OGH vom 28.09.2022, 9ObA36/22t

OGH vom 28.09.2022, 9ObA36/22t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Hon.Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Karin Koller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * B*, vertreten durch Mag. Johannes Bügler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt W*, vertreten durch Fellner Wratzfeld  Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses (Streitwert: 120.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 60/21s16, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 18 Cga 64/20t12, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.423,70 EUR (darin 403,95 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist seit Juni 1998 bei der Beklagten als Vertragsbediensteter nach der Wiener Vertragsbedienstetenordnung 1995 – VBO 1995 beschäftigt und der Wiener Linien GmbH & Co KG (idF: Wiener Linien) aufgrund des Wiener Stadtwerke – Zuweisungsgesetzes zur Dienstleistung als Straßenbahnfahrer dauernd zugewiesen. Die bei der Beklagten für den Kläger zuständige Personalstelle ist die Magistratsdirektion „Personalstelle Wiener Stadtwerke“. Bei den Wiener Linien ist ein Betriebsrat eingerichtet. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Kündigung sowohl Mitglied des Betriebsrats Fahrbetrieb und Kundendienst als auch Mitglied des Zentralbetriebsrats der Wiener Linien. Zudem war er als Mitglied des im Betrieb der Wiener Linien errichteten Dienststellenausschusses Straßenbahn und betriebliches Betriebsmanagement Personalvertreter. Die Beklagte kündigte das Dienstverhältnis zum Kläger mit Schreiben vom zum wegen gröblicher Verletzung von Dienstpflichten auf.

[2] Wenn aus Sicht der Wiener Linien ein Vertragsbediensteter einen vermeintlichen Kündigungs- oder Entlassungsgrund verwirklicht hat, wird die gesamtinhaltliche disziplinäre Prüfung unter Beilage der relevanten Unterlagen beantragt. Der Zentralausschuss der Personalvertretung der Bediensteten der Gemeinde Wien hatte auf Antrag der Beklagten vom am beschlossen, der Kündigung des Klägers zuzustimmen. Die aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde des Klägers zuständige gemeinderätliche Personalkommission hatte der Kündigung des Klägers mit Beschluss vom ebenso zugestimmt. Die Verständigung von der Zustimmung der gemeinderätlichen Personalkommission ging am selben Tag der MA-Personalstelle der Wiener Stadtwerke zu, deren Leiterin das Kündigungsschreiben am unterschrieb. Die Beklagte stützte sich im Kündigungsschreiben auf eine dem Kläger am ausgehändigte Verwarnung, am entgegen der Betriebsvorschrift (BV-FD-2013) den Dienst als Straßenbahnfahrer in Privatkleidung angetreten zu haben, und darauf, dass der Kläger bis April 2020 anlässlich der aktuellen Corona-Krise im sozialen Netzwerk „Facebook“ auf der öffentlichen Seite „Team *“ falsche Tatsachen betreffend die Vorsorgemaßnahmen der Wiener Linien zum Schutz der Mitarbeiter:innen geäußert habe.

[3] Der Kläger begehrte die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den hinaus. Soweit revisionsgegenständlich, brachte er vor, er sei nicht nur Personalvertreter, sondern genieße als Betriebsrat Kündigungsschutz gemäß §§ 120 ff ArbVG. Die Kündigung sei mangels vorheriger Zustimmung des Gerichts rechtsunwirksam, aber auch (aus näher dargelegten Gründen) inhaltlich unberechtigt und verfristet. Der Kläger sei trotz der ihm vorgeworfenen angeblichen gröblichen Dienstverletzung noch bis im Fahrdienst gewesen. Dies vermittle den Eindruck, dass nicht einmal die Beklagte selbst von einer Dienstverletzung ausgehe.

