Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 01.09.2015, RV/7101658/2013

Haftungsbescheid erst neun Jahre nach beabsichtigter Inanspruchnahme zur Haftung erlassen, keine unangemessen lange Ausdehnung der Beweisvorsorgepflicht des potentiell Haftungspflichtigen nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter M. in der Beschwerdesache K., Wien, vertreten durch Dr. Franz Burkert & Michael Hanson Steuerberatungs KG, Praterstraße 33, 1020 Wien, über die Beschwerde des Haftungspflichtigen vom gegen den Haftungsbescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom wurde Herr K. (in weiterer Folge: Bf.) als Haftungspflichtiger gemäß § 9 iVm §§ 80 ff. BAO für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der Firma A-GmbH , Wien2 , im Betrag von € 717.033,35 in Anspruch genommen und aufgefordert, diesen Betrag innerhalb eines Monats ab Zustellung dieses Bescheides zu entrichten.

Bei den Abgabenschuldigkeiten handelt es sich um Körperschaftsteuer 1994, 1997, 7-9/2001, 2002, 01/2002 - 06/2003, 01-06/2004, 01/09/2005, 01-12/2005, 2005; Umsatzsteuer 1997 bis 2000, 2002, 02,04-07, 12/2002, 04/2003, 02/2004, 09/2005, 2004, 02/2006, 2005 und 2006, KU 01-03/2002, SA 03/2002 sowie KR 01-12/2000 und 01 - 03/2002 laut Rückstandsausweis vom im Gesamtb etrag von € 717.033,35.

Als Begründung wurde Folgendes ausgeführt:

"Die Geltendmachung der Haftung liegt im Ermessen der Abgabenbehörde, das sich innerhalb der vom Gesetz aufgezeigten Grenzen (§ 20 BAO) zu halten hat. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben mit allen gesetzlich vorgesehenen Mitteln und Möglichkeiten" beizumessen.

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung und wird subsidiär geltend gemacht unter der Voraussetzung der objektiven Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden.

Der Bf. war vom bis zur Firmenbuchlöschung eingetragener handelsrechtlicher Geschäftsführer der Firma A-GmbH ( FN ). Sie waren somit mit der Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten betraut.

Schuldhafte Verletzungen abgabenrechtlicher Pflichten berechtigen zur Haftungsinanspruchnahme. Die Haftungsinanspruchnahme setzt eine Kausalität zwischen schuldhafter Pflichtverletzung und Abgabenausfall voraus. Zu den abgabenrechtlichen Pflichten gehören vor allem die Abgabenentrichtung aus den Mitteln, die der Vertreter verwaltet, die Führung gesetzmäßiger Aufzeichnungen, die zeitgerechte Einreichung von Abgabenerklärungen und die Offenlegungs- und Wahrheitspflicht. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgaben rechtlicher Pflichten unmöglich war, widrigenfalls angenommen wird, dass die Pflichtverletzung schuldhaft war.

Hinsichtlich der Heranziehung für aushaftende Umsatzsteuer ist Folgendes festzuhalten: Gemäß § 21 Abs. 1 UStG 94 hat der Unternehmer spätestens am 15. Tag (Fälligkeitstag) des auf den Kalendermonat (Voranmeldungszeitraum) zweitfolgenden Kalendermonats eine Voranmeldung bei dem für die Einhebung der Umsatzsteuer zuständigen Finanzamt einzureichen, in der er die für den Voranmeldungszeitraum zu entrichtende Steuer (Vorauszahlung) oder den auf den Voranmeldungszeitraum entfallenden Überschuss unter entsprechender Anwendung des § 20 Abs. 1 und Abs. 2 und des § 16 UStG selbst zu berechnen hat. Der Unternehmer hat eine sich ergebene Vorauszahlung spätestens am Fälligkeitstag zu entrichten. Für folgende Zeiträume – siehe Haftungsbescheid – wurde die Umsatzsteuer gemeldet bzw. rechtskräftig veranlagt, jedoch nicht entrichtet.

Der Geschäftsführer haftet auch dann für die nicht entrichteten Abgaben der Gesellschaft, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung standen, hiezu nicht ausreichen, es sei denn, er weist nach, dass er diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet, die Abgabenschulden daher im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als andere Verbindlichkeiten.

Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz gelten für Abfuhrabgaben, insbesondere für Lohnsteuer. Nach § 78 Abs. 3 EStG 1988 hat der Arbeitgeber, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes ausreichen, die Lohnsteuer von dem tatsächlichen zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen, einzubehalten und abzuführen. Eine solche Ausnahme besteht auch für die Kapitalertragssteuer.

Es wird auf die Bestimmungen des § 7 Abs. 2 BAO verwiesen, wonach sich persönliche Haftungen auf Nebenansprüche erstrecken."

In der dagegen fristgerecht eingebrachten Berufung vom wird der Haftungsbescheid mit der Begründung angefochten, dass der Großteil, der vom Haftungsbescheid umfassten Abgaben die Zeiträume 1994 bis 2000 betreffe. Weder für diese Zeiträume noch für die danach liegenden Zeiträume seien der Bf. oder der steuerliche Vertreter als ehemaliger steuerlichen Vertreter der A-GmbH irgendwelche Unterbrechungshandlungen bekannt, sodass laut Rechtsansicht des steuerlichen Vertreters das Recht auf Erlassung eines Haftungsbescheides gegen den Bf. gemäß § 238 BAO verjährt sei.

"1.) Sollte entgegen des derzeitigen Wissensstandes Unterbrechungshandlungen von Seiten der Abgabenbehörde gesetzt worden sein, so ersuchen wir um entsprechenden Nachweis dieser Unterbrechungshandlungen.

2.) Für den Fall, dass es Unterbrechungshandlungen gegeben haben sollte- wovon wir jedoch nicht ausgehen - bringen wir vorsorglich vor, dass ein Großteil der offenen Abgabenverbindlichkeiten auf eine Betriebsprüfung zurückgeht, die mittels Berufung bekämpft wurde und im Zeitpunkt der negativen Berufungsentscheidung keine Geldmittel mehr vorhanden waren diese zu bezahlen, sodass keine Gläubigerbevorzugung stattgefunden hat und somit keine rechtliche Grundlage gegeben ist eine persönliche Haftung gegen den Geschäftsführer geltend zu machen.

Wir beantragen somit, den Haftungsbescheid vom ersatzlos aufzuheben.

Mit Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.

Als Begründung wurde ausgeführt, dass "im Jahre 2000 bei o.a. GmbH eine Betriebsprüfung gemäß § 150 BAO betreffend Umsatzsteuer/ Körperschaftsteuer, Kapitalertragsteuer und Kraftfahrzeugsteuer für den Zeitraum 1994 - 1996 und im Jahre 2002 eine Betriebsprüfung gemäß § 150 BAO betreffend Umsatzsteuer/ Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer für den Zeitraum 1997 – 1999 durchgeführt wurde.

Nach Berufung gegen den Bescheid Körperschaftsteuer 1994 wurde diese am seitens Berufungssenats als Organ der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgendland als unbegründet abgewiesen. Gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion wurde beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerde eingereicht, welche wiederum am als unbegründet abgewiesen wurde.

Wenn nun der Berufungswerber damit argumentiert, dass ein Großteil der offenen Abgabenverbindlichkeiten, die nun mit Haftungsbescheid geltend gemacht wurden, auf die Körperschaftsteuer 1994 zurückzuführen ist, die mittels Berufung bekämpft wurde und im Zeitpunkt der negativen Entscheidung keine Geldmittel mehr vorhanden waren um diese zu bezahlen, sodass keine Gläubigerbevorzugung stattgefunden habe und somit keine rechtliche Grundlage gegeben sei um eine persönliche Haftung gegen den ehemaligen Geschäftsführer geltend zu machen, sei hier ausgeführt, dass der Berufungswerber nicht darauf vertrauen konnte, dass der Verwaltungsgerichtshof im positiven Sinne für die damalige Beschwerdeführerin (A-GmbH) entscheiden würde sondern die Beschwerde als unbegründet abweisen würde.

Auch ist im Rahmen der Ermessensübung zu berücksichtigen, dass im Zeitraum der Tätigkeit des Berufungswerbers ein beträchtlicher Abgabenrückstand auf dem Abgabenkonto angewachsen ist und der Berufungswerber die Möglichkeit gehabt hätte, zeitnah entsprechende Maßnahmen zur Vermeidung der Haftungsfolgen zu setzen.

