OGH vom 28.09.2022, 9ObA65/22g

OGH vom 28.09.2022, 9ObA65/22g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Hon.Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Karin Koller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * S*, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei K* GmbH, *, vertreten durch Mag. Dr. Christian Gepart, Rechtsanwalt in Wien, wegen 666,09 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 10/22z14, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 35 Cga 78/21b9, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 252,31 EUR (darin 42,05 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war vom bis bei der Beklagten als Pflegeassistent tätig. Auf das Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ-KV) anzuwenden. Das Dienstverhältnis wurde von der Beklagten mit Schreiben vom , dem Kläger am zugegangen, zum gekündigt. Die Beklagte zahlte den für das Jahr 2019 gebührenden Urlaubszuschuss im aliquoten Umfang von 1.332,18 EUR brutto aus.

[2] Der Kläger begehrt den Zuspruch von 666,09 EUR brutto sA an restlichem Urlaubszuschuss für das Jahr 2019. Der (gesamte) Urlaubszuschuss sei am fällig gewesen. Die in § 26 Abs 4 SWÖ-KV geregelte aliquote Rückverrechnung sei von der Beendigungsart des Dienstverhältnisses abhängig. Durch die Beendigung des Dienstverhältnisses durch Dienstgeberkündigung sei im gegenständlichen Verfahren gemäß § 26 Abs 4 SWÖ-KV eine Rückzahlungspflicht durch den Arbeitnehmer unzulässig.

[3] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde nach, beantragte Klagsabweisung und berief sich im Wesentlichen auf die kollektivvertragliche Zulässigkeit der aliquoten Auszahlung.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[5] Das Berufungsgericht gab der dagegen gerichteten Berufung des Klägers nicht Folge.

[6] Beide Vorinstanzen führten zusammengefasst aus, dass nach § 26 SWÖ-KV Arbeitnehmer spätestens mit der Juniauszahlung jeden Jahres Ende Juni den Urlaubszuschuss erhielten. Aus der gegenständlichen Bestimmung des SWÖKV ergebe sich jedoch, dass die Aliquotierungsregel in dem Sinn verstanden werden müsse, dass bei Fälligkeit des Urlaubszuschusses zu einem Zeitpunkt, in dem die Beendigung bereits feststehe, nicht mehr der volle Urlaubszuschuss auszuzahlen sei (9 ObA 84/13p): Anders als der Kollektivvertrag Elektro und Elektronikindustrie Arbeiter stelle der SWÖKV nicht auf das Ende des Arbeitsverhältnisses ab. Aus der Verwendung der Formulierung „den während des Jahres ein oder austretenden Arbeitnehmerinnen/Lehrlingen“ resultiere vielmehr, dass auch Arbeitnehmer, die gerade im Ausscheiden seien, davon erfasst sein sollten (versus „ausgetretene“), womit die Entscheidung 8 ObA 44/21k nicht einschlägig sei. Die Rückverrechnungsbestimmung des SWÖ-KV sei nicht entscheidend. Da zum Fälligkeitszeitpunkt des Urlaubszuschusses mit der Juniauszahlung zum Monatsende bereits klar gewesen sei, dass aufgrund der davor ausgesprochenen Arbeitgeberkündigung das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien unterjährig enden werde, habe der Kläger für das Jahr 2019 nur aliquoten Anspruch auf Urlaubszuschuss für den Zeitraum bis , der ihm ohnedies ausbezahlt worden sei.

[7] Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Auslegung der Bestimmung des § 26 SWÖ-KV zu.

[8] In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

[11] Der Kläger beruft sich für seinen Rechtsstandpunkt im Wesentlichen auf den Wortlaut des § 26 Abs 1 und 3 SWÖ-KV. Weiters darauf, dass aufgrund der Arbeitgeberkündigung kein Fall einer anteilsmäßigen Rückverrechnung iSd § 26 Abs 4 SWÖ-KV vorliege (weshalb die Beklagte auch nicht zu einem Einbehalt berechtigt sei) sowie auf die Entscheidung 8 ObA 44/21t.

1. § 26 des Kollektivvertrags der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ-KV) lautet auszugsweise:

§ 26 Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration

„(1) Arbeitnehmerinnen erhalten spätestens mit der Juniauszahlung sowie mit der Novemberauszahlung jeden Jahres eine Sonderzahlung (im Sinne von Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration). Die Sonderzahlungen sind grundsätzlich halbjährlich zur Auszahlung zu bringen. Eine vierteljährliche Fälligkeit/Auszahlung kann mit Betriebsvereinbarung vereinbart werden:

a) Bei vierteljährlicher Auszahlung gebührt bei jeder Auszahlung jeweils die Hälfte des nach Absatz 3 berechneten Monatsgehalts.

b) Bei halbjährlicher Auszahlung gebührt bei jeder Auszahlung jeweils das volle nach Absatz 3 berechnete Monatsgehalt.