[4] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, der Kläger habe im Zeitraum Februar 2020 bis April 2020 durch mediale Auftritte in sozialen Netzwerken mit Äußerungen falscher Tatsachen über die Vorsorgemaßnahmen der Wiener Linien zum Schutz der MitarbeiterInnen in der Corona-Krise Unruhe gestiftet, seine Kollegen verunsichert und die Arbeit des Krisenstabes behindert. Es liege folglich ein Kündigungsgrund gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VBO vor. Die Funktionen des Klägers als Mitglied der Personalvertretung und des (Zentral-)Betriebsrats könnten seine Dienstpflichtverletzungen nicht rechtfertigen.

[5] Die Rechte der Personalvertretung kämen nach dem Wiener Personalvertretungsgesetz (W-PVG) den Organen der Personalvertretung zu und nicht ihren Mitgliedern. Dies gelte in gleicher Weise auch für Betriebsräte. Der Wiener Landesgesetzgeber habe für Gemeindebedienstete, die Mitglieder der Personalvertretung seien, einen eigenen Bestandschutz vorgesehen, der den Bestandschutz für Betriebsratsmitglieder ersetze. Das Zustimmungsverfahren gemäß § 37 W-PVG trage der Besonderheit des Dienstes von Vertragsbediensteten und Beamten der Gemeinde Wien Rechnung. Das Schutzniveau sei inhaltlich durch die Bestimmungen der §§ 42 bis 45 VBO ausreichend gewahrt, da der herangezogene Kündigungsgrund nicht erfüllt wäre, wenn dem Kläger die Mandatsschutzklausel zugute käme, weil dann ohnehin keine Dienstpflichtverletzung begangen worden sein könnte. Der Rechtsstandpunkt, es sei bei einem Gemeindebediensteten, der zugleich Personalvertretungsmitglied und Mitglied eines Betriebsrats sei (dessen Betriebsinhaber vom Dienstgeber verschieden sei), zusätzlich der Bestandschutz nach §§ 120 ff ArbVG anzuwenden, sei verfehlt. Es läge nicht nur ein verfassungswidriger Eingriff in die Kompetenz des Wiener Landesgesetzgebers vor, sondern änderte dies den gesetzlich determinierten Inhalt des Dienstvertrags ab, weil es den Kündigungsschutz des Vertragsbediensteten erweitern würde, ohne dass die Voraussetzungen eines Sondervertrags vorlägen. Das Kündigungsverfahren sei nach den Vorschriften des W-PVG ordnungsgemäß durchgeführt worden. Der Kläger habe gegen den Bescheid der Personalkommission kein Rechtsmittel erhoben, sodass dieser rechtskräftig geworden sei. Auch der Grundsatz der Unverzüglichkeit sei gewahrt worden.

[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Zusammengefasst ging es davon aus, dass (auch) der besondere Kündigungs- und Entlassungsschutz nach den §§ 120 ff ArbVG auf den Kläger zur Anwendung komme. Aufgrund der unterschiedlichen zu vertretenden Belegschaftsinteressen sei ein doppelter Schutz der Vertretungsorgane geboten. Da die entgegen §§ 120 ff ArbVG ohne Zustimmung des Gerichts ausgesprochene Kündigung des Klägers rechtsunwirksam sei, bedürfe es keiner weiteren Prüfung der Voraussetzungen einer rechtswirksamen Kündigung nach dem W-PVG oder der VBO 1995.