Gemäß § 238 Abs.1 BAO verjährt das Recht eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe. § 209a gilt sinngemäß.

(2) Die Verjährung fälliger Abgaben wird durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung, wie durch Mahnung, durch Vollstreckungsmaßnahmen, durch Bewilligung einer Zahlungserleichterung oder durch Erlassung eines Haftungsbescheides unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen.

(3) Die Verjährung ist gehemmt, solange a) die Einhebung oder zwangsweise Einbringung einer Abgabe innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist wegen höherer Gewalt nicht möglich ist, oder b) die Einhebung einer Abgabe ausgesetzt ist, oder c) einer Beschwerde gemäß § 30 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 oder § 85 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 aufschiebende Wirkung zuerkannt ist.

Besteht die Unterbrechungshandlung in länger währenden Maßnahmen (zum Bsp. Erhebungen, Ermittlungen, in einer abgabenbehördlichen Prüfung oder Nachschau), so löst bereits der Beginn der Amtshandlung die Unterbrechung der Einhebungsverjährung aus.

Das Erfordernis der Außenwirkung von Einhebungs- und Einbringungsmaßnahmen ist erfüllt, wenn das Verwaltungshandeln über den Bereich der Behörde hinausgetreten ist und im Außenbereich objektiv erkennbar geworden ist. Schriftliche Veraltungsakte müssten den Behördenbereich verlassen haben. Soweit diese in schriftlichen an den Abgabenpflichtigen gerichteten Erledigungen bestehen (Aufforderungen, Mitteilungen, Bescheide), müssten diese dem Adressaten zur Kenntnis gelangen. Für die Unterbrechungswirkung anderer (als an den Abgabenpflichtigen gerichteter schriftlicher) Verwaltungsakte (Anfragen, Auskunftsersuchen an Dritte oder Erhebungen) wird nicht gefordert, dass diese dem Abgabepflichtigen zur Kenntnis gelangen (VwGH 28.5.19861 84/13/246).

Wenn der Berufungswerber nun argumentiert, dass das Recht zur Erlassung des Haftungsbescheides – betreffend die Abgaben der Zeiträume 1994 - 2006 – vom gemäß § 238 BAO verjährt sei und dem Berufungswerber keine Unterbrechungshandlungen bekannt waren, wird dem dahingehend widersprochen dass seitens ho. Abgabenbehörde folgenden Maßnahmen gesetzt wurden:

Rückstandsausweis (nach Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes

ZMR Abfrage - unbekannt abgemeldet

ZMR A bfrage: HWS, NWS

Überprüfung der wirtschaftlichen Lage

Hinterlegung Haftungsbescheid"

Mit Eingabe vom wurde der Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz gestellt mit folgender Begründung:

"Wie bereits in der ursprünglichen Berufung ausgeführt, resultiert der überwiegende Teil des Haftungsbetrages aus einer Rechtsfrage betreffend das Jahr 1994, die im Zuge einer Betriebsprüfung im Jahr 2000 hervorgetreten ist. In der Zeit von 1994 bis zum Abschluss der Betriebsprüfung am , war dem Bf. als Geschäftsführer eine Steuerverpflichtung überhaupt nicht bewusst oder bekannt. Im Vertrauen auf die rechtskräftige Veranlagung der Jahre 1994 und 1995 wurden die fraglichen Geldmittel, die Gegenstand der Berufung bzw. nachfolgender Verwaltungsgerichtshofbeschwerde dargestellt haben, in verschiedene Bauprojekte investiert, wobei zur Anschaffung dieser Projekte auch Bankkredite aufgenommen wurden. Die finanzierenden Banken haben sich - wie auch damals schon üblich - die diesbezüglichen Grundstücke verpfänden lassen, sodass eine freie Dispositionsmöglichkeit nicht gegeben war.

Nachdem die Banken von der Steuernachforderung Kenntnis erlangt haben, wurden die Kredite schlussendlich fällig gestellt, was zum Konkurs der Firma A-GmbH geführt hat.