(4) Den während des Jahres ein- oder austretenden Arbeitnehmerinnen/Lehrlingen gebührt im Kalenderjahr der aliquote Teil. Wenn eine Arbeitnehmerin/Lehrling nach Erhalt des für das laufende Kalenderjahr gebührenden Urlaubszuschusses bzw. der Weihnachtsremuneration ihr Arbeitsverhältnis selbst auflöst, aus ihrem Arbeitsverhältnis ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt oder infolge Vorliegens eines von ihr verschuldeten wichtigen Grundes vorzeitig entlassen wird, muss sie sich die im laufenden Kalenderjahr anteilsmäßig zu viel bezogenen Sonderzahlungen auf ihre, ihr aus dem Arbeitsverhältnis zustehenden Ansprüche, in Anrechnung bringen lassen.

(5) ...

[12] 2. Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist gemäß §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089). Eine über die Wortinterpretation hinausgehende Auslegung ist (nur) dann erforderlich, wenn die Formulierung mehrdeutig, missverständlich oder unvollständig ist, wobei der äußerst mögliche Wortsinn die Grenze jeglicher Auslegung bildet. Da den Kollektivvertragsparteien grundsätzlich unterstellt werden darf, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, ist bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RS0008828).

[13] 3. Aus der Textierung des § 26 Abs 1 SWÖ-KV ergibt sich, dass die Arbeitnehmerinnen grundsätzlich einen Anspruch auf jährlich zwei Sonderzahlungen (Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration) haben und wann diese Sonderzahlungen zur Auszahlung zu bringen sind. Diese hat jeweils spätestens mit der Juniauszahlung sowie mit der Novemberauszahlung und grundsätzlich halbjährlich, nach Maßgabe einer Betriebsvereinbarung auch vierteljährlich zu erfolgen. Abs 1 beinhaltet damit Regelungen zum Fälligkeitsmechanismus für die Sonderzahlungen. Darüber hinaus enthält Abs 1 auch eine Anordnung zur Auszahlungshöhe, wovon hier relevant ist, dass bei halbjährlicher Auszahlung „das volle nach Abs 3 berechnete Monatsgehalt“ gebührt. Wenngleich unausgesprochen, geht Abs 1 dabei erkennbar vom Grundfall einer laufenden Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres aus.

[14] 4. Dass die Ansprüche zu den genannten Zeitpunkten auch zur Gänze entstehen, ist daraus nicht zwingend ableitbar, ist doch bei Sonderzahlungen grundsätzlich ebenso ein aliquotes, dh dem Lauf des Kalenderjahres oder eines anderen Zeitraumes (zB Halb- oder Vierteljahr) folgendes Entstehen des Sonderzahlungsanspruchs möglich. Besonderer Regelungsbedarf besteht diesbezüglich für den Fall eines unterjährigen Beginns oder Endes des Arbeitsverhältnisses, worauf in Kollektivverträgen in der Regel auch Bedacht genommen wird.

[15] 5. § 26 Abs 4 S 1 SWÖ-KV regelt die Frage dahin, dass „den während des Jahres ein- oder austretenden Arbeiternehmerinnen/Lehrlingen“ „im Kalenderjahr der aliquote Teil“ der Sonderzahlungen „gebührt“.

[16] 5.1. Diese Bestimmung ist der Rückverrechnungsregelung des Abs 4 S 2 SWÖ-KV vorgelagert. Sie macht die Aliquotierung weder von der Art der Beendigung des Dienstverhältnisses noch von der Auszahlung einer Sonderzahlung abhängig. Für die Höhe des Auszahlungsanspruchs dürfte es auch nicht darauf ankommen, wann ein Sonderzahlungsanspruch faktisch ausgezahlt wird, weil es – wie schon zu 8 ObA 44/21k (Rnr 15) dargelegt – der Arbeitgeber sonst in der Hand hätte, die Höhe der Sonderzahlung durch rechtswidrige Nichtzahlung zu beeinflussen. Die Bestimmung regelt auch nur, unter welchen Bedingungen der aliquote Teil der Sonderzahlungen „gebührt“: Im Verhältnis zu Abs 1 S 4 lit b SWÖ-KV, der allgemein für ein laufendes Dienstverhältnis vorsieht, dass bei halbjährlicher Auszahlung bei jeder Auszahlung das volle Monatsgehalt gebührt, erfasst Abs 4 S 1 SWÖ-KV den spezielleren Fall eines Dienstverhältnisses mit „während des Jahres ein- oder austretenden Arbeitnehmerinnen/Lehrlingen“, sohin ein Rumpfarbeitsjahr, für das nur der aliquote Teil gebühren soll. Abs 1 und Abs 4 S 1 SWÖ-KV stehen damit auch nicht in Widerspruch.