[7] Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten keine Folge. Dass in der Gemeinde als überlassendem Unternehmen nicht die gesetzliche Betriebsverfassung des ArbVG, sondern die landesgesetzlich geregelte Personalvertretung zur Anwendung komme, vermöge die für den ausgegliederten Rechtsträger bundesgesetzlich geregelte Betriebsverfassung des ArbVG nicht außer Kraft zu setzen. Die Entscheidung 9 ObA 151/08h stehe nicht in Widerspruch zur gesicherten Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs des § 36 ArbVG, der (zumindest) dauernd überlassene Arbeitnehmer ohne weiteres erfasse und damit als Teil der Belegschaft des Beschäftigerunternehmens begreife. Den Normzwecken der gesetzlichen Betriebsverfassung des ArbVG entspreche es nicht, die zugewiesenen Gemeindebediensteten zB schon von ihrem aktiven und passiven Wahlrecht zur Betriebsratswahl im ausgegliederten Rechtsträger auszuschließen. Die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung stehe diesem Auslegungsergebnis des § 33 ArbVG nicht entgegen, weil es bei dieser nur darum gehe, dass die überlassenen Gemeindebediensteten im Hinblick auf das ungeachtet der Zuweisung bestehen bleibende dienstrechtliche Band zur Gemeinde auch weiterhin dort und daher zusätzlich der gesetzlichen Personalvertretung (als besonderer Form der Gemeindebetriebsverfassung) unterlägen. In Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung und der zu 9 ObA 151/08h ergangenen Anmerkung von Jabornegg kam auch das Berufungsgericht zum Ergebnis, dass der Kläger als Mitglied des Betriebsrats dem in § 120 ArbVG umschriebenen Personenkreis angehöre, für den der besondere Kündigungs- und Entlassungsschutz der §§ 120122 ArbVG gelte, und seine Kündigung mangels Zustimmung des Arbeits- und Sozialgerichts daher rechtsunwirksam sei.

[8] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die Kündigung bzw Entlassung von Gemeindebediensteten der Stadt Wien, die zur Dienstleistung ausgegliederten Betrieben zugewiesen sind und dem Betriebsrat einem dieser Betriebe angehören, den Beschränkungen der §§ 120 ff ArbVG unterliegen.

[9] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Der Kläger beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

[12] Die Beklagte wiederholt im Wesentlichen ihren Rechtsstandpunkt und macht zusammengefasst geltend, der Anwendung des Betriebsverfassungsrechts auf dienstzugewiesene Gemeindebedienstete stünden kompetenzrechtliche Gründe entgegen. Dazu war Folgendes zu erwägen:

[13] 1. Nicht weiter fraglich ist, dass der Kläger als Vertragsbediensteter iSd § 1 Abs 1 Z 3 Wr Stadtwerke – ZuweisungsG den Wiener Linien als einem Betrieb iSd § 36 ArbVG dienstzugeteilt ist. Er ist nicht nur Personalvertreter nach dem Wiener PersonalvertretungsG (W-PVG), sondern auch gewähltes Betriebsratsmitglied nach dem ArbVG (zur Zulässigkeit s nur RS0121025).

[14] 2. Zur revisionsgegenständlichen Frage, ob die für Betriebsratsmitglieder geltenden Kündigungsschutzbestimmungen der §§ 120 f ArbVG auch auf den Kläger als dienstzugewiesenen Vertragsbediensteten anzuwenden sind, ist folgende Gesetzeslage zu den jeweiligen Kündigungschutzbestimmungen für der VBO 1995 unterliegende Vertragsbedienstete und für Betriebsratsmitglieder voranzustellen:

[15] 2.1. Die Kündigung von Vertragsbediensteten iSd VBO 1995 ist an das Vorliegen besonderer Kündigungsgründe gebunden. Zu diesen zählt unter anderem die hier angezogene gröbliche Verletzung von Dienstpflichten durch den Vertragsbediensteten, sofern nicht eine Entlassung in Frage kommt (§ 42 Abs 2 Z 1 VBO 1995).

[16] Kündigungen durch die Dienstgeberin (Beklagte) sind der Personalvertretung vor der Entscheidung oder Antragstellung an das zur Entscheidung zuständige Gemeindeorgan zur Kenntnis zu bringen (§ 39 Abs 5 Z 2 W-PVG). Der Personalvertretung kommt dabei ein Antragsrecht (§ 39 Abs 1 S 2 W-PVG), aber kein Zustimmungsrecht zu.

[17] § 37 Abs 2 W-PVG enthält darüber hinaus einen besonderen Kündigungsschutz für PersonalvertreterInnen (notwendige Zustimmung des Zentralausschusses, mangels Zustimmung oder über Beschwerde des Personalvertreters Vorberatung durch die gemeinderätliche Personalkommission). Dieser erfasst daher Bedienstete der Gemeinde Wien in ihrer Funktion als Personalvertreter, nicht aber in ihrer Funktion als Mitglied des Betriebsrats einer Gesellschaft, der sie iSd § 1 Abs 1 Wr Stadtwerke – ZuweisungsG ex lege dienstzugewiesen sind.