In der Zeit von 1994 bis September 2000 war überhaupt keine Veranlassung gegeben, Vorsorgen für eine nichtbekannte Steuernachforderung zu treffen, ab Bekanntwerden der Nachforderung gab es jedoch auch keine Möglichkeit eine Vorsorge zu treffen, da das Vermögen entsprechend verpfändet war.

Bedenkt man die Zeitspanne zwischen entstehen des Abgabenanspruches und der Zeit bis zum Ergehen der VwGH-Entscheidung einerseits und der Erlassung des Haftungsbescheides, welcher 18 Jahre (!) nach Entstehen des Abgabenanspruches erlassen wurde, so erkennt man die Unmöglichkeit des Abgabepflichtigen mittels Unterlagen diesbezügliche Nachweise zu führen. Abgesehen vom Umstand, dass infolge des Konkurses der Masseverwalter sämtliche Unterlagen bereits vernichtet hat, sind für sämtliche fraglichen Zeiträume die gesetzlichen Aufbewahrungsfristen abgelaufen.

Wir vertreten den Rechtsstandpunkt, dass infolge der Säumigkeit der Behörde dem Haftungspflichtigen sämtliche Möglichkeiten einer ordnungsgemäßen Verteidigung genommen wurden und daher der Haftungsbescheid rechtswidrig ist.

Wir wiederholen unser ursprüngliches Berufungsbegehren auf ersatzlose Aufhebung des Haftungsbescheides.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Übergangsregelung, Rechtslage:

Gemäß § 323 Abs. 38 BAO sind die am bei dem unabhängigen Finanzsenat anhängigen Berufungen vom Bundesfinanzgericht als Beschwerden im Sinn des Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen.

Mit der Einführung des Bundesfinanzgerichtes haben sich auch diverse Bezeichnungen geändert. So wurde das frühere Rechtsmittel der Berufung ab zur Beschwerde. Die Ausdrücke werden in weiterer Folge jeweils angepasst.

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

§ 132 Abs. 1 BAO: Bücher und Aufzeichnungen sowie die zu den Büchern und Aufzeichnungen gehörigen Belege sind sieben Jahre aufzubewahren; darüber hinaus sind sie noch so lange aufzubewahren, als sie für die Abgabenerhebung betreffende anhängige Verfahren von Bedeutung sind, in denen diejenigen Parteistellung haben, für die auf Grund von Abgabenvorschriften die Bücher und Aufzeichnungen zu führen waren oder für die ohne gesetzliche Verpflichtung Bücher geführt wurden. Soweit Geschäftspapiere und sonstige Unterlagen für die Abgabenerhebung von Bedeutung sind, sollen sie sieben Jahre aufbewahrt werden. Diese Fristen laufen für die Bücher und die Aufzeichnungen vom Schluß des Kalenderjahres, für das die Eintragungen in die Bücher oder Aufzeichnungen vorgenommen worden sind, und für die Belege, Geschäftspapiere und sonstigen Unterlagen vom Schluß des Kalenderjahres, auf das sie sich beziehen; bei einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr laufen die Fristen vom Schluß des Kalenderjahres, in dem das Wirtschaftsjahr endet.

§ 238 Abs. 1 BAO: Das Recht eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, verjährt binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe. § 209a gilt sinngemäß.

§ 238 Abs. 2 BAO: Die Verjährung fälliger Abgaben wird durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung, wie durch Mahnung, durch Vollstreckungsmaßnahmen, durch Bewilligung einer Zahlungserleichterung oder durch Erlassung eines Haftungsbescheides unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen.

Insolvenzverfahren:

Die Haftung nach § 9 Abs. 1 BAO ist eine Ausfallshaftung (). Voraussetzung ist die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden (). Uneinbringlichkeit liegt vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären ().

Im gegenständlichen Fall steht die Uneinbringlichkeit der im Haftungsbescheid dargestellten Abgaben fest, da die Firma A-GmbH amtswegig im Firmenbuch am 09/05 gelöscht wurde.

Über den Bf. persönlich wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes vom zur AZ das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet, mit Beschluss vom der Antrag auf Einleitung des Abschöpfungsverfahren abgewiesen und mit weiterem Beschluss vom das Insolvenzverfahren mangels Vermögens gemäß § 123a Insolvenzordnung aufgehoben.