[17] Abs 4 S 1 SWÖ-KV spricht daher schon nach dem Wortlaut und seiner systematischen Stellung, aber auch im Sinne einer sachgerechten Teleologie für ein Verständnis der Bestimmung dahin, dass Arbeitnehmerinnen/Lehrlingen bei einem kürzeren als ganzjährigen Arbeitsverhältnis die Sonderzahlungen im jeweils aliquoten Ausmaß, bezogen auf das Kalenderjahr, gebühren sollen (daher zB 9/12 des Urlaubszuschusses und 9/12 der Weihnachtsremuneration bei Ende des Arbeitsverhältnisses zum 30. 9., vgl Löschnigg/Resch, SWÖ-KV 2020 926 Anm 11).

[18] Da sich dadurch aber nichts am für die Auszahlung maßgeblichen Fälligkeitszeitpunkt (hier: ) ändert, muss Abs 4 S 1 SWÖ-KV zwangsläufig dahin verstanden werden, dass zu diesem Zeitpunkt auch beurteilbar sein muss, ob es sich um einen „ein- oder austretenden“ Arbeitnehmer handelt und daher die auszuzahlende Sonderzahlung zu aliquotieren ist oder nicht. Das führt aber dazu, dass dann, wenn schon vor dem Fälligkeitszeitpunkt feststeht, dass das Dienstverhältnis unterjährig enden wird, die Sonderzahlung für die „austretende Arbeitnehmerin/Lehrling“ bereits zu aliquotieren ist.

[19] 6. Abs 4 S 2 SWÖ-KV steht dem nicht entgegen, weil er nur die Frage behandelt, unter welchen Voraussetzungen eine Überaliquotierung von ausgezahlten Sonderzahlungen zurückzuzahlen ist. Die in der Revision genannten Entscheidungen 8 ObA 221/99d und 9 ObA 146/16k (zu bereits ausbezahlten Sonderzahlungen) stützen den Standpunkt des Klägers daher nicht. Ein Rückforderungstatbestand liegt auch nicht vor.

7. Eine vergleichbare Bestimmung findet sich im Kollektivvertrag, der der Entscheidung 8 ObA 44/21k zu Grunde lag (Abschnitt 9 Z 6 des Kollektivvertrags Elektro- und Elektronikindustrie/Arbeiter), nicht. Anders als in jener Regelung wird vorliegend auch nicht auf das Ende des Dienstverhältnisses abgestellt, sondern, wie dargelegt, eine Regelung über das gebührende Ausmaß der Sonderzahlungsansprüche für unterjährig ein oder austretende Arbeiternehmerinnen/Lehrlinge getroffen. Abs 4 S 1 SWÖKV rechtfertigt vielmehr eine Gleichbehandlung mit dem der Entscheidung 9 ObA 84/13p zugrunde liegenden Kollektivvertrag, der sehr ähnlich regelt, dass den „während des Kalenderjahres austretenden Angestellten und Lehrlingen für dasselbe ebenfalls der aliquote Teil der Urlaubsbeihilfe gebührt, …“ (Kollektivvertrag für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben, Abschnitt C lit c der Gehaltsordnung). Dass jener Kollektivvertrag überdies die Regelung „Steht bei Urlaubsantritt die Beendigung des Arbeits- oder Lehrverhältnisses bereits fest, gebührt der aliquote Teil der Urlaubsbeihilfe“ enthält und insofern noch klarer auf eine Beurteilung zum Fälligkeitszeitpunkt (dort: Urlaubsantritt) abstellt, legt noch keinen Umkehrschluss nahe. In dieser Entscheidung wurde auch dem Ergebnis der vom Kläger weiter genannten Entscheidung 9 ObA 207/94, der ebenfalls eine kollektivvertraglich angeordnete Aliquotierung zugrunde lag, in der zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Sonderzahlung das Ende des Arbeitsverhältnisses bereits feststand und dennoch die volle Sonderzahlung zuerkannt wurde, nicht gefolgt. Auch aus der Entscheidung 9 ObA 328/98w ist für den Klagsstandpunkt nichts zu gewinnen, weil daraus nicht hervorgeht, dass jenes Dienstverhältnis zum Fälligkeitszeitpunkt bereits gekündigt gewesen wäre.

8. Im Ergebnis ist § 26 Abs 4 S 1 SWÖKV damit dahin auszulegen, dass Sonderzahlungen auch dann aliquot „gebühren“, wenn im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit bereits feststeht, dass ein Dienstverhältnis unterjährig beendet sein wird.

[22] Da hier zum Fälligkeitszeitpunkt des klagsgegenständlichen Urlaubszuschusses () feststand, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund der davor ausgesprochenen Arbeitgeberkündigung zum endete, sind die Vorinstanzen zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass der Kläger für das Jahr 2019 nur einen aliquoten Anspruch auf Urlaubszuschuss für den Zeitraum bis hat. Sie haben sein Klagebegehren daher zur Recht abgewiesen.

[23] 9. Der Revision des Klägers war danach keine Folge zu geben.

[24] Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00065.22G.0928.000

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