[18] 2.2. Nach § 120 Abs 1 ArbVG darf ein Mitglied des Betriebsrats bei sonstiger Rechtsunwirksamkeit nur nach vorheriger Zustimmung des Gerichts gekündigt oder entlassen werden. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung den sich aus § 115 Abs 3 ArbVG ergebenden Schutz der Betriebsratsmitglieder (dh Beschränkungs- und Benachteiligungsverbot) wahrzunehmen. In den Fällen der §§ 121 Z 3 und 122 Abs 1 Z 3 erster Satzteil, Z 4 erster Satzteil und Z 5 ArbVG hat das Gericht die Klage auf Zustimmung zur Kündigung oder Entlassung eines Betriebsratsmitglieds abzuweisen, wenn sie sich auf ein Verhalten des Betriebsratsmitglieds stützt, das von diesem in Ausübung des Mandats gesetzt wurde und unter Abwägung aller Umstände entschuldbar war.

[19] Nach § 121 Z 3 ArbVG darf das Gericht einer Kündigung unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des § 120 ArbVG nur zustimmen, wenn das Betriebsratsmitglied die ihm aufgrund des Arbeitsverhältnisses obliegenden Pflichten beharrlich verletzt und dem Betriebsinhaber die Weiterbeschäftigung aus Gründen der Arbeitsdisziplin nicht zugemutet werden kann.

[20] 2.3. Ein Vergleich der Kündigungsschutzbestimmungen zeigt damit, dass (dienstzugewiesene) Vertragsbedienstete als solche ebenso wie dem II. Teil des ArbVG unterliegende ArbeitnehmerInnen, die Betriebsratsmitglieder sind, durch die Anforderung eines besonderen Kündigungsgrundes kündigungsgeschützt sind (wobei vergleichsweise jeweils auch auf eine beharrliche bzw gröbliche Dienstpflichtverletzung abgestellt wird). Der Kündigungsschutz nach den §§ 120 f ArbVG geht aber inhaltlich und institutionell darüber hinaus, weil bei ihm zusätzlich und überdies gerichtlich im Kern auf den Schutz des Mandats und seiner Ausübung Bedacht zu nehmen ist.

[21] 3. Da der Kläger (auch) die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 120 f ArbVG erfüllt, ist zu prüfen, ob deren Anwendung kompetenzrechtlich und landesgesetzlich verdrängt wird.

[22] 3.1. In Abweichung von der Bundeskompetenz für Angelegenheiten des Arbeitsrechts (Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG) obliegt den Ländern gemäß Art 21 Abs 1 S 1 BVG die Gesetzgebung und Vollziehung in den Angelegenheiten des Dienstrechtes einschließlich des Dienstvertragsrechtes und des Personalvertretungsrechtes der Bediensteten der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände, soweit für alle diese Angelegenheiten in Abs 2, in Art 14 Abs 2, Abs 3 lit c und Abs 5 lit c und in Art 14a Abs 2 lit e und Abs 3 lit b nicht anderes bestimmt ist. Gemäß Art 21 Abs 2 BVG obliegt den Ländern auch die Gesetzgebung und Vollziehung in den Angelegenheiten des Arbeitnehmerschutzes der Bediensteten (Abs 1) und der Personalvertretung der Bediensteten der Länder, soweit die Bediensteten nicht in Betrieben tätig sind. Soweit nach dem ersten Satz nicht die Zuständigkeit der Länder gegeben ist, fallen die genannten Angelegenheiten in die Zuständigkeit des Bundes.