Verjährung:

§ 238 BAO regelt die - für die Erlassung eines Haftungsbescheides relevante - Verjährung fälliger Abgaben. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung verjährt das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe ().

Zu den Voraussetzungen einer wirksamen Unterbrechungshandlung im Sinne des § 238 Abs. 2 BAO zählt, dass sie nach außen in Erscheinung tritt und erkennbar den Zweck verfolgt, den Anspruch gegen einen bestimmten Abgabenschuldner durchzusetzen, ohne dass es darauf ankommt, ob die Amtshandlung zur Erreichung des angestrebten Erfolges konkret geeignet ist und ob der Abgabenschuldner von der Amtshandlung Kenntnis erlangte (vgl. z.B. Ritz, BAO5, § 238 Tz 12, mit Hinweisen auf die hg. ständige Judikatur; ; ).

Im Erkenntnis eines verstärkten Senates () hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass die Zulässigkeit der Erlassung eines Haftungsbescheides verjährungsrechtlich im Lichte der Bestimmung des § 238 Abs. 1 BAO ausschließlich daran zu messen sei, ob diese Einhebungsmaßnahme innerhalb der in § 238 Abs. 1 BAO geregelten, allenfalls durch - gegen wen immer "gerichtete" - Amtshandlungen im Sinne des § 238 Abs. 2 BAO unterbrochenen Einhebungsfrist gesetzt worden ist. Gleichzeitig hat der Verwaltungsgerichtshof aber betont, dass es umso wichtigere Obliegenheit der behördlichen Ermessensübung bleibe, den jeweiligen Umständen des Einzelfalles in der gebotenen Weise Rechnung zu tragen und aus dieser Beurteilung der Rechtslage, zumal auch hinsichtlich des Elementes der Zumutbarkeit der Heranziehung eines Haftungspflichtigen angesichts lange verstrichener Zeit, resultierende Unbilligkeiten hintanzuhalten (in diesem Sinne auch ).

In diesem Erkenntnis des verstärkten Senates hat der Verwaltungsgerichtshof sodann für den damals zu beurteilenden Bereich der Einhebungsverjährung die anspruchsbezogene Wirkung von Unterbrechungshandlungen als dem Gesetz entsprechend angesehen. Wenn schon, wie dies im Erkenntnis des verstärkten Senates ausgesprochen wird, jede Amtshandlung nach § 238 Abs. 2 BAO die Verjährung des in § 238 Abs. 1 BAO genannten Rechtes gegenüber jedem unterbricht, der als Zahlungspflichtiger in Betracht kommt, gilt dies im Hinblick auf § 224 Abs. 3 und § 238 Abs. 1 BAO entsprechend auch für Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches iSd § 209 Abs. 1 BAO ().

Aus dem Akt ergibt sich, dass der Bf. mit Schreiben des Finanzamtes vom  zur Beweiserbringung im Haftungsverfahren aufgefordert wurde.

Laut daraufhin eingebrachter Stellungnahme des Bf. vom hat die Bank diverse Kredite der Primärschuldnerin fällig gestellt und ihm ab September 2002 jegliche Verfügungsmacht über die Einnahmen der Primärschuldnerin entzogen, indem durch die Bank eine Zwangsverwaltung veranlasst wurde. Demnach hat auch die Bank die Unterlagen zur Erstellung entsprechender Meldungen an den damaligen Steuerberater weitergeleitet.

Einem Aktenvermerk des Finanzamtes vom ist zu entnehmen, dass der Bf. "keinen Zugang zu den Firmenunterlagen hat, da alles von der Bank verwaltet wird".

Zur Prüfung der allfälligen Verjährung wurde vom Finanzamt eine Aufstellung der vorgenommenen Unterbrechungshandlungen übermittelt, aus der hervorgeht, dass nach dem Stundungsansuchen des Bf. vom betreffend Körperschaftsteuer 1994 von € 536.577,54 wegen des anhängigen VwGH-Verfahrens eine entsprechende Bewilligung für sechs Monate erteilt wurde.

In der Folge wurden vom Finanzamt am , , , und  wiederholt Abfragen beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger, Abfragen aus dem Zentralen Melderegister, der Grundstücksdatenbank und/oder dem Firmenbuch getätigt.

