den Sohn) sowie den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt EG" (gültig ab für den Bf.) vor.
Das Finanzamt ersuchte den Bf. in zwei Ergänzungsersuchen um Vorlage der Aufenthaltstitel des Sohnes, der Kindesmutter und des Bf. für den Zeitraum Juli 2009 bis Mai 2013.
Am wurden die Aufenthaltstitel des Bf. und der Kindesmutter für den betreffenden Zeitraum vorgelegt.
Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag auf Familienbeihilfe für den Zeitraum Juli 2009 bis Mai 2013 mangels Vorliegens eines Aufenthaltstitels für S ab. Gleichzeitig wurde die Familienbeihilfe ab Juni 2013 gewährt.
Gegen den Bescheid vom erhob der Bf. Berufung (nunmehr: Beschwerde), welche vom Finanzamt nach nochmaligem Ersuchen um Vorlage eines Aufenthaltstitels für S mit Beschwerdevorentscheidung vom abgewiesen wurde.
Gegen die Beschwerdevorentscheidung brachte der Bf. einen Vorlageantrag ein.
Das Finanzamt legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor und führte im Vorlagebericht in seiner Stellungnahme zur Beschwerde Folgendes aus:
Nach dem Versicherungsdatenauszug sei der Bf. im Beschwerdezeitraum in Österreich laufend nichtselbständig tätig gewesen. Anlässlich einer persönlichen Vorsprache der Familie am habe anhand der Reisepässe festgestellt werden können, dass sich die Familie ständig in Österreich aufgehalten habe. Da der Bf. in Österreich laufend nichtselbständig tätig gewesen sei, komme Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80, betreffend die Gleichstellung türkischer Staatsangehöriger mit österreichischen Staatsangehörigen, zur Anwendung. Der Beschwerde wäre daher stattzugeben.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.
Gemäß § 3 Abs. 1 FLAG 1967 haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten.
Gemäß § 3 Abs. 2 FLAG 1967 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtmäßig in Österreich aufhalten.
Der Verwaltungsgerichtshof führt in seinem Erkenntnis vom , 2009/16/0179, Folgendes aus:
Art. 39 des Protokolls vom zum Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der (damaligen) Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom (im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom , ABlEG 1964, Nr. 217) lautet:
"Art. 39 (1) Der Assoziationsrat erlässt vor dem Ende des ersten Jahres nach Inkrafttreten dieses Protokolls Bestimmungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit, die von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu- oder abwandern, sowie für deren in der Gemeinschaft wohnende Familien.
(2) Diese Bestimmungen müssen ...
(3) Die genannten Bestimmungen müssen die Zahlung der Familienzulagen für den Fall sicherstellen, dass die Familie des Arbeitnehmers in der Gemeinschaft wohnhaft ist.
..."
Gestützt auf Art. 39 des Protokolls erließ der durch das Abkommen geschaffene Assoziationsrat am den Beschluss Nr. 3/80 (im Folgenden: ARB 3/80). Nach Art. 1 ARB 3/80 hat für die Anwendung dieses Beschlusses der Ausdruck Familienbeihilfen die Bedeutung, wie er in Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates definiert ist. Weiters bezeichnet der Ausdruck "Arbeitnehmer" u.a. jede Person, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist.
Der ARB 3/80 gilt nach seinem Art. 2 für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, und die türkische Staatsangehörige sind, und für die Familienangehörigen dieser Arbeitnehmer, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen.
Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 lautet:
"Art. 3 Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die dieser Beschluss gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staats, soweit dieser Beschluss nichts anderes bestimmt."
Art. 4 Abs. 1 ARB 3/80 lautet:
"(1) Dieser Beschluss gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:
...
h) Familienleistungen."
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , 2009/16/0179 (mwN), weiters ausführt, kommt Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten zu; er ist somit unmittelbar anwendbar. Für den persönlichen Anwendungsbereich des ARB 3/80 ist es ohne Belang, ob der türkische Staatsangehörige als Wanderarbeitnehmer nach Österreich eingereist ist oder aus anderen Gründen. Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 verdrängt insoweit § 3 Abs. 1 und 2 FLAG 1967 und stellt die dort genannten Personen österreichischen Staatsbürgern gleich (vgl. auch ).
Da der Bf. türkischer Staatsangehöriger ist und im Streitzeitraum in Österreich aufgrund seiner nichtselbständigen Beschäftigung in der Sozialversicherung zumindest gegen ein Risiko pflichtversichert war, ist ARB 3/80 anwendbar.
Der Beschwerde war daher Folge zu geben.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor, da die gegenständliche Rechtsfrage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, von der die Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes nicht abweicht, bereits geklärt ist.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 3 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 3 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2015:RV.7105477.2014 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at