[23] 3.2. Zum Verhältnis der Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Regelung des Betriebsverfassungsrechts und der Dienstrechtskompetenz der Länder hat der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung 8 ObA 78/07i (betreffend die verschlechternde Versetzung einer dienstzugewiesenen Landesbeamtin im Hinblick auf § 101 ArbVG) unter ausführlicher Auseinandersetzung mit der Literatur zunächst hervorgehoben, dass nach den allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen für die Auslegung der Kompetenzbestimmungen die Gesetzgeber der gegenbeteiligten Gebietskörperschaften auf die von der jeweiligen anderen Gebietskörperschaft wahrzunehmenden Interessen Rücksicht zu nehmen haben („Berücksichtigungsprinzip“, s auch RS0123471). § 101 ArbVG gehe im Wesentlichen von einem Gestaltungsspielraum des Dienstgebers aus, auf den dann die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats einwirken. Dies bedeute, dass es dem für das Dienstrecht zuständigen Gesetzgeber auch zustehe, die Voraussetzungen für und die Verpflichtung zur Versetzung so zu regeln, dass ein weiterer Spielraum für Mitwirkungsrechte des Betriebsrats nicht bestehe. Mit (dort:) § 92 oö LLBG komme zum Ausdruck, dass der Landesgesetzgeber keinen weiteren Spielraum für die Beurteilung der Versetzung auch für zugewiesene Beamte habe eröffnen wollen und damit kein Spielraum verbleibe, der Anknüpfungspunkt für ein Mitwirkungsrecht der Belegschaft iSd § 101 ArbVG hinsichtlich der inhaltlichen Berechtigung der Versetzung sein könnte. Dagegen bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken (s auch RS0123472).

[24] 3.3. In der Entscheidung 9 ObA 151/08h (betreffend die verschlechternde Versetzung eines dienstzugewiesenen Vertragsbediensteten) führte der Oberste Gerichtshof in Auseinandersetzung mit der Neufassung des Art 21 Abs 2 BVG durch die Bundesverfassungsgesetznovelle 1981 (BGBl Nr 350/1981) aus, dass aufgrund der Kompetenzverteilung für Gemeindebedienstete, die in Betrieben tätig sind, gemäß Art 21 BVG weiterhin das Land gesetzgebungsbefugt sei. Die bundesrechtlichen Vorschriften über die betriebliche Interessenvertretung gelangten nur dann zur Anwendung, wenn das jeweilige Land von dieser Kompetenz keinen Gebrauch mache. Im konkreten Fall habe der Gesetzgeber des WPVG aber eindeutig zu erkennen gegeben, dass auch nach der Ausgliederung der Wiener Stadtwerke das Personalvertretungsrecht der Gemeinde Wien auf betrieblicher Ebene weiter gelten solle und somit von der Kompetenz gemäß Art 21 Abs 1 und Abs 2 BVG Gebrauch gemacht. Im Anschluss an die Lehrmeinung von Rebhahn/Kietaibl (in Tomandl,ArbVG § 33 Rz 3) führe eine verfassungskonforme Auslegung des § 33 ArbVG zum Schluss, dass dann, wenn der Landesgesetzgeber – wie gegeben – seine Kompetenz zur Regelung des Personalvertretungsrechts für an ausgegliederte Betriebe zugewiesene Gemeindebedienstete in Anspruch nehme, hinsichtlich dieser Beschäftigten für die Fortwirkung der Betriebsverfassung des ArbVG kein Raum bleibe (s auch RS0125258).

[25] Zur Regelung des § 39 Abs 1 dritter Satz W-PVG („Soweit nach anderen Gesetzen, die auf Dienststellen der Gemeinde Wien anzuwenden sind, dem Betriebsrat ein Mitwirkungsrecht zusteht, kommt dieses der Personalvertretung zu.“) wurde festgehalten, dass daraus nicht auf eine Kompetenzerweiterung dahin zu schließen sei, dass der Personalvertretung zusätzlich zu den ihr nach dem Personalvertretungsrecht zustehenden Rechten global sämtliche im ArbVG geregelte Mitwirkungsrechte eingeräumt werden sollten, zumal die §§ 3 f W-PVG selbst detaillierte Regelungen über die Mitwirkungsrechte der Personalvertretung treffen.