Dazu ist festzuhalten, dass eine vom Finanzamt beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger getätigte EDV-Abfrage eine taugliche Unterbrechungshandlung im Sinne des § 238 Abs. 2 BAO darstellt (vgl. -G/10; -I/10; ). Gleiches gilt auch für Abfragen beim Zentralen Melderegister bzw. dem Firmenbuch.

Die Einhebung der haftungsgegenständlichen Abgaben ist daher im Gegensatz zur Rechtsansicht des Bf. gemäß § 238 BAO nicht verjährt.

Liquiditätsrechnung, Aufbewahrungsfrist :

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung im Sinn des § 9 Abs. 1 BAO annehmen darf. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war ().

Der Vertreter hat den Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, zu erbringen. Vermag er nachzuweisen, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, so haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und der tatsächlich erfolgten Zahlung. Wird dieser Nachweis nicht angetreten, kann dem Vertreter die uneinbringliche Abgabe zur Gänze vorgeschrieben werden. Dem Vertreter obliegt es auch, entsprechende Beweisvorsorgen - etwa durch Erstellung und Aufbewahrung von Ausdrucken - zu treffen. Wie der Verwaltungsgerichtshof etwa in den Erkenntnissen vom , Zl. 2008/15/0220 und Zl. 2008/15/0263, ausgeführt hat, ist es dem Vertreter, der fällige Abgaben der Gesellschaft nicht oder nicht zur Gänze entrichten kann, schon im Hinblick auf seine mögliche Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger zumutbar, sich - spätestens dann, wenn im Zeitpunkt der Beendigung der Vertretungstätigkeit fällige Abgabenschulden unberichtigt aushaften - jene Informationen zu sichern, die ihm im Falle der Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger die Erfüllung der Darlegungspflicht im oben beschriebenen Sinn ermöglichen. Diese Darlegungspflicht trifft nämlich auch solche Haftungspflichtige, die im Zeitpunkt der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Gesellschaft nicht mehr deren Vertreter sind (vgl. ebenfalls ).

Ein Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlichen Gläubiger – bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits – an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliegt dem Vertreter ().

Festgehalten wird, dass ein entsprechender Liquiditätsstatus nicht vorgelegt wurde, der Bf. vielmehr darauf hingewiesen hat, dass er keine Unterlagen mehr zur Verfügung hatte

Der Bf. führt im Vorlageantrag weiters aus, dass zwischen Entstehen des Abgabenanspruches und der Zeit bis zur Erlassung des Haftungsbescheides eine Zeitspanne von teilweise 18 Jahre (!) nach Entstehen des Abgabenanspruches besteht und verweist auf die Unmöglichkeit des Abgabepflichtigen, mittels Unterlagen diesbezügliche Nachweise zu führen, zumal infolge des Konkurses der Masseverwalter sämtliche Unterlagen bereits vernichtet hat und für sämtliche fraglichen Zeiträume die gesetzlichen Aufbewahrungsfristen abgelaufen sind.

Gemäß § 132 Abs. 1 BAO sind Bücher und Aufzeichnungen sowie die zu den Büchern und Aufzeichnungen gehörigen Belege sieben Jahre aufzubewahren.

Die Aufbewahrungsfrist beginnt für Bücher und Aufzeichnungen mit Schluss des Kalenderjahres, für das die Eintragungen vorgenommen worden sind bzw. für Belege, Geschäftspapiere und sonstige Unterlagen vom Schluss des Kalenderjahres, auf das sie sich beziehen.

Die Aufbewahrungsfrist verlängert sich für Bücher, Aufzeichnungen und hiezu gehörige Belege, solange die Unterlagen für (am Ende der Siebenjahresfrist anhängige) Verfahren, die die Abgabenerhebung betreffen, von Bedeutung sind, wenn in solchen Verfahren diejenigen Parteistellung haben, für die auf Grund von Abgabenvorschriften (z.B. § 125 BAO, § 76 EStG 1988, § 18 Abs. 1 UStG 1994) die Bücher bzw. Aufzeichnungen zu führen waren oder ohne gesetzliche Verpflichtung Bücher geführt wurden.