[26] 3.4. Darauf gestützt wurde in der Entscheidung 9 ObA 110/10g für eine Vertragsbedienstete auch ein (ergänzender) Entlassungsschutz nach den §§ 105, 106 ArbVG verneint.

3.5. Im Verfahren 9 ObA 18/18i (betreffend die [abgelehnte] Zustimmung zur Entlassung, in eventu Kündigung eines dienstzugewiesenen Vertragsbediensteten nach den §§ 121, 122 ArbVG) war der vorliegenden Frage nicht näher nachzugehen.

[27] 4. In der Literatur merkte Jabornegg zu 9 ObA 151/08h (DRdA 2011, 332 [335]) kritisch an, die seinerzeitige Neufassung des Art 21 Abs 2 B-VG durch die Bundesverfassungsgesetz-Novelle 1981 habe – iVm Art 21 Abs 1 B-VG sowie unter Berücksichtigung der Übergangsregelung des Art III Abs 1 der B-VG-Novelle BGBl 1981/350 – hinsichtlich der Gemeinde- und Gemeindeverbandsbediensteten lediglich eine Landeskompetenz dahingehend begründet, dass auch die in Betrieben beschäftigten Gemeindebediensteten dem vom Landesgesetzgeber erlassenen Personalvertretungsrecht unterliegen können und dementsprechend nicht mehr ausschließlich beim Beschäftigerbetrieb von der gesetzlichen Betriebsverfassung des ArbVG erfasst würden. Die Kompetenzlage sollte aber keinesfalls so verstanden werden, dass dem Landesgesetzgeber auch noch die Befugnis übertragen worden sei, gleichsam den an sich nur vom Bundesgesetzgeber zu definierenden personellen Geltungsbereich der gesetzlichen Betriebsverfassung nach ArbVG einzuschränken. Es erscheine nicht normzweckkonform, bei unterschiedlichen Gesetzgebungskompetenzen für die Belegschaftsverfassung im Überlasserunternehmen und im Beschäftigerunternehmen davon auszugehen, dass die eine Gesetzgebungskompetenz die andere verdränge. Eine „verfassungskonforme“ Auslegung des § 33 ArbVG müsse daher dazu führen, dass die vom Landesgesetzgeber wahrgenommene Kompetenz zur Regelung der Personalvertretung für an ausgegliederte Betriebe zugewiesene Gemeindebedienstete zwar durchaus zu beachten sei, aber nur im Tätigkeitsbereich der Gemeinde selbst sowie hinsichtlich der dienstrechtlichen Beziehungen zwischen der Gemeinde und den Gemeindebediensteten, nicht hingegen im Sinn einer völligen Verdrängung der zusätzlich gegebenen Belegschaftszugehörigkeit der zugewiesenen Bediensteten gemäß den §§ 33 ff ArbVG im ausgegliederten Unternehmen.

[28] 5.1. Diese Erwägungen sind jedenfalls für die vorliegende Konstellation weiterzuführen.

[29] Für diese ist hervorzuheben, dass der Kündigungsschutz von Betriebsratsmitgliedern im ArbVG – anders als etwa der allgemeine Versetzungs- oder Kündigungsschutz – schon strukturell nicht als Mitwirkungsbefugnis der Arbeitnehmerschaft (3. Hauptstück) ausgestaltet ist und insbesondere auch nicht von ihren Mitwirkungsrechten in personellen Angelegenheiten (Abschnitt 3, §§ 98 ff ArbVG) erfasst wird. Der Kündigungs- und Entlassungsschutz von Betriebsratsmitgliedern ist vielmehr in einem eigenen 4. Hauptstück („Rechtsstellung der Mitglieder des Betriebsrates“, § 115 ArbVG) geregelt, womit im ArbVG bei der Kündigung von Betriebsratsmitgliedern von Vornherein keine Anknüpfungspunkte für eine belegschafts- oder personalvertretungsrechtliche Mitwirkung bestehen.

[30] 5.2. Die Dienstrechtskompetenz der Länder (Art 21 Abs 1 B-VG) kann nicht dahin verstanden werden, dass sie die Beendigung von Dienstverhältnissen dienstzugewiesener Vertragsbediensteter auch dann abschließend erfassen würde, wenn in deren „Beschäftigerbetrieb“ Mitglieder des Betriebsrats besonderen bundesgesetzlichen Kündigungsschutzbestimmungen unterliegen. Dagegen spricht schon das – auch von Jabornegg ins Treffen geführte – Berücksichtigungsprinzip (Pkt 3.2.).

[31] 5.3. Es ist aber auch nicht ersichtlich, dass der Wiener Landesgesetzgeber für dienstzugewiesene Vertragsbedienstete die Anwendung des Kündigungsschutzes für Betriebsratsmitglieder nach dem ArbVG überhaupt ausschließen hätte wollen. Zufolge der Erläuterungen (ErlBem zum Entwurf des Gesetzes, mit dem Bestimmungen über die Zuweisung von Bediensteten der Gemeinde Wien erlassen und das W-PVG (3. Novelle zum W-PVG) geändert worden sind, Beilage Nr 33/1998, PrZ 1623/98-MDBLTG, S 16) ging er vielmehr selbst im Hinblick auf Mitwirkungsrechte von möglichen „Zweigleisigkeiten“ aus:

„Unter Bedachtnahme auf Art 21 Abs 2 B-VG und auf das Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) wird sich auf dem Gebiet der Bedienstetenvertretung eine Doppelzuständigkeit ergeben. Für die derzeitigen Bediensteten der Wiener Stadtwerke gelten auch die Bestimmungen des Wiener Personalvertretungsgesetzes (W-PVG). Daran würde sich auch nichts ändern, wenn sie zur Dienstleistung an die WStW-Neu dienstzugeteilt werden (so auch eines der Hauptergebnisse des bereits mehrfach erwähnten Gutachtens von Univ. Prof. Dr. Tomandl). Für die WStW-Neu gilt jedoch uneingeschränkt das ArbVG, sodass die Interessen der von der WStW-Neu selbst neu aufgenommenen Arbeitnehmer von Betriebsräten im Sinn des ArbVG und nicht von Personalvertretern nach dem W-PVG wahrzunehmen sind. Damit werden Beamte und Vertragsbedienstete der Gemeinde Wien, die den WStW-Neu dienstzugeteilt sind, doppelt vertreten. Für sie sind sowohl die Organe der Personalvertretung nach dem W-PVG als auch die Betriebsräte nach dem ArbVG zuständig. Auf jeden Fall sollen aber den zugewiesenen Bediensteten jene personellen Mitwirkungsrechte der Organe der Personalvertretung gewahrt bleiben, die den Bestand und den eigentlichen Inhalt des Dienstverhältnisses betreffen. Die folgenden Änderungen des W-PVG treffen die entsprechenden Vorkehrungen.“

[32] Wie den zitierten Erläuterungen (S 18) zu entnehmen ist, war dem Wiener Landesgesetzgeber auch bewusst, dass er „weder das Mitbestimmungsorgan (Betriebsrat) noch das Ausmaß der Mitbestimmung nach den Bestimmungen des ArbVG veränderndürfe. Es wäre aber zulässig, „für den Bereich der WStW-NEU jene Mitwirkungsrechte der Organe der Personalvertretung außer Kraft zu setzen, die mit dem Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte in Konflikt geraten könnten. Zufolge der Erläuterungen sollten daher die wirtschaftlichen Mitwirkungsrechte und jene personellen Mitwirkungsrechte, die auf die tatsächliche Arbeitsleistung im Unternehmen bezogen sind, im W-PVG außer Kraft gesetzt werden, wogegen jene personellen Mitwirkungsrechte der Organe der Personalvertretung, die den Bestand und den eigentlichen Inhalt des Dienstverhältnisses betreffen, gewahrt bleiben sollten. Aus diesem Ansinnen ergibt sich aber nicht, dass der Wiener Landesgesetzgeber einen bundesgesetzlich bestehenden mandatsbedingten Kündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder für seine dienstzugewiesenen Vertragsbediensteten verdrängen oder auch nur zu seinen eigenen Agenden zählen hätte wollen. Diesbezüglich bestehen, wie dargelegt, auch keine Anknüpfungspunkte für personelle Mitwirkungsrechte der Organe der Personalvertretung.