Die Verlängerung der Aufbewahrungsfrist stellt zwar nicht auf die subjektive Kenntnis von der Anhängigkeit des Verfahrens ab. Jedoch wird die Partei meist hievon Kenntnis haben (Ritz, BAO, 5. Aufl. 2014, § 132 RZ 7).

Im gegenständlichen Fall wurde dem Bf. mit Schreiben des Finanzamtes vom  in Aussicht gestellt, ihn zur Haftung gemäß § 9 BAO heranzuziehen, es sei denn er könnte beweisen, dass er ohne sein Verschulden daran gehindert war, für die Einrichtung der Abgaben Sorge zu tragen. 

Damit hatte der Bf. zwar Kenntnis darüber, dass das Finanzamt ihn zur Haftung heranziehen würde, wenn er nicht entsprechende B eweise vorlegen könnte.

In der Stellungnahme des Bf. vom wurde auf die Zwangsverwaltung durch die Bank hingewiesen und mitgeteilt, dass der Bf. seit September 2002 keine Verfügungsmacht über die Einnahmen der Primärschuldnerin mehr hatte und die Bank die Unterlagen zur Erstellung der Umsatzsteuervoranmeldungen an den Steuerberater weitergeleitet hat. Aufgrund gerichtlicher Verfügungen hatte der Bf. keinen Einfluss mehr auf die Primärschuldnerin gehabt.

Laut Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes obliegt es dem Vertreter auch, entsprechende Beweisvorsorgen – etwa durch das Erstellen und Aufbewahren von Ausdrucken – zu treffen. Dem Vertreter, der fällige Abgaben der Gesellschaft nicht oder nicht zur Gänze entrichten kann, ist schon im Hinblick auf seine mögliche Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger zumutbar, jene Informationen zu sichern, die ihm im Fall der Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger die Erfüllung der Darlegungspflicht im oben beschriebenen Sinn ermöglichen ().

Nachdem das Finanzamt nach Einlangen der Stellungnahme des Bf. vom und auch nach amtswegiger Löschung der Primärschuldnerin im Firmenbuch am 09/05 keine weiteren Schritte gegen den Bf. als möglichem Haftungsschuldner gesetzt hat, kann man die Verlängerung der Aufbewahrungsfrist durch die Pflicht auf entsprechende Beweisvorsorge aufgrund des anhängigen Verfahrens nicht unbegrenzt ausdehnen. Eine Verlängerung der Aufbewahrungsfrist für weitere neun Jahre nach Erstattung einer Stellungnahme im möglichen Haftungsverfahren kann einem Haftungspflichtigen nicht zugemutet werden, zumal das Finanzamt - zumindest aktenkundig - auf diese Stellungnahme in angemessener Zeit nicht reagiert oder einen Haftungsbescheid erlassen hat. Vielmehr konnte der Bf. nach seiner Stellungnahme damit rechnen, dass - sollte das Finanzamt seinen Argumenten nicht folgen - in angemessener Frist der angekündigte Haftungsbescheid erlassen worden wäre.

Da von einem potentiell Haftungspflichtigen nach Ablauf der siebenjährigen Aufbewahrungspflicht im Falle einer späten Haftungsinanspruchnahme kein Nachweis für die Gleichbehandlung der Verbindlichkeiten gefordert werden kann (vgl. ), kann auch im Falle einer als Folge der Beweisvorsorgepflicht verlängerten Aufbewahrungspflicht (vgl. ebenfalls ) nach Ablauf von – wie bereits dargestellt – beinahe weiteren neun Jahren in einem noch anhängigen Haftungsverfahren keine Liquiditätsrechnung mehr verlangt werden . Der Beschwerde war daher schon aus diesem Grund stattzugeben.

Eine Prüfung, ob allenfalls weitere Voraussetzungen für die Geltendmachung einer Haftung gemäß § 9 BAO erfüllt sind, war somit obsolet.

Zur Zulässigkeit einer Revision:

Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf die oben zitierte VwGH-Judikatur wird hingewiesen.

Da eine Rechtsprechung zur Frage, wie lange die Pflicht des potentiell Haftungspflichtigen zur entsprechenden Beweisvorsorge für die mögliche Inanspruchnahme zur Haftung nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist gemäß § 132 Abs. 1 BAO andauert, fehlt, war die Revision insoweit für zulässig zu erklären.

Wien, am

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