[33] 5.4. Anderes geht auch nicht aus § 1 Abs 4 S 1 Wr Stadtwerke – ZuweisungsG hervor. Dass „durch die Zuweisungen gemäß Abs 1“ leg cit „in der dienst- und besoldungsrechtlichen Stellung der in einem durch Vertrag begründeten Dienstverhältnis Beschäftigten keine Änderung“ eintritt, betrifft noch keine Änderung „durch eine Betriebsratstätigkeit“.

[34] Die Fortgeltung der personalvertretungsrechtlichen Kompetenzen schließt danach die Geltung der für Betriebsratsmitglieder geltenden Kündigungsschutzbestimmungen des ArbVG nicht aus.

[35] 5.5. Die Annahme einerabschließenden landesgesetzlichen Regelung, die der Anwendbarkeit des ArbVG entgegenstünde, wäre nicht zuletzt nicht normzweckkonform, weil dem besonderen Kündigungsschutz für Betriebsräte, wie dargelegt, weder nach den Kündigungsbestimmungen der VBO noch nach dem Wr Stadtwerke – ZuweisungsG noch unter Bedachtnahme auf die Mitwirkungsrechte der Personalvertretung nach dem W-PVG in gleicher Weise Rechnung getragen würde. Damit bestünde gerade für den Kern der Betriebsratstätigkeit ein Rechtsschutzdefizit.

[36] 5.6. Im Ergebnis wird die Anwendbarkeit der §§ 120 f ArbVG hier daher nicht von den genannten landesgesetzlichen Kündigungsschutzbestimmungen verdrängt. Eine Kündigung von dienstzugewiesenen Vertragsbediensteten, die Mitglieder des Betriebsrats einer der in § 1 Abs 1 Wr Stadtwerke – ZuweisungsG genannten Gesellschaften sind, bedarf daher auch der Einhaltung der §§ 120 f ArbVG.

[37] 6.1. Die Entscheidung 9 ObA 110/10g steht dazu nicht im Widerspruch, weil sie – anders als hier – die vom Mitwirkungsrecht der Belegschaftsvertretung in personellen Angelegenheiten betroffene Frage der Anwendbarkeit der §§ 105 f ArbVG betraf.

[38] 6.2. Ob die §§ 120 f ArbVG auch für in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehende dienstzugewiesene Bedienstete gelten (s dazu VwGH 2004/12/0084), kann hier aufgrund der grundlegend anders gearteten Struktur eines solchen Dienstverhältnisses dahinstehen.

6.3. Klarstellend ist anzumerken, dass eine gerichtliche Zustimmung nur nach Maßgabe des Kündigungsschutzes der §§ 120 f ArbVG erfolgen kann, sie jedoch nicht die Anforderungen an eine Kündigung nach Maßgabe der landesgesetzlichen Bestimmungen ersetzt (daher zwar notwendige, unter Umständen aber keine hinreichende Bedingung für die Kündigung eines [dienstzugeteilten] Vertragsbediensteten, der auch Personalvertreter der Beklagten ist).

[40] 7. Zusammenfassend sind die Vorinstanzen zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass die Kündigung des Klägers aufgrund seiner Funktion als Mitglied des Betriebsrats der Wiener Linien GmbH & Co KG gemäß § 120 Abs 1 ArbVG (auch) der Zustimmung des Gerichts bedurft hätte. In Ermangelung einer solchen wurde das Dienstverhältnis nicht wirksam beendet, ohne dass es der von der Beklagten vermissten Prüfung der von ihr angezogenen Kündigungsgründe bedürfte. Der Revision der Beklagten war danach keine Folge zu geben.

[41] Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00036.22T.0928.000

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